Pandemie ohne Ende?

Hannah Behrendt

Derzeit ist in fast allen Großmedien davon die Rede, dass die Corona-Pandemie noch lange nicht vorbei sei, die Infektionszahlen wieder steigen würden und eine zweite Welle drohe. Deshalb wären die derzeitigen Maßnahmen zum Infektionsschutz weiter notwendig und erneute Verschärfungen möglich. So meldete die ARD-Tagesschau am 29.7., die „Infektionszahlen in Deutschland steigen wieder und Wissenschaftler warnen, dass die Lage schnell ernst werden könnte“. Diese Sichtweise wird auch von all den „Prominenten“ verbreitet, die seit Monaten in Sachen Corona trommeln und nahezu unkritisch jede Maßnahme des Lockdowns verteidigen. Zuletzt wies RKI-Chef Prof. Lothar Wieler darauf hin, dass die Corona-Maßnahmen „nicht zu hinterfragen seien“. Am 28.7. betonte er: “Wir sind mitten in einer sich rasant entwickelnden Pandemie”.

Schauen wir also, ob die Daten diese Sichtweise und die daraus evtl. folgenden Maßnahmen rechtfertigen.

Daten vs. Ideologie

Bei allen Daten und Statistiken muss zunächst gefragt werden, wie diese zustande kommen. Schon daran mangelt es in den Großmedien von Beginn der „Corona-Krise“ an. Gegenwärtig wird v.a. auf die anhaltende Dynamik von Neuinfektionen und Erkrankungen etwa in den USA oder in Brasilien verwiesen. Wir wollen hier darauf nicht näher eingehen, jedoch liegt es auf der Hand, dass aus diesen Vorgängen in anderen Regionen der Welt – zudem außerhalb Europas, wo der Höhepunkt der Pandemie längst überschritten ist – nicht direkt abgeleitet werden kann, wie die Situation in Deutschland ist und welche Maßnahmen hier evtl. sinnvoll wären. Die meist dramatischen Corona-Medienberichte über Brasilien oder die USA dienen ganz offensichtlich v.a. der Angstmache, seitdem die Lage in Deutschland weit von bedrohlichen Zuständen entfernt ist – falls sie es je war.
Jede seriöse Darstellung der Infektionsentwicklung müsste die Zahl der Neuinfizierten ins Verhältnis zur Anzahl der Tests setzen. Das aber geschieht fast nie. Dazu müsste die Qualität bzw. die Fehlerrate der Tests berücksichtigt werden – auch das fällt oft unter den Tisch. Das RKI verweist auf den Anstieg der „Positiv-Quote“ von 0,6 auf 0,8%. Dieser sehr leichte Anstieg ist aber nur eine Momentaufnahme, zudem lag der Wert am Höhepunkt der Pandemie bei 9,0 – was ebenfalls zeigt, dass wir längst „über´n Berg sind“ und nicht davor stehen. Selbst die aktuelle Grafik des RKI bestätigt das:

Quelle

Aus diesen RKI-Daten ist klar ersichtlich, dass trotz der steigenden Zahl der Tests die Zahl der positiv Getesteten deutlich gesunken ist, nachdem sie zwischen der 13.-15. Kalenderwoche (23.3. bis 13.4.) am höchsten war. Als der Lockdown begann, war der Höhepunkt also schon erreicht bzw. überschritten. Seit etwa 10 Wochen sind Infektionszahlen (und die Todeszahlen, soweit die Toten überhaupt an Corona oder nur mit Corona gestorben sind) etwa auf dem gleichen, niedrigen Niveau. Aktuell werden lt. RKI ca. 250 Patienten in Zusammenhang mit Corona stationär behandelt. Auch die Zahl der täglichen „Corona-Toten“ bewegt sich schon lange im einstelligen Bereich. Auch die Gesamtzahl der Test-Positiven liegt weit unter dem Wert von 10% der Gesamtbevölkerung, die erkrankt sein müssen, um als Pandemie zu gelten, wie es früher einmal die WHO festgelegt hat – bevor dieses Kriterium aus dubiosen Gründen geändert wurde.

Ob es eine zweite Welle gibt oder nicht, ob diese mit Corona zu tun hat oder eine „normale“ Grippewelle ist, weiß niemand und kann auch niemand aus den vorliegenden Daten ablesen. Alle „Experten“ die das trotzdem behaupten, sind Scharlatane. Doch dass solche Leute inzwischen in vielen Bereichen, v.a. in der Klimafrage, den Ton angeben, ist zur traurigen Normalität geworden.

Es ist unschwer zu erkennen, dass es nicht nur keinen Besorgnis erregenden Anstieg bei Infizierten und positiv Getesteten gibt, sondern im Gegenteil – trotz der seit vielen Wochen praktizierten Lockerungen des Lockdowns – sogar einen Rückgang gibt. Die immer wieder erneuerten Warnungen der medialen Angsttrompeter sind also nicht nur sachlich unbegründet, sondern völlig verantwortungslos und verbrecherisch, weil sie die Massen in Angst und Schrecken versetzen, anstatt für Sachlichkeit und Aufklärung zu sorgen. Die bizarre Weltanschauung der Greta Thunberg – „ihr sollt in Panik geraten“ – ist offenbar endgültig zur Ultima ratio der Regierenden geworden. Eine sachliche Diskussion darüber, was sinnvoll wäre, ist inzwischen fast unmöglich. Dabei verweisen viele Fachleute darauf, dass die wirtschaftlichen, sozialen und selbst gesundheitlichen Kollateralschäden des Lockdowns evtl. größer sind als sein (vermeintlicher) Nutzen. Da hilft es auch wenig, bestimmte Gruppen zu „Corona-Helden“ und als „systemrelevant“ zu stilisieren.

Inmitten der Krise

Doch das wirklich Bedrohliche dieser Corona-Ideologie ist, dass die Regierenden jederzeit diese Pandemie verlängern oder eine neue ausrufen können, wenn ihnen das opportun erscheint.  Immerhin ist aber die Lockdown-Politik damit verbunden, dass die Existenzgrundlage von Millionen Lohnabhängigen und Selbstständigen unterminiert oder sogar zerstört und das soziale Zusammenleben tw. drastisch eingeschränkt wird.

Nun betonen viele Linke zu recht, dass auch ohne Corona ein Wirtschaftsabschwung erfolgt wäre. Doch das ändert nichts daran, dass die Krise durch die weitgehend unnötigen, tw. unsinnigen Lockdown-Maßnahmen, v.a. auch in Deutschland, eine Dimension erreicht hat, die uns wahrscheinlich die größte Wirtschaftskrise aller Zeiten beschert. Gerade deshalb, weil es in der Krise zu massiven Protesten der von der Krise Betroffenen kommen kann und kommen wird, ist es von größter Bedeutung, nicht zuzulassen, dass die Regierung unter dem Vorwand des Infektionsschutzes oder aus anderen Gründen (Terrorgefahr) in das soziale Leben willkürlich eingreift und demokratische Rechte beschneidet. Schon deshalb ist es absurd, wenn jede Kritik an der Corona-Politik der Regierung gerade von der linken Szene – in trauter Eintracht mit den bürgerlichen Mainstream-Medien – als „rechts“, „verschwörungstheoretisch“ usw. abgekanzelt wird.

Protest

Die immer breitere Protestwelle gegen die Lockdown-Zumutungen und die Androhung eines permanenten Ausnahmezustands, wie sie sich zuletzt in der Massendemo von Zehntausenden in Berlin am 1.8. zeigte, müsste eigentlich von der Linken initiiert und geführt werden; stattdessen beschränkt sich diese darauf, die Demonstrierenden als „rechts“ oder „faschistoid“ zu beschimpfen, obwohl nur ein sehr kleiner Teil der DemonstrantInnen Rechte waren. Das heißt keinesfalls, dass die „Corona-Kritiker“ und ihre Anliegen per se unterstützenswert wären, viele ihrer Wortführer und etliche involvierte Milieus sind obskure bis rechte Leute, deren Thesen und Anliegen abgelehnt werden müssen. Das enthebt die Linke aber weder der Aufgabe, genau zu analysieren, noch darf sie sich auf eine Kommentatoren-Haltung beschränken. Allein das verspätete, dafür aber bald umso absurdere Agieren der Merkel-Regierung auf Corona inkl. ihrer Berater (RKI) war kritikwürdig genug. Von der Linken hat man da wenig gemerkt. Noch vor (!) dem Lockdown hätte die Linke reagieren und mobilisieren müssen – sie tat es nicht und überließ damit den Protest den Rechten, Alu-Hütlern u.a. Obskuranten. Anstatt aber ihre eigenes Versagen auf der Bühne zu konstatieren, beschimpft sie nun das Publikum.

Die Schwäche der Linken ist auch daran ablesbar, dass sie kaum etwas inhaltlich Relevantes zur seit Monaten v.a. in den sozialen Medien tobenden Debatte um den Charakter, die Ursachen und Folgen usw. von Corona zu sagen hat. Wie auch bei den Themen Klima, Energie, Umwelt, Abgasskandal u.a. zeigt sich die Linke zu einer wissenschaftlichen und sachlichen Analyse außerstande. Doch die Strafe folgt auf dem Fuße: In keiner Bewegung spielt die deutsche Linke irgendeine Rolle oder die Bewegungen werden von kleinbürgerlichen Kräften bestimmt wie z.B. Fridays for future. Die „radikale Linke“ ist oft nur noch ein Anhängsel des politischen Mainstreams, dem sie allenfalls ein paar linke Symbole und Allgemeinplätze hinzufügt.

Wir gehören nicht zu Denjenigen, die behaupten, dass es überhaupt kein Gesundheitsproblem durch  Corona geben würde. Wir hängen auch keineswegs den offenbar immer beliebter werdenden  Verschwörungstheorien an. Wir betrachten v.a., ob und wie die Linke und die Arbeiterbewegung auf Krisen und soziale Herausforderungen reagieren. Corona hat in vielerlei Hinsicht die Krise des Kapitalismus gezeigt: das falsche oder verspätete Reagieren der Regierenden auf Corona, den tw. folgenden Hyperaktionismus, die Misere des Gesundheitssektors (v.a. außerhalb Deutschlands) usw.. Corona hat aber auch die tiefe Krise der Linken und der Arbeiterbewegung aufgezeigt – diese Krise ist weit folgenschwerer als alle Viren und Lockdowns zusammen.

2 Gedanken zu „Pandemie ohne Ende?“

  1. Es tut gut zu wissen, dass von links nicht nur Nachgeplappere von WHO und RKI kommt.

    Die Frage bzgl. „Bühne“ und „Publikum“ wäre meiner Meinung nach nicht zu beheben, indem Linke die Bühne betreten, sondern indem die Trennung zwischen „Bühnenleute“ und „Publikum“ aufgehoben wird. Lokale Grundrechte-Demos zeigen diesbezüglich Ansätze. Siehe z.B. die Spontanauftritte in Dortmund Anfang August (https://youtu.be/UXsZE5H8v7c ab Minute 21:00) oder die offenen Mikros anderswo.

    Nicht ganz so zweckvoll scheint mir die Kategorisierung von Personen. Das ist die Projektion einer Identität, die an ein (an den Individualbedarf angepasstes) linkes Weltbild gebunden ist. Man darf dann in bestimmten Punkten nicht mehr falsch liegen, ohne dass eine Art psychische Katastrophe entsteht. Rigidität und Denkverbote sind die Folge. Wir sind alle vom Kapitalismus geprägt und versuchen, mit möglichst kohärentem Denken unter den uns jeweilig gegebenen Bedingungen zu überleben. Zu fragen wäre, welche Gedanken, Wahrnehmungsdeutungen usw. in welcher Weise aus dem Kapitalismus herausführen und welche in welcher Weise an ihn binden. Auch ist das Verhältnis zwischen dem, was wir denken, und den sozialen Effekten unserer Aktivitäten ziemlich komplex. Mit der Krise der Linken steht vielleicht in Zusammenhang, dass Linke meinen, als „Bühnenleute“ über dem „Publikum“ zu stehen und es besser zu wissen als Menschen ohne an ein linkes Weltbild gebundene Identität.

  2. die etablierten linken wie rechten stellen, anders als die autonomen, das system grundsätzlich nicht mehr infrage, um nicht als staats-/systemfeind zu gelten distanziert man sich sogar von den so genannten verschwörungstheorien d.h. im weltweiten internet tummeln sich nur noch an das system angepasste trolle, deshalb ist die freie meinungsäußerung nicht mehr exitent–das internet ist nur noch ein fake

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