Redaktion: Minister Habeck frohlockte jüngst, dass noch nie so viel „erneuerbarer“ Strom eingespeist wurde wie 2023. Wird die Energiewende (EW) doch noch zur Erfolgsgeschichte?
Hanns Graaf: Der Anteil der „Erneuerbaren Energien“ (EE) steigt noch an. Doch das Anstiegstempo steigt nicht, es sinkt. So werden momentan fast gar keine neuen Windräder an Land gebaut. Dazu kommt, dass immer mehr bestehende Anlagen abgebaut werden, weil sie ihre technische Laufzeit erreicht haben. Die Verzögerung beim Windkraftausbau hat verschiedene Ursachen: Bürokratie, Widerstand der Bevölkerung, steigende Kosten, aber auch die wachsende Erkenntnis von Investoren, dass sich die EE oft trotz Subventionen und den Pro-EE-Regelungen des „Erneuerbare Energien-Gesetzes (EEG) nicht rechnen.
Redaktion: Trotzdem muss man doch zugestehen, dass die EW voranschreitet.
Hanns Graaf: Ja, aber so einfach, wie ein „grünes Gehirn“ denkt, ist es nicht. Die Zunahme ist insgesamt – v.a. international gesehen – marginal. Nur sehr wenige Länder verfolgen einen Kurs wie Deutschland. Wir sind nicht Vorreiter, sondern sehr einsam unterwegs. Selbst in Deutschland ist die Bilanz der EW ernüchternd. Ihr Anteil am Primärenergieverbrauch, d.h am Gesamtenergiebedarf, beträgt nur 6% – und das nach 30 Jahren EW-Politik, für die bisher schon etwa 5-600 Milliarden Euro ausgegeben wurden. Dabei gab es etwa 1% (v.a. Wasserkraft) schon davor. Wie lange soll diese Politik noch weitergeführt werden, wie viele Milliarden sollen dafür noch versenkt werden?!
Redaktion: Sind aber durch die bisherigen Investitionen nicht schon wesentliche Aufgaben erledigt und Ausgaben erfolgt?
Hanns Graaf: Eben nicht! Politik und Medien lassen uns darüber völlig im Unklaren. Für die vollständige oder weitgehende Dekarbonisierung wären erforderlich: eine Erweiterung des Stromnetzes, große Speicherkapazitäten und/oder Reservekraftwerke, die in der Lage sind, die Einspeiseschwankungen von Wind- und Solaranlagen abzupuffern. Dazu die Umstellung von Öl, der Hauptenergiequelle, die ca. ein Drittel unserer Gesamtenergie liefert, durch „erneuerbare“ Quellen. Allein der Ausbau des Stromnetzes, der ohne EE gar nicht notwendig wäre, v.a. aber der Aufbau von Speicherkapazitäten, sind derart teuer, dass dafür lt. verschiedenen Studien weitere 800-1.000 Milliarden notwendig wären. Zudem müsste dieses System permanent unterhalten und erneuert werden. Ein Fass ohne Boden! Unser Strom- und Energiesystem brauchte vor der EW weder ein größeres Netz, noch Speicher, noch Backup-Kraftwerke in relevantem Ausmaß. Das alles ist nur durch den Einbau der EE ins System notwendig. Nur deren Charakteristik, dass sie entweder zu viel, zu wenig oder gar keinen Strom liefern, erfordert die immensen, das System stabilisierenden Maßnahmen.
Redaktion: Was ist mit den neuen Gaskraftwerken, welche die Kohlekraftwerke ersetzen sollen?
Hanns Graaf: Das ist technisch möglich, aber sehr teuer. Es würde nicht nur den Strompreis weiter in die Höhe treiben, weil die Gasverstromung sehr teuer ist, sondern auch die CO2-Emissionen kaum senken. Aktuell zeigt sich, dass niemand diese Gaskraftwerke bauen bzw. finanzieren will. Der Grund ist einfach und könnte sogar von den Grünen verstanden werden, wenn sie denn wollten. Die Gaskraftwerke sollen nur dem Backup der EE dienen. D.h. sie werden nur sporadisch in Betrieb sein. So können sie aber niemals kostendeckend oder gar mit Gewinn betrieben werden. Kein Investor gibt dafür Geld. Letztlich müssten die Stromverbraucher bzw. der Staat diesen Unfug subventionieren, was auf Kosten anderer Ausgaben geht.
Redaktion: Woher soll das Gas dafür kommen, aus Russland doch eher nicht?
Hanns Graaf: Die strunzdumme Politik der Ampel, die immer mehr zum Erfüllungsgehilfen Washingtons wird, hat dazu geführt, dass wir billiges Öl und Gas aus Russland nicht mehr oder nur über den teuren Umweg über Drittländer erhalten. Dafür importieren wir teures LNG-Gas aus den USA – zugleich ist aber bei uns Fracking verboten. Ein solcher Wahnsinn ist nicht zu überbieten! Obwohl es sinnvoll wäre, wieder Gas aus Russland zu beziehen, sind wir nicht davon abhängig. Doch der Bezug von Gas aus anderen Ländern sowie die Verstromung von Gas sind besonders teuer.
Redaktion: Gas soll ja auch nur eine Übergangslösung hin zur Wasserstoffwirtschaft sein.
Hanns Graaf: Die Nutzung von Wasserstoff ist schon seit über 100 Jahren bekannt und wird technisch beherrscht. Trotzdem kam bisher niemand ernsthaft auf die Idee, Wasserstoff in großem Umfang zu nutzen. Der Grund dafür ist, dass die Erzeugung von Wasserstoff energetisch total ineffizient ist. Bei der Erzeugung von Wasserstoff mit Strom und dessen Rückverstromung gehen bis zu 70% der Energie verloren. Wasserstoff diffundiert zudem sehr leicht, d.h. er kann in normalen Rohren und Tanks nicht ohne relevante Verluste geleitet bzw. gelagert werden. Außerdem ist er hochexplosiv, was technischen Zusatzaufwand für die Sicherheit bedeutet. Früher dachte man noch in technischen und naturwissenschaftlichen Dimensionen, heute jedoch zunehmend in ideologischen. An eine Wasserstoffwirtschaft auf dem heutigen Stand der Technik ist gar nicht zu denken. Wo das versucht wird, wird letztlich nur Geld verbrannt bzw. in die Taschen windiger „grüner“ Investoren geleitet.
Redaktion: Wenn die „grüne“ Transformation mit EE nicht funktioniert, stellt sich die Frage, wie eine klimaschonende Wirtschaft dann aussehen soll?
Hanns Graaf: Die Einsparung von CO2 ist unsinnig, weil es nicht der starke Klimatreiber ist, als der es immer hingestellt wird. Das zeigt die Klimageschichte ganz eindeutig. Doch selbst wenn es so wäre, ist die derzeitige Politik der EW in jeder Hinsicht völlig verfehlt: sie ist teuer, vergeudet noch mehr Ressourcen, sie ist unzuverlässig, schadet der Umwelt, der Wirtschaft und hat ruinöse soziale Auswirkungen. Sie ist nichts anderes als ein Geschäftsmodell eines Teiles des Kapitals.
Redaktion: Was wäre die Alternative?
Hanns Graaf: Das derzeitige Energiesystem, dass v.a. auf Kohle, Öl und Gas beruht, ist ein Auslaufmodell, weil es natürlich auch ökologische Schäden hervorruft, z.B. durch den Kohlebergbau, aber auch, weil Öl und Gas nicht unbegrenzt verfügbar sein werden – obwohl die Hiobsbotschaften, dass Öl und Gas bald nicht mehr vorhanden wären, mit der Realität wenig zu tun haben. In diesem Jahrhundert wird es keinen Mangel geben, weil ständig neue Vorkommen erkundet und genutzt werden und zudem die Technik immer effizienter wird.
Statt der unerhört teuren Förderung von Wind- und Solartechnik hätte ein Bündel anderer Maßnahmen mit wesentlich weniger Aufwand und ohne die Probleme, die sich aus den EE ergeben, einen deutlich besseren Effekt gehabt – und (für die, die das für wichtig halten) ebenfalls CO2 reduziert. 1. hätten die Kohlekraftwerke auf den technisch neuesten Stand gebracht werden müssen. Das hätte (bei gleicher Produktion von Strom und Wärme) ca. 20% weniger Kohle und weniger Emissionen bedeutet. Die „grüne“ Politik hingegen führte zur Schließung moderner Anlagen wie in Hamburg Moosburg und zum Weiterbetrieb alter Anlagen. 2. hätten energiesparende Techniken gefördert werden müssen, was nur inkonsequent erfolgte – und wenn, dann auf eine Weise, die absurd ist. Das sieht man am Theater um die Wärmepumpen oder daran, dass die Solarthermie, also die Erzeugung von Warmwasser durch Solarenergie, kaum gefördert wird, obwohl sie sinnvoll und relativ billig ist. 3. hätten die Kernkraftwerke, die in Deutschland sehr sicher und effizient arbeiten, nicht alle abgeschaltet werden dürfen. Stattdessen hätten neue Reaktoren der Typen III und IV gebaut werden müssen. Das hätte die Stromversorgung sicherer und sauberer gemacht, ohne dass sie teurer geworden wäre. Selbst den Zielen des Kohleausstiegs und der CO2-Minderung wäre man näher gekommen als jetzt.
Redaktion: Zwar hat sich die Mehrheitsmeinung zugunsten der Kernkraftnutzung geändert, doch es gibt gegen sie nach wie vor große Vorbehalte.
Hanns Graaf: Das ist so. Diese Kritik war auch insofern berechtigt, als sie die Kerntechnik und deren Anwendung kritisch hinterfragt hat. Leider war diese Kritik aber immer stark kleinbürgerlich-moralisch geprägt und kaum wissenschaftlich-technisch fundiert. Sie wurde immer mehr von Fortschritts- und Technologiefeindlichkeit beeinflusst – eine Haltung, die dem Marxismus fremd ist. Im Zuge der Anpassung der Linken an „links“-bürgerlich-grüne Bewegungen übernahm sie diese Denkweise. Anstatt die Frage zu stellen, innerhalb welcher Produktionsweise eine Technologie angewendet wird, wer – welche Klasse – ihre Benutzung kontrolliert, verteufelte man die Technik an sich. Man blendete aus, dass jede Technik weiterentwickelt und verbessert werden kann.
Redaktion: Ist angesichts mehrerer großer AKW-Unfälle und der Endlagerproblematik die Kritik an der Kernkraft nicht berechtigt?
Hanns Graaf: Ja, doch die reale Dimension dieser Probleme wurde maßlos übertrieben. Statt nüchterner technischer Analyse und Risikoabschätzung wurde Angst erzeugt. So wurde von Zehntausenden Toten durch das Fukushima-Unglück berichtet – tatsächlich waren das Opfer des Tsunamis, durch die AKW-Havarie gab es einen einzigen toten AKW-Mitarbeiter, der ertrunken war. Ein Hauptfehler der Kritik war, dass sie kaum die Kontrolle der Anlagen durch Staat und Unternehmen betrachtete, d.h. die Frage, wer die Kontrolle über die Produktionsmittel ausübt.
Auch das Problem der sog. Endlagerung gibt es so nicht. Gelagert werden müssen die radioaktiven „Abfälle“ nicht entsprechend ihrer Halbwertzeit, sondern so lange, bis sie als wertvolle Energierohstoffe wieder genutzt werden können. Da rechnet man nach Jahren und Jahrzehnten, nicht nach Jahrzehntausenden. Heute gibt es bereits verschiedene Techniken der Wiedernutzung und ihrer Verwendung als Nuklearbrennstoff für Kernspaltungsreaktoren, z.B. den BN 800 in Russland. Überhaupt betrachten die Kritiker den technologischen Stand vor 40 Jahren. Inzwischen sind enorme Fortschritte gemacht worden, die Kinderkrankheiten der Kerntechnik sind längst Geschichte. Entwicklungen wie der „Dual Fluid Reaktor“ (DFR) zeigen, welche unerhörten Potenzen und Vorteile die neuen Kerntechnik-Generationen haben. Wer heute immer noch die Kerntechnik ablehnt, kann nur dumm oder verrückt sein.
Redaktion: Wenn die EW nicht dem Klimaschutz nutzt und so viel Schäden anrichtet, wie Du sagst – wofür oder wem dient sie dann?
Hanns Graaf: Die EW-Politik verfolgt drei Ziele: 1. soll so das Klima geschützt werden. Das ist zwar unmöglich, weil die wesentlichen Faktoren, die das Klima bestimmen, natürliche sind, doch viele Politiker, Medienleute usw. glauben den Behauptungen des Klima-Alarmismus und verbreiten sie unhinterfragt. 2. dient sie dazu, die Menschen zu ängstigen und ihnen Schuldgefühle aufzuladen, um sie leichter beherrschen zu können. Sie dient auch der Ablenkung von den wirklich wichtigen, systemischen Fragen. Staat und Politik können sich als Weltretter aufspielen. 3. dient die EW den kommerziellen Interessen von Teilen des Kapitals sowie dazu, dass der Staat neue Steuern – „Öko“- und CO2-Steuern – erheben kann.
Redaktion: Ist es aber nicht so, dass die großen Energiekonzerne eher auf Öl setzen und nicht auf die EE?
Hanns Graaf: Zum Teil trifft das zu. Andererseits haben fast alle Energiekonzerne mehrere Standbeine: Öl, Gas, Kernenergie, Kohle und auch „Erneuerbare“. Investments in EE sind steuerlich und am Markt bevorteilt und oft hoch subventioniert. Das EEG ist ein Beispiel dafür. Die Investoren haben also erhebliche Vorteile am Markt und die Gewinne sind oft nicht nur ziemlich hoch, sondern auch am Markt bevorteilt. Ein Unternehmen, dass sich diese Vorzüge entgehen ließe, wäre dumm. Neben verschiedenen EE-Investoren – Bauern, Kleinanleger, Großunternehmen, Banken und große Fonds wie Blackrock – gibt es inzwischen eine ganze „Öko“-Industrie, die Solaranlagen und Windräder baut, Beratung anbietet usw. Dazu kommt der CO2-Zertifikate-Handel, an dem sich auch Leute wie die „Öko“-Kapitalisten Al Gore oder Elon Musk eine goldene Nase verdienen.
Redaktion: Was heißt das für die Linke und für die Arbeiterbewegung?
Hanns Graaf: Zunächst einmal muss die These von der „menschengemachten Klimakatastrophe“ hinterfragt und als unwissenschaftlich entlarvt werden. Anstatt sie zu unterstützen, muss die Klimaschutzpolitik bekämpft werden. Die EW – die praktische Umsetzung der Klimapolitik – muss auf den Prüfstand! Die Frage muss offen diskutiert werden. Dazu braucht es regionale Treffen und letztlich eine bundesweite „Energiekonferenz“. Dort sollen Fachleute – wirkliche Fachleute und nicht nur selbsternannte „grüne Experten“ -, Beschäftigte in der Energiebranche, Vertreter der Verbraucher, der Gewerkschaften und des Umweltschutzes diskutieren und einen Plan erarbeiten, wie das Energiesystem künftig aussehen soll. Das bedeutet auch, dass die Medien, die wesentlich dafür verantwortlich dafür sind, dass irrationale Vorstellungen verbreitet werden, einer wirksamen demokratischen Kontrolle unterworfen werden. Das trifft genauso auf die Unis zu. Der gesamte Sumpf an Institutionen, fragwürdigen Instituten, NGOs und Stiftungen, die vom „öko-industriellen Komplex“ und vom Finanzkapital – das meist in den USA sitzt – gesponsert werden, muss trockengelegt werden. D.h.: keine öffentlichen Gelder mehr für sie und Offenlegung ihrer Finanzierung!
Der Klimarummel und die EW-Politik sind auch Ausdruck der zunehmenden Irrationalität des Spätkapitalismus und der Krise der antikapitalistischen Bewegung, die immer weniger in der Lage ist, die Realität zu verstehen und zu verändern. Sie hat sich in den vergangenen Jahrzehnten immer mehr an „links“-bürgerliche Ideologien und Bewegungen angepasst und sich von der Arbeiterklasse abgewendet.
Redaktion: Vielen Dank für das Interview.