Die Kuschel-Kämpfer: Zum Kandidaten-Duell zwischen Merkel und Schulz

Paul Pfund

Das groß angekündigte „Duell“ zwischen Kanzlerin Merkel und Herausforderer Schulz enttäuschte auf ganzer Linie – zumindest Jene, die (leichtfertig) angenommen hatten, es ginge da hoch her und brächte einige Erleuchtung ob etwaiger grundlegender Unterschiede zwischen Union und SPD.

Zwar wollte sich Schulz kämpferisch geben, das spürte man durchaus – nur kam er selten dazu. Zum einen behinderte ihn das enge Format der Sendung, v.a. aber fehlte ihm erkennbar so etwas wie ein lohnendes Ziel, für eine grundsätzliche Alternative zur Union, wofür er hätte streiten können.

Nur 90 Minuten Sendezeit und die Gesprächsregie von vier ModeratorInnen garantierten allein schon, dass inhaltliche Zuspitzungen und Vertiefungen kaum erfolgen konnten. So begann die Runde thematisch mit der Flüchtlingsfrage, um dann zur Türkei, zur EU, zu Trump und Nordkorea zu kommen. Alles Fragen, wo es kaum Differenzen zwischen Union und SPD gibt. Merkel gab sich staatsmännisch und konterte ganz locker Schulz´ allzu simple Versuche, vermeintlich bessere und „radikalere“ außenpolitische Lösungen zu präsentieren. Lediglich in der Türkei-Frage traten beide für eine Verschärfung der Position gegenüber Erdogan ein. Immerhin ließ sich Merkel dazu hinreißen, offen zuzugeben, dass man jahrelang überhaupt nichts für die Flüchtlinge, etwa in den Lagern im Libanon, getan hatte. Doch insgesamt verging Minute um Minute des ziemlich harmonischen und langweiligen Duetts zweier aktueller und wahrscheinlich auch künftiger  Koalitionäre ohne große Aufreger.

Schulz hätte die Thematik von vornherein stärker auf die soziale Lage im Innern lenken müssen. Er tat es nicht und ließ sich gerade auf jenes Terrain locken, auf dem Merkel besser abschneidet. Damit ließ er aber auch zu, dass die soziale Frage, angeblich Schulz´ Kernthema, viel zu kurz kam.

In der dem Duell folgenden ARD-Talkshow mit Anne Will stellte sich dann heraus, dass Merkel nur ein einziges TV-Duell mit Schulz wollte. Offenbar erscheint das der regierenden Unions-Demokratin Merkel als ausreichend zur Information des Wahlvolkes. Hier hätte Schulz schon vor dem Duell punkten können, indem er Merkel ihre Verweigerungshaltung vorwirft – er tat auch das nicht. Bezeichnend ist aber auch, dass sich alle TV-Anstalten an das von Merkel gewünschte Szenario nur eines Duells halten. Warum fordert man die beiden KandidatInnen nicht etwa zu drei Duellen auf?! Hätten es sich Merkel oder Schulz leisten können, nicht zu kommen? Auf jeden Fall zeigt sich daran, dass die Medien offenbar mehr dem politischen Establishment als dem Publikum verpflichtet sind. Rundfunkgebühr, ick hör Dir klingeln.

Noch deutlicher wurde der ganze Sinn dieser Inszenierung anhand der während der Anne Will-Runde präsentierten Telefonumfrage-Ergebnisse. Anstatt vor allem zu erfragen, wie das Publikum die Kandidaten und das Duell bewertet, wurde v.a. gefragt, wer von beiden Kandidaten besser ankam. Das ziemlich fade Geplänkel wurde sicher eher negativ aufgenommen. Doch das interessierte die Umfrager offenbar nicht besonders, wäre das doch ein schlechtes Zeugnis für Merkel und Co. gewesen. So aber wurde die Politik von Union und SPD nicht zur Meinung und den Problemen der Bevölkerung ins Verhältnis gesetzt, sondern zu sich selbst. Letztlich erscheint so bürgerliche Politik immer als alternativlos. Die Medien – selbst wenn sie kritisch sind – erweisen sich damit erneut nur als Dienstleister der bürgerlichen Politik.

Doch das Hauptproblem dieses Duells ohne Schlagabtausch war die Kraftlosigkeit und inhaltliche Substanzlosigkeit des Herausforderers. Hier kulminierte noch einmal der seit Monaten abwärts gerichtete Schulz-Effekt. Als Schulz mit einem deutlichen, aber auch sehr unverbindlichen, sozialen Pathos als Kanzlerkandiat der SPD antrat, hofften viele – auch über die Reihen der SPD hinaus -, dass die Ära der regierende Bräsigkeit in Gestalt von Kanzlerin Merkel endlich vorbei ist und die SPD eine sozialere Politik versucht, welche die Schweinereien der Agenda ihres Genossen Schröder zurücknimmt. Als dann aber nichts Substanzielles mehr kam und nur wieder das übliche Gefeilsche um ein paar Zehntel Prozente, „Eckdaten“ und minimale Änderungen einsetzte und allein schon die SPD-Landespolitik täglich den Beweis lieferte, dass dort, wo SPD draufsteht, fast immer nur CDU drin ist (und umgekehrt), verwandelte sich die Euphorie schnell in Enttäuschung. Der Flop der von der SPD iniziierten Mietpreisbremse u.ä. Maßnahmen zeigt ganz klar, dass der Reformismus keine Reformen mehr bringt. Für solchen politischen Mummenschanz ist niemand bereit, jemand anders oder überhaupt zu wählen. Und wenn: dann wählt man, was man kennt, also das Original Merkel und nicht die SPD-Variante. Selbst ein Wahlkampf, v.a. der Opposition, braucht Feuer, heiße Luft reicht da nicht mehr. Einen Streik für lächerliche 0,2% mehr Lohn will auch niemand führen. Die alte SPD-Methode, links zu blinken ohne abzubiegen, zieht offenbar kaum noch. Auch die hohe Zahl an unentschlossenen WählerInnen zeugt von der großen politischen Gleichartigkeit von CDU und SPD.

GroKo for ever?

Die „ewige“ Große Koalition wird uns wohl auch diesmal erhalten bleiben. Höchstens könnte es noch für Schwarz-Gelb reichen. Das ist lt. Umfragen auch die „Wunsch-Koalition“ der Wählerschaft. Das drückt die recht vorteilhafte Gesamtsituation des deutschen Imperialismus aus (Hegemonie in Europa, Export-Weltmeister, positive Konjunktur), die auch dem Gros der Beschäftigten relativ sichere Jobs und Einkommen sichert. Die GroKo verweist zugleich auf die Schwäche der beiden „Volksparteien“ CDU und SPD, die beide – im Vergleich zu früher – bei Wählerstimmen und Mitgliedern stark Federn lassen mussten. Im Unterschied noch zu den 1980ern mit nur 4 Parteien (Union, SPD, FDP, Grüne), ist es in einem 6-Parteien-System (plus Linke und AfD) fast nur möglich, mit einer GroKo eine stabile Regierungsmehrheit zu erreichen. Die SPD als fast ständiger Juniorpartner der Union kann sich zwar fast ihrer Ärsche auf den Regierungsbänken sicher sein, verliert dabei aber zunehmend ihr Gesicht (das eh schon lange sehr blass ausschaut).

Die stabile wirtschaftliche Lage macht es allen oppositionellen Parteien schwer, deutlich zweistellig zu werden. Selbst die AfD verdankt ihren Aufstieg eher „von außen“ kommenden Themen (Euro-Krise, Ukraine-Konflikt, Flüchtlingsfrage). Ein besonders wichtiger Aspekt der inneren Lage ist das fast völlige Fehlen sozialer Kämpfe. An größeren sozialen Bewegungen gab bzw. gibt es lediglich die Proteste gegen das TTIP, die Hilfswelle für die Flüchtlinge mit zehntausenden Freiwilligen und die Anti-Wind-Kraft-Initiativen, die ebenfalls Zehntausende umfassen. Doch diese Bewegungen sind 1. keine „typisch“ proletarischen, d.h. sie mobilisieren nicht die organisierte Arbeiterklasse, sondern sind eher „Bevölkerungsbewegungen“, 2. haben sie keine allgemeine  politische Perspektive oder gar ein Programm.

Die Arbeiterklasse ist immer noch fest in das Korsett der reformistischen „Sozialpartnerschaft“ eingebunden – auch wenn die grundsätzliche Überzeugtheit und der Optimismus für dieses Modell früherer Jahrzehnte den Lohnabhängigen weitgehend abhanden gekommen sind. Anstelle der faktischen Macht des sozialen Aufstiegs für das Gros der Arbeiterklasse in den Nachkriegs-Dezennien regiert schon lange eher nur noch die Macht der Gewohnheit. Das umso mehr, als auch die Linkspartei das „sozialpartnerschaftliche“ Spiel mitspielt. Das ganze reformistische Schmierentheater der „Mitbestimmung“, d.h. der Fremdbestimmung der Arbeiterklasse durch Kapital und DGB/SPD-Bürokratie, ist für die Linkspartei Normalität und keineswegs Anlass, wenigstens ein bisschen Strukturkritik zu üben. So weigert sich die Linkspartei beharrlich, das politische Monopol der SPD über die Gewerkschaften (und Betriebsräte) zu attackieren und für den Aufbau gewerkschaftlicher und betrieblicher Oppositionsstrukturen zu kämpfen. Die Linke will die SPD nach links treiben, tatsächlich ist sie selbst längst nach rechts abgetrieben; weit war es ja auch nicht vom stalinistischen Reformismus zum sozialdemokratischen Reformismus.

Die Gesamtsituation in Deutschland (von der globalen Situation hier einmal abgesehen) ist allerdings nicht so stabil und unveränderbar, wie es auf den ersten Blick scheint. Spätestens seit der Schröder-Regierung mit ihren Agenda-Reformen werden die soziale Spaltung und die Erosion des „Sozialstaats“ immer größer. Immer mehr „unregulierte“, prekäre Jobs entstehen (der Kern des „Job-Wunders“), die Wohnsituation für Millionen verschlechtert sich und die Altersvorsorge von Millionen schmilzt dahin. Selbst Jene, die einen „guten“ Job und ein ordentliches Einkommen haben, beklagen zunehmend die Verdichtung der Arbeitsbelastung. Burnout u.a. berufsbedingte Erkrankungen nehmen deutlich zu. Marx würde sagen, die relative und absolute Ausbeutung der entfremdeten Arbeit nimmt zu.

Unabhängig von allen aktuellen politischen Konstellationen unterhöhlen diese Tendenzen die sozialen Strukturen und den bürgerlichen Konsens „der Mitte“ immer mehr. Über kurz oder lang wird sich das auch in verstärktem Klassenkampf und heftigerer politischer Polarisierung niederschlagen – mit allen Chancen einer progressiven wie auch einer reaktionär-konservativen (AfD) Tendenz. Das bedeutet für die „radikale Linke“, sich konzeptionell / programmatisch darauf vorzubereiten – wovon sie leider meilenweit entfernt ist. U.a. bedeutet es, das Herumscharwenzeln um die Linkspartei, um sie „nach links zu drücken“, zu beenden. Schließlich wedelt nicht der linkere Schwanz mit dem reformistischen Hund, sondern umgedreht. Die durchgängig reformistische, d.h. bürgerliche, Politik der Linkspartei und des DGB muss bekämpft werden! Dazu muss die ganze Palette von taktischen Möglichkeiten genutzt werden: Propaganda, Einheitsfrontpolitik, alternative Strukturen aufbauen, Forderungen an die Reformisten stellen, kritische Wahlunterstützung usw.

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