DIE LINKE vor dem Aus?

Hannah Behrendt

Was bedeutet die bevorstehende Gründung einer Wagenknecht-Partei für die Partei DIE LINKE?

Zweifellos wird Wagenknecht einen Teil der Funktionäre, der Mitglieder und Wähler der Linkspartei abspenstig machen. Da diese ohnehin schon unter die 5%-Hürde gerutscht ist, wird sie daher künftig nicht mehr im Bundestag sitzen, zumindest nicht als Fraktion oder Gruppe. Mit Glück könnte sie noch einen Direktkandidaten durchbringen, der aber medial kaum in Erscheinung treten würde. Diese Entwicklungen bedeuten auch erhebliche Mindereinnahmen der Partei.

Demgegenüber hätte die Wagenknecht-Partei Stand heute gute Chancen, über die 5%-Hürde zu kommen und als Fraktion im Bundestag vertreten zu sein. In die Länderparlamente könnte die LINKE weiter einziehen – aber nur im Osten. Von Bedeutung wird sie auch weiter auf kommunaler Ebene sein, wo sie auf ihre Erfahrungen, auf bewährte Kader und etablierte Strukturen zurückgreifen kann. Die Wagenknecht-Partei muss das oft erst aufbauen, obwohl es andererseits gerade im kommunalen Bereich auch viel Kooperation zwischen beiden Parteien geben könnte.

Der Verlust des Fraktionsstatus ist bitter, aber zum einen nicht neu – eine Legislatur lang hatte die LINKE nur zwei Abgeordnete -, zum anderen an sich keine Katastrophe, da eine linke Partei noch andere, und sogar wichtigere Arbeitsfelder haben sollte als das Parlament. Doch gerade hier ergibt sich ein Problem für die LINKE. Ihre starke, ja im Grunde einzige Ausrichtung auf den Parlamentarismus und auf das Mitregieren ist nur dann eine realistische Option, wenn sie mit einer starken Präsenz im Parlament, in den bürgerlichen Medien usw. verbunden ist. Diese wird der LINKEN künftig schmerzhaft fehlen.

Eine linke Partei, die sich wirklich für die Interessen der Lohnabhängigen engagiert, wäre über den Verlust parlamentarischer Präsenz auch nicht gerade froh, doch sie hätte auch so genug zu tun und die Möglichkeit, ihre Verankerung in der Basis wieder zu vergrößern und den Klassenkampf anzufachen. Davon ist die LINKE meilenweit entfernt, ja sie hat weder die Absicht, das zu tun, noch verfügt sie über das taktisch-programmatische Knowhow dafür.

Falsche Strategie

All das resultiert letztlich schon aus der ab Ende 1989 mit der Entstehung der PDS aus der SED eingeschlagenen Politik. Diese zielte nicht auf die Überwindung des Kapitalismus (die nur noch noch als unverbindliche Phrase existierte), sondern nur auf dessen Reformierung. Das Mittel dazu sollten Regierungsbeteiligungen sein in Form rot/rot/grüner Koalitionen. Das Subjekt von Veränderungen war nicht die Arbeiterklasse, sondern die „Zivilgesellschaft“ – was nur eine modernere Form der alten stalinistischen Volksfrontkonzeption ist. Diese war der Versuch, aus der Arbeiterklasse und Teilen der Bourgeoisie (die „demokratischen“, „nationalen“ oder „antifaschistischen“ Parteien) kein Aktions-, sondern ein Regierungsbündnis zu bilden. Der Preis dafür, dass die Bürgerlichen dem überhaupt zustimmten, war die Aufgabe des Klassenkampfes und des revolutionären Programms. Die Volksfront hat zwar immer nur Niederlagen beschert, doch was kümmert das den aufrechten Reformisten, der sich schon immer geweigert hat, aus der Geschichte Lehren zu ziehen?

Der Reformismus der LINKEN ist letztlich nichts anderes als jener der SPD der Nachkriegsphase. Konnte die SPD damals aber noch vom langen Nachkriegsboom profitieren, mehren sich seit Jahren die Krisenpotentiale, die soziale Schieflage wird größer. Der Rahmen, in dem der Reformismus „Erfolge“ präsentieren kann, ist viel enger als früher. Er hat immer mehr prekären Lohnabhängigen immer weniger anzubieten. Die zunehmende Schwindsucht der SPD und der Gewerkschaften, die fast völlig versiegte Dynamik der Linken und der Arbeiterbewegung ist Ausdruck der sich vertiefenden Krise des Reformismus. Das Rezept der LINKEN? Weiter wie bisher! Das Ergebnis ihrer Politik war nicht etwa ein Aufschwung des Reformismus oder gar eine nach links gedrängte SPD, sondern das genaue Gegenteil dessen. Man ist selbst in den Abwärtsstrudel geraten und hat sich der SPD und dem bürgerlichen Establishment immer mehr angepasst.

Was ist Reformismus?

Der Reformismus geht davon aus, dass der Staat ein neutrales Organ wäre, das mittels parlamentarischer Mehrheiten und Kombinationen zu einem Reforminstrument gemacht und so das Kapital zu Zugeständnissen gezwungen werden könne. Der – allerdings in jeder Hinsicht gebändigte – Klassenkampf dient allenfalls dazu, den Druck zu verstärken. Doch der Staat ist keineswegs neutral, er ist ein Verwaltungs- und Machtinstrument des Kapitals und zudem strukturell auch völlig ungeeignet dazu, die Interessen der Massen effektiv umzusetzen. Die völlig falsche Staatsposition der LINKEN und aller anderen Reformisten schon seit der II. Internationale ist eine Karikatur auf Marx´ Position. Dieser betonte die Notwendigkeit der Zerschlagung des bürgerlichen Staates und dessen Ersetzung durch eine Rätedemokratie und Genossenschaften. Sowohl Sozialdemokratie wie Stalinismus waren sich hier in der Ablehnung von Marx einig.

Aus der falschen Staatsauffassung resultiert nun ganz logisch die Methode der Reformisten mitzuregieren, um ihre Reformpolitik umsetzen zu können. Der Haken dabei ist allerdings, dass sie dafür auf wesentliche Teile des proletarischen Programms verzichten müssen: die Zerschlagung des bürgerlichen Staates und dessen Ersetzung durch eine Rätedemokratie sowie die Enteignung des Privateigentums an Produktionsmitteln. Ohne diese Aufgaben zu lösen ist eine grundlegende Veränderung der Gesellschaft aber unmöglich. Die kämpferische Mobilisierung der Arbeiterklasse u.a. werktätiger Schichten degeneriert zum bloßen Hilfsmittel des Parlamentarismus.

Die Erfahrung zeigt, dass die LINKE mit jeder Regierungsbeteiligung an Unterstützung der Basis verloren und sich damit letztlich selbst ruiniert hat. Selbst der Naivste weiß doch, dass keine bürgerliche Regierung – ganz welcher Art – in der Lage ist, im Rahmen des Grundgesetzes, im Gestrüpp der Bürokratie, unter dem Druck der globalen Konkurrenz und gegen den Widerstand des Kapitals und seiner „Unteroffiziere“ etwas Wesentliches zu verändern.

Der Reformismus beruht zwar auf der Existenz der Arbeiterbewegung und auf der Realität des Klassenkonflikts, aber er nutzt diese Faktoren auf eine Weise, die die Arbeiterbewegung und jedes, das System sprengende Potential unterminiert. Marx betonte, dass der eigentliche Effekt von Reformen nicht so sehr in ihnen selbst liegt, nicht in wenigen Prozenten mehr Lohn, 100 Euro mehr Kindergeld usw., sondern darin, dass mit dem Kampf das Niveau der Organisierung und das Bewusstsein der Klasse gehoben werden. Jede reformerische Errungenschaft im Klassenkampf ist nur eine Momentaufnahme, nur ein Kompromiss zwischen den Klassen. Ob diese verteidigt oder gar ausgebaut werden können, hängt letztlich davon ab, wie kampffähig das Proletariat ist.

Entgegen Marx und den historischen Erfahrungen verfolgt der Reformismus ein ganz anderes Konzept. Bei Bedarf – in einer Tarifrunde oder in einer Wahl wird an die Klasse appelliert – ansonsten ist „Friedenspflicht“ angesagt. Jede Aktion, jede Struktur des Klassenkampfes wird den Erfordernissen der bürgerlichen Gesellschaft angepasst. Es ist der Arbeiterklasse aber nur möglich, erfolgreich zu sein – ob im Reformkampf oder in der Revolution -, wenn sie ihre eigenen Strukturen aufbaut und damit ihre eigenen Interessen vertritt und durchkämpft. Genau das blockiert der Reformismus.

Ein Beispiel soll das illustrieren: Ein legaler Streik kann in Deutschland nur im Rahmen der Tarifrituale und der Friedenspflicht erfolgen bzw. wenn das Kapital diese Vereinbarungen bricht. Der Reformismus akzeptiert diesen Rahmen, der die Handlungsoptionen der Arbeiterbewegung einschränkt und nur dem Kapital nutzt. Während eines Streiks liegt dessen Führung heute wie selbstverständlich in den Händen des Gewerkschaftsapparats (in Kooperation mit den Betriebsräten). So wird jede direkte demokratische Bestimmung der Streikführung „von unten“ durch die betriebliche Basis, etwa durch von den Belegschaften gewählte, direkt kontrollierte und abwählbare Streikkomitees weitgehend verhindert. Eine Alternative dazu – zu der quasi inoffiziellen, unerklärten, gleichwohl aber vorhandenen, die Gewerkschaften bestimmenden sozialdemokratischen Fraktion, der Gewerkschaftsbürokratie – aufzubauen, wäre eine zentrale Aufgabe der LINKEN gewesen. Sie hat das weder versucht noch gewollt.

In allen gewerkschaftlichen Kämpfen – etwa dem militanten Streik der IG Metall im Osten (2003) für die 35-Stunden-Woche oder z.B. den Streiks der GdL – wirkte die PDS bzw. LINKE nicht antreibend, organisierend, sondern als Bremser, Bedenkenträger oder überhaupt gar nicht. So ist es kein Wunder, wenn die LINKE feststellen muss, dass sie inzwischen fast alle Arbeiterwähler und -mitglieder verloren hat.

Die Hoffnung stirbt zuletzt

Die letzten Hoffnungen vieler frustrierter Mitglieder der LINKEN richteten sich auf den Parteitag in Augsburg, dem ersten nach dem Austritt von Wagenknecht u.a. Bundestagsabgeordneten. Man erhoffte sich, wenigstens ein gewisses Bemühen zu entdecken, die Ursachen des Niedergangs der LINKEN aufzuarbeiten. Davon war jedoch nichts zu spüren. Holterdipolter wurden das Wahlprogramm zur Europawahl und die Kandidaten abgesegnet. Spitzenkandidat wurde die Flüchtlings-Rettungskapitänin Rackete. Diese schlug sogleich vor, die LINKE umzubenennen. Dieser im Grund so skandalöse wie dümmliche Vorschlag wurde zwar zurückgewiesen, doch er zeigt schon, wes´ Geistes Kind linksalternative Bürgertöchter wie Rackete sind. Ihre geht es um eine humanere Flüchtlingspolitik, aber nicht um eine grundsätzlich andere, sozialistische Gesellschaft. Mit Arbeiterklasse und Klassenkampf hat sie nichts am Hut. Insofern passt sie zur LINKEN. Allein schon der Umstand, in der jetzigen Parteikrise ein Wahlprogramm – noch dazu für die vergleichsweise unwichtige Europawahl – zum Hauptthema des Parteitags zu machen, offenbart ein erstaunliches Maß von Realitätsverlust der Führung. Die gesamte Parteitagsregie war gegenüber Kritikern aggressiv und undemokratisch, sie zeugte davon, dass der Apparat ein „Weiter so und durch“ praktiziert und jede politische Aufarbeitung abblockt.

Auch wenn das Wagenknecht-Projekt die LINKE schwächt, ist doch deren Apparat zugleich gestärkt worden, weil nun fast alle kritischen Geister ausgetreten sind. Und der Apparat wird sein relativ höheres Gewicht dazu nutzen, den rechts-reformistischen, mit pseudo-linken Phrasen verzierten Kurs weiterzuführen.

In der Zeit der höchsten Not …

… bringt der Mittelweg den Tod. Die Politik der LINKEN versucht letztlich, den Interessen zweier gegensätzlicher Klassen gerecht zu werden: einerseits den Lohnabhängigen, andererseits der Bourgeoisie, v.a. deren unteren und mittleren Sektoren. Für die „kleinen Leute“ sollen die sozialen Leistungen und Bedingungen verbessert werden, den Mittelschichten verspricht man bessere Bedingungen bis hin zu staatlichen Hilfen. Gerade das Kleinbürgertum verprellt man aber, wenn man ungehemmt die Corona-Lockdowns unterstützt, den Mindestlohn erhöhen und die ruinöse Klima- und Energiepolitik der Ampel noch überbieten will. Ergebnis: es orientiert sich stärker auf die AfD, die in solchen Fragen deutlich besser den Interessen des Mittelstandes entspricht (oder zu entsprechen scheint). Doch auch die Lohnabhängigen haben immer weniger Grund, die LINKE zu wählen oder sich als Mitglied zu engagieren. Fast Jedem ist doch bewusst, dass mittels Koalitionen mit der SPD oder den Grünen keine wirklich relevanten Reformen durchsetzbar sind. Im Gegenteil: immer hat man erlebt, wie die LINKE alle möglichen Kröten schlucken musste (und wollte). Das ist in der Politik auch unvermeidbar. Doch wenn man sich nur von Kröten ernährt, leidet die Gesundheit …

Die Strategie des Ausgleichs letztlich antagonistischer Klasseninteressen kann langfristig nicht aufgehen – zumindest nicht für die Arbeiterklasse. Es gibt zwar Perioden, wo die Klassenwidersprüche nicht so offen aufbrechen, wo es eine gute Konjunktur gibt und auch die Arbeiterklasse ein paar größere Krümel vom Kuchen abbekommt, doch es ist fatal zu glauben, dass das zur Normalität werden könnte. Gerade aktuell zeigt sich, dass nicht nur die Periode des Nachkriegsbooms schon lange vorbei ist, sondern auch die ab den 1970ern folgende „Plateau-Phase“ in den 1990ern zu Ende ging und wir mit der Phase des Spätimperialismus in Deutschland, aber auch global nicht nur eine stärkere soziale Abwärtsentwicklung spüren, sondern die weltweiten Krisen- und Konfliktpotentiale größer werden. Das Problem ist allerdings, dass es keine Linke und keine Arbeiterbewegung gibt, die in der Lage ist, gegen diese bedrohliche Entwicklung genug oder überhaupt Widerstand zu organisieren. Die Führungskrise der Arbeiterklasse, von der Trotzki schon in den 1930ern sprach, ist nicht nur immer noch ungelöst, sie hat sich noch vertieft.

Neue Arbeiterpartei!

Insofern geht es nicht darum, irgendeine neue linke Formation aus der Taufe zu heben, die sich allenfalls graduell von früheren reformistischen Organisationen unterscheidet. Es geht darum, den Reformismus in jeder Hinsicht – strategisch, taktisch, organisatorisch – zu überwinden. Es geht darum, eine revolutionäre Massenpartei und eine Internationale zu schaffen! Natürlich wissen wir alle, dass diese nicht aus dem Ärmel geschüttelt werden kann. Natürlich gibt es dafür derzeit (nicht nur hierzulande) fast keinen relevanten subjektiven Faktor, geschweige denn ein breiteres Bewusstsein in der Klasse. Das ist ein entscheidender Unterschied etwa zur Zeit des 1. Weltkriegs nach dem offenen Verrat der großen Mehrheit der Führungen und Apparate der Sozialdemokratie. Immerhin gab es damals aber eine potente revolutionäre Minderheit (Luxemburg, Liebknecht, Lenin, Trotzki u.a.) und einen relevanten Teil des Proletariats, der sozialistisch eingestellt war. Das ist heute so nicht der Fall – wie auch nach Jahrzehnten Sozialdemokratie und Stalinismus, nach vielen katastrophalen Niederlagen und vergebenen revolutionären Möglichkeiten?!

Die USPD, die 1917 entstand und in der bis zur Gründung der KPD 1919 auch die revolutionäre Linke um Luxemburg und Liebknecht arbeitete, war zentristisch – im Unterschied zum Wagenknecht-Milieu heute, das wesentlich reformistisch ist. In der USPD gab es auch revolutionäre Kräfte, im Wagenknecht-Milieu sind diese nur in sehr geringer Zahl vorhanden. Der Hauptunterschied zwischen beiden ist, dass die USPD wirklich eine proletarische, in der Arbeiterklasse verankerte und kämpferische Partei war, während die LINKE (und wahrscheinlich auch die Wagenknecht-Partei) eine rein parlamentarische Orientierung hat. Man kann sich darüber streiten, ob die Gründung der KPD damals schon eher hätte erfolgen können und müssen, doch ohne die Intervention und die fraktionelle Arbeit in der USPD wäre die Entwicklung der KPD zur Massenpartei wahrscheinlich langwieriger gewesen – selbst in einer revolutionären Phase. Das wesentlich Gemeinsame von USPD und der Formierung der Wagenknecht-Partei ist, dass Revolutionäre in diese Umwälzprozesse aktiv eingreifen müssen, um das für revolutionäre Politik offene Milieu zu gewinnen und dem Einfluss des Reformismus entgegenzuwirken.

Die heutige „radikale Linke“, von der sich auch nur ein Teil als revolutionär-marxistisch versteht, ist als Initiator für eine Neuformierung auf konsequent antikapitalistischer Grundlage weitgehend unbrauchbar – schon deshalb, weil sie sich diese Aufgabe gar nicht konkret stellt. Sie ist viel zu sektiererisch und dogmatisch, sie hat sich viel zu oft bürgerlichen Ideologien und Bewegungen, v.a. den „grünen“, angepasst. Das bedeutet, dass im Moment nur kleine revolutionäre Kerne formiert werden können, die nach und nach zu einem größeren Milieu, zu einem stärkeren Faktor für den Aufbau einer neuen revolutionären Arbeiterpartei werden können. Diese Aufgabe ist eine organisatorische, aber v.a. eine inhaltlich-programmatische. Es geht für Revolutionäre darum, in jede (!) Formierung von linker Opposition, von Widerstand gegen Staat und Kapital einzugreifen, um immer mehr Menschen für eine antikapitalistische Perspektive zu gewinnen. Insofern müssen die linken Propheten zum Berg gehen – aber der Berg bewegt sich auch zum Propheten, weil der Kapitalismus immer mehr Probleme, Krisen und Kriege erzeugt, gegen die sich die Massen zur Wehr setzen müssen.

Krisen und Chancen

Mit dem Übergang zum Spätimperialismus und einer modifizierten Herrschaftsweise ab den 1990ern ist diese Tendenz der Radikalisierung und Politisierung, der Entstehung neuer Oppositions- und Widerstandspotentiale auch in Deutschland zu sehen: 2005 die WASG, 2018 Aufstehen, die Corona-Kritiker-Bewegung, die breite und wachsende Unzufriedenheit mit der Ampel und deren US-Vasallentreue, ihrer absurden Klima- und Energiepolitik, ihrem Kriegskurs, der Wohnungsmisere, der Cancel culture, dem Gendern usw. usw. Das Problem besteht also weniger darin, dass es kein widerständiges Potential gibt, sondern eher darin, dass die Linken dieses nicht erkennen oder es gar nur als rechts, verschwörungstheoretisch, faschistisch usw. ansehen. Das Gros der Linken steht in vielen Fragen (Corona, Klima, Energie, Kernkraft, Gendern usw.) auf der falschen Seite der Barrikade. Daher profitiert gegenwärtig v.a. die AfD und eben auch Wagenknecht vom Unmut der Bevölkerung – nicht die Linkspartei und auch nicht die „radikale Linke“.

Weder die LINKE noch eine Wagenknecht-Partei und schon gar nicht diese oder jene linksradikale Kleingruppe stellen eine Lösung der Führungskrise der Arbeiterbewegung dar. Die Wagenknecht-Partei hat aber gegenüber anderen linken Kräften entscheidende Vorteile: 1. hat sie in linken, kritischen und aktivistischen Milieus und bei einer relevanten Minderheit der Lohnabhängigen Einfluss, v.a. in dem Sinn, dass diese Erwartungen, ja Illusionen in sie haben. An diesen Erwartungen, die Wagenknecht wenigstens z.T. enttäuschen wird, und am Zerplatzen vieler Illusionen muss und kann angeknüpft werden – indem man eine alternative, klassenkämpferische, revolutionäre Politik in die Parteiformierung einbringt. Eine solche Eintritts-Taktik (Entrismus) ist natürlich nur zeitweilig möglich. Sie kann auch nicht dazu führen, die Partei gänzlich umzukrempeln. Sie kann aber bewirken, eine Minderheit, die größer ist als die jetzige „revolutionäre Linke“, aus dem politischen Sumpf von Wagenknechts Neuaufguss des alten Reformismus herauszuführen.

Für Antikapitalisten besteht der 2. Vorteil der Wagenknecht-Partei darin, dass diese noch nicht gefestigt ist, dass es noch keinen Apparat gibt, der die Organisation „im Griff“ hat und dass ein gewisses Maß an Debatte und Offenheit gewährleistet werden muss. Nur dieses zeitweilig offene Fenster ermöglicht überhaupt die Anwendung der Entrismus-Taktik.

Ob durch Wagenknecht DIE LINKE untergeht oder sich noch eine Weile hält; ob sich beide später wieder zusammentun oder sich die Reste der LINKEN der SPD anschließen – niemand weiß es. In dieser oder jener Weise wird uns der organisierte Reformismus als Hindernis im Klassenkampf leider erhalten bleiben – wenn es keine starke revolutionäre Arbeiterpartei als Alternative gibt. Jetzt aber gilt es, die mit dem Wagenknecht-Projekt verbundene Umgruppierung zu nutzen – für die Stärkung des antikapitalistisch-revolutionären Potentials und dessen Formierung.

2 Gedanken zu „DIE LINKE vor dem Aus?“

  1. Die politische Frage stellt sich eigentlich zuallererst als die nach dem Verstehen der logisch zwingenden Sachgründe für die historisch finale Überlebtheit von Kapital und Lohnarbeit als historisch letzte Form des Verhältnisses von Herr und Knecht. Um so mehr aber ist die politische Frage NICHT die nach der Klasse und ihrer Organisation. Zu eng. Das Verhältnis von Herr und Knecht ist nicht Antreiber, sondern lediglich Beiwerk der bisherigen geschichtlichen Entwicklung gewesen.

    Sollten Kapital und Lohnarbeit tatsächlich historisch überlebt sein, wird deren Überwindung zu einer Überlebensfrage für alle. Sagen wir es so: Jenseits von Links und Rechts ist die Marx/Engelsche politische Ökonomie des Kapitals. Und die kann grundsätzlich JEDERMANN mit einiger Leichtigkeit verstehen, selbstverständlich auch Nichtlinke. Falls die denn nicht von der selbstverliebten und im übrigen ganz arbiträren „revolutionären“ Klassenkampfrhetorik der Linken so verschreckt werden würden, daß selbst intelligente und charakterlich unbeanstandbare Nichtlinke Zuflucht suchen bei den politisch-ökonomischen Albernheiten eines von Mises und seiner Österreichischen Schule — Elend des Intellekts.

    Linke nun ist jenes andere Elend, sich ständig selbst ein Bein zu stellen, indem die politische Ökonomie zweier Erwachsener mit geradezu kindischer Klassenkampfsauce übergossen wird, was sie für Erwachsene ungenießbar macht — Elend der Selbstsabotage.

    War leider ein Griff ins Klo die Geschichtstheorie von den Klassenkämpfen. Sie gilt allerdings für die Kämpfe imperialer Eliten gegeneinander um die Vorherrschaft, sprich: Die bisherige Geschichte ist die von der Konkurrenz von Imperien, von den Kämpfen der Oberklasse eines Imperiums gegen die Oberklasse eines anderen Imperiums um die Vorherrschaft. Endet, so es einem Imperium schließlich gelingt, die absolute Oberherrschaft über alle imperialen Mitbewerber zu erringen, die Weltherrschaft. Was den Kollaps jenes Imperiums nach sich zieht und so zugleich den der Weltzivilisation. Alles ganz simpel logisch. Muß man nur gucken, haben wir gerade, JETZT.

    1. „Sagen wir es so: Jenseits von Links und Rechts ist die Marx/Engelsche politische Ökonomie des Kapitals. Und die kann grundsätzlich JEDERMANN mit einiger Leichtigkeit verstehen, selbstverständlich auch Nichtlinke.“

      Zur politischen Ökonomie von Marx gehört auch die Konzeption von Klassen und Klassenkampf. Das haben Sie offenbar nicht verstanden und ich frage mich, was Sie dann von Marx überhaupt verstanden haben?

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