Staatskapitalismus statt Sozialismus (Teil 2 von 2)

Ein Beitrag zur Konzeption einer nachkapitalistischen Wirtschaft

Hanns Graaf

Der Staat als Eigentümer

Beim Staatseigentum das Eigentumsrecht nicht von Einzelpersonen wahrgenommen, sondern von einer Gruppe, der Bürokratie. Doch auch im modernen „Privat“-Kapitalismus befinden sich die großen Kapitale meist nicht in individueller Hand, sondern sind „Gruppeneigentum“ in Gestalt der Anteilseigner einer AG oder GmbH. Freilich sind die einzelnen Unternehmensanteile bzw. Aktien letztlich häufig privates Eigentum einer konkreten Person. Oft gibt es auch Formen „verschränkten“ Gruppeneigentums, z.B. wenn Fonds Aktienpakete halten. Der moderne Finanzmarkt zeigt geradezu einen Trend dazu, dass die einzelnen Eigentumsrechte oft nur schwer zu identifizieren sind.

Zwar besteht „die Bourgeoisie“ in letzter Instanz aus konkreten individuellen Eigentümern und ist durchaus kein Abstraktum, doch die Individuen treten eben oft als Teil einer Gruppenstruktur von  Eigentümern auf. Dieses Phänomen hat aber eine Grenze insofern, als niemals die Bourgeoisie als ganze Klasse als konkreter Eigentümer fungiert. Nicht umsonst gilt der bürgerliche Staat als „ideeller Gesamtkapitalist“ und nicht als reeller. Die Staatsbürokratie an der Macht aber spielt diese Rolle eben nicht nur ideell, sondern ganz real.

Bei einer AG etwa fallen das Eigentum de jure (die Aktie) und das Eigentum de facto, d.h. die reale Verfügungsgewalt, mehr oder weniger auseinander. Letztere liegt weitgehend in Händen des Managements. Niemand aber würde behaupten, dass dadurch der Kapitalismus aufgehoben wäre. Eine solche, besonders große, Gruppe von Eigentümern ist auch die Staatsbürokratie der stalinistischen Länder. Jedoch gibt es hier kein Privateigentum einzelner Bürokraten de jure. Im Unterschied zum Privateigentum kann das Staatseigentum oder der Posten in der Bürokratie auch nicht vererbt werden. Das ist ein Grund, warum die Akkumulation von Kapital durch einzelne Bürokraten begrenzt ist und größerer Reichtum eher auf illegalem Wege gemacht wird, wie das Beispiel der Oligarchen der post-UdSSR zeigt.

Im Privat-Kapitalismus ist der „traditionelle“ individuelle Kapitalist als Fabrikbesitzer inzwischen die Ausnahme. Formen von „gesellschaftlichem“ Eigentum (AG, GmbH) sind viel bedeutsamer als früher, davon abgesehen, dass die Tendenz zur Vergesellschaftung der Ökonomie immer mehr zunimmt. Zum Teil hat der Kapitalist das volle Eigentumsrecht, ohne aber auf die reale Verfügung über das Eigentum viel Einfluss zu nehmen. Lenin nannte einen Teil davon „Kuponschneider“, heute sagen wir dazu vielleicht Share-holder. Manager (die Geschäftsführung) hingegen sind formell meist keine Eigentümer, üben aber die konkrete Verfügungsgewalt aus. Die Tendenz zum immer weiteren Auseinanderfallen, zur Trennung zwischen dem formellen, juristischen Eigentumstitel und der praktischen Verfügungsgewalt über die Produktionsmittel prägt den modernen Kapitalismus immer stärker.

Engels betonte in „Die Entwicklung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft“ hinsichtlich der Vergesellschaftung oder Verstaatlichung: „Aber weder die Verwandlung in Aktiengesellschaften und Trusts noch die in Staatseigentum hebt die Kapitaleigenschaft der Produktivkräfte auf. Bei den Aktiengesellschaften und Trusts liegt dies auf der Hand. Und der moderne Staat ist wieder nur die Organisation, welche sich die bürgerliche Gesellschaft gibt, um die allgemeinen äußern Bedingungen der kapitalistischen Produktionsweise aufrechtzuerhalten gegen Übergriffe sowohl der Arbeiter wie der einzelnen Kapitalisten. Der moderne Staat, was auch seine Form, ist eine wesentlich kapitalistische Maschine, Staat der Kapitalisten, der ideelle Gesamtkapitalist. Je mehr Produktivkräfte er in sein Eigentum übernimmt, desto mehr wird er wirklicher Gesamtkapitalist, desto mehr Staatsbürger beutet er aus. Die Arbeiter bleiben Lohnarbeiter, Proletarier. Das Kapitalverhältnis wird nicht aufgehoben, es wird vielmehr auf die Spitze getrieben. Aber auf der Spitze schlägt es um. Das Staatseigentum an den Produktivkräften ist nicht Lösung des Konflikts, aber es birgt in sich das formelle Mittel, die Handhabe der Lösung.“ (Engels: aus: … von der Utopie zur …)

Der letzte Satz sagt nichts Genaues darüber aus, wie „die Handhabe der Lösung“ konkret aussehen soll – sicher aber nicht so wie im Stalinismus. Es gibt jedoch genügend Aussagen bei Marx und Engels, dass sie als „Lösung“ die direkte genossenschaftliche Eigentumsverwaltung durch die „assoziierten Produzenten“ verstanden und keinesfalls eine durch den Staat – wie auch, da dieser ja absterben sollte?!

Das „Volkseigentum“

Der juristische Eigentumstitel der Bürokratie hat eine indirekte Form. Er existiert de jure in Gestalt der Verfassung, die das staatliche oder „Volkseigentum“ festschreibt. Damit sind alle anderen Eigentumsformen – private wie genossenschaftliche – ausgeschlossen, soweit es die strukturbestimmenden Bereiche der Wirtschaft anbelangt. So ist aber auch zugleich die direkte Möglichkeit der ProduzentInnen (der Belegschaften) und der KonsumentInnen zur Wahrnehmung ihrer Funktionen als Eigentümer bzw. Nutzer der Produktion ausgeschlossen; sowohl an der betrieblichen Basis als auch auf der Ebene der Gesamtwirtschaft (Planung). Der Rechtstitel der Bürokratie wird real dadurch abgesichert, d.h. die praktische Verfügung über das Eigentum wird dadurch durchgesetzt, dass die Bürokratie die Staatsmacht inne hat.

Das Konstrukt des „Volkseigentums“ im Stalinismus inkludiert zwei „Tricks“. Erstens ist die Wahrnehmung eines Eigentumsrechts für „das Volk“ zwar kodifiziert, zugleich aber für eine Klasse oder Teile davon, etwa eine Belegschaft, praktisch und juristisch unmöglich gemacht. Zum Vergleich: Es gibt auch kein Eigentum „der Bourgeoisie“, sondern nur das Eigentum konkreter juristischer Personen. Die Eigentumsnutzung – das Eigentumsrecht „de facto“ – kann schon gar nicht von einem Volk oder einer Klasse wahrgenommen werden. Dazu bedarf es konkreter Agenturen, die das als „Mittler“ erledigen. Auf der Ebene des Betriebes ist es das Management, auf der Ebene der Gesamtwirtschaft ist es mehr oder weniger (je nachdem, welche Rolle der Markt als „Mittler“ spielt) der Staatsapparat.

Im Staatskapitalismus der Ostblockländer tritt als Vermittler der Staatsapparat auf, der die Wirtschaftsplanung festlegt. Die Verästelung der Bürokratie auf betrieblicher Ebene war das dortige Management, das von der Basis kaum kontrolliert, geschweige denn gewählt oder gar abgesetzt werden konnte. Selbst das „letzte Mittel“, der Streik der ProduzentInnen, war verboten. Das politische System war so angelegt, dass die Vorherrschaft der Bürokratie bzw. ihrer Partei gesichert war, nur sie übte die Kontrolle über wirtschaftliche (und alle anderen) Entscheidungen aus. So wie das Eigentumsrecht des Kapitalisten – die Unantastbarkeit des Privateigentums – durch die Verfassung festgeschrieben ist und das Proletariat zugleich enteignet und damit fast aller Möglichkeiten der ökonomischen Einflussnahme beraubt ist, hat sich auch die Bürokratie ein Monopol gesichert, indem sie die Verkehrsformen der Gesellschaft so gestaltet, dass nur sie an den Schalthebeln der Macht sitzt.

Der zweite „Trick“ ist die Definition des Eigentums. Es wird meist vom „Eigentum an den Produktionsmitteln“ gesprochen. Das meint die Betriebe, die Banken, Grund und Boden usw. – faktisch das Eigentum an Sachen. Doch zum Eigentum gehören auch die Umstände der Produktion, d.h. die gesamten Produktionsverhältnisse: die Organisation (auf betrieblicher wie gesellschaftlicher Ebene), die Interaktion der Wirtschaftssubjekte, die Reproduktion, die Verteilung usw. Wenn viele MarxistInnen darauf verweisen, dass die Produktionsmittel, die Betriebe, nicht der Bürokratie gehören, so stimmt das formell natürlich. Doch die Eigentumsverhältnisse sind eben nur ein, wenn auch wichtiger, Teil der Gesamtheit der Produktionsverhältnisse. Es ist also völlig einseitig und muss zu falschen Schlüssen führen, wenn nur die „eigentliche“ Eigentumsfrage betrachtet wird. So bleibt nämlich außen vor, dass die Bürokratie – und nicht das Proletariat, weder direkt noch indirekt – die Produktionsverhältnisse insgesamt bestimmt.

Im Zuge der Oktoberrevolution hatte das russische Proletariat das Kapital enteignet und begonnen, sich selbst als Eigentümer an deren Stelle zu setzen. Doch von Beginn an, beginnend schon im Frühjahr 1918, litt diese Entwicklung darunter, dass anstatt der direkten Verwaltung ihres Eigentums durch die ArbeiterInnen selbst oft der Staat diese Funktion wahrnahm, bis er schließlich alle diese Funktionen in der Hand hatte und die ArbeiterInnen davon ausgeschlossen waren. Für diese Fehlentwicklung waren v.a. die äußerst ungünstigen objektiven Umstände schuld, aber auch die subjektiven, konzeptionellen Fehler der Bolschewiki und Lenins. Abgesehen von den Änderungen in der Eigentumsfrage war es aber der Arbeiterklasse in jedem Fall (noch) nicht gelungen, ihr gemäße Produktionsverhältnisse weder in toto noch auch nur in wesentlichen Ansätzen zu etablieren. Die Lösung der Eigentumsfrage im engen Sinn ist insofern eine notwendige, aber kein hinreichende Bedingung dafür, um von einer „sozialistischen“ oder „proletarischen“ Ökonomie oder Gesellschaft sprechen zu können.

Indem nur die Sachwerte („das Eigentum“) – und wem sie gehören – betrachtet wird, geraten die Umstände der Produktion, die Produktionsverhältnisse, leicht aus dem Blick. Doch gerade diese Umstände, der wirtschaftliche Gesamtmechanismus, waren es, auf die im Ostblock nur die Bürokratie Zugriff hatte. Dazu gehörten v.a. die Planung, die Investitionen, die Einkommensverteilung usw. Die Bürokratie bestimmte also die gesamte Struktur von Produktion und Reproduktion – und das in noch stärkerem und direkterem Maße, als es die Bourgeoisie des Westens kann, weil diese aufgrund der stärker ausgeprägten Marktbeziehungen weniger direkten Zugriff darauf hat. Die zu enge Auffassung von “Eigentum“ durch die Stalinisten diente also bewusst oder unbewusst dazu, die Herrschaft der Bürokratie und die Enteignung der Arbeiterklasse zu verschleiern.

Die Tatsache, dass nicht der einzelne Bürokrat oder ein bestimmte Gruppe von Bürokraten als Eigentümer fungierten, sondern nur die Gesamtheit der Bürokratie bzw. die einzelnen Sektoren der Bürokratie nur innerhalb der Gesamt-Bürokratie, hatte sehr konkrete Auswirkungen auf die soziale und politische Struktur der staatskapitalistischen Länder. Im westlichen Kapitalismus existiert in der Regel ein demokratischer Spielraum für Ideologien, politische Kräfte und soziale Bewegungen. Das ist notwendig, damit die Differenzen zwischen bestimmten Kapitalgruppen sowie das „Gleichgewicht“ der Klassen „austariert“ werden können. Einen solchen Spielraum gibt es im Stalinismus weit weniger oder gar nicht. Der Grund dafür ist, dass die Einheit der bürokratischen Klasse und ihre Herrschaft erfordern, dass es nur eine Ideologie, eine (führende) Partei oder einen Führer geben kann. Jede Abweichung, jeder zu große Pluralismus ist mit der Gefahr der Delegitimierung und Spaltung der Bürokratie verbunden. Der abstrus anmutende Führerkult und Ideologie-Zirkus hatte also durchaus einen realen Zweck. Ein einheitlicher Staatsplan erfordert auch eine einheitliche Staatsbürokratie.

Während im Privatkapitalismus das Interesse der Bourgeoisie mittels der Bürokratie gegen die gesellschaftlichen Interessen der Mehrheit durchgesetzt wird, ist im Staatskapitalismus die Bürokratie nicht Machtinstrument, sondern sie hat selbst die Macht. Sie tritt nicht in Gestalt konkurrierender kapitalistischer Individuen, Gruppen usw. auf, sondern als Kollektiv, das scheinbar im Interesse der gesamten Gesellschaft handelt, die es zu vertreten vorgibt. Das heißt zwar nicht, dass es keine Interessenkonflikte zwischen verschiedenen Fraktionen der Bürokratie gibt, doch sind diese von der objektiv wirkenden Konkurrenz zwischen Kapitalisten durchaus verschieden. Im Unterschied zum Kapital vertritt die Bürokratie als Kollektiv die Gesellschaft gewissermaßen absolut, indem sie ihr jede eigenständige Rolle vorenthält und alle gesellschaftlichen Umstände und Beziehungen direkt regelt oder zu regeln versucht, während im Privatkapitalismus die Bourgeoisie das eher „indirekt“ tut oder über den Markt. Gemeinsam ist der Bourgeoisie wie der herrschenden Bürokratie jedoch, dass ihre gesellschaftliche Macht auf der Enteignung, Unterdrückung und Entmachtung der Massen beruht.

Die Herrschaft der Bürokratie

Auch andere Gesellschaftsformationen kannten eine herrschende Schicht, die nicht direkt über ihr Eigentum verfügte bzw. gar nicht formell Eigentümer war. So war das Lehens-System im Feudalismus eine Struktur, wo das Land dem Lehens-Adel (es gab auch Adlige, die keine Lehensnehmer waren) vom König nur „geliehen“ war, ein Art Pacht-System. Niemand wird wohl aber daran zweifeln, dass die belehnten Grundherren die völlige praktische Verfügungsgewalt über ihr Lehen hatten. Ähnlich war es in der „asiatischen Produktionsweise“. Die Statthalter und Verwalter des Kaisers zählten zur herrschenden Klasse, obwohl sie v.a. als Steuereintreiber der Zentralgewalt dienten und formell keine Eigentümer waren. Die Eigentums-Struktur des Stalinismus ähnelt tatsächlich stark jener der asiatischen Produktionsweise, was u.a. Rudolf Bahro herausgearbeitet hat. Jedoch ist der Stalinismus keine „modifizierte“ asiatische Gesellschaft, wie Bahro meint, sondern aufgrund anderer, für den Kapitalismus typischen Merkmale wie verallgemeinerte Warenproduktion und Lohnarbeit eine vom Typ bürgerliche Gesellschaft.

In der feudalen und asiatischen Produktionsweise spielte der Warenhandel nur eine untergeordnete Rolle. Zum einen war der größte Anteil der Produktion agrarische Subsistenzproduktion oder Produktion für einen regional sehr begrenzten Markt. Zum anderen waren die hergestellten Erzeugnisse relativ einfach und ihre Nutzung erfolgte überwiegend privat. Insofern gab es keine systemischen Anforderungen an die Produkte. Wie das konkrete Produkt, etwa ein Eselskarren, aussah, war völlig egal, solange es seinen Zweck erfüllte. Ist das Produkt aber ein Auto, so muss dieses den systemischen Anforderungen des hochkomplexen Straßenverkehrs genügen. Dazu bedarf es vieler Strukturen, die das Absichern: das Straßenverkehrsamt, die Polizei, den TÜV, Werkstätten, Autohändler usw. Für Produktion und Handel brauchte die vor-kapitalistische Gesellschaft fast keine staatlichen Strukturen. Die quantitativ und qualitativ entwickelte Warenproduktion der bürgerlichen Gesellschaft hingegen ist darauf in großem Umfang angewiesen. Das allein ist ein wesentlicher Unterschied zu allen anderen Gesellschaftsformen und kennzeichnet auch den Stalinismus.

Hochkomplexe allgemeine Warenproduktion bedingt eine Bürokratie. Damit ist nicht nur die Bürokratie im direkten Sinn gemeint, sondern eine ganze Phalanx „unproduktiver“ Arbeit. Erst die entwickelte Warenproduktion bringt so etwas wie Produktions-Verhältnisse, d.h. das Ins-Verhältnis-treten einzelner Produzenten und Produkte überhaupt hervor. Mit dieser Ausweitung der diversen Produktionsverhältnisse geht aber die Ausweitung und Bedeutungszunahme der Herrschaft einer sozialen Gruppe über diese Verhältnisse einher.

Die Existenz der Bürokratie als herrschender Klasse hängt also weitgehend damit zusammen, dass sie die Produktionsverhältnisse kontrolliert und bestimmt. Die Bourgeoisie des westlichen Privatkapitalismus leitet ihre Macht wesentlich aus ihrer Stellung als Eigentümer von Produktionsmitteln ab, während die Distribution gewissermaßen dem Spiel der Marktkräfte unterliegt und sich „hinter dem Rücken“ der Akteure abspielt. Die herrschende Bürokratie im Staatskapitalismus herrscht demgegenüber v.a. in und über die Distribution – unter zwei Voraussetzungen: erstens musste zuvor das Privateigentum enteignet worden sein, zweitens durfte die Arbeiterklasse, verstanden als Einheit von ProduzentInnen und KonsumentInnen, keinen wesentlichen Einfluss auf die Distributionssphäre haben.

In der UdSSR waren beide Bedingungen erfüllt. Das Kapital war zwar enteignet worden, aber das Proletariat hatte gerade erst begonnen, die eigene Verfügung über Produktion und Distribution auszuprägen. Bevor ihr das gelingen konnte, übernahm die Bürokratie die vollständige Kontrolle.

Ein Beispiel soll die Problematik verdeutlichen. In der DDR gab es bis in 1970er Jahre noch etliche private Betriebe. Erst Anfang/Mitte der 1970er wurden diese unter Honecker verstaatlicht. Bis dahin waren diese Betriebe formell gesehen – de jure – Privateigentum. Faktisch aber unterlagen sie in jeder Hinsicht den staatlichen Vorgaben und Mechanismen: Produktpalette, Mengen, Vorgaben für die (Außen)Handelstätigkeit, Kredite, Investitionen, Arbeitsrecht usw. waren staatlich geregelt. M.a.W.: entscheidend für den Charakter und die Funktion dieser Betriebe war nicht die Eigentumsfrage, sondern die Frage der Distribution, der den Betrieb „umgebenden“ wirtschaftlichen und politischen Verhältnisse. D.h. nur die Betrachtung der Gesamtheit der Produktionsverhältnisse entschlüsselt die hier dominierende Produktionsweise. Nach der Verstaatlichung amtierte der frühere Besitzer den Betrieb oft als Direktor weiter. Ansonsten änderte sich nichts, außer dass die Reste von Unabhängigkeit, Flexibilität, Sachverstand, Privatinteresse und Privatinitiative ausgemerzt wurden und dadurch oft die Produktivität und die Innovationskraft dieser Betriebe sanken.

Die Bürokratie als Kollektiv benötigt bestimmte Vorgehensweisen, um sich als Klasse zu reproduzieren, da sie ja kein individuelles Eigentum an Produktionsmitteln hat und auch nicht ihre  soziale Position oder Privateigentum vererben kann. Die bizarren Verhältnisse etwa in Nordkorea, wo der Kim-Familienclan quasi eine Erbdynastie etabliert hat, stellt insofern eine, allerdings durchaus beredte, Ausnahme dar. Das Nicht-vererben-können von Privateigentum (persönlicher Reichtum konnte natürlich vererbt werden) führte dazu, dass sich die Bürokratie im Unterschied zur Privat-Bourgeoisie weniger „aus sich selbst“ heraus, d.h. verwandtschaftlich, reproduziert. Doch für eine herrschende Klasse ist es wesentlich, dass sie sich reproduziert, nicht aber so sehr, woher ihr Personal dafür kommt. Die Bourgeoisie reproduziert sich, indem man sich in sie „einkauft“. Entweder man erbt Kapital und / oder akkumuliert es selbst. Die Zugehörigkeit zur herrschenden Bürokratie des Staatskapitalismus erfolgt hingegen primär über politisch-ideologische Auswahlverfahren.

Um von einer Klassengesellschaft zu sprechen, die auf Ausbeutung fremder Arbeit beruht (egal, ob es dabei um LohnarbeiterInnen, Hörige, SklavInnen oder die Abgabenpflicht auf den Ertrag freier Kleinproduzenten handelt), reicht es nicht hin, dass es soziale Ungleichheit aufgrund ungerechter Verteilung gibt. Wenn es in einem Arbeiterstaat (Übergangsgesellschaft) eine demokratische Übereinkunft der Mehrheit gibt, aus bestimmten Gründen eine soziale Gruppe, z.B. technische und wissenschaftliche SpezialistInnen, besser zu stellen, dann kann deshalb noch nicht von Ausbeutung gesprochen werden. Hält diese ungleiche Verteilung aber sehr lange an oder wird gar stärker, wirkt eine soziale Dynamik, welche diese Gesellschaft unterminiert und die alten sozialen Abstufungen und Klassenstrukturen restauriert. Findet eine Ungleichverteilung auf Betreiben einer Minderheit – ohne oder gegen den „Beschluss der Mehrheit“ – statt, so ist das ein klarer Ausdruck der bereits erfolgten Ermächtigung einer neuen Ausbeuterklasse und der Entmachtung und Enteignung des Proletariats bzw. der Massen. Es handelt sich dabei eben nicht nur um eine „soziale Schieflage“ und eine bürokratische Fehlentwicklung, sondern um eine grundsätzlich andere Gesellschaft mit anderen Macht-, Eigentums- und Entscheidungsstrukturen als sie für die Diktatur des Proletariats typisch sein sollten.

Wie auch im Westen ist eine Position im Establishment an eine „höhere“ Bildung geknüpft – eine formelle wie faktische Voraussetzung, um die Macht ausüben zu können. Die Bourgeoisie sorgt deshalb dafür, dass ihre Kinder bessere Bildungsmöglichkeiten haben als der Durchschnitt, damit sie für Führungsaufgaben qualifiziert sind oder wenigstens eine formelle Eignung dafür vorweisen können. Genauso ist es bei der Bürokratie. Ihre Kinder bzw.  „Quereinsteiger“ oder „Aufsteiger“ (die es aber auch bei der Bourgeoisie gibt) müssen ein Bildungs- und Erziehungssystem durchlaufen, das sie entsprechend konditioniert. Wer sich ideologisch nicht anpasst oder gar oppositionell eingestellt ist, hat kaum Chancen, in die Herrschaftsstrukturen aufzurücken. Die Ideologie (im Sinne einer bestimmten politischen bzw. Parteidoktrin) hat für die Bürokratie eine wesentlich höhere Bedeutung als für die Bourgeoisie. Nicht umsonst ist die Mitgliedschaft in der stalinistischen Partei eine wichtige Bedingung, um zur Bürokratie gehören zu können. Zugleich sichert sie die permanente Indoktrinierung der Mitglieder der Bürokratie.

Ein wichtiges Mittel zur Sicherung ihrer Herrschaft war das Herrschaftswissen der Bürokratie. Aufgrund der fast völlig eliminierten demokratischen Elemente in der Gesellschaft war dieses sogar deutlich ausgeprägt als bei der Bourgeoisie des Westens. Alle Daten waren Geheimsache, viele Statistiken gefälscht, Wissenschaft, Politik, Medien, Bildung und Kultur waren weitestgehend von der Bürokratie kontrolliert und gleichgeschaltet – in einem Maß, wie es im Westen eher unüblich ist und allenfalls unter dem Faschismus vorkam.

Die Herrschaft der Bürokratie wird – z.B. in den Darstellungen, die sich auf Trotzkis Theorie des „degenerierten Arbeiterstaats“ berufen – meist als Perversion, Einschränkung oder Behinderung der Räte-Demokratie und der proletarischen Eigentumsverhältnisse aufgefasst. Doch ohne Informationen, ohne Möglichkeit einer demokratischen Öffentlichkeit – ohne Freiheit – sind Räte-Demokratie und eine proletarische Wirtschaft schlicht unmöglich. Die proletarische Revolution war ja gerade auch deshalb nötig, um den allgemeinen Ausschluss der ProduzentInnen von den gesellschaftlichen Entscheidungen zu beenden. Wird dieser Ausschluss aber nur auf andere Art und von einer anderen herrschenden Klasse weitergeführt, so hat sich an der Situation von Ausbeutung und Unterdrückung qualitativ nichts geändert.

Wie die Bourgeoisie ist auch die Bürokratie in sich differenziert. Größere soziale Privilegien genießen nur die oberen Teile der Pyramide, wohingegen alle Bürokraten ein gewisses Maß an politischen Privilegien haben. Doch wie sich das Großkapital auf Millionen Kleinbürger und Angehörige der lohnabhängigen Mittelschichten stützt, ist auch die Spitze der Bürokratie auf die gesamte bürokratische Pyramide angewiesen.

Einige Spezifika des Staatskapitalismus

In seiner Analyse der UdSSR argumentiert Trotzki, dass die Bürokratie keine Klasse, sondern „nur“ eine Kaste sei. Er geht korrekt davon aus, dass eine Klasse eine spezifische Produktionsweise repräsentiere und für deren Funktionieren notwendig wäre. Da es eine solche eigenständige Produktionsweise, welche eine Bürokratie als herrschende Schicht braucht, in der UdSSR aber nicht gebe, wäre die Bürokratie also auch keine Klasse, sondern nur eine, wenn auch herrschende, Kaste. Diese wäre ein Fremdkörper, ein Parasit am Leib der Gesellschaft und der Ökonomie.

Obwohl der parasitäre Charakter der Bürokratie und ihre letztlich verderbliche Rolle als konterrevolutionäre, bürgerliche Agentur von der Geschichte bestätigt wurde, irrt Trotzki hinsichtlich ihrer Funktion in der und für die Wirtschaft bzw. die Produktionsweise. Der Stalinismus stellt ohne Frage eine besondere Form der kapitalistischen Produktionsweise dar, die sich sowohl vom „normalen“ Kapitalismus westlicher Prägung als auch von der Ökonomie eines „gesunden“ Arbeiterstaates und umso mehr von jener des Kommunismus stark unterscheidet.

Insgesamt können wir feststellen, dass der Staatskapitalismus eine spezifische Form des Kapitalismus ist, der ohne herrschende Bürokratie völlig undenkbar ist. Die Bürokratie ist eine notwendige Bedingung für den Staatskapitalismus.

Sicher sind einige typische Merkmale des Privatkapitalismus wie Privateigentum, Konkurrenz, die Gewinnerzielung und -optimierung als Ziel der Produktion in der stalinistischen Ökonomie weniger ausgeprägt. Das heißt aber nicht, dass sie keine Rolle gespielt hätten. Auch die Unternehmen im „Realsozialismus“ hatten als zu erfüllende Plan-Kennziffer einen „Gewinn“ auszuweisen. Von diesem hing z.B. auch die Prämienzahlung ab, von der in besonderem Maße auch die betriebliche Bürokratie einen Nutzen hatte. Anders aber als im Privatkapitalismus ergab sich der Gewinn nicht nur wesentlich aus der Relation von C und V, der Arbeitsproduktivität u.a. „realen“ Faktoren, sondern war weit stärker von politischen Entscheidungen und den oft willkürlich festgelegten Preisen abhängig.

Auch die Konkurrenz spielte im Ostblock durchaus eine Rolle. Zum einen in Form der Konkurrenz auf dem Weltmarkt, so z.B. in Gestalt der Rüstung. Diese Weltmarkt-Konkurrenz wäre sogar noch von weit größerer Bedeutung gewesen, wenn a) die „sozialistischen“ Ökonomien technologisch leistungsfähiger und deshalb der Westen stärker an wirtschaftlicher Kooperation interessiert gewesen wäre und b) der Westen nicht oft auf wirtschaftliche Embargo-Maßnahmen gesetzt hätte.

Doch auch auf dem inneren Markt gab es Konkurrenz. Der Kern des Wirtschaftsmechanismus und seiner Lenkung war die Wechselwirkung bzw. Kooperation zwischen den Wirtschaftssubjekten (Betriebe, Branchen, Ministerien usw.) und den dort agierenden Sektoren der Bürokratie. Dort wurde die Mehrzahl der wirtschaftlichen Entscheidungen getroffen. Zwar galten die Normen des Gesamt-Plans für alle Wirtschaftssubjekte, aber oft eher indirekt. Selten wurden die zentralstaatlichen Vorgaben an der Basis zu 100% umgesetzt – schon deshalb, weil sie oft den realen ökonomischen Bedingungen widersprachen. So folgte das Gros der betrieblichen Entscheidungen den konkreten Erfordernissen der Produktion vor Ort und den Bedürfnissen der dortigen Bürokratie. Die zwischen-betrieblichen Beziehungen waren in erheblichem Maße durchaus Marktbeziehungen, wenngleich sie sich von den Marktbeziehungen im privaten Kapitalismus westlicher Prägung insofern unterschieden, als sie nie soweit gingen, dass etwa der „Konkurrent“ pleite ging. Zudem gab es überall im Ostblock v.a. aufgrund des Mangels einen erheblichen „grauen Sektor“ im produktiven wie im konsumtiven Bereich, der keinerlei Planung unterlag und sich nach Angebot und Nachfrage richtete.

Ein wichtiges Merkmal der stalinistischen Wirtschaften war – historisch gesehen – ihre gegenüber dem Westen geringere Dynamik und Innovationskraft. Besonders seit den 1970ern fiel der Ostblock zunehmend zurück und stagnierte immer mehr. Diese Tendenz ergab sich direkt aus den Strukturen des Staatskapitalismus.

Das Wirtschaften der Betriebe unterlag der Staatsplanung, die den Handlungsrahmen festlegte. Auf der Ebene des Betriebes entschied das Management, das von oben eingesetzt war und nur sehr begrenzt von der Belegschaft kontrolliert werden konnte. Dieses Modell unterschied sich von daher nicht sehr stark von dem eines Betriebes innerhalb eines westlichen Konzerns. Auch dort sind der oder die Eigentümer und das Management nicht von der Belegschaft bestimmt. Auch dort hat der Staat, ein Betriebsrat oder die Gewerkschaft ein gewisses, begrenztes Mitspracherecht und es gelten bestimmte Rechts- und Tarifnormen, letztere sogar z.T. direkter als im Stalinismus, wo die bürokratische Willkür tw. ausgeprägter war als im „Rechtsstaat“ des Westens.

Das Management versuchte oft, die Planvorgaben zu senken, um sie dann umso leichter überbieten und dafür Prämien erhalten zu können. Dieser Mechanismus war freilich nur möglich, weil der Plan von oben mehr oder weniger willkürlich festgelegt wurde – und werden musste, weil man über gar kein „Messsystem“ verfügte, das eine den realen Gegebenheiten entsprechende Planung ermöglicht hätte. Weder gab es funktionierende Markt- und ergo Preisverhältnisse noch existierte eine Arbeitszeitrechnung. Da die Produzenten, d.h. die ArbeiterInnen, entweder keine wirkliche Entscheidungsgewalt und oft nicht einmal ein Mitspracherecht hatten oder höchstens im Nachhinein „Schlimmeres verhüten“ konnten, musste die Planung immer ein Stück neben den realen Bedingungen und Bedürfnissen liegen, oft war diese Schere größer als in einer Marktwirtschaft, weil dort „automatisch“ eine gewisse Regulation über den Markt erfolgt.

Was ein Betrieb produzierte, hing also weniger vom Markt ab als im Westen, es hing damit aber auch noch weniger von den Konsumentinnen ab als dort. Eine Einflussnahme auf die Produktion durch die KonsumentInnen erfolgte so weder ex ante noch ex post. In dieser Hinsicht war der Staatskapitalismus gegenüber dem Privatkapitalismus sogar ein Rückschritt. Letztlich war auch das eine Ursache dafür, dass Innovationskraft, Produktqualität und das Tempo der Entwicklung der bürokratischen Staatswirtschaften niedriger waren als im Westen.

Die Disproportionen und die jeweiligen Eigeninteressen der Fraktionen der Bürokratie führten dazu, dass die zwischen-betrieblichen Beziehungen – und das sind immerhin die wesentlichen in jeder Ökonomie – relativ „planlos“ waren. Gerade hier also regierte nicht nur der Plan, sondern – wenn auch eingeschränkt – auch die Konkurrenz. Eine Hauptbeschäftigung jeder betrieblichen Bürokratie war es daher, die zwischen-betrieblichen Beziehungen zu „pflegen“. d.h. all das zu regeln, was der Plan nicht zu regeln vermochte. Der Geltungsbereich der Planung war also in der Praxis geringer, als es den Anschein hat.

Es ist für die Bürokratie auch typisch, dass sie angesichts des Nicht-Funktionierens ihrer Wirtschaft, dem immer deutlicheren Zurückbleiben hinter dem Westen – und hinter ihren eigenen Propagandaversprechen – immer wieder versuchte, mehr Marktelemente einzubauen und die Planung zurück zu drängen. Dafür standen die Konzepte von Reformern wie z.B. Libermann, Sik oder Apels „Neues ökonomisches System“ (NÖS) in der DDR. Solche Reformen, die auf eine stärkere Wirkung von Marktmechanismen und Gewinnkriterien setzten, waren durchaus nicht nur eine Option, sondern zwingend – denn die Alternative dazu wäre gewesen, die Arbeiterklasse wieder zu wirklichen Eigentümern und zum Hegemon der Gesellschaft zu machen. Das aber wäre das Ende der Bürokratie gewesen.

Indem die staatliche Planung zuerst und wesentlich eine Ressourcenplanung war, aber keine Produktplanung, waren die Belegschaften – und umso mehr die KonsumentInnen – automatisch in der Rolle, erst nachdem alles entschieden war, in den Planungsprozess in sehr begrenzter Weise eingreifen zu können. Eine Ökonomie, die einen nicht-kapitalistischen Charakter hat, müsste diese Relation genau umkehren. Die KonsumentInnen müssten zuerst bestimmen, welche Produkte hergestellt werden, bevor dafür die Ressourcen eingeplant werden können. Im Stalinismus war es umgedreht. Insofern herrschte im Stalinismus wie im Privatkapitalismus – wenn auch nicht auf  dieselbe Weise – die Produktion über die Konsumtion, d.h. über die Bedürfnisse. Diese Relation aber umzudrehen, ist ein wesentliches Ziel der Entwicklung Richtung Kommunismus.

Bestimmte Merkmale des Kapitalismus traten also in den staatskapitalistischen Ländern in modifizierter und „abgeschwächter“ Weise auf. Dieses partielle Fehlen bestimmter Faktoren wird oft als Beweis dafür angeführt, dass die stalinistischen  Länder nicht kapitalistisch gewesen wären. Der Grundfehler dieser Argumentation besteht aber darin, dass andere – durchaus wesentliche – Faktoren und Merkmale kapitalistischer Produktionsweise nicht oder kaum betrachtet werden. Dazu gehören u.a.: die Warenproduktion, die Lohnarbeit, der Ausschluss der ProduzentInnen und KonsumentInnen von der Gestaltung der ökonomischen Prozesse, die Ausbeutung der ProduzentInnen durch die Aneignung eines überproportionalen Anteils des Mehrprodukts durch eine „Oberschicht“. Diese wichtigen Merkmale prägten auch die stalinistische Gesellschaft und Ökonomie.

Alle Theorien, die den Stalinismus für eine „degenerierte“ Form von nicht-kapitalistischer Gesellschaft halten, zeichnet ein grundlegender methodischer Fehler aus: es wird die Kategorie der „Produktionsweise“ einseitig und verkürzend aufgefasst. Das Wechselspiel, der Zusammenhang von Produktivkräften und Produktionsverhältnissen wird nicht umfassend verstanden. Letztlich reduziert sich alles a) auf die Frage des Eigentums an Produktionsmitteln (wobei das Verständnis von „Eigentum“ wieder auch einseitig ist) und b) auf die makro-ökonomische Steuerung durch den Staat und dessen Planung. Die Bedeutung der Vielzahl verschiedener Produktionsverhältnisse wird völlig unterschätzt. Das ist auch Ausdruck der Tatsache, dass die moderne industrielle Massenproduktion und ihre immer höhere sachliche und informative Verflechtung sowie ihre Vergesellschaftungstendenzen nicht verstanden werden. Man nahm an, dass die Enteignung des  Kapitals und die Etablierung eines Planung anstelle der Marktbeziehungen schon ausreichende qualitative Merkmale einer nicht-kapitalistischen Ökonomie wären.

Zudem verstand man unter „Vergesellschaftung“ seit der II. Internationale (z.B. deutlich sichtbar bei Hilferding und Lenin) eine Verstaatlichung. Diese, von Marx Intentionen deutlich verschiedene, Auffassung war die konzeptionelle Vorwegnahme der Staatswirtschaft Stalins – auch wenn damit sicherlich nicht dessen Ideologie und Terrorsystem befürwortet wurde.

Marx betonte in der „Deutschen Ideologie“ von 1845/46, dass sich der Kommunismus () von allen bisherigen Bewe­gungen dadurch (unterscheidet, d.A.), daß er die Grundlage aller bisherigen Produktions- und Verkehrsverhältnisse umwälzt und alle naturwüchsigen Voraussetzungen zum ersten Mal mit Bewußtsein als Geschöpfe der bisherigen Menschen behandelt, ihrer Naturwüchsigkeit entkleidet und der Macht der vereinigten Individuen unterwirft. (MEW 3, 70)

D.h. nicht diese oder jene wirtschaftliche Maßnahme an sich ist entscheidend, sondern die Frage, welche Klasse alle sozialen Prozesse bestimmt.

Tatsächlich waren viele allgemeine Merkmale des „normalen“ Kapitalismus in abgewandelter Form auch noch im Stalinismus vorhanden. Die Warenproduktion war insofern modifiziert, als Produktion und Verteilung stark vom Plan beeinflusst waren. Jedoch war dieser Plan eben nicht von ProduzentInnen und KonsumentInnen bestimmt, sondern von der Bürokratie. Diese Relation spiegelt aber wider, was für den Kapitalismus typisch ist: die Herrschaft der Produzenten (hier die Kapitalisten bzw. die Unternehmen) über die KonsumentInnen. Durch das weitgehende Fehlen „freier“ Marktbeziehungen zwischen Produktion und Konsumtion – quasi das Fehlen eines Ausgleichsmechanismus´ – war diese Dominanz der Produktion im Staatskapitalismus sogar noch stärker und willkürlicher als im westlichen Privatkapitalismus.

Auch das System der Lohnarbeit war immer noch vorhanden, aber nicht einfach dasselbe wie im Westen. Der Arbeiterklasse wurden bestimmte soziale Zugeständnisse gemacht, die der Ideologie (und auch dem sozialen „Erbe“ der Revolution) geschuldet waren und die Arbeiterklasse „befrieden“ sollte. Doch auch im Westen gibt es solche „sozialstaatlichen“ Regelungen zuhauf. Trotz all dieser Zugeständnisse war die Lebenslage der Arbeiterklasse im Ostblock in der Regel schlechter als im Westen. Mitunter war der Begriff der „Lohnsklaverei“ gerade für den Stalinismus besonders zutreffend, wenn wir etwa an das Gulag-System unter Stalin denken, das sich ökonomisch wenig von den Nazi-KZ unterschied.

Der wesentliche Unterschied im Lohnarbeitssystem zwischen Ost und West war wohl das Fehlen oder die weit geringere Zahl der Arbeitslosen. Das ist v.a. darauf zurück zu führen, dass erstens durch die zentralen Steuermechanismen der Gesellschaft Angebot von und Nachfrage nach Arbeit besser aufeinander abgestimmt wurden (Ausbildung, Studium). Zweitens waren die stalinistischen Länder zu Beginn fast alle relativ rückständig, so dass eine extensive, nachholende Wirtschaftsentwicklung stattfand, die einen hohen Bedarf an Arbeitskräften hatte. Drittens spielte eine große Rolle, dass es riesige unproduktive Sektoren gab, die massenhaft Arbeitskräfte absorbierten. Trotz alledem ist die weitgehende Lösung des Arbeitslosenproblems im Ostblock auch ein positives Beispiel dafür, dass eine „gesamtgesellschaftliche“ Regulation enorme Vorteile hat. Die bürokratische Art der Regelung verhinderte aber zugleich, dass massenhaft (unproduktive) Arbeit eingespart werden konnte und so die notwendige Arbeitszeit deutlich(er) verkürzt werden konnte.

Die Überwindung des Lohnsystems ist überhaupt nur denkbar, wenn die Wirtschaftssubjekte genossenschaftliche Strukturen sind, wo die Beschäftigten nicht Lohn bekommen, sondern ihren genossenschaftlichen Anteil erhalten und konkret als Eigentümer ihrer Produktionsmittel fungieren. Natürlich – und das ist die andere Seite der Medaille – müssen diese Genossenschaften über eine gesellschaftliche Planung miteinander verbunden sein, um egoistisches Konkurrenzverhalten untereinander und ein Wiederaufleben eines konkurrenzierenden „kollektiven“ Kapitalismus zu verhindern. Doch diese Kooperation durch Planung muss durch die ProduzentInnen und KonsumentInnen direkt erfolgen und eben nicht wesentlich durch einen Staat unter Ausschluss der Massen.

Eine industrielle, „vergesellschaftete“ Produktionsweise, die einerseits kein privates Kapital kennt, anderseits aber auch nicht auf dem Eigentum der Produzenten beruht, kann nur unter der Regie des Staates betrieben werden. Wo nicht der Markt und die Konkurrenz die treibenden Kräfte sind, aber auch nicht das Interesse, die schöpferische Kraft des Proletariats, kann nur der Staat das Agens der  Wirtschaft sein. In diesem Sinn ist die Bürokratie für die östlichen Staatswirtschaften absolut unverzichtbar. Deshalb ist sie auch eine Klasse und nicht „nur“ eine Kaste. Ohne die Bürokratie wäre die Staatswirtschaft jeder Regulation und jedes Antriebs beraubt. Würden diese Funktionen aber durch das Proletariat wahrgenommen, würde die Wirtschaft gänzlich anders funktionieren, anderen Zwecken dienen und eine völlig andere historische Tendenz zeigen. Die Bürokratie ist, wie Trotzki betonte, ein Parasit – jedoch nicht am Leib einer nichtkapitalistischen Wirtschaft, sondern am Organismus einer wesentlich bürgerlichen.

Das Proletariat: der entscheidende Faktor

Die Hauptmerkmale jeder Klassengesellschaft sind der Ausschluss der ProduzentInnen von den Entscheidungen über Produktion und Verteilung und deren Unterdrückung und Ausbeutung. Gerade in dieser Frage haben die staatskapitalistischen Länder den Rubikon zwischen einer Klassengesellschaft und einer vom Typ kommunistischen nie überschritten, noch hatte die Bürokratie das je vor. Immer blieb die Klasse der Bürokratie, die einzig Zuständige, die einzige Entscheiderin – und sollte es auf immer bleiben. Diese Struktur ist das gerade Gegenteil dessen, was Marx einst als Ziel einer kommunistischen Gesellschaft bzw. einer Übergangsgesellschaft, die sich dorthin bewegt, postuliert hatte: es gelte, „alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist.“ Im Stalinismus wurden die Verhältnisse nicht umgeworfen, sondern nur modifiziert. Umgeworfen wurden die Verhältnisse durch das revolutionäre Proletariat, das aber damit leider nicht weit kam. Die Umwälzung wurde beendet und fehlgeleitet durch die Bürokratie. Das Unterste, das Proletariat, kam nicht obenauf, sondern nur unter die Fuchtel des Staates, nachdem es sich zuvor aus der Fuchtel des privaten Kapitals befreit hatte. Für den Staat wurde der Mensch erniedrigt und geknechtet. Er war immer noch ein verächtliches Wesen. Alles wurde anders, doch nichts wurde gut.

Dazu nochmals Bettelheim: „Was den Sozialismus (wieder meint er hier die Übergangsgesellschaft, d.A.) im Gegensatz zum Kapitalismus charakterisiert, ist nicht das Bestehen oder Fehlen von Marktmechanismen, von Geld und Preisen, sondern das Bestehen der Vorherrschaft des Proletariats, der Diktatur des Proletariats (…) auf allen Gebieten – wirtschaftlich, politisch, ideologisch – können Marktverhältnisse allmählich abgeschafft werden durch konkrete Maßnahmen, die konkreten Situationen angepasst sind.“ (Zur Kritik der Sowjetökonomie, Herausg.: Peter Strotmann, Edition Wagenbach, Rotbuch 11, S. 115)

Die historische Rolle des Staatskapitalismus

Schaut man sich die Entwicklung der UdSSR an, so lässt sich nicht leugnen, dass dort ein unerhörter sozialer Aufstieg stattgefunden hat. Die Zusammenballung aller Kräfte der Gesellschaft durch den Staat hat es ermöglicht, einige zentrale Entwicklungsprojekte schneller zu erreichen. Der Prozess der Zentralisation von Kapital wurde im Staatskapitalismus auf die Spitze getrieben. Er war aber durch die starke Minimierung des Marktes und der Ausschaltung der Konkurrenz auch damit verbunden, die Akkumulationsdynamik abzusenken. Gerade, um solche Negativentwicklungen zu verhindern, hat der Privatkapitalismus bestimmte Mechanismen wie das Kartellrecht entwickelt.

Für eine nachholende Entwicklung war der Staatskapitalismus tatsächlich die gegenüber dem Privatkapitalismus effizientere Struktur. Er verkörpert in mancher Hinsicht, aber nicht generell, eine höhere Stufe der Vergesellschaftung als der Privatkapitalismus – jedoch innerhalb der kapitalistischen Gesellschaftsformation. Es war eine Vergesellschaftung, für die der Kapitalismus „weit genug“ war.  Ein wesentliches ideologisches Merkmal des Stalinismus bestand ja gerade darin, die nachholende Entwicklung mit dem Aufbau des Kommunismus zu identifizieren. Jeder U-Bahn-Bau wurde als Erfolg des Sozialismus gedeutet, jeder technische Fortschritt als „kommunistische“ Errungenschaft angesehen. Die eigentlichen Qualitäten, die eine gesellschaftliche Entwicklung Richtung Kommunismus auszeichnen sollten – die Überwindung der Lohnarbeit, der Entfremdung, die Warenproduktion, die Freisetzung der schöpferischen Kräfte der Massen (was nicht dasselbe ist wie die Überausbeutung der AktivistInnen während der Industrialisierung), das Absterben des Staates usw. – aber waren gerade nicht zu finden.

Es ist kein Zufall, dass die stalinistischen Regime – mit der gegenwärtigen Ausnahme Chinas – gerade dann in die Krise gerieten und zusammenbrachen, als die Aufgaben der nachholenden Entwicklung weitgehend gelöst waren und ein stärker intensives, auf Steigerung der Arbeitsproduktivität durch Wissenschaft und Technik beruhendes, Wirtschaftsmodell auf die Tagesordnung rückte. Für die Bewältigung dieses Übergangs erwies sich im Vergleich zum Privatkapitalismus des Westens, dass das Fehlen der Konkurrenz, des Marktes und des Gewinnstrebens als Treiber der Wirtschaft nicht durch die Herrschaft der Bürokratie ersetzt werden konnte. Gerade der Erfolg Chinas erklärt sich ja auch dadurch, dass dort die „Vorteile“ der zentralen Staatswirtschaft mit der kontrollierten Implantation der westlichen Marktwirtschaft als Triebkraft kombiniert wurden. Wie lange dieses Modell mit seiner schwer berechenbaren widersprüchlichen Dynamik von der Bürokratie beherrscht werden kann, ist allerdings offen.

Natürlich wäre eine „nachholende Entwicklung“ der UdSSR u.a. Länder auch ohne Staatskapitalismus möglich, ja weit effektiver gewesen. Dass sie nie Realität wurde, lag in letzter Instanz daran, dass das Proletariat entmachtet wurde und es daher keine ihm entsprechende Produktionsweise etablieren konnte. Somit blieb dort nur der Staatskapitalismus für ein ganze historische Periode übrig.

Im Sinne eines Fazits können wir der Einschätzung Wilhelm Reichs zustimmen: „Es muss klar ausgesprochen werden, dass es auch in Sowjetrussland keinen Staatssozialismus, sondern einen strengen Staatskapitalismus gibt; dies im streng Marxschen Sinne. Der gesellschaftliche Zustand ´Kapitalismus´ ist nach Marx nicht, wie die Vulgärmarxisten glauben, durch das Vorhandensein individueller Kapitalisten, sondern durch das Vorhandensein der spezifisch ´kapitalistischen Produktionsweise´gegeben. Also, durch Warenwirtschaft anstelle von ´Gebrauchswirtschaft´, durch Lohnarbeit der Menschenmassen und durch Mehrwertproduktion, gleichgültig, ob dieser Mehrwert dem Staat über der Gesellschaft oder individuellen Kapitalisten durch private Aneignung der gesellschaftlichen Produktion zugute kommt.“ (W. Reich: Die Massenpsychologie des Faschismus, Fischer Taschenbuch, S. 25)

Passend zum Thema:

Staatskapitalismus statt Sozialismus (Teil 1 von 2)

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