Gegen den Krieg! Aber wie?

Hanns Graaf

Am 10. Februar wurde das „Manifest für den Frieden“ von Alice Schwarzer und Sahra Wagenknecht öffentlich bekannt (vollständiger Wortlaut am Ende des Beitrags). Nach 69 bekannten Persönlichkeiten als Erstunterzeichnern sollen bis zum 10.2. bereits 500.000 Menschen den Aufruf unterschrieben haben. Das spricht schon jetzt für große Resonanz.

Das Manifest richtet sich gegen die Ukrainepolitik der Ampel-Regierung und die massive Kriegshetze von Politik und Medien. Es wird betont, dass die militärische Unterstützung des Kiewer Regimes keine Friedensperspektive bietet und sofort vom Westen ernsthaft Verhandlungen eingeleitet werden müssten, anstatt wie bisher Gespräche zwischen der Ukraine und Russland zu torpedieren. Nicht Waffenlieferungen, sondern nur Verhandlungen böten eine Friedenslösung. Diese Anliegen des Aufrufs sind richtig und unterstützenswert.

Dieses Manifest ist nicht der erste Versuch von Prominenten, ihre Opposition gegen den aggressiven Kriegskurs der Ampel öffentlich zu machen. Neu ist aber, dass der Aufruf damit verbunden ist, konkret Widerstand zu animieren – indem für den 25. Februar zu einer Anti-Kriegs-Demonstration in Berlin am Brandenburger Tor aufgerufen wird. Nach einigen nur sehr kleinen Kundgebungen, die es bisher gab, könnte die Dimension diesmal deutlich größer und ein Signal für einen Aufschwung der Anti-Kriegs-Bewegung werden.

Mobilisierung?

Natürlich ist es positiv, eine erste größere Mobilisierung gegen den Kriegskurs der Ampel, der Nato und des „Wertewestens“ zu starten. Doch die Art und Weise, wie das geschieht, wie Schwarzer und Wagenknecht aufrufen, zeigt zugleich auch, an welche Art „Widerstand“ hier gedacht ist. Zunächst einmal zeugt es nicht gerade von Insiderwissen darüber, wie eine Mobilisierung funktioniert, wenn eine bundesweite Großkundgebung gerade einmal zwei Wochen vorher angekündigt wird. Es müssen Plakate gedruckt und geklebt werden, es sollten örtliche und regionale Strukturen entstehen, die aktiv werden usw. Wie soll das in nur zwei Wochen effektiv erfolgen?!

Wäre ein etwas späterer Termin nicht besser gewesen? Hätten nicht als erste Stufe Demos in mehreren Großstädten stattfinden sollen? Wäre nicht eine Verknüpfung mit dem 8. März, dem Internationalen Frauentag, sinnvoll gewesen – zudem der 8. März in Berlin und MeckPomm sogar ein Feiertag ist. Wäre es nicht generell notwendig – unabhängig von der Demo am 25.2. -, lokale Anti-Kriegs-Gruppen als organisatorische Basis einer starken bundesweiten Bewegung zu initiieren?!“ Ist es nicht naheliegend, auch die Bewegung der Montags-Proteste anzusprechen, die schon seit vielen Monaten (!) gehen den Kriegskurs der Ampel auf die Straße gehen?! Ist es nicht von grundlegender Bedeutung, die Gewerkschaften aufzufordern, gegen den Kriegs- und Aufrüstungskurs und die dadurch noch verstärkte soziale Abwärtsentwicklung für Millionen von Lohnabhängigen und Mittelständlern aktiv zu werden? Wer ist so naiv zu glauben, man könne eine Massenbewegung schaffen, ohne dass die Gewerkschaften oder wenigstens Teile ihrer Basis einbezogen werden?! Wer ist so naiv zu glauben, das wäre möglich, ohne die Politik der Gewerkschaftsbürokratie anzuprangern, die jede Schweinerei der Ampel und „ihrer“ SPD mitträgt oder dazu schweigt?!

All diese Fragen werfen Wagenknecht und Schwarzer nicht auf – geschweige denn, dass sie Antworten darauf hätten. Der Grund dafür ist nicht schwer zu finden. Ihnen geht es sicher ernsthaft darum, das Sterben und die Zerstörungen in der Ukraine zu beenden und der wachsenden Gefahr eines 3., diesmal atomaren, Weltkriegs zu begegnen – es gibt keinen Grund, an ihrer Lauterkeit zu zweifeln. Im Gegenteil: ihnen gebührt Anerkennung dafür, dass sie, ungeachtet der offiziellen Stimmungsmache gegen sie, so couragiert auftreten.

Doch es geht v.a. darum, wie am effektivsten Widerstand aufgebaut werden kann. Und in dieser Hinsicht ist das Vorgehen, sind die Intentionen von Wagenknecht und Schwarzer höchst unzureichend. Sie wollen v.a. für eine medial sichtbare Aktion zu sorgen, um Druck auf die offizielle Politik auszuüben. So weit, so gut – doch das war´s dann auch schon. Notwendig ist eine wirklich starke Bewegung nicht nur gegen den Ukraine-Krieg, sondern gegen den Imperialismus insgesamt! Das bedeutet u.a.: Austritt aus der Nato!, Nato raus aus Deutschland!, Stopp der Aufrüstung und Einsatz dieser Milliarden für soziale Zwecke! Auch wenn ein Aufruf nicht alles enthalten kann, was nötig wäre zu sagen; auch wenn ein unvollkommener Aufruf besser als keiner ist: bestimmte Fragen komplett auszublenden, kann nicht richtig und förderlich sein.

Eine starke Bewegung kann nur durch die massenhafte Mobilisierung der Lohnabhängigen erreicht werden. Das wiederum ist nur möglich, wenn der Zusammenhang zwischen Kapitalismus, Kriegspolitik und Sozialabbau aufgezeigt wird. Dazu muss von der Linken und fortschrittlichen und demokratischen Kräften auch gegen die Politik der SPD und der mit ihnen verbandelten DGB-Bürokratie gekämpft werden, weil sie wesentlich dafür verantwortlich sind, dass die Arbeiterklasse, v.a. deren gewerkschaftliche Teile, passiv bleiben. Davon ist jedoch wenig zu spüren.

Anti-Kapitalismus?

Auch wenn Sahra Wagenknecht zu recht die Positionen im Aufruf teilt, war es trotzdem falsch, ihn zu unterzeichnen. Warum? Von einer Politikerin der LINKEN, die sich als sozialistische Partei versteht, muss man erwarten, dass sie sozialistisch-antikapitalistische Positionen vertritt und nicht nur diesen und jenen Auswuchs des Kapitalismus anprangert. Davon kann leider bei Sahra Wagenknecht keine Rede sein. Ob in ihren Reden, in Talkshows oder in ihren Büchern – immer wird nur der entfesselte, neoliberale, unregulierte usw. Kapitalismus kritisiert und beklagt – nie der Kapitalismus selbst, aus dessen Grundstrukturen heraus es mit Notwendigkeit zu solchen „Auswüchsen“ kommt und kommen muss. Dass sie mit dieser rein reformistischen und völlig unmarxistischen Haltung aus der LINKEN eher noch positiv herausragt, spricht Bände über deren Gesamtcharakter. Der Begriff „Imperialismus“ wird tunlichst vermieden. Anstatt aus den permanenten Katastrophen des Kapitalismus den Schluss zu ziehen, ihn endlich zu überwinden, wird immer nur gefolgert und gefordert, dass er sozialer, ökologischer, friedlicher usw. werden solle. Um nicht falsch verstanden zu werden: der Kampf für diese Anliegen ist richtig, doch er muss anders, mit Mitteln des Klassenkampfes und mit der Orientierung auf die Arbeiterklasse und -bewegung erfolgen und in eine revolutionäre Strategie eingebettet sein. Daran mangelt es der LINKEN als Partei genauso wie Wagenknecht als Person komplett.

Die Position von Schwarzer wie von Wagenknecht betont richtigerweise, dass verhandelt werden soll. Dass der Ukraine-Konflikt letztlich aber Ausdruck imperialistischer Interessen und wachsender – objektiver – ökonomischer Krisenpotentiale ist, wird ausgeblendet. Selbst ein Frieden durch Verhandlungen wäre nur ein Kompromiss, der die grundlegenden Widersprüche zwischen den imperialistischen Blöcken um die USA bzw. China/Russland nicht beseitigt, sondern deren erneuten Ausbruch nur aufschiebt. Wenn Wagenknecht bzw. die LINKE inhaltlich nichts anderes zu sagen haben als die bürgerliche Pazifistin Schwarzer, dann stellt sich schon die Frage, worin der „Sozialismus“ dieser „Sozialisten“ besteht?!

Wagenknecht bzw. die LINKE hätte einen eigenen, besseren Aufruf vorbringen können und müssen als den von Alice Schwarzer. Zumindest hätte Wagenknecht sofort (!) deutlich machen müssen, wo neben den Übereinstimmungen auch Unterschiede bestehen. So aber läuft alles auf eine Unterordnung unter eine links-bürgerliche, nur pazifistische Auffassung hinaus und blockiert die Stärkung des antikapitalistischen Potentials. Man vergleiche dazu die Position von Rosa Luxemburg mirt der von Sahra Wagenknecht …

Das Anliegen von Schwarzers Aufruf und v.a. der Protest am 25.2. müssen natürlich trotzdem unterstützt werden – nach dem Motto „Getrennt marschieren, vereint schlagen!“

• Stärkt den Anti-Kriegs-Protest am 25.2.!
• Für den Aufbau einer klassenkämpferischen anti-imperialistischen Bewegung!
• Nieder mit den Kriegsparteien SPD, Union, FDP und Grüne!
• Für eine sofortige Verhandlungsinitiative!
• Keine Waffen für Kiew! Kein Embargo gegen Russland!
• Deutschland raus aus der Nato, Nato raus aus Deutschland!
• Aufrüstung des Sozialen, nicht des Militärs!


Manifest für den Frieden

Von Alice Schwarzer und Sahra Wagenknecht

Heute ist der 352. Kriegstag in der Ukraine. Über 200.000 Soldaten und 50.000 Zivilisten wurden bisher getötet. Frauen wurden vergewaltigt, Kinder verängstigt, ein ganzes Volk traumatisiert. Wenn die Kämpfe so weitergehen, ist die Ukraine bald ein entvölkertes, zerstörtes Land. Und auch viele Menschen in ganz Europa haben Angst vor einer Ausweitung des Krieges. Sie fürchten um ihre und die Zukunft ihrer Kinder.

Die von Russland brutal überfallene ukrainische Bevölkerung braucht unsere Solidarität. Aber was wäre jetzt solidarisch? Wie lange noch soll auf dem Schlachtfeld Ukraine gekämpft und gestorben werden? Und was ist jetzt, ein Jahr danach, eigentlich das Ziel dieses Krieges? Die deutsche Außenministerin sprach jüngst davon, dass „wir“ einen „Krieg gegen Russland“ führen.

Im Ernst?

Präsident Selenskyj macht aus seinem Ziel kein Geheimnis. Nach den zugesagten Panzern fordert er jetzt auch Kampfjets, Langstreckenraketen und Kriegsschiffe – um Russland auf ganzer Linie zu besiegen? Noch versichert der deutsche Kanzler, er wolle weder Kampfjets noch „Bodentruppen“ senden. Doch wie viele „rote Linien“ wurden in den letzten Monaten schon überschritten?

Es ist zu befürchten, dass Putin spätestens bei einem Angriff auf die Krim zu einem maximalen Gegenschlag ausholt. Geraten wir dann unaufhaltsam auf eine Rutschbahn Richtung Weltkrieg und Atomkrieg? Es wäre nicht der erste große Krieg, der so begonnen hat. Aber es wäre vielleicht der letzte.

Die Ukraine kann zwar – unterstützt durch den Westen – einzelne Schlachten gewinnen. Aber sie kann gegen die größte Atommacht der Welt keinen Krieg gewinnen. Das sagt auch der höchste Militär der USA, General Milley. Er spricht von einer Pattsituation, in der keine Seite militärisch siegen und der Krieg nur am Verhandlungstisch beendet werden kann. Warum dann nicht jetzt? Sofort!

Verhandeln heißt nicht kapitulieren. Verhandeln heißt, Kompromisse machen, auf beiden Seiten. Mit dem Ziel, weitere Hunderttausende Tote und Schlimmeres zu verhindern. Das meinen auch wir, meint auch die Hälfte der deutschen Bevölkerung. Es ist Zeit, uns zuzuhören! Wir Bürgerinnen und Bürger Deutschlands können nicht direkt auf Amerika und Russland oder auf unsere europäischen Nachbarn einwirken. Doch wir können und müssen unsere Regierung und den Kanzler in die Pflicht nehmen und ihn an seinen Schwur erinnern: „Schaden vom deutschen Volk wenden“.

Wir fordern den Bundeskanzler auf, die Eskalation der Waffenlieferungen zu stoppen. Jetzt! Er sollte sich auf deutscher wie europäischer Ebene an die Spitze einer starken Allianz für einen
Waffenstillstand und für Friedensverhandlungen setzen. Jetzt! Denn jeder verlorene Tag kostet bis zu 1.000 weitere Menschenleben – und bringt uns einem 3. Weltkrieg näher.

4 Gedanken zu „Gegen den Krieg! Aber wie?“

  1. Es stimmt, dass in der gegenwärtigen Situation Gewerkschaften notwendig sind für Streiks – besonders deutlich in Deutschland, da hier vorwiegend Einheitsgewerkschaften vorliegen. Um es deutlicher auszudrücken: Notwendig sind für legale Streiks. Dies liegt an der starken Verrechtlichung der industriellen Beziehungen in Deutschland. Deshalb ist die Auseinandersetzung mit den DGB-Gewerkschaften wichtig und ich gehe bei der Argumentation von Aufruhrgebiet so weit mit, dass wir einen kritisch-solidarischen Bezug in Bezug auf die Arbeiter, die in den Gewerkschaften organisiert sind, haben müssen und einen Bezug herstellen müssen.
    Doch wie sieht dieser Bezug aus? Ein solcher Bezug kann nur vom Standpunkt einer marxistischen Analyse und ohne jegliche Illusionen entwickelt werden! Also frage ich zuerst: Welche Funktion hat eine Gewerkschaft? Eine Gewerkschaft verhandelt den Preis der Ware Arbeitskraft durch Lohnverhandlungen. Eine Gewerkschaft tritt als Vermittler zwischen Kapital und Arbeit auf. Das ist die Funktion. Dieser Funktion entsprechend entwickelt sich der Bürokraten-Apparat und auch das Handeln der DGB-Gewerkschaften: Genau deshalb, da die DGB-Gewerkschaften in den stark verrechtlichten industriellen Beziehungen als zentrale Schaltstelle dienen und hierbei noch eine Art Monopolstellung haben (im Unterschied zu den Richtungsgewerkschaften wie z.B. in Frankreich und Italien), haben wir in Deutschland so gut wie keine Streiks!
    Dass sich einzelne wichtige Aktivisten innerhalb der Gewerkschaften bewegen, ändert rein gar nichts an dieser Funktionsweise der DGB-Gewerkschaften. Es ist eine Illusion zu denken, der Apparat könne „nach links“ verschoben werden. Hast du schon die Unvereinbarkeitsbeschlüsse vergessen? Hast du vergessen, wie 1914 die Gewerkschaften den Burgfrieden ausriefen? Bezüglich der Hartz-4-Reform möchte ich gerne ernsthaft nachfragen, ob wir hier in unterschiedlichen Welten gelebt haben: Die Gewerkschaftsvertreter haben doch Hartz-4 zugestimmt! Die Wut darüber wurde von Arbeitern unabhängig/autonom in Demonstrationen zum Ausdruck gebracht – ohne Gewerkschaften und ich habe bei den Protesten keine einzige oder höchstens einmal vereinzelt eine Gewerkschaftsfahne gesehen! Und als weiteren wichtigen Hinweis: Hast du vergessen, dass die revolutionäre Bewegung – auch aufgrund der Funktionsweise der Gewerkschaften – die Losung ausgab: Alle Macht den Räten?
    Warum hieß die Losung „Alle Macht den Räten“? Weil sich die alten Institutionen der damaligen Arbeiterbewegung als unzureichend und sogar konterrevolutionär erwiesen. Weil eine Gewerkschaft ihre eigene Funktionsweise untergraben würde, würde sie für die Abschaffung der Lohnarbeit eintreten. Denn dann würde ihre Tätigkeit als Vermittlerin zwischen Kapital und Arbeit wegfallen. Die Befreiung der Arbeiter kann nur das Werk der Arbeiter selbst sein. In den revolutionären Kämpfen von 1918-1923 war immer klar, dass die Losung „Alle Macht den Räten“ auch gegen den Einfluss der Gewerkschaften gerichtet war und die Gewerkschaften begriffen diese Losung als einen Angriff auf ihre reformistische Politik.

    1. Du schreibst: „Genau deshalb, da die DGB-Gewerkschaften in den stark verrechtlichten industriellen Beziehungen als zentrale Schaltstelle dienen und hierbei noch eine Art Monopolstellung haben (im Unterschied zu den Richtungsgewerkschaften wie z.B. in Frankreich und Italien), haben wir in Deutschland so gut wie keine Streiks!“

      1. sind auch die „Richtungsgewerkschaften“ reformistisch und haben die gleiche Funktion wie hierzulande der DGB. 2. haben wir auch in D. durchaus Streiks, meist aber im „tariflichen“ Rahmen.

      Du schreibst, „dass sich einzelne wichtige Aktivisten innerhalb der Gewerkschaften bewegen, ändert rein gar nichts an dieser Funktionsweise der DGB-Gewerkschaften. Es ist eine Illusion zu denken, der Apparat könne „nach links“ verschoben werden.“

      Es gibt durchaus Beispiele dafür, dass die Basis durch ihre kämpferische Entschlossenheit die Führung zu energischerem Vorgehen gezwungen hat, z.B. beim Kampf für die Lohnfortzahlung oder für die 35-Stunden-Woche der IGM. Natürlich heißt „linker“ noch lange nicht antikapitalistisch, das kann nur im Zuge einer Revolution erreicht werden. Eine klassenkämpferisch-revolutionäre Kraft im DGB ist aber auch notwendig, um der Basis den wahren Charakter des Reformismus zu vermitteln und kämpferische Elemente zu sammeln.

      Du schreibst: „Bezüglich der Hartz-4-Reform möchte ich gerne ernsthaft nachfragen, ob wir hier in unterschiedlichen Welten gelebt haben: Die Gewerkschaftsvertreter haben doch Hartz-4 zugestimmt! Die Wut darüber wurde von Arbeitern unabhängig/autonom in Demonstrationen zum Ausdruck gebracht – ohne Gewerkschaften und ich habe bei den Protesten keine einzige oder höchstens einmal vereinzelt eine Gewerkschaftsfahne gesehen!“

      Die größten Demos gegen Hartz IV wurden vom DGB organisiert – um sie leerlaufen zu lassen. Die späteren (!) Montagsdemos waren Aktionen ohne bzw. gegen den DGB. Sie scheiterten aber gerade daran, dass die Masse der Gewerkschafter und die großen Organisationen eben außen vor waren. Die PDS spielte dabei auch eine miese Rolle. Um die Inaktivität der Basis und ihre politische Gefolgschaft dem Reformismus gegenüber der Bürokratie zu überwinden, ist es notwendig, außerhalb des DGB (in Form einer revolutionären Partei) eine Alternative zu schaffen, aber eben auch im (!) DGB.

      Du schreibst: „Hast du vergessen, dass die revolutionäre Bewegung – auch aufgrund der Funktionsweise der Gewerkschaften – die Losung ausgab: Alle Macht den Räten? (…) In den revolutionären Kämpfen von 1918-1923 war immer klar, dass die Losung „Alle Macht den Räten“ auch gegen den Einfluss der Gewerkschaften gerichtet war und die Gewerkschaften begriffen diese Losung als einen Angriff auf ihre reformistische Politik.“

      Die Räte waren nicht als Alternative zu den Gewerkschaften gedacht (jedenfalls nicht von der KPD, sondern eher von den Linkssektierern der KAPD). Räte sind primär politische (!) Strukturen, die sich v.a. gesellschaftspolitischen Aufgaben widmen. Gewerkschaften hingegen sind Einheitsfrontorgane, die v.a. auf dem Gebiet der Wirtschaft agieren. Die einen können die anderen nicht ersetzen. In der russ. Revolution z.B. basierten die Sowjets (anfänglich) auf betrieblichen Komitees, die etwas anderes waren als die Gewerkschaften, die aber damals (anders als im Westen) keine wichtige Rolle spielten. Sicher: der Räte-Gedanke richtete sich auch gegen den Reformismus und die bürokratische Gängelung der Klasse durch die SPD, aber er richtete sich keineswegs gegen die „Gewerkschaften an sich“. Wer das versucht, begeht sektiererischen Selbstmord, weil er nicht versteht, dass sich Klassenbewusstsein und die Formierung der Klasse nicht von 0 auf 100 vollziehen,sondern wechselnd, in Stufen – manchmal evolutionär, manchmal in Sprüngen. Der Hauptausdruck „evolutionärer“ Entwicklung ist die gewerkschaftliche Organisierung. Der „normale“ Gewerkschafter versteht immerhin, dass man sich zusammenschließen muss und bestimmte Formen von Klassenkampf anwenden muss. Die „Übereinkunft“ von gewerkschaftlicher Basis und reformistischem Apparat bricht in bestimmten Momenten auf: in Krisen und zugespitzten Situationen. Diesen potentiellen Widerspruch relevant zu machen, braucht es eine Opposition auch im DGB.

  2. Hallo,
    es werden viele wichtige und gute Kritikpunkte am „Manifest für Frieden“ angesprochen. Es ist auch gut, dass im Artikel zum Ausdruck kommt, dass ein kritikwürdiges „Manifest“ besser ist als KEIN solches „Manifest“.
    Wie stellt ihr euch aber folgendes KONKRET vor: „Ist es nicht von grundlegender Bedeutung, die Gewerkschaften aufzufordern, gegen den Kriegs- und Aufrüstungskurs und die dadurch noch verstärkte soziale Abwärtsentwicklung für Millionen von Lohnabhängigen und Mittelständlern aktiv zu werden? Wer ist so naiv zu glauben, man könne eine Massenbewegung schaffen, ohne dass die Gewerkschaften oder wenigstens Teile ihrer Basis einbezogen werden?!“
    Ich stelle nämlich die Gegenthese auf: Wer so naiv ist und denkt, die korrupten DGB-Gewerkschaften werden auch nur den kleinen Finger rühren, der steht in 20 Jahren noch alleine auf der Straße und hat etliche Forderungskataloge an den DGB geschrieben – und NICHTS erreicht. Er wird sich dann vielleicht wundern, wo die ganzen anderen protestierenden Leute herkommen?!?!! Die nämlich nicht so naiv sind und auf den DGB warten, sondern sich schon längst unabhängig und autonom auf den Weg gemacht haben, um für ihre Interessen zu kämpfen. Der Totalausfall der DGB-Gewerkschaften zeigt doch – für jeden, der die Augen einfach mal aufmacht, anstatt sich ideologisch leiten zu lassen – ganz deutlich: Dieser Laden steht auf der Seite der Macht und der Ausbeuterklasse.

    1. Danke für Deinen Kommentar, er wirft wesentliche Fragen auf. Es ist tatsächlich unwahrscheinlich, dass die DGB-Bürokratie „auch nur den kleinen Finger rührt“. Doch es geht nicht nur darum. Es soll so auch erreicht werden, dass die Bürokratie gezwungen wird, Farbe zu bekennen, dass sie entlarvt wird und sich für die Basis klarer zeigt, was ihre Führung wirklich will oder nicht will. Die Gewerkschaft ist nicht nur die Bürokratie und deren Politik, es gibt auch eine proletarische Basis – und daher einen potentiellen (!) Interessengegensatz. Dieser bricht natürlich nur manchmal offen auf, v.a. in Krisen. Eine offensive Politik kann und muss diesen Widerspruch zuspitzen, indem zum Konflikt das Bewusstsein des Konfliktes (frei nach Marx) hinzugefügt wird.

      Eine solche Politik hat eine doppelte reale Grundlage: 1. ist die Bürokratie nicht nur immer passiv, sie muss ab und zu bis zu einem gewissen Grad auch aktiv werden, z.B. in Tarifstreiks. Täte sie das nicht, würde sie ihre Basis komplett verlieren und damit auch ihre eigene Rolle als Manager zwischen Kapital und Arbeit unterminieren. Vergessen wir nicht, dass z.B. die reformistischen Gewerkschaften 1920 den Kapp-Putsch zu Fall brachten, dass sie erfolgreich die 35-Stunden-Woche erkämpft haben usw. Das alles passierte unter dem Druck der Basis, weniger aufgrund der Haltung der Bürokratie. Diese Kämpfe spielten objektiv eine größere Rolle für die Gesellschaft und auch für die Organisierung und das (Selbst)bewusstsein der Klasse als die aktuellen links-grünen Verrenkungen zusammengenommen. Gegen die Agenda-Politik hat er DGB 100.00e mobilisiert – um sie dann wieder nach Hause zu schicken. Das sind Momente, wo die Linke eingreifen und auch punkten kann – mit einer passiven, einseitig „negativen“ Haltung, wie sie bei Dir durchscheint, ist allerdings kein Blumentopf zu gewinnen.

      Du schreibst: „Die nämlich nicht so naiv sind und auf den DGB warten, sondern sich schon längst unabhängig und autonom auf den Weg gemacht haben, um für ihre Interessen zu kämpfen.“ Natürlich soll niemand warten. Aber das scheinbar autonome bedeutet real, eine soziale Kraft aufbauen zu wollen, die etwas erreicht, ohne relevante Teile der Lohnabhängigen einzubeziehen. Man muss kein Prophet sein, um zu wissen, dass das nicht funktioniert. Proteste allein können nie erreichen, dass die Regierung in zentralen (!) Fragen einknickt, das schafft man nur mit (Massen)streiks, die aber ohne Gewerkschaften nicht möglich sind.

      2. dürfen wir nicht vergessen, dass es durchaus ein linkes, kämpferisches, ja antikapitalistisches Milieu in den Gewerkschaften gibt. Es ist die Schuld der Linken (!), dass dieses so klein ist. Der Grund ist u.a. die idiotische Politik der Stalinisten (RGO-Politik, Sozialfaschismus-These u.a.) und der heutigen Linken, die weder ein wirkliches Verständnis von Reformismus haben, geschweige eine brauchbare Taktik. So lehnen es z.B. die LINKE, aber auch die „radikale“ MLPD ab, im DGB einen fraktionellen Kampf zu führen, so überlassen sie den Reformisten fast kampflos das Feld – um zugleich deren Politik zu bedauern.

      Wenn „dieser Laden (…) auf der Seite der Macht und der Ausbeuterklasse“ stände, wie Du schreibst, dann träfe das in toto auch auf die Arbeiterklasse zu … Das ist aber nicht so. Es handelt sich vielmehr darum, das die reformistische DGB-Bürokratie, dass SPD und LINKE bürgerliche Agenturen in der Arbeiterbewegung sind, die bekämpft werden müssen. Eine vernünftige Einheitsfrontpolitik, wie ich sie punktuell im Artikel darstelle, wurde historisch wenig angewandt, aber wenn, hat sie durchaus Erfolg gehabt. Das ist unser historischer Lernstoff – leider ist das Gros der Linken zum Lernen unfähig und unwillig, sie reduzieren lieber CO2 … Wenn „der Laden“ schlechte Produkte anbietet, muss man nicht den Laden schließen, sondern das Angebot und den Eigentümer ändern.

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