Der (Um)Weg zur Partei

Hanns Graaf

Immer wieder gab es in der Geschichte Situationen, in der Revolutionäre nur eine kleine Minderheit stellten und es nicht auf direktem Weg möglich war, eine starke revolutionäre Partei aufzubauen. Deshalb wurden Taktiken entwickelt, die es ermöglichen sollten, durch das Eingreifen in politische Neu- oder Umgruppierungsprozesse bzw. durch das Agieren in reformistischen oder zentristischen Formationen mittels der Entrismustaktik (von franz. Eintreten) neue Kräfte für eine revolutionäre Politik zu gewinnen. Wie wollen diese Erfahrungen mit dem Projekt der Wagenknecht-Partei (BSW) vergleichen und einige taktische Schlüsse ziehen.

Beispiel 1: Die marxistische Linke in der USPD

1917 entstand die „Unabhängige sozialdemokratische Partei Deutschlands“ (USPD) als Abspaltung von der SPD. Sie war eine Reaktion auf den offenen Verrat der SPD-Führung an den nationalen und internationalen Prinzipien und Beschlüssen der Sozialdemokratie. Anstatt sich konsequent gegen Imperialismus und Krieg zu stellen und die Arbeiterklasse zu mobilisieren, kapitulierte die SPD-Spitze und betrieb eine Burgfriedenspolitik. Die USPD berief sich dagegen auf die alte SPD-Politik, weigerte sich aber, konsequent gegen die Politik der SPD-Führung zu kämpfen. Sie nahm eine zentristische „Mittelposition“ ein. In der USPD agierten auch die revolutionär-internationalistischen Kräfte um Luxemburg, Liebknecht, Zetkin u.a., die aus der SPD kamen.

Politisch-programmatisch war die USPD um Haase, Kautsky u.a. nichts wesentlich anderes als heute die LINKE oder auch das BSW. Der politische Unterschied besteht aber 1. darin, dass letztere offen auf eine Beteiligung an bürgerlichen Regierungen orientieren und die LINKE das auch schon praktiziert hat. 2. bekannte sich die USPD (wie auch schon die SPD) noch offen zum Sozialismus. Allerdings sagte das damals für die SPD wie für die USPD gültige „Erfurter Programm“ nichts Genaues darüber aus, wie man zum Sozialismus kommen sollte, konkrete Taktiken fehlten darin. Das schon 1891 verfasste Programm verarbeitete weder die Entwicklungen, die zum Imperialismus geführt hatten, noch wurden neue Erfahrungen und Taktiken des Klassenkampfes (Massenstreiks) berücksichtigt. Das Programm war eher ein Prinzipienprogramm als eine Anleitung zum Handeln. Diese grundlegenden programmatischen Mängel erleichterten den Aufstieg der Reformisten in der SPD. Es war v.a. Rosa Luxemburg, die dafür wirkte, die Politik der SPD den neuen Anforderungen und Erfahrungen von Generalstreiks und der Revolution von 1905 anzupassen. Doch auch sie berief sich noch zu lange auf das Erfurter Programm und versäumte es, ein neues zu präsentieren. Allerdings führte sie einen energischen Kampf gegen die rechten Tendenzen in der SPD wie gegen die Inkonsequenz der USPD.

Mangels eines eigenen Programms und fehlender allgemeiner organisatorischer Strukturen der linken Opposition waren Luxemburg und Co. gezwungen, zunächst in der USPD zu arbeiten. Nur so konnten sie die Verbindung zu den Arbeitermassen halten. Die USPD hatte auf ihrem Höhepunkt im September 1920 fast 800.000 Mitglieder und bei Wahlen über 17%. Als sich die KPD dann am 1.1.1919 gründete, war sie noch keine Massenpartei, das wurde sie erst, als ein Teil der USPD-Basis zur KPD wechselte.

Die wesentlichen Unterschiede von BSW oder Linkspartei zur USPD liegen nicht in deren Programmatik, sondern darin, dass damals a) eine äußerst zugespitzte Klassenkampfsituation vorlag. Ab 1914 der Krieg, ab 1918 die Revolution. B) gab es damals, anders als heute, ein Millionen zählendes Milieu von Arbeitern, die revolutionär-sozialistisch eingestellt waren. Mit der KPD war – trotz aller anfänglichen politischen Schwächen – eine revolutionäre Massenpartei entstanden, die aber schon Mitte der 1920er der stalinistischen politischen Degeneration anheim fiel.

Damals bestand die Haltung der Revolutionäre um Luxemburg nicht nur darin, Kritik zu üben und eine Kleinststruktur (Gruppe Internationale, dann Spartacusgruppe) aufrecht zu erhalten; sie wirkten eine Zeit lang in der SPD bzw. in der USPD weiter – obwohl sie wussten, dass deren Politik falsch und unzureichend war. Nicht die Programmatik, sondern der Umstand, dass in oder hinter der SPD und dann der USPD die Massen standen, war für sie der entscheidende Grund, darin zu arbeiten. Sicher kann man darüber diskutieren, ab ein anderes Agieren der Opposition, z.B. der frühere Aufbau einer Fraktion in der SPD, sinnvoll und möglich war, doch das würde den Rahmen dieses Beitrags sprengen.

Nachdem es diese Fraktion nicht bzw. zu spät gab, war ein anderes Vorgehen kaum sinnvoll. Hier hilft der Verweis auf Lenins Vorgehen – Spaltung der SdAPR 1903 – auch nicht weiter, weil die Bedingungen in Deutschland völlig anders waren als in Russland. Viele entscheidende Faktoren und v.a. die konkreten taktisch-programmatischen Alternativen zum Reformismus bzw. Zentrismus der Vorkriegs-Sozialdemokratie mussten und konnten erst im Laufe der Zeit, im Zuge praktischer Erfahrungen im Klassenkampf entwickelt werden. Wesentliche Elemente des Reformismus der Sozialdemokratie und ihrer Degeneration waren schon bei ihrer Gründung sichtbar und wurden auch von Marx und Engels nicht ausreichend erkannt und bekämpft (she. dazu: https://aufruhrgebiet.de/2023/12/marx-und-gotha/).

Beispiel 2: Trotzkis Entrismustaktik

Mitte der 1930er war Frankreich von enormen Klassenkämpfen geprägt und befand sich in einer vorrevolutionären Krise. Die trotzkistische Gruppe in Frankreich war zu schwach, um ein relevanter Faktor zu sein. Die stalinistische KP verfolgte einen konterrevolutionären, abwiegelnden Kurs. Die sozialdemokratische Partei, die SFIO, agierte – allerdings als Regierungspartei – ähnlich. Doch in ihr, v.a. in ihrer Jugendorganisation, entwickelte sich eine linke Oppositionstendenz. Trotzki schlug damals vor, die Entrismus-Taktik anzuwenden. Das bedeutete, einen offenen (!) Fraktionskampf für einen anderen, revolutionären Kurs zu führen. Trotz einer tw. fehlerhaften Anwendung dieser Taktik zeigte sich, dass die Trotzkisten eine enorme Wirkung erreichten, so wurde z.B. ihre Zeitung in 10.000en Exemplaren verkauft. Letztlich gelang es, trotz der gemachten Fehler viele neue Kämpfer für eine revolutionäre Perspektive und Organisierung zu gewinnen. Leider meinten damals einige der trotzkistischen Führer, den Entrismus zu verlängern, quasi zur einer Strategie zu machen. Dadurch wurde die Formierung der gewonnenen Kräfte in einer eigenen, revolutionären Organisation vereitelt. Das ändert jedoch nichts daran, dass Trotzkis Taktik – soweit sie korrekt angewendet wurde – richtig und erfolgreiche war.

Die SFIO hatte kein besseres Programm als die LINKE oder das BSW, ja diesen beiden Parteien kann man noch nicht einmal vorwerfen, dass sie – natürlich nur mangels Gelegenheit – in entscheidenden (!) Klassenkämpfen Verrat geübt oder versagt hätten. Der Hauptunterschied zwischen dem Reformismus der LINKEN oder des BSW zur SFIO ist, dass hinter ihnen keine kämpferische, geschweige denn sozialistische Arbeiterbasis steht. 1934 war der Entrismus keine Frage der Programmatik der SFIO, es ging Trotzki nur darum, das Potential der Revolution in einer dafür günstigen Situation zu vergrößern.

Trotzkisten sind dafür bekannt (oder berüchtigt), die Entrismustaktik anzuwenden. Natürlich geifern die Reformisten gegen diese und alle anderen Versuche von Revolutionären, ihre Politik zu bekämpfen. Eine ganz andere Sache aber ist es, den Entrismus zu kritisieren, wenn er falsch angewendet wird, was leider fast immer der Fall war und ist. Oft wurde er, statt eine kurzfristige Taktik zu sein, zur einer langfristigen Strategie. Oft wurde Entrismus angewendet, wenn die Bedingungen dafür (Parteikrise, Linkstendenz, mangelnder Zugriff des Apparats) nicht gegeben waren. U.a. deshalb wurde kein offener Fraktionskampf geführt, sondern getrickst und sich dem Apparat angepasst.

Beispiel 3: Arbeiterparteitaktik in den USA

In den USA gab es über Jahrzehnte keine Arbeiterpartei, noch nicht einmal eine reformistische. Damit sind die Arbeiterklasse und die Gewerkschaften politisch Anhängsel der bürgerlichen Parteien, traditionell der Demokraten. Es gab und gibt auch keine größeren revolutionären Organisationen. In den 1930ern schlug Trotzki daher die sog. Arbeiterparteitaktik vor. Diese sollte linke und proletarische Gruppen und die Gewerkschaften (bzw. linke, kämpferische Kräfte darin) im Prozess des Aufbaus einer solchen Arbeiterpartei vereinen. Es war Trotzki klar, dass dabei verschiedene ideologische Auffassungen eine Rolle spielen würden, die in einer Programmdebatte hätten geklärt werden müssen. Im Ergebnis dessen würde sich entweder eine marxistisch-revolutionäre Orientierung oder eine andere durchsetzen. Wie dieser Prozess auch immer ausgegangen wäre: er hätte einen positiven Effekt auf die Klasse gehabt und im besten Fall dazu geführt, dass es eine revolutionäre Organisation gegeben hätte, die stärker gewesen wäre als vorher.

Die Arbeiterparteitaktik ist auch der derzeitigen Situation in Deutschland angemessen – aber nicht, weil es gar keine Arbeiterpartei geben würde. Mit der SPD und der LINKEN gibt es sogar zwei, allerdings bürgerliche Arbeiterparteien: bürgerlich hinsichtlich ihrer Politik, proletarisch hinsichtlich ihrer wenn auch immer schwächer werdenden Verbindungen zum Proletariat. Diese existieren praktisch nur noch in Form der Verbindung (v.a. der SPD) zum Gewerkschaftsapparat, den Betriebsräten und den Sozialverbänden. Der Grund, warum die Arbeiterparteitaktik auch heute relevant ist, ist die Krise und der Niedergang des Reformismus, die sich v.a. bei der SPD und der LINKEN äußert.

Beispiel 4: Die WASG

2005 entstand die „Wahlalternative Arbeit und soziale Gerechtigkeit“ (WASG). Sie umfasste ca. 6.000 Mitglieder, die v.a. von der rechten Agenda 2010 der SPD/Grünen-Regierung unter SPD-Kanzler Schröder enttäuscht waren. Ihre politische Ausrichtung war zwar linker als die der SPD, aber ebenfalls reformistisch. Letztlich entschied sich die große Mehrheit der WASG dafür, mit der PDS zu fusionieren. So entstand die LINKE, die nun auch im Westen stärker vertreten war.

Mehrere linke Gruppen, v.a. trotzkistischer Orientierung, arbeiteten damals in der WASG mit. Aber einzig die Gruppe Arbeitermacht (GAM) vertrat dabei ein (zumindest in ihrem Selbstverständnis) revolutionäres Programm. Die anderen beiden Formationen, die Entrismus durchführten, waren Linksruck (heute Marx21) und die SAV. Erstere passte sich sehr schnell der reformistischen Politik und der Fusionsperspektive an und war insofern erfolgreich, als dass sie etliche Posten in der LINKEN ergatterten. Sogar die aktuelle Co-Vorsitzende Wissler kommt aus MARX 21. Die SAV schlug nach einigem Zögern denselben Weg ein.

Der „Entrismus“ von MARX21 und der SAV in der LINKEN war von Beginn an zum Scheitern verurteilt. Warum? 1. befand sich die LINKE damals nicht in der Krise, sondern im Aufwind. Es gab 2. keinen Fraktions- oder Tendenzkampf oder einen linken klassenkämpferischen Flügel in der Partei. 3. hatte der Apparat die Partei fest im Griff. Die Grundlagen für einen Entrismus waren also nicht gegeben. Das war aber auch gar nicht die Intention dieser „Trotzkisten“. Sie wollten stattdessen die Gesamtpartei nach links schieben. Anstatt deren reformistischen Gesamtcharakter zu sehen, behaupteten sie, dass der Charakter der Partei noch „offen“ wäre. Heute zeigt sich, wie falsch und illusionär der „Entrismus“ war; nicht die LINKE wurde nach links geschoben, sondern die beiden Gruppen spalteten sich und gewannen nicht an Einfluss hinzu.

Die Anwendung des Entrismus in der WASG war trotzdem richtig. Leider hat sich der größte Teil der „radikalen Linken“ daran nicht beteiligt. So war es letztlich unmöglich, der gesamten linken Szene einen positiven Impuls zu geben, der einen Prozess der Gesundung der Linken hätte einleiten können.

Beispiel 5: Aufstehen

2018 initiierten Sahra Wagenknecht, Oskar Lafontaine u.a. die Bewegung „Aufstehen“. Der Gründungsaufruf hatte rein reformistischen Charakter, entscheidende Fragen des Klassenkampfes, z.B. das Verhältnis zu den Gewerkschaften, blieben unerwähnt. Die Resonanz war anfänglich sehr groß: über 100.000 Menschen meldeten sich per Internet. Doch die Initiatoren um Sahra Wagenknecht erwiesen sich als unfähig, „Aufstehen“ politisch und organisatorisch zu führen und zu formieren. Es gab keine zentrale Kampagne, mit der sich „Aufstehen“ hätte profilieren können. Nachdem die Idee entstand, in Anlehnung an die „Gelbwesten“ in Frankreich auch in Deutschland eine ähnliche Bewegung zu starten, posierte Sahra Wagenknecht mit einer Gelbweste vor ARD-Kameras. Die Basis von „Aufstehen“ hatte schon eigene Westen produziert. Was tat die Führungscrew um Wagenknecht, um die Kampagne aufzubauen? Nichts!

„Aufstehen“ war ein Sammelsurium an Gruppen, die an unterschiedlichen Projekten arbeiteten. Die Spannweite der politischen Positionen der Mitglieder war groß – aber klar links. Doch die Gründungserklärung war sehr allgemein, unverbindlich und auslegbar; wichtige Themen (Gewerkschaften, Reformismus u.a.) wurden ausgespart. Von der Initiatorengruppe (Vereinsvorstand) gab es keine Impulse dazu, die politischen Grundlagen zu klären und einen Prozess des Aufbaus bundesweiter demokratischer Strukturen zu initiieren.

Im Ergebnis dessen zerfiel „Aufstehen“ und existiert heute nur noch in Form von zwei kleinen, zerstrittenen Teilen. Konzeptionell war „Aufstehen“ – wie schon die WASG – ein Unterstützungsprojekt für eine nur auf Wahlen orientierte reformistische Politik.

Das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW)

Wer nun annimmt, dass die BSW-Initiatoren, die ja zum erheblichen Teil dieselben Leute sind, die schon bei der WASG, bei „Aufstehen“ und in der LINKEN am Steuerruder standen, ihre früheren Projekte und deren Scheitern analysieren und Lehren daraus ableiten würden, sieht sich komplett enttäuscht. Wieder erleben wir ein Top-Down-Projekt, das einer rein reformistischen Logik folgt. Es gibt keinen wirklichen Bezug auf die Arbeiterklasse, es gibt keine Idee, wie der Klassenkampf voran gebracht werden soll. Das BSW wird von Beginn an nur auf Wahlen orientiert, man verkündet sofort – bevor die Mitgliedschaft sich dazu auch nur eine Meinung bilden konnte -, dass man ja „mit allen Parteien außer der AfD“ koalieren würde. Das hat sich so noch nicht einmal die LINKE zu sagen getraut. Die BSW-Oberen entblöden sich auch nicht zu erklären, sogar mit der CDU koalieren zu wollen – just in dem Moment, als CDU-Spitzen ein neues Rüstungspaket von 300 Milliarden forderten.

So richtig Wagenknecht in vielen Fragen mit ihrer Kritik an der LINKEN und umso mehr an der Regierungspolitik auch liegt: sie hat keine Antwort darauf, wie Opposition und Widerstand gegen die Ampel und auch gegen den Reformismus von SPD, DGB und der LINKEN aufgebaut werden kann. Trotzdem hat sie mit ihrem engagierten Auftreten im Bundestag, bei Veranstaltungen, in den Medien und in ihren Büchern viele Menschen angesprochen. Diese haben nun Erwartungen an sie und an das BSW. Viele BSW-Interessenten stehen links von der LINKEN, sind ehrliche, aktive und kritisch oder ablehnend zum Kapitalismus stehende Menschen, ihre Erwartungen sind eindeutig links. Die öffentliche Kampagne, dass das BSW „rechtsoffen“ oder eine „weichgespülte AfD“ sei, ist absurd und dient nur dazu, das BSW madig zu machen – um zu verhindern, dass sich ihm noch mehr Linke zuwenden.

Diese Gefahr ist derzeit aber nicht allzu groß, wenn man sich anschaut, wie die BSW-Führung agiert. Noch Wochen nach der Gründung zeigt sich die Führung nicht imstande, Flyer (von mehr wollen wir hier gar nicht erst reden) herauszugeben, mit denen die Basis in aktuelle Bewegungen, z.B. in die Demos gegen Rechts, eingreifen könnte. Selbst einen Newsletter für Mitglieder oder diejenigen, die einen Mitgliedsantrag gestellt haben, gibt es nicht.

Die offizielle Erklärung dafür und für das bewusste Bremsen der Mitgliederaufnahme ist das Argument, verhindern zu wollen, dass die falschen Mitglieder in die Partei kommen und „Skandale“ verursachen, die von den Medien gegen das BSW ausgeschlachtet werden könnten. Mit „falschen Mitgliedern“ sind „politische Radikale“ gemeint – von Rechts und Links. Dabei wird auf das „warnende Beispiel“ von „Aufstehen“ verwiesen. Doch dort gab es weder „radikale“ Linke noch Rechte. Die einzigen Mitglieder, die „Aufstehen“ massiv geschadet haben, waren die handverlesenen (!) Gründer des Trägervereins. Angesichts der ersten paar hundert Mitglieder des BSW, die wiederum handverlesen sind, wäre es kein Problem, dass diese schnell Basisstrukturen mit Leuten aufbauen, die sie als geeignet einschätzen. Doch soweit geht das „Vertrauen“ der BSW-Spitze in ihre ersten Mitglieder nicht. Mitgliedsanträge sollen zentral überprüft werden – wie, von wem und nach welchen Kriterien, bleibt unklar. Das ganze Problem würde gar nicht existieren, wenn es ein Programm geben würde, auf dem das BSW gegründet worden wäre. Obwohl die Idee der Gründung einer eigenen Partei – mit der Zwischenstufe der „Aufstehen“-Bewegung – schon seit 2018, also seit 5 Jahren, im Land herumgeistert, waren Wagenknecht und Co. nicht in der Lage (oder bereit?) ein solches zu erarbeiten.

Der „vorsichtige“ Aufbau des BSW, das Bremsen des Mitgliederwachstums und die Einbindung von Leuten in die Führung, die keine Linken sind und mit Arbeiterbewegung und Sozialismus nichts am Hut haben, verrät auch ganz klar, wessen Geistes Kinder die BSW-Initiatoren sind. Es geht ihnen nicht um die Überwindung des Kapitalismus, sondern nur um dessen Zähmung. Es geht nicht darum, den Klassenkampf voran zu bringen. Es geht darum, parlamentarische Mehrheiten zu organisieren und mitzuregieren. Dabei spielt auch keine Rolle, dass es immer genau diese Strategie war, welche die Arbeiterbewegung untergraben und revolutionäre Chancen schon seit 1918 vereitelt hat. So suchen wir auch vergeblich eine genauere Analyse der fatalen Politik des Reformismus und der Krise von SPD, Linkspartei und DGB. Doch wer aus der Geschichte nicht lernt, wird die alten Fehler wiederholen …

Schlussfolgerungen

Hinsichtlich der Methode des Umgangs mit nicht-revolutionären Formationen in der Geschichte der Arbeiterbewegung kann gefolgert werden, dass nicht deren Programmatik und deren Führung maßgeblich dafür sind, ob man in ihnen interveniert oder nicht. Relevant für die Taktik der zeitweiligen Beteiligung, d.h. des Eintritts in reformistische oder zentristische Gruppierungen ist stattdessen, in welcher Beziehung dies zur Klasse stehen. Gibt es ein Milieu von linken, klassenkämpferischen Menschen in oder um diese Organisationen, die im Konflikt mit deren Führung und Politik stehen? Wenn ja, muss versucht werden, direkten Kontakt mit ihnen herzustellen – dort, wo sie sind: in deren Organisation. Existiert ein solches Milieu nicht, oder es ist unmöglich, in der Organisation offen fraktionell zu arbeiten, kann diese Taktik nicht angewendet werden; es bleibt dann nur die Einwirkung von außen. Das Verhalten der gesamten linksradikalen Szene, nicht im BSW zu intervenieren, weil deren Führung und Programm reformistisch sind, ist also – entgegen den historischen Erfahrungen mit solchen Umgruppierungen – sektiererisch. Wenn sich radikale linke Gruppen schon weigern, im BSW zu intervenieren, könnte man immerhin erwarten, dass sie zu den – meist sehr gut besuchten – öffentlichen Veranstaltungen zum Thema BSW kommen. Doch weit gefehlt: diese Sektierer tauchen dort nicht auf! Sie überlassen damit das Feld anderen und nutzen nicht die Möglichkeit, ihre ja oft berechtigte Kritik am BSW vorzubringen. Diese „Enthaltsamkeit“ führt auch dazu, dass die Linksradikalen auch kaum konkrete Kenntnis von dem haben, was im und um das BSW passiert; sie begnügen sich damit, die offiziellen Verlautbarungen von Wagenknecht anzuschauen.

Eine korrekte revolutionäre Taktik muss von folgenden Fragen ausgehen:

  • Kann eine revolutionäre (Massen)partei auf direktem Wege aufgebaut werden?
  • Gibt es eine innere Krise in diesen Formationen, die mit einer Fraktionierung oder mit einer Linkstendenz verbunden ist?
  • Können Revolutionäre in einer nicht-revolutionären, reformistischen oder zentristischen Partei offen agieren?
  • Gibt es in oder um diese Formation ein Milieu von linken aktiven Menschen, die mehr oder weniger antikapitalistisch eingestellt sind und für ein revolutionäres Programm gewonnen werden können?
  • Gibt es die Orientierung zumindest eines Teils der „Vorhut“ der Arbeiterklasse auf diese Partei?

Diese Fragen können und müssen bezüglich der BSW-Partei beantwortet werden. Die Idee eines direkten Aufbau einer „neuen KPD“ ist derzeit komplett unrealistisch. Die diversen linken „revolutionären“ Grüppchen sind weder quantitativ noch qualitativ in der Lage, diese Aufgabe – ob einzeln oder zusammen – zu bewältigen. Dafür müssten sie zuvor ein wesentlich höheres Niveau an praktischer Kooperation und inhaltlich-programmatischer Diskussion erreichen. Davon ist jedoch nichts zu spüren – allenfalls unverbindliche Absichtserklärungen.

Die BSW-Führung hat offen erklärt, „Störenfriede“ und „unsichere Kantonisten“ von rechts und links nicht dabeihaben zu wollen. Doch das Wollen ist eine Sache, das Können eine andere. Eine Partei, die auch für Demokratie steht und nicht als stalinistisch gelten will, kann nicht ohne weiteres Diskussionen und Tendenzen verbieten. Zudem muss die Partei ein Programm erarbeiten, was einen gewissen Diskussionsspielraum einschließt. Genauso wenig kann die BSW-Führung auf Dauer alle Mitglieder handverlesen. Wenn Revolutionäre mitmachen wollten, könnten sie das durchaus. Es wäre ihnen auch möglich, zumindest zeitweise Basisstrukturen aufzubauen, die einen anderen Ansatz verkörpern als den Reformismus a la Wagenknecht. Nur: die Damen und Herren „Revolutionäre“ wollen nicht! Sie bleiben lieber unter sich in ihren Minigruppen und schwadronieren über Wahlprojekte, die dann Null-komma-irgendwas erreichen, aber eine Partei, die für Hunderttausende interessant ist – darunter v.a. linke, kritische Menschen – als irrelevant ansehen. Stattdessen unterstützt man Klimakleber, Baumbesetzer u.a. obskure, von der Arbeiterklasse isolierte Minderheiten.

Während es in der SPD oder der LINKEN, deren Apparat nach dem Abgang der Wagenknecht-Anhänger noch stärkeren Zugriff auf die Partei hat, derzeit unmöglich und unsinnig ist, fraktionell zu arbeiten, ist das im BSW momentan durchaus (noch) möglich. Natürlich gibt es dafür nur ein begrenztes Zeitfenster, bis die politische Ausrichtung grundsätzlich mehrheitlich legitimiert ist und die BSW-Führung den Laden im Griff hat. Revolutionäre Politik besteht aber in diesem Fall gerade darin, diese Chance zu nutzen, so lange sie besteht.

Die Frage, ob sich Teile der Arbeiterklasse bzw. ihrer bewussteren und aktiveren Elemente am BSW orientieren, sie wählen, unterstützen oder sogar Mitglied werden, ist nicht so leicht zu beantworten. Das liegt zum einen daran, dass Wagenknecht (fast) alles unterlässt, was nach Bezug auf die Arbeiterklasse, nach Klassenkampf oder gar nach Sozialismus riecht. Das ist der – natürlich fragwürdigen – Absicht geschuldet, ein politisch und sozial breites Milieu vom Arbeitslosen über Lohnabhängige und die Mittelschicht, vom Kleinbürgertum bis hin zu „aufgeklärten“ Vertretern der Oberschicht zu gewinnen – v.a. als Wähler. Denn die Vertretung im Parlament und eine Regierungsbeteiligung sind ja die Hauptziele der Partei. Die Unterstützung des BSW durch „Aufstehen“, das „Was tun?-Netzwerk“, den Karl-Liebknecht-Kreis oder Teile der Friedensbewegung zeigt aber, dass es durchaus Anziehungskraft auf linke Milieus hat, die – obwohl sie oft reformistisch geprägt sind – durchaus so etwas wie die Vorhut der Klasse darstellen.

Welche Zugkraft das BSW für Lohnabhängige und Linke haben wird, hängt stark von dessen Programm und den praktischen Aktivitäten ab, aber nicht nur. Genauso relevant ist, wie erfolgreich das BSW bei Wahlen abschneidet. Bleibt sie unter 5%, wird sie kaum noch als alternative Kraft wahrgenommen; kommt sie darüber, werden viele sagen: da geht was. Das ist die Attraktivität der „Macht“, weniger in dem Sinn, dass es Posten und Pfründe zu verteilen gibt, sondern v.a. in dem Sinn, dass eine starke Partei etwas bewegen kann. Wenn das BSW – wie zuvor die LINKE – sich mit ihrer reformistischen Politik selbst verschleißt und sich als (scheinbare) gesellschaftliche Alternative demontiert, kann diese „Ent“täuschung für viele engagierte Menschen relevant werden. Um diesen Prozess anzuschieben und zu verstärken, braucht es Antikapitalisten im BSW!

Ohne größere Klassenkämpfe, ohne Krise des Reformismus und ohne Umbrüche im politischen Spektrum wird es sehr schwer, eine „neue KPD“ aufzubauen. Durch das Eingreifen von Revolutionären in Formationen wie der WASG, „Aufstehen“ oder dem BSW kann es aber gelingen, Hunderte, vielleicht Tausende politisch zu gewinnen und dem Reformismus zu entreißen. Revolutionäre, die das nicht einmal versuchen, sich mit kritischen Artikeln zum BSW begnügen, aber selbst keine Initiative zur Neuformieurung der radikalen Linken starten, sind keine Revolutionäre, sondern zentristische Sektierer.

Ein Gedanke zu „Der (Um)Weg zur Partei“

  1. „Wenn sich radikale linke Gruppen schon weigern, im BSW zu intervenieren…“
    RT DE berichtet über den Wechsel eines FDPlers zur Wahlplattform Wagenknecht in Berlin Charlottenburg-Wilmersdorf: https://meinungsfreiheit.rtde.life/inland/202004-wegen-strack-zimmermann-berliner-fdp/
    Interessant nicht die Parteiherkunft, die passt zur Wahlplattform, sondern (Artikel vom 08.04.2024): „Der BSW-Landeskoordinator Alexander King… In Berlin zählt das „Bündnis Sahra Wagenknecht“ laut King derzeit 55 Mitglieder.“ In Berlin! Ja, die machen es auch Berufs-Entristen schwer!

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