Ein abgekartetes Spiel

Hannes Hohn

Bund und Länder haben sich auf die Einführung einer Bezahlkarte für Flüchtlinge geeinigt. Der Bundestag beschloss die entsprechende Regelung mit den Stimmen der Ampelparteien, der AfD und des BSW. Dagegen stimmten die LINKE und die Unionsfraktion.

Mit der Bezahlkarte sollen Migranten als Bürgergeldempfänger künftig ihre Einkäufe bezahlen. Was zunächst als rein technische Maßnahme erscheint, ist jedoch ein Akt, der mit der absichtlichen Diskriminierung und Benachteiligung von Bürgergeldempfängern durch den bürgerlichen Staat einhergeht. Zwar erhalten Migranten auch künftig noch andere Leistungen, die nicht von der Bezahlkarte abhängen sowie Bargeld, aber letzteres in geringerem Umfang als bisher. Als Hauptargument führen die Befürworter an, dass Migranten Geld in ihre Herkunftsländer überweisen würden. Das ist zwar so, allerdings sind die Beträge angesichts der bescheidenen Höhe des Bürgergelds gering; zudem haben sie dort auch einen positiven sozialen Effekt. Am behaupteten „Missbrauch“ des Bürgergeldes ändert die Bezahlkarte fast nichts, da dessen Hauptteil für Lebensmittel verwendet werden muss, und es egal ist, ob die bar oder mit Karte bezahlt werden. Das Überweisungs-Argument erweist sich also schnell als vorgeschoben. Dazu kommt, dass die in die Herkunftsländer transferierten Gelder letztlich nur ein mehr als bescheidener Ausgleich für die permanente Ausplünderung des globalen Südens durch den imperialistischen Norden sind.

Noch 2012 hatte das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass die Menschenwürde nicht aus migrationspolitischen Gründen relativiert werden darf. Die Regelung zur Bezahlkarte zeigt, dass solche allgemeinen Urteile oft das Papier nicht wert sind. Zugleich verweist sie darauf, dass alle Parteien mit Ausnahme der LINKEN und tw. des BSW inzwischen einen offen rassistischen Kurs eingeschlagen haben, um das von ihnen selbst geschaffene Problem der Massenmigration zu lösen. Wie in anderen Fragen, die den Abbau der Demokratie betreffen, agiert SPD-Innenministerin Nancy Faeser dabei auch hier als Scharfmacherin. Natürlich sehen diese Leute die Lösung nicht etwa darin, die Fluchtursachen zu bekämpfen und die Bemühungen um Integration, z.B. das Recht und die reale Möglichkeit für Flüchtlinge zu arbeiten, zu verbessern. Im Gegenteil: sie wollen – mit der aberwitzigen Hoffnung, so den Zustrom von Asylsuchenden vermindern zu können – die Lage der Geflüchteten noch weiter zu verschlechtern, um „keine Anreize zur Flucht zu schaffen“, wie es in mehreren Reden im Bundestag unisono zu hören war.

Kritik

Neben vielen anderen kritisiert auch die Organisation PRO ASYL die Einführung der Bezahlkarte. Sie stellt zu recht fest, dass sie ein „Diskriminierungsprogramm“ darstelle, welches das Ziel habe, „mit unterschiedlichen Maßnahmen die Asylzahlen zu senken“. Mit der Bezahlkarte wird also v.a. der Zweck verfolgt, den Geflüchteten das Leben hier schwer zu machen und Neuankömmlinge abzuschrecken.

PRO ASYL verweist darauf, dass durch die Bezahlkarte Überweisungen in die Herkunftsländer der Geflüchteten unmöglich werden. Überweisungen sind mit der Bezahlkarte generell nicht möglich, was zur sozialen Ausgrenzung beiträgt, da so etwa ein Handyvertrag nicht mehr abgeschlossen werden kann oder Einkäufe im Internet nicht mehr möglich sind. Geflüchtete müssen auch den Rechtsanwalt für das Asylverfahren per Überweisung bezahlen können.

Wer, so PRO ASYL weiter, „in Deutschland ohne Bargeld lebt und nur wenige Dinge in wenigen Läden kaufen kann, verliert an Selbstbestimmung und macht demütigende Erfahrungen, etwa wenn der Euro für die öffentliche Toilette oder der Beitrag für die Klassenkasse fehlt.“ Die Bezahlkarte schränke generell die Freizügigkeit der Betroffenen ein. Der Besuch von Verwandten, eines Arztes, einer Beratungsstelle, ja selbst der Kauf einer Flasche Wasser könne zum Problem werden. Zudem würde die Bezahlkarte zu einer Menge Ärger im Alltag führen und die Integration erschweren.

Das Aufladen der Karte kostet einen Euro pro Monat, bezahlen sollen das die Kommunen, die sich über den Zusatzaufwand und die Zusatzkosten sicher freuen werden … Freuen können sich auch die großen Handelskonzerne, in deren Filialen die Bezahlkarte v.a. gilt. Auch das Finanzkapital darf sich für neue Gebühreneingänge bedanken.

Sogar die Polizei sieht die Bezahlkarte kritisch. So erklärte der GdP-Bundesvorsitzende Kopelke: „Wenn hier nicht Maß und Mitte gehalten werden, besteht das Risiko, dass Geflüchtete versuchen werden, sich das nötige Geld über kriminelle Machenschaften zu besorgen.“ Diese Gefahr wird das bürgerliche Establishment aber locker in Kauf nehmen, kann man dann doch umso mehr von den “kriminellen Ausländern“ reden.

Nicht weniger wichtig ist, dass die Bezahlkarte auch die Überwachung und damit die Beherrschung von Menschen erleichtert. Insofern ist die Einführung der Bezahlkarte auch ein Pilotprojekt für umfangreichere Regelungen ähnlicher Art. So frohlockte etwa der CDU-Bundestagsabgeordnete Mörseburg: „Vielleicht wird die Bezahlkarte sogar so erfolgreich sein, dass wir bald diskutieren, das Konzept Sachleistungen durch Bezahlkarte auf weitere Bereiche im Sozialsystem auszuweiten.“ Insofern ist das Nein der Unions-Fraktion zum Gesetz eher dadurch motiviert, generell der Ampel eins auszuwischen bzw. weil ihr die Regelungen noch „zu lasch“ sind. Bei den Grünen und der SPD verwundert die Position nicht mehr, zeigt aber, wie reaktionär diese Parteien inzwischen geworden sind und dass sie selbst humanitäre und demokratische Mindeststandards mit Füßen treten.

Dass auch das BSW dem Gesetz zustimmte, mag Manche nicht verwundern – was schlimm genug ist. Das Abstimmungsverhalten des BSW sollte zwar nicht vorschnell und einseitig als Ausdruck von „Rassismus“ und „Ausländerfeindlichkeit“ eingestuft werden, wie es viele Linke gern tun. Doch fraglos ist die Zustimmung durch die BSW-Abgeordneten falsch, sie agieren damit als pseudo-linke Flankendeckung der Ampel und des bürgerlichen Lagers. Als Begründung des Abstimmungsverhaltens meinte der BSW-Bundestagsabgeordnete Alexander Ulrich, die Bezahlkarte löse zwar nicht das große Problem der irregulären (sic!) Migration, sei aber ein Weg, es besser zu machen. Ulrich sitzt seit 2005 im Bundestages und ist seit 1998 2. Bevollmächtigter der IG Metall Kaiserslautern. Hier wird sichtbar, welche rechtslastigen Matrosen sich Wagenknecht an Bord geholt hat. Die Position der BSW-Bundestagsfraktion wird jedoch von einem erheblichen Teil der BSW-Basis nicht geteilt. Immerhin hat zumindest die LINKE im Bundestag gegen die Einführung der Bezahlkarte gestimmt.

Problem Migration

Die massenhafte Migration ist objektiv ein Problem. Wenn von 2013-23 jährlich (!) immer mehr als eine Million Geflüchtete, überwiegend aus Ländern, deren Sprache und Lebensweise uns mehr oder weniger fremd sind, zu uns gekommen sind, dann ist es auch für ein „reiches Land“ wie die BRD schwer, die damit verbundenen Probleme zu lösen. Die Bereitstellung von ausreichend Wohnraum, Schul- und Kitaplätzen, Studienplätzen, Sprachkursen usw. ist nicht einfach, ja tw. in kurzer Frist unmöglich. Das gilt umso mehr, als die Situation auf dem Wohnungssektor oder im Bildungsbereich seit Jahren auch ohne Migration immer prekärer wurde. Diese Probleme tangieren die wohlhabendere Mittelschicht weniger. Umso mehr betreffen sie aber die ärmeren Schichten. Die Befürworter der Massenmigration „vergessen“ meist auch, dass Migranten potentielle Konkurrenten und Lohndrücker sind. Bisher spielte das u.a. wegen ihrer Schwierigkeiten, einen normalen Job zu bekommen oder ausüben zu dürfen, keine größere Rolle. Es ist aber nur eine Frage der Zeit, wann das Kapital dieses Billigarbeitspotential nutzen wird.

Bezahlkarten u.ä. repressive Maßnahmen gegen Geflüchtete sind sicher kein Mittel, um das Migrationsproblem zu lösen – im Gegenteil. Sie schüren rassistische Vorurteile und erschweren jede wirkliche Integration. Es geht vielmehr darum, die Fluchtgründe, die v.a. Ergebnis der imperialistischen Welt(un)ordnung sind, zu minimieren. Es geht z.B. darum, den Wiederaufbau Syriens – der von der EU durch Sanktionen behindert wird – zu fördern, um geflohenen Syrern die Rückkehr in ihre Heimat wieder zu ermöglichen usw. usw. Wenn Sahra Wagenknecht das fordert, hat sie damit recht.

Komplett absurd hingegen ist die Forderung vieler Linker nach „Offenen Grenzen“. Deren Umsetzung, die ohnehin völlig weltfremd und insofern keine realistische Option ist, würde zu noch mehr Migration führen und damit die Probleme noch weiter zuspitzen – nicht zuletzt auch in den Herkunftsländern.

Das Abstimmungsverhalten der BSW-Gruppe im Bundestag zeigt einmal mehr, dass die Führungscrew die Partei in eine Richtung führt, die mit der Formierung von Widerstand gegen das System nichts zu tun hat, sondern dieses Potential in das System einbinden will. Es wird immer deutlicher, dass das BSW nicht zu einer neuen linken Kraft wird, sondern stattdessen das durchaus vorhandene Spektrum links von der LINKEN und ihrem „selbstgerechten“ Kurs vergeudet und demoralisiert. Dieses Potential muss und kann für den Aufbau einer neuen, wirklich antikapitalistischen Arbeiterpartei gewonnen werden!

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