Hannah Behrendt
Die Ermordung des Schwarzen George Floyd durch sadistische und rassistische Bullen in den USA hat nicht nur dort, sondern weltweit für Empörung gesorgt. In vielen Städten, auch in Deutschland, gingen wiederholt Zehntausende auf die Straße.
Der Tod von Georg Floyd war der Anlass, nicht jedoch die tiefere Ursache für die Proteste und die Wut, die in den USA tw. bürgerkriegsähnliche Formen annahmen. Floyd ist nur das jüngste Opfer in einer langen Reihe von brutalen Morden und Gewaltorgien v.a. gegen Schwarze in den USA. Und wie fast immer zeigte auch die erste Reaktion der Justiz, dass ein gewisses Maß an Rassismus offenbar tolerabel ist. So erfolgte eine Anklage gegen alle vier am Mord an Floyd beteiligte Polizisten und nicht nur gegen den Haupttäter erst auf Druck der Öffentlichkeit. Für Empörung sorgte auch, wie US-Präsident Trump auf den Vorfall und die Proteste reagierte – nicht zum ersten Mal. Er ließ weder Verständnis noch Mitleid erkennen, sondern verunglimpfte die tw. gewaltsamen Proteste als Mob und Taten von Verbrechern, während er für den Sadismus der Polizei kaum ein kritisches Wort übrig hatte. Das Maß war dann endgültig voll, als Trump eine Trauerkundgebung vertreiben ließ, um sich medial zu inszenieren und sogar den Einsatz der Armee gegen die DemonstrantInnen in Betracht zog. Diese Eskapaden Trumps waren dann sogar einigen seiner Gefolgsleute zu viel, so etwa Ex-Verteidigungsminister Mathys. Freilich sorgen sie sich nicht um die Schwarzen, um die Polizeigewalt oder den alltäglichen Rassismus, sondern darum, dass Trump mit seinem üblichen arroganten und dumm-frechen Auftreten Öl ins Feuer schüttet und die Proteste sich noch ausweiten könnten. Zudem wäre ein Einsatz der Armee auch riskant, weil auch viele SoldatInnen schwarz sind und es in der Armee darüber zu Spaltungen kommen könne.
Die Proteste in den USA haben aber tiefere Gründe. Rassismus und Gewalt gegen Farbige sind nicht neu, sondern gehören seit schon Jahrhunderten zur Kultur der USA, auch nach Abschaffung der Sklaverei. Immer wieder werden Delikte der Polizei bagatellisiert oder vertuscht. Eine Besserung ist nicht in Sicht. Genauso sieht es mit der sozialen Lage der nicht-weißen Bevölkerung, v.a. der schwarzen und hispanischen Teile, aus. Das soziale Gefälle zwischen ihnen und der weißen Mehrheitsbevölkerung verringert sich nicht. Das Establishment ist immer noch überproportional von Weißen dominiert.
Mit der Wahl von Trump hat das rechts-konservativ-rassistische Milieu Oberwasser bekommen, die Spaltung der US-Gesellschaft in „politisch-weltanschauliche“ Lager hat sich verstärkt. Doch nicht nur Trump polarisiert; die Corona-Krise hat die soziale Lage von Dutzenden Millionen US-BürgerInnen, v.a. ärmeren, verschlechtert. Die Arbeitslosigkeit erreicht Rekordhöhen. Insofern sind die aktuellen Proteste auch Ausdruck wachsender sozialer Frustration. Das erklärt wenigstens zum Teil auch, warum sich an den Protesten auch sehr viele Weiße beteiligen. Sie merken, wie nicht nur, aber auch durch Trumps Demagogie der „Zusammenhalt“ der Gesellschaft unterminiert und das soziale Klima rauer wird.
Wie weiter?
Genauso wie die Proteste berechtigt sind, erweisen sich die mitunter damit verbundenen Plünderungen und Attacken auf Polizisten (die nicht der Selbstverteidigung dienen) – so subjektiv verständlich sie sein mögen – als kontraproduktiv. Individuelle Gewalt und Plünderungen sind keine geeigneten Mittel – in doppelter Hinsicht. Zum einen sind sie ungeeignet, auch Weiße und die Mittelschichten anzusprechen und zumindest mit Teilen von ihnen gemeinsam gegen Not und Krise zu kämpfen. Zum anderen liefert spontane Gewalt dem Staat nur Vorwände, um noch brutaler einzugreifen. Die schwarze Community ist aber absolut nicht in der Lage, sich gegen die geballte Staatsmacht und die „Gewehr bei Fuß“ stehenden bewaffneten weißen Rassisten zu behaupten. Einen Kampf zu früh oder mit untauglichen Mitteln zu führen, mag heroisch sein, kann aber nur in die Niederlage führen.
Doch auch die Hoffnung, nur mit Protesten grundsätzliche Verbesserungen zu bewirken, ist trügerisch. Es wird evtl. ein paar Zugeständnisse, ein paar Versprechen und einige Rücktritte geben – grundsätzlich aber bleibt wie immer alles beim Alten. Das hat auch einen handfesten Grund: der Rassismus wurzelt tief in der US-Gesellschaft, jedes ernsthafte Aufrollen dieses Themas erschüttert den „American way of life“ – mehr noch, die Ausbeutung und Unterdrückung der schwarzen u.a. Minderheiten sichert dem US-Kapital Extra-Profite, dem weißen Establishment Macht und Posten, für deren Absicherung es auch der Spaltung der Lohnabhängigen entlang ethnischer Grenzen bedarf.
Die aktuelle Protestwelle sollte auch keine Neuauflage der Black Power-Bewegung oder ein Revival der Martin Luther King-Ideen werden, so viele fortschrittliche Elemente diese auch durchaus hatten. Das Problem ist weit umfassender und mit einem Jahrzehnte alten Grundmakel der US-Arbeiterbewegung verbunden: dem Fehlen jeder Form von eigenständiger Arbeiterpartei. Zwar gibt es als Klassenorganisationen Gewerkschaften, doch diese treten nur in Ausnahmefällen als wirklich klassenkämpferische Strukturen in Erscheinung und sind meist sehr „sozialpartnerschaftlich“ ausgerichtet. Verschiedene reformerische Ansätze, diese Misere zu überwinden (z.B. New Direction), schlugen bisher nicht durch.
Für eine Arbeiterpartei!
Die aktuelle Bewegung kann nur dann mittel- und langfristig Erfolg haben, wenn sie a) dazu führt, dass basisdemokratische multiethnische Strukturen entstehen, die sich auch national vernetzen. Diese Basisorgane müssen in die Gewerkschaften hineinwirken und über die Frage des Rassismus hinaus zu Sammlungs- und Aktionszentren auch gegen Trump, gegen die Krise usw. werden. Mit dieser Dynamik muss b) eine Kampagne für eine Arbeiterpartei einhergehen. In diesem Prozess muss neben der Rassismus-Frage auch die soziale Frage und die Klassen- und die Systemfrage angesprochen werden. Das alles muss auf eine Programmatik zielen, welche die Überwindung des Kapitalismus zum Ziel hat.
Diese Vorhaben sehen sicher nicht danach aus, leicht realisierbar zu sein, und mögen „utopisch“ anmuten. Doch nicht weniger utopisch sind die Hoffnungen auf „Verbesserungen“ für die Schwarzen im Rahmen des Systems und ohne dass die Arbeiterklasse dafür kämpft. Im Gegenteil: es gibt einige Faktoren, die darauf deuten, dass die Bedingungen für die Schaffung einer Arbeiterpartei so gut sind wie lange nicht. 1. ist die Enttäuschung über die „politische Klasse“ sehr groß. Nicht nur die Wahl Trumps verdankte sich der Desillusionierung gegenüber den Demokraten. Auch das relativ gute Abschneiden des (vermeintlichen) „Sozialisten“ Bernie Sanders unterstreicht das. Inzwischen erweist sich aber auch die Rhetorik von Trump, die nicht wenige weiße ArbeiterInnen bewog, ihn zu wählen, als hohle Phrasen.
Die (nicht nur durch Corona) bedingte Krise trifft Millionen AmerikanerInnen. Widerstand und organisationspolitische Alternativen können also an einem massenhaften Bedürfnis nach Protest und Widerstand anknüpfen. Die gemeinsamen Proteste gegen Rassismus von Schwarzen und Weißen bieten eine dafür eine gute Ausgangsbasis.
Die Linken in den USA haben eine große Chance und eine große Verantwortung – werden sie sie nutzen?!