Was sind Gewerkschaften?

Hanns Graaf

Vorbemerkung: Dieser Text eröffnet eine Reihe von Beiträgen zur Frage, wie die Politik von Revolutionären im Betrieb und in der Gewerkschaft aussehen könnte. Die Beiträge erscheinen in unregelmäßiger Folge. Der folgende Text behandelt taktische Aspekte nur am Rande und betrachtet nicht die Spezifik der deutschen Gewerkschaften, die späteren Artikeln vorbehalten bleiben. Er ist eine allgemeine Darstellung des Wesens von Gewerkschaften. Diese ist schon deshalb nötig, weil gerade jüngere Linke wenig Kenntnis davon haben. Redaktion Aufruhrgebiet

Gewerkschaften sind neben der Partei, den Genossenschaften und Selbstverwaltungsstrukturen sowie der Freidenkerbewegung eine der vier potentiellen Säulen der Arbeiterbewegung. Die Gewerkschaften sind am engsten mit der betrieblichen Basis der Lohnabhängigen verbunden und haben dadurch – außer in revolutionären Krisen – die potentiell höchste Mobilisierungskraft.

Lohnarbeitssystem

Trotz aller Differenzierungen und Spaltungen – abhängig v.a. von der ständigen Umwälzung der Produktivkräfte und der Schwankungen der Konjunktur – ist die Arbeiterklasse (Proletariat) durch drei grundlegende Merkmale geprägt: 1. besitzt sie kein Privateigentum an Produktionsmitteln und muss daher ihre Arbeitskraft als Ware verkaufen. 2. ist sie damit wesentlich vom Lohneinkommen abhängig. 3. hat sie in der Arbeitswelt wie in der Gesellschaft insgesamt eine untergeordnete, unterdrückte, benachteiligte Stellung. Sie hat daher keine wesentlichen Interessen, die sie an den Kapitalismus binden, und ist daher, die – wie Marx bemerkte – „einzig konsequent (!) revolutionäre Klasse“. Ihre Zahl, ihre Konzentration, ihre Verbindung mit der modernen Produktion befähigen sie nicht nur dazu, den Kapitalismus zu überwinden, sondern auch, eine alternative Gesellschaft aufzubauen und auch andere soziale Schichten zu befreien.

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Das „Erfurter Programm“ der SPD von 1891 (Teil 2/2)

Hanns Graaf

Die Partei

Die letzten drei Abschnitte des ersten Teils des Programms beziehen sich auf die Rolle der Partei. Dort heißt es: „Diesen Kampf der Arbeiterklasse zu einem bewussten und einheitlichen zu gestalten und ihm sein naturnotwendiges Ziel zu weisen – das ist die Aufgabe der Sozialdemokratischen Partei.“ Und weiter: „Die Interessen der Arbeiterklasse sind in allen Ländern mit kapitalistischer Produktionsweise die gleichen. Mit der Ausdehnung des Weltverkehrs und der Produktion für den Weltmarkt wird die Lage der Arbeiter eines jeden Landes immer abhängiger von der Lage der Arbeiter in den anderen Ländern. Die Befreiung der Arbeiterklasse ist also ein Werk, an dem die Arbeiter aller Kulturländer gleichmäßig beteiligt sind. In dieser Erkenntnis fühlt und erklärt die Sozialdemokratische Partei Deutschlands sich eins mit den klassenbewussten Arbeitern aller übrigen Länder.“ Natürlich sind die aktuellen (!) Interessen der Arbeiter verschiedener Länder, z.B. (halb)kolonialer und imperialistischer nicht gleich, wie das Programm suggeriert.

Weiter geht es mit: „Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands kämpft also nicht für neue Klassenprivilegien und Vorrechte, sondern für die Abschaffung der Klassenherrschaft und der Klassen selbst und für gleiche Rechte und gleiche Pflichten aller ohne Unterschied des Geschlechts und der Abstammung. Von diesen Anschauungen ausgehend bekämpft sie in der heutigen Gesellschaft nicht bloß die Ausbeutung und Unterdrückung der Lohnarbeiter, sondern jede Art der Ausbeutung und Unterdrückung, richte sie sich gegen eine Klasse, eine Partei, eine Geschlecht oder eine Rasse.“ Hier fallen zwei Dinge auf: 1. ist nicht von der Aufhebung des Staates die Rede. Schon im „Gothaer Programm“ fehlte diese Aussage, genauso wie in der damaligen Kritik von Marx der Hinweis auf die Rätedemokratie als Alternative zum Staat alter Form. 2. ist es positiv bemerkenswert, dass schon damals „ jede Art der Ausbeutung und Unterdrückung, richte sie sich gegen eine Klasse, eine Partei, eine Geschlecht oder eine Rasse“, abgelehnt wird.

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Das „Erfurter Programm“ der SPD von 1891 (Teil 1/2)

Hanns Graaf

Der jahrzehntelange Niedergang der SPD wirft die Frage auf, ob ihre Probleme vielleicht schon im 19. Jahrhundert, als sie noch im Aufsteigen war, begonnen haben? Wir haben dazu bereits das Gründungsprogramm der Sozialdemokratie in Gotha von 1875 und die Replik von Marx darauf untersucht (https://aufruhrgebiet.de/2023/12/marx-und-gotha/). Hier nun betrachten wir das Nachfolgeprogramm von 1891. Aufgrund der Kürze dieses Programms gehen wir abschnittweise auf den Gesamttext ein.

Historische Einordnung

Das „Erfurter Programm“ wurde 1891 angenommen. Es entstand nach der Aufhebung des Bismarckschen „Sozialistengesetzes“ (1878-90), das die SPD tw. in die Illegalität zwang, jedoch scheiterte. Die SPD war danach stärker als zuvor. Auf diese neue, günstigere Situation musste das neue Programm eingehen. Die Vorsicht, die unter dem Sozialistengesetz durchaus nötig war, konnte und musste nun von einem klareren Profil abgelöst werden. Zudem hatten Marx und Engels am „Gothaer Programm“ massive Kritik geübt – obwohl Marx dabei wesentliche Mängel dieses Programms nicht erkannt bzw. nicht kritisiert hatte. Zudem war Marx´ Kritik von den Führern der SPD, v.a. von W. Liebknecht, der Partei vorenthalten worden. Aber auch Engels tat lange nichts dafür, dass der Marx-Text wenigstens im Nachhinein in der SPD verbreitet wurde.

Die wesentlichen Gründe für ein neues Programm hätten allerdings 1. der Übergang des Kapitalismus zum Imperialismus und 2. die gewachsene Größe und Stärke der Arbeiterklasse und der Arbeiterbewegung und ihre größeren Möglichkeiten sein müssen. Um es vorwegzunehmen: diese beiden Aspekte spiegeln sich im Programm kaum wider.

Das Programm von Erfurt galt bis 1921, als die SPD das „Görlitzer Programm“ beschloss. D.h. 30 Jahre lang sah die SPD offenbar keinen Anlass, ihr Programm zu erneuern. Der Übergang zum Imperialismus, die Revisionismus-Debatte in der Sozialdemokratie ab 1899, die Revolutionen von 1905 und 1917 in Russland und 1918 in Deutschland, der wachsende Militarismus, die steigende Kriegsgefahr von 1914 – all das war offenbar kein Anlass, die eigene Programmatik zu erneuern. Warum das so war, wird aber sofort klar, wenn man sich das „Erfurter Programm“ anschaut.

Karl Kautsky schrieb zum „Erfurter Programm“ einen längeren Kommentar, der das Programm erläuterte und begründete. Auf diesen Text kann hier aus Platzgründen nicht eingegangen werden.

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Rede am 1. Mai

Vorwort: Wir dokumentieren nachfolgend die Rede von Hanns Graaf von der Initiative Aufruhrgebiet auf der 1.Mai-Kundgebung der Freien Linken in Berlin. Redaktion Aufruhrgebiet

Kolleginnen und Kollegen, Genossinnen und Genossen!

Wir leben in bedenklichen Zeiten. Die Ampelregierung war so unbeliebt wie keine andere deutsche Regierung nach 1945. Trotzdem gab es kaum Proteste gegen sie. Immerhin gab es Tarif-Streiks der Gewerkschaften gegen die Folgend der Inflation. Doch gegen die Kriegs- und Aufrüstungspolitik, gegen die absurde Klima- und Energiepolitik der Ampel kämpft der DGB nicht. Dagegen protestierten v.a. vom Kleinbürgertum geprägte Bewegungen, die schon gegen die absurde und ruinöse Coronapolitik am aktivsten waren. Warum sie? Weil die Linke und die Gewerkschaften inaktiv waren!

Statt gegen die Ampelregierung gab es Massenproteste gegen „Rechts“. Es ist zwar richtig, sich der AfD u.a. Rechten entgegenzustellen, doch die v.a. von der Antifa, der SPD, den Grünen, den Kirchen, von NGOs u.a. reformistischen Kräften organisierten Aktionen dienten v.a. dazu, den Protest von der Regierung abzulenken und diese als „demokratisch“, „human“ und „fortschrittlich“ hinzustellen. Dafür wurde die AfD zu einer faschistischen Partei hochstilisiert, die sie – zum Glück – nicht ist. Fast alle wesentlichen Merkmale einer wirklichen faschistischen Organisation fehlen ihr.

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Die LINKE: Aus der Krise?

Hannah Behrendt

Die Linkspartei war nach der Bundestagswahl 2021 in einer tiefen, ja existenziellen Krise. Diese wurde nicht nur an den mageren 4,9% der Stimmen und dem Verlust von 4,3% gegenüber der vorherigen Bundestagswahl (9,2%) deutlich. Man kam nur noch aufgrund von drei Direktmandaten in den Bundestag. 2009, nach der Fusion der PDS mit der WASG zur LINKEN hatte man mit 11,89% noch das beste Ergebnis geholt – seitdem ging es bergab.

Arbeiterpartei?

Mehr noch als der starke Rückgang bei den Wählerstimmen war ein deutlicher Schwund bei der Verankerung bei den Lohnabhängigen, genauer bei den Arbeitern, Ausdruck der Krise. Schon die PDS hatte nur in Ostdeutschland eine direkte Verbindung zur Arbeiterbasis, tw. im betrieblich-gewerkschaftlichen Bereich, tw. über Sozialverbände (Arbeitslosenverband, Volkssolidarität u.a.) und im kommunalen Bereich, wo die Partei als “Kümmerer“ aktiv war.

Nach der Fusion mit der WASG, die auch einige links-reformistische Teile des Gewerkschaftsapparates umfasste (Klaus Ernst u.a.), gelang es der LINKEN nicht, in den Gewerkschaften oder in der Arbeiterklasse wirklich Fuß zu fassen und ihren Einfluss zu vergrößern. Dazu wäre es u.a. nötig gewesen, einen politischen Kampf gegen den Reformismus im DGB und gegen den Einfluss der SPD dort zu führen. Die LINKE hätte in Klassenkämpfen eine wirklich aktive, über den Reformismus hinausweisende Politik betreiben müssen – das war noch nicht einmal in Ansätzen der Fall.

Mit der WASG traten auch Hunderte „Linksradikale“ der LINKEN bei, v.a. aus dem trotzkistischen Milieu: Linksruck (heute Marx21) und SAV (inzwischen gespalten). Sie bildeten ein linkes Spektrum, das die Partei nach links drängen wollte, was sie als „Entrismus“ auffassten. Doch zum einen fehlten für die Anwendung der Entrismus-Taktik die Voraussetzungen: eine Krise der Partei und ein linker Flügel in ihr. Zum anderen wurde verkannt, dass die LINKE wie schon die PDS klar reformistisch war und keinesfalls „offen“ oder „irgendwie links“. Zum anderen führten diese Linken keinen wirklichen Fraktionskampf, sondern bildeten die linke Flanke des Reformismus. Die „Revolutionäre“ in der LINKEN vertraten in ihr kein revolutionäres Programm – der Kern jedes wirklichen Entrismus.

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Eine neue, Fünfte Internationale?

Hanns Graaf

Marx und Engels forderten im „Kommunistischen Manifest“: „Arbeiter aller Länder, vereinigt Euch!“. Damit sagten sie nicht nur, dass die Arbeiterklasse grundlegende gemeinsame Interessen hat und sich nicht vor den Karren ihrer nationalen Bourgeoisie spannen lassen sollte; sie meinten damit auch, dass das Proletariat sich eine Organisation auf internationaler Ebene schaffen müsse. Nur eine solche wäre in der Lage, die verschiedenen Erfahrungen der Klasse zu verarbeiten und die internationale Kooperation im Klassenkampf voran zu treiben.

Kurzer Rückblick auf die Geschichte von vier Internationalen

Wie ernst sie das meinten, geht schon daraus hervor, dass sich Marx und Engels von Anfang an mit der internationalen Dimension des Klassenkampfes befasst haben und mit Revolutionären vieler Länder Kontakt hielten. Beide waren 1864 auch an der Gründung der Internationalen Arbeiterassoziation (IAA), später als 1. Internationale bezeichnet, beteiligt und an führender Stelle tätig. Nach Marx´ Tod 1883 entstand die II. Internationale, in der die deutsche Sozialdemokratie eine führende Rolle spielte. Engels begleitete die Arbeit der Internationale wohlwollend-kritisch, erlebte aber deren komplette reformistische Degeneration nicht mehr, weil er 1895 starb.

Spätestens 1914 bezogen fast alle Parteien der II. Internationale eine sozialpatriotische Position, unterstützten ihre eigene Bourgeoisie und blockierten jede antimilitaristische Tendenz in der Arbeiterklasse. Mit Beginn des Weltkriegs formierten sich daher linke, antiimperialistische Kräfte der Sozialdemokratie wie Luxemburg, Liebknecht, Lenin, Trotzki u.a. in oppositionellen Strukturen. Mit den Treffen in Kienthal und Zimmerwald formierten sie sich. Nach dem Sieg der Bolschewiki 1917 in Russland entstand schließlich 1919 die III. (kommunistische) Internationale (Komintern).

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Ein Artikel, viele Fehler

Hanns Graaf

Vorbemerkung: Wir besprechen hier den Artikel „BSW: Lila an der Regierung“ der Gruppe ArbeiterInnenmacht (GAM) und ihres Autors Jürgen Roth (JR), der am 22.12.25 in der Infomail 1274 der GAM erschien. Wir tun das nicht wg. der Bedeutung der GAM, sondern weil hier exemplarisch gezeigt werden kann, wie oberflächlich und tw. demagogisch dieser Artikel ist. Die Positionen der GAM sind wiederum nur allzu typisch für große Teile der „revolutionären Linken“ und deren politische Degeneration. Redaktion Aufruhrgebiet

Zunächst bespricht JR einige Positionen des BSW und deren Widerspiegelung in den Programmen der Landesregierungen von Brandenburg und Thüringen, wo das BSW mitregiert. Zuerst geht es um das Verkehrswesen. Dazu heißt es: „So tritt man einerseits für den Ausbau von Bahnstrecken, andererseits gegen Tempolimits auf Autobahnen und in Ortsgebieten ein“. Hier konstruiert JR einen Widerspruch, den es gar nicht gibt. Es ist vielfach belegt, dass ein Tempolimit nahezu Null Effekt hat und nichts weiter ist als eine politische Alibiveranstaltung. Und: Was ist ein Tempolimit in Ortsgebieten?! Dort gibt es bereits Tempolimits von 50 und oft 30 Km/h.

Dann widmet sich JR der Wohnungsfrage: „Eine Grundsteuerreform solle her, bei der der Staat sich nicht bereichern soll, sonst würden die Mieten steigen. Gleichzeitig sollen gemeinnützige Wohnungsbaugesellschaften gefördert werden. Das BSW verkennt den wahren Grund für Mietpreissteigerungen. Haupttreiber und Nutznießer ist nicht der Staat, sondern das Finanzkapital“.

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Die Linke: Wählbar?

Hanns Graaf

Viele Linke und Antikapitalisten stellen sich momentan die Frage, ob sie die Partei Die Linke wählen sollten. Wir wollen hier darlegen, warum es falsch wäre, die LINKE zu wählen.

Die Arbeiterbewegung hat sich schon im 19. Jahrhundert darum Gedanken gemacht, wen man wählen sollte. Sobald es eine starke und damit auch wählbare Arbeiterpartei gab, stellte sich die Frage kaum: man wählte die SPD. Gibt es eine solche Arbeiterpartei aber nicht oder existieren mehrere, entsteht ein Problem. Mit dieser u.a. Fragen der Wahltaktik hat sich u.a. die Kommunistische Internationale (Komintern) in ihrer gesunden Phase vor ihrer Stalinisierung, die Mitte der 1920er begann, befasst.

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Ist der Kapitalismus reformierbar? (Teil 2/2)

Hanns Graaf

Der Arbeiterbewegung gelang es im 19. und im 20. Jahrhundert, erhebliche soziale und politische Erfolge zu erreichen – auch in Verbindung mit Aufschwungphasen des Kapitalismus. Als der Lange Nachkriegsboom in den 1970ern zu Ende war, schloss sich diesem eine „Plateauphase“ an: die erreichten Verbesserungen (v.a. in den imperialistischen Zentren) wurden „verwaltet“, aber nicht weiter ausgebaut. Schon in den 1970ern und umso mehr mit dem Beginn des Spätimperialismus in den 1990ern geriet der Kapitalismus zunehmend in Turbulenzen und die sozialen Errungenschaften der Arbeiterklasse wurden unter Beschuss genommen. Die neoliberalen Struktur“reformen“, technologische Sprünge, v.a. aber die Erschließung neuer Märkte und Profitquellen (China, Ostblock) führten dazu, dass der Kapitalismus kurzzeitig einen neuen Impuls bekam. Die Weltfinanzkrise von 2008 zeigte aber, dass dieser „Zwischenboom“ die grundsätzlichen Verwertungsprobleme des Kapitals (Warenüberproduktion, Überschuss an C-Kapital und Geldkapital) nicht lösen konnte und gewaltige Krisenpotentiale (Finanzmarkt) aufgehäuft hatte.

Bezüglich des politischen Reformismus bedeuteten diese Entwicklungen:

  • reformerische Errungenschaften wurde minimiert (Reallohnverluste, geringere soziale Leistungen), die lohnabhängige Unterschicht wuchs und verelendete stärker, der soziale Spielraum des Reformismus wurde enger;
  • rechtere Strömungen im Reformismus (3.Weg) nahmen zu, tw. war die Sozialdemokratie Vorreiter neoliberaler Angriffe (in Deutschland Schröder mit den Agenda-Reformen);
  • die Unterstützung des Reformismus (Mitglieder, Wähler) nahm ab und neue reformistische Formationen entstanden (Syriza, Podemos, WASG, Aufstehen, BSW u.a.).
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Ist der Kapitalismus reformierbar? (Teil 1/2)

Hanns Graaf

Diese Frage ist – wie die meisten Fragen – nicht einfach mit Ja oder Nein zu beantworten. Der Marxismus leitet seine Positionen gemäß der materialistischen Methode aus dem Verlauf der Geschichte ab, aus deren Dynamik, deren Triebkräften und Widersprüchen. Letztlich ermöglicht nur die reale Geschichte – nicht Theorien oder die Betrachtung kurzfristiger Tendenzen – eine Antwort darauf, ob der Kapitalismus reformierbar ist. Ein erstes Problem ist schon der Umstand, dass der Kapitalismus (wie jede Gesellschaftsformation) verschiedene Phasen aufweist, die – bei allen Gemeinsamkeiten – von unterschiedlichen Tendenzen und Faktoren geprägt sind. So unterscheidet sich der Kapitalismus zur Zeit von Marx deutlich von dem des 21. Jahrhunderts, obwohl sich dessen Grundlagen – Privateigentum, Ausbeutung von Lohnarbeit, Konkurrenz usw. – sich nicht wesentlich geändert haben.

Was heißt „reformierbar“?

Die Produktionsweise des Kapitalismus existiert in Ansätzen schon mehrere Jahrhunderte. Der industrielle Kapitalismus hat sich als Weltsystem ab Mitte des 19. Jahrhunderts herausgebildet. Der vollentwickelte Kapitalismus mit einem dominierenden Finanzkapital, Großkonzernen usw. existiert seit den 1890ern und wird oft als Imperialismus bezeichnet. Nach unserer Analyse trat der Imperialismus in den 1990ern in eine neue Periode, den Spätimperialismus, ein.

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