Marx und Gotha

Hanns Graaf

Den Weg der SPD – und gewissermaßen auch der II. Internationale – begann am 27. Mai 1875 in Gotha mit dem Zusammenschluss der Lassalleaner mit den Eisenachern. Das dort beschlossene „Gothaer Programm“ war das erste Programm der deutschen Sozialdemokratie, die zuerst noch „Sozialistische Arbeiterpartei Deutschlands“ hieß. 1891, also erst 16 Jahre später, nahm dann der Erfurter Parteitag der SPD das „Erfurter Programm“ an. Dieses Programm galt auch noch 1914, also weitere 23 Jahre (!) später. Das verweist schon auf ein großes Manko bei der programmatischen Arbeit der SPD und dem Mangel an systematischer programmatischer Verarbeitung der Erfahrungen des Klassenkampfes und der Veränderungen der Gesellschaft. Immerhin begann in den 1890ern die imperialistische Periode des Kapitalismus, die u.a. mit massiver Hochrüstung, stärkerem Militarismus und wachsender Kriegsgefahr verbunden war.

Die mangelhafte Programmarbeit der SPD, die auch große Bedeutung für die II. Internationale insgesamt hatte, muss auch vor dem Hintergrund des dramatischen Zusammenbruchs der II. Internationale und der offenen Unterstützung der SPD und der meisten Parteien der II. Internationale für den imperialistischen 1. Weltkrieg und der zentralen Rolle der SPD-Führung bei der Niederschlagung der deutschen Novemberrevolution gesehen werden.

Wir wollen hier der Frage nachgehen, inwieweit sich in den beiden Programmen der SPD dieser Zeit das historische Desaster, in das die Arbeiterklasse von „ihrer“ Partei geführt wurde, schon andeutet. Dazu betrachten wir hier zunächst die Kritik von Marx und Engels am „Gothaer Programm“, die v.a. in Marx´ „Randglossen zum Gothaer Programm“ formuliert wurde.

Das Gothaer Programm

Aufgrund der Kürze des auf dem Vereinigungsparteitag von 1875 beschlossenen Programms ist es möglich, hier den gesamten Text zu dokumentieren:

„Das Gothaer Programm

Beschlossen auf dem Gründungsparteitag der Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands in Gotha im Jahre 1875.

I. Die Arbeit ist die Quelle allen Reichtums und aller Kultur, und da allgemein nutzbringende Arbeit nur durch die Gesellschaft möglich ist, so gehört der Gesellschaft, das heißt allen ihren Gliedern, das gesamte Arbeitsprodukt, bei allgemeiner Arbeitspflicht, nach gleichem Recht, jedem nach seinen vernunftgemäßen Bedürfnissen.

In der heutigen Gesellschaft sind die Arbeitsmittel Monopol der Kapitalistenklasse; die hierdurch bedingte Abhängigkeit der Arbeiterklasse ist die Ursache des Elends und der Knechtschaft in allen Formen.

Die Befreiung der Arbeit erfordert die Verwandlung der Arbeitsmittel in Gemeingut der Gesellschaft und die genossenschaftliche Regelung der Gesamtarbeit mit gemeinnütziger Verwendung und gerechter Verteilung des Arbeitsertrages.

Die Befreiung der Arbeit muss das Werk der Arbeiterklasse sein, der gegenüber alle anderen Klassen nur eine reaktionäre Masse bilden.

II. Von diesen Grundsätzen ausgehend, erstrebt die Sozialistische Arbeiterpartei Deutschlands mit allen gesetzlichen Mitteln den freien Staat und die sozialistische Gesellschaft, die Zerbrechung des ehernen Lohngesetzes durch Abschaffung des Systems der Lohnarbeit, die Aufhebung der Ausbeutung in jeder Gestalt, die Beseitigung aller sozialen und politischen Ungleichheit.
Die Sozialistische Arbeiterpartei Deutschlands, obgleich zunächst im nationalen Rahmen wirkend, ist sich des internationalen Charakters der Arbeiterbewegung bewusst und entschlossen, alle Pflichten, welche derselbe den Arbeitern auferlegt hat, zu erfüllen, um die Verbrüderung aller Menschen zur Wahrheit zu machen.

Die Sozialistische Arbeiterpartei Deutschlands fordert, um die Lösung der sozialen Frage anzubahnen, die Errichtung von sozialistischen Produktivgenossenschaften mit Staatshilfe unter der demokratischen Kontrolle des arbeitenden Volkes. Die Produktivgenossenschaften sind für Industrie und Ackerbau in solchem Umfange ins Leben zu rufen, dass aus ihnen die sozialistische Organisation der Gesamtarbeit entsteht.

Die Sozialistische Arbeiterpartei Deutschlands fordert als Grundlagen des Staates:

  1. Allgemeines, gleiches, direktes Wahl- und Stimmrecht mit geheimer und obligatorischer Stimmabgabe aller Staatsangehöriger vom zwanzigsten Lebensjahr an für alle Wahlen und Abstimmungen in Staat und Gemeinde. Der Wahl- oder Abstimmungstag muss ein Sonntag oder Feiertag sein.
  2. Direkte Gesetzgebung durch das Volk. Entscheidung über Krieg und Frieden durch das Volk.
  3. Allgemeine Wehrhaftigkeit. Volkswehr an Stelle der stehenden Heere.
  4. Abschaffung aller Ausnahmegesetz, namentlich der Press-, Vereins- und Versammlungsgesetze; überhaupt aller Gesetze, welche die freie Meinungsäußerung, das freie Forschen und Denken beschränken.
  5. Rechtsprechung durch das Volk. Unentgeltliche Rechtspflege.
  6. Allgemeine und gleiche Volkserziehung durch den Staat. Allgemeine Schulpflicht. Unentgeltlicher Unterricht in allen Bildungsanstalten. Erklärung der Religion zur Privatsache.

Die Sozialistische Arbeiterpartei Deutschlands fordert innerhalb der heutigen Gesellschaft:

  1. Mögliche Ausdehnung der politischen Rechte und Freiheiten im Sinne der obigen Forderungen.
  2. Eine einzige progressive Einkommensteuer für Staat und Gemeinde, anstatt aller bestehenden, insbesondere der das Volk belastenden indirekten Steuern.
  3. Unbeschränktes Koalitionsrecht.
  4. Einen den Gesellschaftsbedürfnissen entsprechenden Normalarbeitstag. Verbot der Sonntagsarbeit.
  5. Verbot der Kinderarbeit und aller die Gesundheit und Sittlichkeit schädigenden Frauenarbeit.
  6. Schutzgesetz für Leben und Gesundheit der Arbeiter. Sanitäre Kontrolle der Arbeiterwohnungen. Überwachung der Bergwerke, der Fabrik-, Werkstatt- und Hausarbeit durch von den Arbeitern gewählte Beamte. Ein wirksames Haftpflichtgesetz.
  7. Regelung der Gefängnisarbeit.
  8. Volle Selbstverwaltung für alle Arbeiter-, Hilfs- und Unterstützungskassen.“

Die Kritik von Marx und Engels

In einem Brief an Wilhelm Bracke vom 5. Mai 1875 lässt Marx keinen Zweifel daran, dass er dem Gothaer Programmentwurf komplett ablehnend gegenübersteht. Er kündigt an, dass „Engels und ich nämlich eine kurze Erklärung veröffentlichen (werden), des Inhalts, dass wir besagtem Prinzipienprogramm durchaus fernstehen und nichts damit zu tun haben.“ Und weiter: „Übrigens taugt das Programm nichts, auch abgesehn von der Heiligsprechung der Lassalleschen Glaubensartikel.“

Marx legt in diesem Brief auch dar, welches Vorgehen und welche Art von Programm er vorzieht: „Konnte man also nicht – und die Zeitumstände ließen das nicht zu – über das Eisenacher Programm hinausgehn, so hätte man einfach eine Übereinkunft für Aktionen gegen den gemeinsamen Feind abschließen sollen. Macht man aber Prinzipienprogramme (statt diese bis zur Zeit aufzuschieben, wo dergleichen durch längere gemeinsame Tätigkeit vorbereitet war), so errichtet man vor aller Welt Marksteine, an denen sie die Höhe der Parteibewegung misst. Die Chefs der Lassalleaner kamen, weil die Verhältnisse sie dazu zwangen. Hätte man ihnen von vornherein erklärt, man lasse sich auf keinen Prinzipienschacher ein, so hätten sie sich mit einem Aktionsprogramm oder Organisationsplan zu gemeinschaftlicher Aktion begnügen müssen.“

Interessant ist hier die Position von Marx dazu, wie ein Programm entsteht und welchen Stellenwert es hat. Dazu sei zunächst auf Marx´ berühmten Satz: „Jeder Schritt wirklicher Bewegung ist wichtiger als ein Dutzend Programme.“ verwiesen. Daraus folgt für ihn aber nicht das, was einige Linke daraus ableiten, nämlich die Ansicht, dass Programme überflüssig wären. Marx betont, dass es besser sei, wenn ein Programm „durch längere gemeinsame Tätigkeit vorbereitet“ würde. Darin drückt sich ganz klar aus, dass für Marx die Einheit von Praxis und Theorie von zentraler Bedeutung war, weil es zwar auch darum geht, die Welt zu interpretieren, v.a. aber darum, sie zu verändern, wie er an anderer Stelle postuliert.

Insofern muss das Programm einer Arbeiterpartei, die sich den Klassenkampf und die Überwindung des Kapitalismus auf die Fahne geschrieben hat, auch klar benennen, wie sie diesen Klassenkampf zu führen gedenkt; das heißt, welche konkreten Taktiken und Methoden dafür geeignet sind. Was sagt das Gothaer Programm dazu und wie bewertet Marx es in seinen „Randglossen“?

Zunächst müssen wir diese Arbeit historisch einordnen. Marx schrieb seine „Randglossen“ im April/Mai 1875. Veröffentlicht wurden sie erst in „Die Neue Zeit“, Nr. 18, 1. Band, 1890/91. Als die Veröffentlichung dann also mit großer Verspätung endlich erfolgte, war Marx schon tot. Welch geringen Stellenwert die Kritik an ihrem Programm für die Führer der Sozialdemokratie hatte, wird an mehreren Punkten deutlich. Zunächst daran, dass Marx und Engels erst in letzter Minute überhaupt und sehr ungenau über die Partei-Fusion und den Programm-Entwurf informiert worden sind. Darüber beschwerte sich auch Engels im März 1875 in einem Brief an Bebel: „Weder Liebknecht noch sonst jemand hat uns irgendwelche Mitteilung gemacht, und auch wir wissen daher nur, was in den Blättern steht, und da stand nichts, bis vor zirka acht Tagen der Programmentwurf kam. Der hat uns allerdings nicht wenig in Erstaunen gesetzt. (…) an Liebknecht schrieb ich nur kurz. Ich verzeihe ihm nicht, dass er uns von der ganzen Sache kein Wort mitgeteilt“.

Noch bezeichnender als diese bewusste Desinformation durch Wilhelm Liebknecht war der Umstand, dass die „Randglossen“ von Marx auf dem Parteitag selbst, der vom 22.-27. Mai 1875 stattfand, keine Rolle spielten, obwohl sie ja einem Kreis von „Eingeweihten“ durchaus bekannt waren. Auch danach wurden sie von Marx´ deutschen Freunden jahrelang weder veröffentlicht noch diskutiert.

Allerdings haben auch Marx und Engels selbst nicht besonders viel dafür getan. Erst als 1891 – immerhin 16 Jahre nach Gotha – in Erfurt ein neues Programm beschlossen werden sollte, drängte Engels zuvor auf die Veröffentlichung der „Randglossen“. Schon in seinem Brief an Bebel von 1875 verwies Engels darauf, dass „Die Leute (…) sich eben ein(bilden), wir kommandierten von hier aus die ganze Geschichte, während Sie so gut wie ich wissen, dass wir uns fast nie im geringsten in die inneren Parteiangelegenheiten gemischt, und auch dann nur, um Böcke, die nach unserer Ansicht geschossen worden, und zwar nur theoretische, wieder nach Möglichkeit gutzumachen.“ Dieses scheinbare „Kommando“ von Marx und Engels über die SPD führte dann die Anarchisten dazu, sie bzw. „den Marxismus“ für Positionen zu kritisieren, die gar nicht die von Marx und Engels, sondern von der SPD kamen.

Wir müssen uns im Nachhinein fragen, warum v.a. Marx sich so wenig in die Angelegenheiten der SPD, immerhin die erste proletarische Massenpartei der Welt und der zentrale Faktor der internationalen Sozialdemokratie, eingemischt hat? Von Vorteil für die politische Ausrichtung der deutschen und internationalen Sozialdemokratie war diese Vorgehensweise jedenfalls nicht. Im Gegenteil: die zweifellos enorme Bedeutung der Gründung einer einheitlichen Arbeiterpartei in Deutschland hätte weit mehr kritische Beachtung durch Marx und Engels verdient als manch andere, vermeintlich wichtige Frage, der man sich oft jahrelang intensiv widmete.

Erfahrungen

Für eine historische Einordnung des „Gothaer Programms“ wie auch der Kritik von Marx daran muss unbedingt darauf hingewiesen werden, dass bereits vor 1875 Ereignisse stattgefunden hatten, die wichtige Erkenntnisse und Erfahrungen für die Arbeiterbewegung ermöglicht hätten. Hier sind mindestens vier Dinge zu nennen. 1. waren Streiks immer mehr zu einem wichtigen Kampfmittel der Arbeiterklasse geworden. 2. 1855 fand im spanischen Andalusien der erste – politische – Generalstreik statt. Unter Führung der dort sehr starken Anarchisten endete er nach neun Tagen mit einem großen Erfolg: die anarchistischen Gewerkschaften waren nach Jahren der Illegalität offiziell anerkannt worden. 3. existierte seit 1864 eine internationale Struktur der Arbeiterbewegung, die Erste Internationale, in der auch Marx und Engels aktiv und prägend mitgearbeitet hatten. Allerdings bestand diese 1875 nicht mehr. 4. entstand 1871 mit der Pariser Kommune die erste Arbeiter-Räte-Republik, die Marx immerhin dazu veranlasste, durchaus euphorisch festzustellen, dass mit ihr endlich die Staatsform gefunden sei, welche das Proletariat beim Übergang zum Kommunismus an die Stelle des bürgerlichen Staates stellen könne. Das war eine bedeutende Weiterentwicklung der Staatsauffassung von Marx. Insofern musste und konnte eine Kritik am „Gothaer Programm“ diese Erkenntnisse und Erfahrungen widerspiegeln. Um es gleich vorweg zu nehmen: Genau das geschah weitgehend nicht – weder im Programm noch in der Marxschen Kritik daran.

Marx´ Kritik

Wir können hier nicht alle, aber einige zentrale Punkte der Marxschen Kritik darstellen. Die oft mit einer rein reformistischen Perspektive verbundenen Genossenschafts-Versuche oder die Lassalleschen „Staatsgenossenschaften“ provozierten die energische Kritik von Marx.

Zunächst zitiert Marx den Originaltext: „Die deutsche Arbeiterpartei verlangt, um die Lösung der sozialen Frage anzubahnen, die Errichtung von Produktivgenossenschaften mit Staatshilfe unter der demokratischen Kontrolle des arbeitenden Volks. Die Produktivgenossenschaften sind für Industrie und Ackerbau in solchem Umfang ins Leben zu rufen, dass aus ihnen die sozialistische Organisation der Gesamtarbeit entsteht.“

Dazu bemerkt er: „An die Stelle des existierenden Klassenkampfes tritt eine Zeitungsschreiberphrase – ´die soziale Frage´, deren ´Lösung´ man ´anbahnt´. Statt aus dem revolutionären Umwandlungsprozesse der Gesellschaft ´entsteht´ die ´sozialistische Organisation der Gesamtarbeit´ aus der ´Staatshilfe´, die der Staat Produktivgenossenschaften gibt, die er, nicht der Arbeiter, ´ins Leben ruft´. Es ist dies würdig der Einbildung Lassalles, dass man mit Staatsanleihen ebensogut eine neue Gesellschaft bauen kann wie eine neue Eisenbahn! Aus einem Rest von Scham stellt man ´die Staatshilfe´ – ´unter die demokratische Kontrolle des arbeitenden Volks´.“

Marx betont, dass es v.a. auf die konkrete Veränderung der Praxis durch die Aktion der Klasse ankommt, die nicht durch Forderungen an den Staat ersetzt werden kann. Er spricht von „revolutionären Umwandlungsprozesse(n) der Gesellschaft“, aus denen sich „die sozialistische Organisation der Gesamtarbeit“ in Form von „Produktivgenossenschaften“ ergeben kann. Wohlgemerkt: es geht hier um Genossenschaften im produktiven Bereich, nicht (nur) um solche im Bereich der Konsumtion. Marx hielt diese also offenbar für möglich – ganz im Gegensatz zu vielen „Marxisten“ heute, die dazu eine ablehnende Haltung einnehmen. Was Marx kritisierte, war die Vorstellung, dass Genossenschaftsstrukturen vom Staat aufgebaut werden, der dann unter der „demokratischen Kontrolle des arbeitenden Volks“ steht. Die heute bei manchen linken Organisationen, v.a. „trotzkistischer“ Provenienz, übliche Forderung nach „Verstaatlichung unter Arbeiterkontrolle“ taucht bei Marx nicht nur nicht auf – sie wird von ihm dezidiert abgelehnt!

An anderer Stelle seiner Kritik betont Marx diesen Gedanken erneut: „Dass die Arbeiter die Bedingungen der genossenschaftlichen Produktion auf sozialem und zunächst bei sich, also auf nationalem Maßstab herstellen wollen, heißt nur, dass sie an der Umwälzung der jetzigen Produktionsbedingungen arbeiten, und hat nichts gemein mit der Stiftung von Kooperativgesellschaften mit Staatshilfe!“.

Gleich darauf hebt Marx noch einmal hervor, dass Genossenschaften von Bedeutung sind, wenn sie Ergebnisse des Klassenkampfes sind: „Was aber die jetzigen Kooperativgesellschaften betrifft, so haben sie nur Wert (Hervorhebung im Original), soweit sie unabhängige, weder von den Regierungen noch von den Bourgeois protegierte Arbeiterschöpfungen sind.“

Aus der Ablehnung der Vorstellung, dass der Staat Genossenschaften einrichtet, sollten wir jedoch nicht leichtfertig den Schluss ziehen, dass es falsch wäre, den Staat dazu zu zwingen, die Gründung von Genossenschaften bzw. die Übernahme von Betrieben durch die Arbeiterklasse finanziell zu unterstützen und diesbezüglich auch Forderungen an den Staat zu stellen. Die Geschichte des Klassenkampfes kennt zahlreiche Beispiele, dass das durchaus möglich war. Auch die selbstverwalteten „Kinderläden“ in der BRD – obgleich keine klassischen Produktionsbetriebe – wurden ja vom Staat erst ignoriert oder bekämpft, um dann von ihm schließlich doch finanziell unterstützt oder toleriert zu werden. Die Marxsche Formulierung „weder von den Regierungen noch von den Bourgeois protegierte Arbeiterschöpfungen“ ist insofern nicht gerade sehr präzise.

Auf jeden Fall sehen wir, dass Marx es für möglich und nützlich ansah, dass die Arbeiterklasse für Genossenschaften kämpft. Davon, dass eine solche Orientierung „utopisch“ oder der revolutionären Doktrin entgegengesetzt sei, kann bei ihm genauso wenig die Rede sein, wie davon, dass solche Aufgaben dem Staat übertragen werden. Fraglos hätte Marx hier aber auf die taktischen Implikationen des Genossenschaftswesens genauer eingehen müssen.

Die Staatsfrage

Das „Gothaer Programm“ sagt dazu: „Von diesen Grundsätzen ausgehend, erstrebt die Sozialistische Arbeiterpartei Deutschlands mit allen gesetzlichen Mitteln den freien Staat und die sozialistische Gesellschaft, die Zerbrechung des ehernen Lohngesetzes durch Abschaffung des Systems der Lohnarbeit, die Aufhebung der Ausbeutung in jeder Gestalt, die Beseitigung aller sozialen und politischen Ungleichheit.“

Dazu Marx u.a.: „Freier Staat – was ist das? Es ist keineswegs Zweck der Arbeiter, die den beschränkten Untertanenverstand losgeworden, den Staat „frei“ zu machen. Im Deutschen Reich ist der „Staat“ fast so „frei“ als in Russland. Die Freiheit besteht darin, den Staat aus einem der Gesellschaft übergeordneten in ein ihr durchaus untergeordnetes Organ zu verwandeln, und auch heutig sind die Staatsformen freier oder unfreier im Maß, worin sie die „Freiheit des Staats“ beschränken.“

Marx betont, dass es „den heutigen Staat“ nicht gibt. „Er ist ein andrer im preußisch-deutschen Reich als in der Schweiz, ein andrer in England als in den Vereinigten Staaten. „Der heutige Staat“ ist also eine Fiktion. Jedoch,“ fährt er fort, „haben die verschiednen Staaten der verschiednen Kulturländer, trotz ihrer bunten Formverschiedenheit, alle das gemein, dass sie auf dem Boden der modernen bürgerlichen Gesellschaft stehn, nur einer mehr oder minder kapitalistisch entwickelten. Sie haben daher auch gewisse wesentliche Charaktere gemein. In diesem Sinn kann man von „heutigem Staatswesen“ sprechen, im Gegensatz zur Zukunft, worin seine jetzige Wurzel, die bürgerliche Gesellschaft, abgestorben ist.“

Marx fragt: „Welche Umwandlung wird das Staatswesen in einer kommunistischen Gesellschaft untergehn? In andern Worten, welche gesellschaftliche Funktionen bleiben dort übrig, die jetzigen Staatsfunktionen analog sind? Diese Frage ist nur wissenschaftlich zu beantworten, und man kommt dem Problem durch tausendfache Zusammensetzung des Worts Volk mit dem Wort Staat auch nicht um einen Flohsprung näher.“

Er stellt fest: „Zwischen der kapitalistischen und der kommunistischen Gesellschaft liegt die Periode der revolutionären Umwandlung der einen in die andre. Der entspricht auch eine politische Übergangsperiode, deren Staat nichts andres sein kann als die revolutionäre Diktatur des Proletariats. Das Programm nun hat es weder mit letzterer zu tun, noch mit dem zukünftigen Staatswesen der kommunistischen Gesellschaft.“

In der Staatsfrage hätte man erwarten können, dass Marx seine Schlussfolgerungen aus der Pariser Kommune einbringt und klar sagt, dass der bürgerliche Staat zerschlagen und durch einen „Räte-staat“ ersetzt werden muss; dass der Staat als abgehobener, bürokratischer Mechanismus nach der Eroberung der Macht durch das Proletariat überhaupt absterben kann und muss. Das hat Marx nicht getan. Somit wurden die Staatsvorstellungen von Gotha zwar kritisiert, aber es wurde keine Alternative dazu formuliert. Auch später hat sich Marx wenig mit der Staatstheorie beschäftigt. Das war ein wichtiges Manko, das es nicht nur der Sozialdemokratie erleichterte, den Weg des Reformismus zu beschreiten, auch die Linken in der SPD hatten wenig Konkretes dazu zu bieten, wie ihre Kritik an Bernstein zeigen sollte.

Die mangelhafte Ausarbeitung der Staatsfrage bei Marx ist wiederum nur ein Aspekt des fast völligen Fehlens systematischer konzeptioneller Überlegungen zur Übergangsgesellschaft. Tw. erklärt sich das daraus, dass das Proletariat erst im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts so stark geworden war und sich mächtige Organisationen geschaffen hatte wie Parteien und Gewerkschaften, dass es zu neuen Kampfformen wie dem Generalstreik und der Formierung von Räten greifen konnte. Erst dann konnten diese Erfahrungen theoretisch und programmatisch verarbeitet werden. Hier zeigt sich auch, dass Lenins Theorem, dass das revolutionär-sozialistische Bewusstsein erst von außen in die Klasse getragen werden müsse, zu einseitig ist. Es ist die Praxis der Klasse, ihre Kämpfe, die den entscheidenden Impuls für alles geben, was die revolutionäre Programmatik ausmacht. Die Theorie hat v.a. die Aufgabe, diese Erfahrungen aufzuarbeiten und zu systematisieren – nicht, sie zu „erfinden“.

Politische Ökonomie

Dass Marx hier besonders kritisch auf das „Gothaer Programm“ geschaut hat, versteht sich. Sehr gut zeigt Marx die Falschheit der von Lassalle kommenden Auffassung vom Lohn auf: „Seit Lassalles Tode hat sich die wissenschaftliche Einsicht in unsrer Partei Bahn gebrochen, dass der Arbeitslohn nicht das ist, was er zu sein scheint, nämlich der Wert respektive Preis der Arbeit, sondern nur eine maskierte Form für den Wert resp. Preis der Arbeitskraft. Damit war die ganze bisherige bürgerliche Auffassung des Arbeitslohnes sowie die ganze bisher gegen selbe gerichtete Kritik ein für allemal über den Haufen geworfen und klargestellt, dass der Lohnarbeiter nur die Erlaubnis hat, für sein eignes Leben zu arbeiten, d.h. zu leben, soweit er gewisse Zeit umsonst für den Kapitalisten (daher auch für dessen Mitzehrer am Mehrwert) arbeitet; dass das ganze kapitalistische Produktionssystem sich darum dreht, diese Gratisarbeit zu verlängern durch Ausdehnung des Arbeitstages oder durch Entwicklung der Produktivität, größere Spannung der Arbeitskraft etc. (…) Und nachdem diese Einsicht unter unsrer Partei sich mehr und mehr Bahn gebrochen, kehrt man zu Lassalles Dogmen zurück“.

Im Programm heißt es: „Die Arbeit ist die Quelle alles Reichtums und aller Kultur, und da nutzbringende Arbeit nur in der Gesellschaft und durch die Gesellschaft möglich ist, gehört der Ertrag der Arbeit unverkürzt, nach gleichem Rechte, allen Gesellschaftsgliedern.“

Dagegen betont Marx: „Die Arbeit ist nicht die Quelle alles Reichtums. Die Natur ist ebensosehr die Quelle der Gebrauchswerte.“ Das ist zwar korrekt, doch indem das Programm die Rolle der Arbeit betont, liegt es durchaus richtig, denn es geht ja darum – durchaus im Sinne von Marx -, dass die Aneignung der Arbeitsprodukte, die Ausbeutung der Arbeit durch die Bourgeoisie die Quelle des Profits wie der Armut des Proletariats ist. Ein Parteiprogramm von 1875 muss v.a. das enthalten, es muss aber keineswegs unbedingt betonen, dass auch die Natur Quelle von Reichtum ist. Zudem ist sie das streng genommen nicht bzw. nur in dem Maße, wie menschliche Arbeit die Nutzung der Naturprodukte ermöglicht. Marx´ Einwand ist also einerseits etwas pingelig, andererseits selbst ungenau.

Das Programm sagt: „Da die Arbeit die Quelle alles Reichtums ist, kann auch in der Gesellschaft sich niemand Reichtum aneignen, außer als Produkt der Arbeit. Wenn er also nicht selber arbeitet, lebt er von fremder Arbeit und eignet sich auch seine Kultur auf Kosten fremder Arbeit an.“ Genau darum geht es!

Das Programm folgert: „Und da nutzbringende Arbeit nur in der Gesellschaft und durch die Gesellschaft möglich ist – gehört der Ertrag der Arbeit unverkürzt, nach gleichem Rechte, allen Gesellschaftsgliedern.“ Und weiter: „In der heutigen Gesellschaft sind die Arbeitsmittel Monopol der Kapitalistenklasse; die hierdurch bedingte Abhängigkeit der Arbeiterklasse ist die Ursache des Elends und der Knechtschaft in allen Formen.“ Dazu merkt Marx richtig an: „In der heutigen Gesellschaft sind die Arbeitsmittel Monopol der Grundeigentümer (das Monopol des Grundeigentums ist sogar Basis des Kapitalmonopols) und der Kapitalisten.“

Das Programm führt weiter aus: „Die Befreiung der Arbeit erfordert die Erhebung der Arbeitsmittel zu Gemeingut der Gesellschaft und die genossenschaftliche Regelung der Gesamtarbeit mit gerechter Verteilung des Arbeitsertrags.“ Dazu Marx: „Was ist „Arbeitsertrag“? Das Produkt der Arbeit oder sein Wert? Und im letzteren Fall, der Gesamtwert des Produkts oder nur der Wertteil, den die Arbeit dem Wert der aufgezehrten Produktionsmittel neu zugesetzt hat? „Arbeitsertrag“ ist eine lose Vorstellung, die Lassalle an die Stelle bestimmter ökonomischer Begriffe gesetzt hat.“ Diese Anmerkung ist zwar korrekt, in einer Kritik an einem Parteiprogramm, das keine ökonomische Facharbeit ist und sich durchaus der Umgangssprache bedienen kann (und muss), wirkt Marx´ Bemerkung etwas wie Erbsenzählerei.

Die These von der „gerechten Verteilung“ wird dadurch ergänzt, dass „der Ertrag der Arbeit unverkürzt, nach gleichem Rechte, allen Gesellschaftsmitgliedern gehört“. Marx kritisiert das so: „Behaupten die Bourgeois nicht, dass die heutige Verteilung „gerecht“ ist? Und ist sie in der Tat nicht die einzige „gerechte“ Verteilung auf Grundlage der heutigen Produktionsweise? Werden die ökonomischen Verhältnisse durch Rechtsbegriffe geregelt, oder entspringen nicht umgekehrt die Rechtsverhältnisse aus den ökonomischen? Haben nicht auch die sozialistischen Sektierer die verschiedensten Vorstellungen über „gerechte“ Verteilung?“ Weiter fragt Marx: „Allen Gesellschaftsgliedern? Auch den nicht arbeitenden? Wo bleibt da „der unverkürzte Arbeitsertrag“? Nur den arbeitenden Gesellschaftsgliedern? Wo bleibt da „das gleiche Recht“ aller Gesellschaftsglieder?“

Marx verweist darauf, dass vom gesellschaftlichen Gesamtprodukt abzuziehen sind: „Erstens: Deckung zum Ersatz der verbrauchten Produktionsmittel. Zweitens: zusätzlicher Teil für Ausdehnung der Produktion. Drittens: Reserve- oder Assekuranzfonds gegen Missfälle, Störungen durch Naturereignisse etc.,“ dazu Ausgaben für Bildung, Verwaltung usw. Auch wenn das im Programm nicht so steht und die These vom „unverkürzte Arbeitsertrag“ falsch ist, so ist es doch eher Beckmesserei, wenn Marx darauf hinweist, so, als ob die SPD-Gründer vergessen würden, Steuern zu erheben oder an die Sozialausgaben zu denken. Interessant ist hingegen, dass Marx darauf verweist, dass die Verwaltungskosten, die ja i.w. Kosten sind, die der Staat verursacht, in einer nachkapitalistischen Gesellschaft gewaltig sinken – „im selben Maß, als die neue Gesellschaft sich entwickelt.“ Doch ein Hinweis auf die These vom Absterben des Staates und dessen Ersetzung durch ein wesentlich effizienteres Rätesystem suchen wir auch hier vergebens.

Marx ergänzt sein Kritik durch folgende Bemerkung: „Innerhalb der genossenschaftlichen, auf Gemeingut an den Produktionsmitteln gegründeten Gesellschaft tauschen die Produzenten ihre Produkte nicht aus“. Das ist u.E. falsch, denn in jeder Gesellschaft – und je höher entwickelt diese ist, desto mehr – ist Austausch notwendig, ansonsten gäbe es keine Arbeitsteilung. Warum Marx das so sagt, ist unklar. Bemerkenswert ist aber, dass er auch hier von einer „genossenschaftlichen, auf Gemeingut an den Produktionsmitteln gegründeten Gesellschaft“ spricht und nicht von einer Staatswirtschaft.

Zur Frage der Verteilung im Kommunismus führt Marx weiter aus: „Womit wir es hier zu tun haben, ist eine kommunistische Gesellschaft, nicht wie sie sich auf ihrer eignen Grundlage entwickelt hat, sondern umgekehrt, wie sie eben aus der kapitalistischen Gesellschaft hervorgeht, also in jeder Beziehung, ökonomisch, sittlich, geistig, noch behaftet ist mit den Muttermalen der alten Gesellschaft, aus deren Schoß sie herkommt. Demgemäß erhält der einzelne Produzent – nach den Abzügen – exakt zurück, was er ihr gibt. Was er ihr gegeben hat, ist sein individuelles Arbeitsquantum. Z.B. der gesellschaftliche Arbeitstag besteht aus der Summe der individuellen Arbeitsstunden. Die individuelle Arbeitszeit des einzelnen Produzenten ist der von ihm gelieferte Teil des gesellschaftlichen Arbeitstags, sein Anteil daran. Er erhält von der Gesellschaft einen Schein, dass er soundso viel Arbeit geliefert (nach Abzug seiner Arbeit für die gemeinschaftlichen Fonds), und zieht mit diesem Schein aus dem gesellschaftlichen Vorrat von Konsumtionsmitteln soviel heraus, als gleich viel Arbeit kostet. Dasselbe Quantum Arbeit, das er der Gesellschaft in einer Form gegeben hat, erhält er in der andern zurück.

Es herrscht hier offenbar dasselbe Prinzip, das den Warenaustausch regelt, soweit er Austausch Gleichwertiger ist. Inhalt und Form sind verändert, weil unter den veränderten Umständen niemand etwas geben kann außer seiner Arbeit und weil andrerseits nichts in das Eigentum der einzelnen übergehn kann außer individuellen Konsumtionsmitteln. Was aber die Verteilung der letzteren unter die einzelnen Produzenten betrifft, herrscht dasselbe Prinzip wie beim Austausch von Warenäquivalenten, es wird gleich viel Arbeit in einer Form gegen gleich viel Arbeit in einer andern ausgetauscht.

Das gleiche Recht ist hier daher immer noch – dem Prinzip nach – das bürgerliche Recht, obgleich Prinzip und Praxis sich nicht mehr in den Haaren liegen, während der Austausch von Äquivalenten beim Warenaustausch nur im Durchschnitt, nicht für den einzelnen Fall existiert.

Trotz dieses Fortschritts ist dieses gleiche Recht stets noch mit einer bürgerlichen Schranke behaftet. Das Recht der Produzenten ist ihren Arbeitslieferungen proportionell; die Gleichheit besteht darin, dass an gleichem Maßstab, der Arbeit, gemessen wird. Der eine ist aber physisch oder geistig dem andern überlegen, liefert also in derselben Zeit mehr Arbeit oder kann während mehr Zeit arbeiten; und die Arbeit, um als Maß zu dienen, muss der Ausdehnung oder der Intensität nach bestimmt werden, sonst hörte sie auf, Maßstab zu sein. Dies gleiche Recht ist ungleiches Recht für ungleiche Arbeit. Es erkennt keine Klassenunterschiede an, weil jeder nur Arbeiter ist wie der andre; aber es erkennt stillschweigend die ungleiche individuelle Begabung und daher Leistungsfähigkeit der Arbeiter als natürliche Privilegien an. Es ist daher ein Recht der Ungleichheit, seinem Inhalt nach, wie alles Recht. Das Recht kann seiner Natur nach nur in Anwendung von gleichem Maßstab bestehen; aber die ungleichen Individuen (und sie wären nicht verschiedene Individuen, wenn sie nicht ungleiche wären) sind nur an gleichem Maßstab messbar, soweit man sie unter einen gleichen Gesichtspunkt bringt, sie nur von einer bestimmten Seite fasst, z.B. im gegebenen Fall sie nur als Arbeiter betrachtet und weiter nichts in ihnen sieht, von allem andern absieht. Ferner: Ein Arbeiter ist verheiratet, der andre nicht; einer hat mehr Kinder als der andre etc. etc. Bei gleicher Arbeitsleistung und daher gleichem Anteil an dem gesellschaftlichen Konsumtionsfonds erhält also der eine faktisch mehr als der andre, ist der eine reicher als der andre etc. Um alle diese Missstände zu vermeiden, müsste das Recht, statt gleich, vielmehr ungleich sein.

Aber diese Missstände sind unvermeidbar in der ersten Phase der kommunistischen Gesellschaft, wie sie eben aus der kapitalistischen Gesellschaft nach langen Geburtswehen hervorgegangen ist. Das Recht kann nie höher sein als die ökonomische Gestaltung und dadurch bedingte Kulturentwicklung der Gesellschaft.“

Das Proletariat und die „reaktionäre Masse“

Zum Verhältnis der Arbeiterklasse zu anderen Klassen geht das „Gothaer Programm“ von folgender Grundthese aus: „Die Befreiung der Arbeit muss das Werk der Arbeiterklasse sein, der gegenüber alle andren Klassen nur eine reaktionäre Masse sind.“ Darauf Marx: „Die erste Strophe ist aus den Eingangsworten der internationalen Statuten, aber „verbessert“. Dort heißt es: „Die Befreiung der Arbeiterklasse muss die Tat der Arbeiter selbst sein“; hier hat dagegen „die Arbeiterklasse“ zu befreien – was? „die Arbeit“. Begreife, wer kann.“ Nun mag die Formulierung „Befreiung der Arbeit“ nicht die beste sein, aber die Intention, dass die Arbeit aus ihrer kapitalistischen Lohnarbeits-Form „befreit“ wird, ist korrekt. Auch hier führt Marx seine Kritik inhaltlich nicht aus und ereifert sich stattdessen über über die mangelhafte „Stilistik“ der Gothaer.

Weiter zeigt Marx aber sehr konkret, warum die These von der „reaktionären Masse“ falsch ist. Er führt aus: „Im „Kommunistischen Manifest“ heißt es: „Von allen Klassen, welche heutzutage der Bourgeoisie gegenüberstehen, ist nur das Proletariat eine wirklich revolutionäre Klasse. Die übrigen Klassen verkommen und gehen unter mit der großen Industrie, das Proletariat ist ihr eigenstes Produkt.“

Die Bourgeoisie ist hier als revolutionäre Klasse aufgefasst – als Trägerin der großen Industrie – gegenüber Feudalen und Mittelständen, welche alle gesellschaftlichen Positionen behaupten wollen, die das Gebilde veralteter Produktionsweisen. Sie bilden also nicht zusammen mit der Bourgeoisie nur eine reaktionäre Masse.

Andrerseits ist das Proletariat der Bourgeoisie gegenüber revolutionär, weil es, selbst erwachsen auf dem Boden der großen Industrie, der Produktion den kapitalistischen Charakter abzustreifen strebt, den die Bourgeoisie zu verewigen sucht. Aber das Manifest setzt hinzu: dass die „Mittelstände … revolutionär (werden) … im Hinblick auf ihren bevorstehenden Übergang ins Proletariat“.

Von diesem Gesichtspunkt ist es also wieder Unsinn, dass sie „zusammen mit der Bourgeoisie“ und obendrein den Feudalen, gegenüber der Arbeiterklasse „nur eine reaktionäre Masse bilden“.

Hat man bei den letzten Wahlen Handwerkern, kleinen Industriellen etc. und Bauern zugerufen: Uns gegenüber bildet ihr mit Bourgeois und Feudalen nur eine reaktionäre Masse?

Lassalle wusste das „Kommunistische Manifest“ auswendig wie seine Gläubigen die von ihm verfassten Heilsschriften. Wenn er es also so grob verfälschte, geschah es nur, um seine Allianz mit den absolutistischen und feudalen Gegnern wider die Bourgeoisie zu beschönigen.“

Diese Passagen von Marx betreffen nicht nur die Charakterisierung nicht-proletarischer Klassen und Schichten, sie sind wichtig dafür, das Verhältnis zu ihnen bezüglich einer Kooperation im Klassenkampf festlegen zu können. Die Geschichte zeigt, dass es dem Proletariat – selbst wenn es die Mehrheitsklasse in der Gesellschaft stellt – kaum möglich ist, die Macht zu ergreifen, wenn es ihr nicht gelingt, Teile der Mittelklassen (arme Bauern, Kleinbürgertum, lohnabhängige Mittelschicht) für sich zu gewinnen, zumindest für einen historischen Moment. Gerade bezüglich der Bündnispolitik hatte die Vorkriegs-SPD große Schwächen. Erst viel zu spät begriff sie, wie wichtig die Gewinnung der Mittelschichten und v.a. der ärmeren Bauern ist und überließ diese Frage lange bürgerlichen Sozialreformern wie etwa Raiffeisen, die dabei z.T. durchaus erfolgreich waren. Es ist immerhin bemerkenswert, dass die Gewinnung auch der Kleinbauern für die Sozialdemokratie ein Anliegen der süddeutschen, rechteren SPD-Gliederungen waren, die daraus aber leider eine falsche Taktik (u.a. Zustimmung zum Budget) ableiteten, während Bebel, Kautsky u.a. sich nur einseitig auf das Proletariat orientierten.

Internationalismus

Im Programm heißt es dazu: „Die Arbeiterklasse wirkt für ihre Befreiung zunächst im Rahmen des heutigen nationalen Staats, sich bewusst, dass das notwendige Ergebnis ihres Strebens, welches den Arbeitern aller Kulturländer gemeinsam ist, die internationale Völkerverbrüderung sein wird.“

Marx entgegnet darauf: „Es versteht sich ganz von selbst, dass, um überhaupt kämpfen zu können, die Arbeiterklasse sich bei sich zu Haus organisieren muss als Klasse, und dass das Inland der unmittelbare Schauplatz ihres Kampfs. Insofern ist ihr Klassenkampf, nicht dem Inhalt, sondern, wie das „Kommunistische Manifest“ sagt, „der Form nach“ national. Aber der „Rahmen des heutigen nationalen Staats“, z.B. des Deutschen Reichs, steht selbst wieder ökonomisch „im Rahmen des Weltmarkts“, politisch „im Rahmen des Staatensystems“. Der erste beste Kaufmann weiß, dass der deutsche Handel zugleich ausländischer Handel ist, und die Größe des Herrn Bismarck besteht ja eben in seiner Art internationaler Politik.

Und worauf reduziert die deutsche Arbeiterpartei ihren Internationalismus? Auf das Bewusstsein, dass das Ergebnis ihres Strebens „die internationale Völkerverbrüderung sein wird“ – eine dem bürgerlichen Freiheits- und Friedensbund entlehnte Phrase, die als Äquivalent passieren soll für die internationale Verbrüderung der Arbeiterklassen im gemeinschaftlichen Kampf gegen die herrschenden Klassen und ihre Regierungen. Von internationalen Funktionen der deutschen Arbeiterklasse also kein Wort! Und so soll sie ihrer eignen, mit den Bourgeois aller andern Länder bereits gegen sie verbrüderten Bourgeoisie und Herrn Bismarcks internationaler Verschwörungspolitik das Paroli bieten!

In der Tat steht das internationale Bekenntnis des Programms noch unendlich tief unter dem der Freihandelspartei. Auch sie behauptet, das Ergebnis ihres Strebens sei „die internationale Völkerverbrüderung“. Sie tut aber auch etwas, um den Handel international zu machen, und begnügt sich keineswegs bei dem Bewusstsein – dass alle Völker bei sich zu Haus Handel treiben.

Die internationale Tätigkeit der Arbeiterklassen hängt in keiner Art von der Existenz der „Internationalen Arbeiterassoziation“ ab. Diese war nur der erste Versuch, jener Tätigkeit ein Zentralorgan zu schaffen; ein Versuch, der durch den Anstoß, welchen er gab, von bleibendem Erfolg, aber in seiner ersten historischen Form nach dem Fall der Pariser Kommune nicht länger durchführbar war.“

Forderungen

Zwar macht das „Gothaer Programm“ keine Aussagen dazu, wie der Klassenkampf geführt werden soll, doch es stellt verschiedene konkrete Forderungen auf, z.B.: „Allgemeine und gleiche Volkserziehung durch den Staat. Allgemeine Schulpflicht. Unentgeltlichen Unterricht.“ Dazu Marx: „Gleiche Volkserziehung? Was bildet man sich unter diesen Worten ein? Glaubt man, dass in der heutigen Gesellschaft (und man hat nur mit der zu tun) die Erziehung für alle Klassen gleich sein kann? Oder verlangt man, dass auch die höheren Klassen zwangsweise auf das Modikum Erziehung – der Volksschule – reduziert werden sollen, das allein mit den ökonomischen Verhältnissen nicht nur der Lohnarbeiter, sondern auch der Bauern verträglich ist?

„Allgemeine Schulpflicht. Unentgeltlicher Unterricht.“ Die erste existiert in Deutschland, das zweite in der Schweiz und den Vereinigten Staaten für Volksschulen. Wenn in einigen Staaten der letzteren auch „höhere“ Unterrichtsanstalten „unentgeltlich“ sind, so heißt das faktisch nur, den höheren Klassen ihre Erziehungskosten aus dem allgemeinen Steuersäckel bestreiten.“ (…) Der Paragraph über die Schulen hätte wenigstens technische Schulen (theoretische und praktische) in Verbindung mit der Volksschule verlangen sollen.“

Ganz verwerflich ist eine „Volkserziehung durch den Staat“. Durch ein allgemeines Gesetz die Mittel der Volksschulen bestimmen, die Qualifizierung des Lehrerpersonals, die Unterrichtszweige etc., und, wie es in den Vereinigten Staaten geschieht, durch Staatsinspektoren die Erfüllung dieser gesetzlichen Vorschriften überwachen, ist etwas ganz andres, als den Staat zum Volkserzieher zu ernennen! Vielmehr sind Regierung und Kirche gleichmäßig von jedem Einfluss auf die Schule auszuschließen.“

Diese Passage ist wichtig, weil sie sehr klar die anti-staatliche Orientierung von Marx zeigt. Diese unterscheidet sich deutlich von der Orientierung auf den Staat sowohl der Sozialdemokratie als auch des Gros der heutigen Linken, die ständig von Verstaatlichung reden und denen es gar nicht in den Sinn kommt, etwa die Selbstverwaltung von Schulen durch Pädagogen, Gewerkschaften, Elternvertreter und Kommunen zu fordern – entgegen der Regie durch die staatlichen Schulämter, die absichern, dass Bildung und „Erziehung“ inhaltlich wie organisatorisch im Interesse der Bourgeoisie erfolgen.

Neben anderen Forderungen, auf die wir hier nicht eingehen, äußert sich Marx auch zur Forderung nach „Staatliche(r) Überwachung der Fabrik-, Werkstatt- und Hausindustrie.“ Marx merkt hier an: „Gegenüber dem preußisch-deutschen Staat war bestimmt zu verlangen, dass die Inspektoren nur gerichtlich absetzbar sind; dass jeder Arbeiter sie wegen Pflichtverletzung den Gerichten denunzieren kann; dass sie dem ärztlichen Stand angehören müssen.“ Auch hier geht es ihm um die Unabhängigkeit vom Staat, obwohl er noch nicht fordert, dass die Arbeiter eigene Kontrollinstanzen bilden bzw. ihre Vertreter in die entsprechenden Gremien entsenden.

Ein Fazit

Die Kritik von Marx und Engels richtete sich nicht nur gegen das Programm, sondern auch gegen die Verfahrensweise der Fusion von Eisenachern und Lassalleanern. Das Programm wurde ohne Not und größere Diskussion in den beiden Organisationen auf dem Gothaer Parteitag Hals über Kopf beschlossen. Anstatt dieses unzureichenden Programms, das in zentralen Fragen eine Anpassung an die Ideen Lassalles darstellt, wäre ein Übereinkommen zur praktischen Zusammenarbeit angemessen gewesen. Das Vorgehen von Bebel, Liebknecht und Co. verweist aber schon auf die tendenzielle Unterschätzung der Bedeutung von Theorie und Programmatik, welche die Sozialdemokratie immer prägte. Auch die fehlende Einbeziehung der Parteibasis in die Ausarbeitung der Programmatik der Partei kam hier schon zum Vorschein.

Marx´ „Randglossen“ zum „Gothaer Programm“ behandeln viele wichtige Fragen und legen dar, wo es grundsätzliche Mängel gab. Allerdings war auch Marx´ Kritik mangelhaft – in zweifacher Hinsicht. Erstens wurde in der sehr wichtigen Staatsfrage die Position von „freien Volksstaat“ kritisiert, jedoch keine Alternative, die Räterepublik nach dem Vorbild der Kommune, aufgezeigt – obwohl Marx selbst in seiner Analyse der Pariser Kommune diese herausgearbeitet hatte.

Zweitens „vergaß“ er (wie auch die Gothaer), die Gewerkschaftsfrage zu erwähnen. Das ist umso verwunderlicher, als das vor ihm schon Engels angemahnt hatte. Bereits im März 1875 hatte er Bebel geschrieben: „Fünftens ist von der Organisation der Arbeiterklasse als Klasse vermittelst der Gewerksgenossenschaften gar keine Rede. Und das ist ein sehr wesentlicher Punkt, denn dies ist die eigentliche Klassenorganisation des Proletariats, in der es seine täglichen Kämpfe mit dem Kapital durchficht, in der es sich schult und die heutzutage bei der schlimmsten Reaktion (wie jetzt in Paris) platterdings nicht mehr kaputtzumachen ist. Bei der Wichtigkeit, die diese Organisation auch in Deutschland erreicht, wäre es unserer Ansicht nach unbedingt notwendig, ihrer im Programm zu gedenken und ihr womöglich einen Platz in der Organisation der Partei offenzulassen.“

Das Nichterwähnen der Gewerkschaftsfrage ist jedoch nur Ausdruck des Hauptmangels sowohl des Programms wie der Kritik daran: es fehlt jede konkrete Aussage dazu, wie der Klassenkampf zu führen sei, welche Strukturen, welche Taktiken angewendet werden sollten. So wird der Streik als zentrales Kampfmittel nicht einmal erwähnt! Diese Elemente eines Programms sind letztlich die wesentlichen, weil nur sie – nicht allgemeine sozialistische „Bekenntnisse“ – Anleitungen zum Klassenkampf sind und die Erfahrungen, die dabei gesammelt werden, verarbeiten. Die spätere Entwicklung der SPD zeigt, wie fatal sich dieser Mangel an Programmatik und das Fehlen von Taktik im Programm auswirkte. Dieses programmatische Manko wurde auch im zweiten Programm der SPD, dem Erfurter von 1891, nicht behoben. So war es möglich, sich allgemein zum Sozialismus zu bekennen, aber eine vollkommen reformistische „Realpolitik“ zu betreiben. Mit einem gewissen Recht konnten sich alle – Revolutionäre wie Luxemburg, Zentristen wie Kautsky oder Reformisten wie Ebert oder Scheidemann – auf das Programm der SPD berufen. Bei aller Berechtigung der Kritik von Luxemburg an den Revisionisten hatte es aber auch sie versäumt, ein anderes Programm vorzuschlagen. Zu dieser Einsicht gelangte sie erst 1916/17.

Im Nachhinein müssen wir fragen, warum Marx und Engels (wenn schon nicht vorher, weil man sie nicht bzw. zu spät informiert hatte) wenigstens im Nachhinein ein Alternativprogramm vorgelegt haben? Warum hat sich Marx mit einigen „Randglossen“ zufrieden gegeben, wo er doch sonst so penibel gearbeitet hat? War die Tatsache der Gründung der ersten sozialistischen Massenarbeiterpartei in Deutschland, und gewissermaßen weltweit, nicht eine ausführlichere Beschäftigung wert?! Warum haben sich Marx und Engels nicht selbst energischer als Mitglieder der Führung der SPD ins Spiel gebracht?
Marx fügte seiner Kritik als letzten Satz an: „Dixi et salvavi animam meam (Ich habe gesprochen und meine Seele gerettet.)“ Marx´ Seele war gerettet – nur die der Sozialdemokratie nicht.

3 Gedanken zu „Marx und Gotha“

  1. Lenin sah „Arbeiteraristokratie“ und „supranationale Finanzoligarchie“ bereits mit dem Monopolismus entstehen, also allerspätestens ab den 1870ern. Ein Bündnis von Arbeiteraristokratie und supranationaler Finanzoligarchie institutionalisierte sich erstmals mit der 1884 in London gegründeten Fabian Society. Zu dieser und zu deren Vorgeschichte siehe: Edgar Reichel, Der Sozialismus der Fabier — Ein Beitrag zur Ideengeschichte des modernen Sozialismus in England, 1947

    In solche Richtung weist ja auch Marx, wenn er von einem „Bündnis Lasalles mit den Feudalen“ spricht. (Anmerkung: So weit es Britanniens Adel betrifft, so war dieser über die Ostindische Handelskompanie eng verbunden mit der von jener Kompanie stark geförderten industriellen Entwicklung, mit also dem industriellen Kapital; wiederum war Britanniens Hochadel dynastisch eng verbunden mit dem in deutschen Landen.)

    Marx und Engels, beide in England lebend, werden anno 1875 gewußt haben von jenen Gegebenheiten. Welche ihren drei Jahrzehnte zuvor, lange vor dem Monopolismus entwickelten Klassenkampfansatz als zunehmend aussichtslos erscheinen lassen mußten, mithin gar die diesem Ansatz unterliegende Geschichtstheorie. Darum denkbar auch, daß sie anno 1875 jenen neuen Entwicklungen einigermaßen ratlos gegenüberstanden. Diesbezüglich Beleg sein könnte Marxens Kritik des hoch naiven Staatsverständnisses der Lasallianer. Welches ganz offenkundig ja auch das des Proletariats war: Der Staat ein gütiger Vatergott.

    Nietzsche jenerzeit kurz: „Christentum ist Sklavenreligion par excellence.“ Solche Sklaven führen keine Klassenkämpfe. Ebenfalls Nietzsche: „Mit der Moderne kommt das Christentum zu seiner höchsten Blüte.“ Auch atheistisch gewordene (=moderne) Christen sind Christen, bloß daß sie dann nicht mehr der Kirche gläubig anhängen und untertan sein wollen, sondern dem Staat.

    Was letzteres eine Geschichtstheorie in Frage stellt, welche mit dem Klassenkampf zunächst zwar nur das Verhältnis aufheben will von Herr und Knecht — was in sich logisch vollauf stimmig ist. Nicht mehr in sich stimmig aber ist es, die menschheitsgeschichtlicheAufgabe der Überwindung einer auf die unweigerliche Zerstörung von Mensch, Natur und Welt, auf die Zerstörung VON ALLEM UND ALLEN ausgehende Produktionsweise allein dem Proletariat zuzuweisen. Ein geradezu messianischer Auftrag. Ist nicht mehr Wissenschaft, sondern schon Religion!

    Auch Geschichtstheorie ist bloß Theorie. Zu eng, zu mechanistisch das mit dem Primat des Proletariats. Sollten denn etwa alle Nichtproletarier blöde sein!? (Naja, manchmal kann man den Eindruck bekommen.😁)

  2. — 1848 Kommunistisches Manifest
    — 1875 Gothaer Programm
    — 1891 Erfurter Programm (gültig noch bis 1914)

    Wenn denn um etwa 1890 der Imperialismus begann und ab etwa 1870 das Kapital monopolistisch wurde, dann fand der Parteitag von Gotha insofern zu einem ungünstigen Zeitpunkt statt, da man am Anfang einer neuen größeren Entwicklungsphase der Produktivkräfte und so auch der Hauptprofittaktik des Kapitals stand. War von daher eventuell noch zu früh, um bereits zu tragfähigen politisch-ökonomischen Einschätzungen und daraus zu ziehenden programmatischen bzw. taktischen Aussagen zu gelangen.

    Erst Lenin überschaute die politische Ökonomie des Monopolismus von 1916 aus rückblickend mit seinem «Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus». Ihmnach war mit dem Monopolkapital eine zu vergleichsweise privilegierten Bedingungen bei diesem beschäftigte und (naheliegenderweise) mit diesem verbündete „Arbeiteraristokratie“ entstanden, welche die Partei des Proletariats sowie die Gewerkschaften dominieren würde — entfernt vergleichbar das mit heute Feste und Freie, also eine Spaltung des Proletariats.

    Sollte diese Einschätzung Lenins zutreffend gewesen sein, so ist zu vermuten, daß Marx und Engels wohl verstanden haben, daß es in Gotha zu früh war, ihrerseits energisch zur programmatischen Debatte beizutragen. Und vielleicht zeichnete jene Arbeiteraristokratie sich bereits ab. Jegliche programmatische Intervention würde dann alloffenbar fruchtlos bleiben müssen. Und so sagte man nur das Allernötigste, wenn nicht sogar nur Beiläufiges.

    1. „Sollte diese Einschätzung Lenins zutreffend gewesen sein, so ist zu vermuten, daß Marx und Engels wohl verstanden haben, daß es in Gotha zu früh war, ihrerseits energisch zur programmatischen Debatte beizutragen. Und vielleicht zeichnete jene Arbeiteraristokratie sich bereits ab. Jegliche programmatische Intervention würde dann alloffenbar fruchtlos bleiben müssen. Und so sagte man nur das Allernötigste, wenn nicht sogar nur Beiläufiges.“

      Ich glaube, dass mehr an Kritik möglich und nötig war, zudem Marx hier hinter seine eigenen Positionen zurückfiel. 1875 konnte man noch nicht vom Imperialismus sprechen, aber das war für die Art der Kritik auch nicht wesentlich.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert