Deutschlands Kriminelle

Hannah Behrendt

Die Veröffentlichung der neuen Polizeilichen Kriminalstatistik für das Jahr 2023 hat für Aufregung gesorgt. Lt. Bundeskriminalamt (BKA) wurden 2023 so viele Straftaten in Deutschland erfasst wie seit 2016 nicht mehr. Bundesweit zählte die Polizei knapp 6 Mill. Straftaten, 5,5% mehr als 2022. Der größte Teil davon waren Diebstähle. 20% der Delikte waren Verstöße gegen das Ausländerrecht, u.a. wegen illegaler Einreise oder fehlender Ausweispapiere. Insgesamt sei der Anteil ausländischer und junger Tatverdächtiger sehr hoch. Innenministerin Faeser (SPD) bilanzierte: „Es gibt eine gestiegene Gewaltkriminalität. Es gibt mehr Jugend- und es gibt mehr Ausländerkriminalität“.

Innenministerium und BKA sehen v.a. drei Ursachen für den Verbrechensanstieg: 1. wirke die Corona-Pandemie mit den Lockdowns besonders bei jungen Menschen nach, u.a. durch die Folgen psychischer Belastungen, weil Schulen und Unis geschlossen waren. 2. seien Armut und Geldnot durch die hohe Inflation gewachsen. 3. habe sich – wie zuletzt 2016 – die starke Zuwanderung innerhalb eines kurzen Zeitraums bemerkbar gemacht. Gerade dieser dritte Faktor sorgt nun für politische und mediale Diskussionen, die mitunter darauf hinauslaufen, Ausländer – v.a. Geflüchtete – generell als kriminell hinzustellen.

Trotz des Anstiegs der Zahl von Verbrechen sieht der Prof. für Kriminologie Claudius Ohder keinen Grund zur Panik: „Nach einem Rückgang in den letzten Jahren steigt die Zahl der erfassten Straftaten nun wieder auf den Stand, den es in den 2000er Jahren schon einmal gab“, erklärte er dem RedaktionsNetzwerk Deutschland. Auch könne sich „die Wahrnehmung in der Bevölkerung stark von den Zahlen unterscheiden, weil sie stark von der medialen Berichterstattung, der Nutzung von Social Media, der eigenen Filterblase und politischen Einstellung abhängt“. Die Statistik zeigt tatsächlich, dass die Gesamtzahl der Straftaten sogar unter dem Wert von 2009 liegt. Den größten Anstieg seit 2009 gab es 2023, als die angezeigten Taten um über 11% stiegen. Besonders hohe Zuwachsraten gab es bei Diebstahl (10%), davon Wohnungseinbrüche mit 18%.

Von allen Tatverdächtigen hatten 2023 rund 34% keinen deutschen Pass: 695.000 von insgesamt ca. 2 Mill. Personen. Zu dieser Personengruppe gehören aber nicht nur Geflüchtete, sondern z.B. auch Touristen. Während die Zahl deutscher Staatsbürger fast gleich blieb, gab es 13,5% mehr nichtdeutsche Täter als im Vorjahr. Davon waren 179.000 Zuwanderer, die ihren Wohnsitz in Deutschland hatten. Statistisch nicht berücksichtigt sind Deutsche mit „Migrationshintergrund“, die schon immer einen überproportional hohen Anteil an Straftätern stellen. Insgesamt offenbaren die Zahlen einen klaren Fakt: Migranten und Deutsche mit „Migrationshintergrund“ stellen einen überproportional hohen Anteil an Straftätern. Dazu kommt aber, dass Taten von Ausländern durch oft reißerische Darstellungen in den Medien und rassistische Statements etwa von der AfD im Bewusstsein der Bevölkerung eine noch größere Rolle spielen als in der Realität. Studien haben zudem ergeben, dass eine Tat eher angezeigt wird, wenn Ausländer als Täter vermutet werden. Aufgrund der starken Zuwanderung v.a. in den letzten 10 Jahren liegt der Bevölkerungsanteil von Menschen ohne deutschen Pass bei knapp 16%. Der Ausländeranteil an der Gesamtbevölkerung ist damit deutlich gestiegen, sein Anteil an den Tatverdächtigen ist aber noch stärker gestiegen.

Neben der Zunahme der Kriminalität durch Ausländer ist auch die Gewaltkriminalität von Jugendlichen besonders stark, um 9%, gestiegen. Auch hier nahm der Anteil ausländischer Jugendlicher deutlich zu.

Hintergrund

Lt. Innenministerin Nancy Faeser (SPD) habe v.a. die starke Migration zu mehr Straftaten geführt. Auch Holger Münch, Präsident des Bundeskriminalamts, sieht besonders „die Dynamik der Zuwanderung“ als Ursache der steigenden Zahl von Straftaten. Beide wiesen aber darauf hin, dass Zugewanderte nicht per se krimineller wären als Deutsche. „Wenn aber“, so Münch, „so viele Menschen nach Deutschland kommen, dass sie nicht mehr in den deutschen Rechtsstaat und in unser Wertesystem integriert werden können, dann steigt auch die Kriminalität.“ Hinzu käme, dass v.a. Geflüchtete anfälliger für Kriminalität wären, weil viele von ihnen eine niedrigere Bildung haben, arm sind und in ihren Herkunftsländern Erfahrungen mit Gewalt, z.B. im Krieg, haben.

Rassistisch sind diese Wertungen nicht, weil sie dass offenkundige Problem von Kriminalität von Ausländern, insbes. von Geflüchteten, ansprechen. Rassistisch sind sie, weil zumindest unterschwellig die Migranten als besonders anfällig für Kriminalität dargestellt werden, anstatt darauf hinzuweisen, dass es der Kapitalismus und insbes. der Imperialismus ist, der die Ursache für Flucht (und Vertreibung) sowie für mangelhafte Integration ist.

Die Einführung der Bezahlkarte für Geflüchtete und viele andere Maßnahmen, die deren gleichberechtigte Eingliederung behindern, führen fast mit Notwendigkeit dazu, dass etliche von ihnen auf „Abwege“ geraten. Wer das Recht und die Pflicht hat zu arbeiten, könnte sein Geld auch auf „normale“ Weise verdienen und müsste nicht stehlen oder mit Drogen dealen. Gerade das ist jedoch oft unmöglich, weil der Staat oft wenig dafür tut, Geflüchtete gleichberechtigt zu behandeln. Das heißt andererseits aber nicht, deshalb Kriminalität bei Geflüchteten toleriert werden könnte. Auch wer nur wenig Geld erhält, hat deshalb noch lange nicht das Recht (und auch nicht die Notwendigkeit), kriminell zu werden. Er kann und muss genauso bestraft werden wie ein „eingeborener“ Deutscher.

Es gibt jedoch im Kapitalismus Umstände, die verhindern, dass das Problem der Massenmigration gelöst werden kann. Die ungleichen Weltwirtschaftsbeziehungen, welche den globalen Süden (mit Ausnahme der Ölmonarchien) benachteiligen sowie die vom Westen oft gestützten und instrumentalisierten reaktionären Regime der „3. Welt“ und deren Kriege führen u.a. dazu, dass Menschen massenhaft ihr Glück woanders suchen (müssen). Die Massenhaftigkeit der Migrationsströme, v.a. in bzw. über die Länder im Süden Europas und Deutschland, führen dann dazu, dass die Integration nicht gut gemanagt werden kann: weil Wohnungen fehlen, weil es zu wenig Sprachkurse gibt, weil die Qualifikation vieler Geflüchteter für bestimmte Jobs nicht ausreicht usw. usf.

Migranten dienen auch dazu, Rassismus zu schüren und die Lohnabhängigen zu spalten. Staat und Kapital haben letztlich kein Interesse daran, Migranten gleichberechtigt zu behandeln und voll zu integrieren. Dazu sind sie weder willens noch in der Lage. Allenfalls als Billigjobber oder als qualifizierte Fachleute sind sie willkommen. Wirkliche Integration kann nur gelingen, wenn sie soweit begrenzt wird, dass die Gesellschaft dafür sorgen kann, dass es genügend Jobs, Wohnungen, Kitaplätze usw. gibt bzw. zeitnah geschaffen werden können. Wirkliche Integration kann letztlich nur von der Arbeiterbewegung und durch die Aktivität der Lohnabhängigen realisiert werden. Das ist in der Praxis sogar schon oft der Fall, wenn es darum geht, Geflüchteten zu helfen. Doch die Gewerkschaften als die größten Organisationen der Lohnabhängigen sind hier eher passiv und verweisen gern auf „die Politik“ und den Staat, die ja dafür zuständig wären. Ein Beispiel: der DGB hätte massiv gegen die zig Milliarden für die Rüstungspakete und die Unterstützung des von der Nato provozierten Kriegs in der Ukraine protestieren müssen und für die Verwendung dieser Gelder für soziale Zwecke eintreten müssen. Die Gewerkschaften – genauer: deren Apparate – haben jedoch das Gegenteil dessen oder nichts getan.

Dem größten Teil der Linken, von der Linkspartei bis hin zur „radikalen Linken“, kann man diesen Vorwurf zwar nicht machen, aber sie verschließen oft die Augen vor den realen Problemen, die mit der Massenmigration entstehen, ja einige treten sogar für „offene Grenzen“ ein, obwohl die Umsetzung dieser Losung das Problem noch vergrößern würde.

Migration erzeugt viele Probleme – für die Gesellschaft wie für die Geflüchteten selbst. Allein der Wechsel in eine andere Kultur, in eine andere Sprache, der Verlust des ursprünglichen sozialen Umfelds ist eine riesige Herausforderung, die nicht leicht zu bewältigen ist – v.a. nicht für Jugendliche.

Jugendkriminalität

Der Anstieg der Jugendkriminalität zeigt das sehr deutlich. Er ist Ausdruck wachsender sozialer Probleme und Spannungen. Die Schicht von Menschen, die am Rand der Gesellschaft leben und mehr oder weniger sozial ausgegrenzt sind, wächst – genauso wie die Angst derjenigen, die momentan noch nicht davon betroffen sind, ebenfalls abzurutschen. Das steigert die Frustration, die sich in asozialem Verhalten und in Gewalt äußert. Dazu kommt gerade bei Jugendlichen, dass die kapitalistische Gesellschaft zunehmend fragwürdige Werte vermittelt: es geht nur noch ums Konsumieren, um oberflächliche Reize und deren Befriedigung. Das Privatfernsehen, die „sozialen“ Medien mit ihren oft dubiosen Influenzern und die Dauerkrise des Bildungssystems sind erschreckende Beispiele dafür, wie die Gesellschaft „verblödet“.

Eine aktuelle Befragung zur Befindlichkeit der Jugend stellt fest, dass sich viele Jugendliche gestresst und erschöpft fühlen und dass sie Angst vor der Zukunft, vor Altersarmut und vor der Ausweitung von Kriegen haben. Diese Empfindungen sind keinesfalls irreal, sondern reflektieren nur die größer werdenden Bedrohungen und Gefahren, die der Kapitalismus bereithält.

Kein Wunder also, dass immer mehr Kinder und Jugendliche Gewalttaten begehen, um ihren Frust abzubauen. Die Verweise von „Experten“, dass dagegen v.a. Jugendsozialarbeit und ein funktionierendes Schulsystem helfen würde, sind mehr als oberflächlich, weil sie die Wurzel der Probleme, den Kapitalismus, nicht im Blick haben. Wenn die Gesellschaft überall Fehlfunktionen aufweist, kann auch das beste Schulsystem nur wenig „Reparaturarbeit“ leisten. Das Fehlen sozialen Zusammenhalts in vielen Bereichen, die zunehmende Vereinzelung aufgrund der sozialen Strukturen (Wohnen, immer mehr Alleinerziehende usw.) äußert sich in mehr Egoismus und sozialer Kälte. So sind Denunziantentum und Misstrauen massenhaft durch die Corona-Lockdowns erzeugt worden. Die unselige Cancel culture hat eine „normale“ Kommunikation weitgehend untergraben. Dass der größte Teil der „Linken“ das auch noch mitträgt, ja oft noch initiiert, sagt eigentlich alles über deren Zustand.

Der Anstieg der Kriminalität, die Kriminalstatistik und die Diskussion darüber in Politik und Medien bewirkt v.a., dass ein verschärftes Vorgehen des Staates gefordert wird. Bund und Länder sollen den Kampf gegen die gestiegene Jugendkriminalität aufnehmen. Hier wird der Bock zum Gärtner gemacht. Anstatt Milliarden für die am aberwitzigen Föderalismus schmarotzende Bürokratie, für Rüstung und Krieg usw. auszugeben, könnten viele Probleme gelöst oder gemildert werden. Doch der Machterhalt der Eliten, die Umsetzung globaler imperialistischer Interessen sind im Kapitalismus allemal wichtiger als das Wohlergehen der Bürger oder gar der Welt.

Kampf gegen Kriminalität muss v.a. bedeuten, einen Kampf gegen den Kapitalismus und dessen Zumutungen zu führen! Dieser Kampf ist aber nur dann effektiv möglich, wenn es gelingt, eine Kraft aufzubauen, die diesen Kampf initiieren, vereinheitlichen und führen kann: ein neue revolutionäre Arbeiterpartei. Diese kann – in Verbindung mit klassenkämpferischen Gewerkschaftsstrukturen, genossenschaftlichen und selbstverwalteten Sektoren – eine gesellschaftliche Perspektive weisen, die über den Kapitalismus hinausweist und die wirklichen Kriminellen – das bürgerliche Establishment – bekämpft. Wie sagte einst Brecht so treffend: „Was ist der Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank?“

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