Der Antimilitarismus der Kommunistischen Plattform

Hannah Behrendt

Die „Kommunistische Plattform“ (KPF) in der Linkspartei hat entsprechend eines Beschlusses des Bundeskoordinierungsrates der KPF vom 15. Juni 24 einen Antimilitarismus-Antrag an den Hallenser Parteitag, der vom 18.-20. Oktober 24 stattfindet, initiiert.

Wir wollen diesen Antrag hier bewerten, weil er sehr gut zeigt, welchen Charakter die Politik der KPF hat. Aufgrund der Kürze des Antrags stellen wir ihn vollständig unseren Anmerkungen voran.

„Schluss mit der Kanonen-statt-Butter-Politik!

Der deutsche Militarismus hat im vergangenen Jahrhundert maßgeblich nicht nur unseren Kontinent zweimal ins Verderben gestürzt. Sowohl im Zusammenhang mit dem Ersten als auch dem Zweiten Weltkrieg sahen die hierzulande Herrschenden in der militärischen Gewalt das wichtigste Mittel zur
Lösung außenpolitischer Fragen. Das kostete im Ersten Weltkrieg mehr als 15 Millionen Menschen das Leben. Der deutsche Faschismus machte den deutschen Militarismus zu einer unfassbar grausamen, chauvinistischen Ausgeburt des Völkerhasses und des Völkermords. Sechs Millionen europäische Jüdinnen und Juden wurden industriell ermordet. Eine halbe Million Sinti und Roma fielen dem Völkermord zum Opfer und 27 Millionen Bürgerinnen und Bürger der Sowjetunion überlebten den Vernichtungskrieg Hitlerdeutschlands nicht. Insgesamt kamen im Zweiten Weltkrieg mehr als 65 Millionen Menschen um. Keine andere Schlussfolgerung konnte es aus diesem Gemetzel geben als: „Nie wieder Krieg und Faschismus“.

Seither sind fast 80 Jahre vergangen. Vergessen scheinen Brechts Worte aus dem Gedicht „Deutschland“: Oh Deutschland, bleiche Mutter! / Wie sitzest Du besudelt / Unter den Völkern /
Unter den Befleckten / Fällst du auf.

Schamlos wird heutzutage verkündet, Deutschland müsse wieder kriegstüchtig werden. Und es wird nicht nur verkündet; der Krieg wird vorbereitet, verbunden mit der Behauptung, nur so könne der Frieden bewahrt werden. Auch das ist nicht neu. Auch das sagte schon Kaiser Wilhelm II. und ebenso der wir Reichskanzler, der den nächsten Weltkrieg vorbereitete. Und die Behauptung,
Deutschland sei nunmehr eine Friedensmacht, eingebunden in ein Verteidigungsbündnis, hält keiner Analyse stand. Denn gerade die NATO und ihre Hauptmacht – die USA – sind nicht Teil der Lösung, sondern Teil des Problems. Auch der völkerrechtswidrige Krieg Russlands in der Ukraine, der
zugleich ein Stellvertreterkrieg zwischen Russland und der NATO ist, macht das westliche Militärbündnis nicht zu einer friedensbewahrenden Kraft. Die wortbrüchige NATO-Osterweiterung gehört vielmehr zur Vorgeschichte des Ukraine-Krieges, der wohl hätte vermieden werden können, wären russische Sicherheitsinteressen nicht völlig ignoriert worden und gäbe es ein kollektives
Sicherheitssystem unter Einbeziehung Russlands. Doch wer auch immer wie auch immer den Ukraine-Krieg bewertet: Die Partei Die Linke wendet sich uneingeschränkt gegen das in rasendem Tempo vonstatten gehende Wiedererstarken des deutschen Militarismus. Wir fordern daher in völliger Übereinstimmung mit den friedenspolitischen Grundsätzen unseres Parteiprogramms:

  1. Die massive Aufrüstung muss beendet werden. Aus dem Bundeshaushalt des laufenden Jahres werden über 90 Milliarden Euro für die Hochrüstung und weitere Milliarden für die Ukraine ausgegeben. Diese todbringenden Mittel werden der Gesundheitsfürsorge, der Infrastruktur, der Bildung, den sozialen Sicherungssystemen und Subventionen für bezahlbare Mieten entzogen.
    Schluss mit der „Kanonen-statt-Butter-Politik“, die zu Lasten der Lohnabhängigen und sozial Benachteiligten geht – gegen die Militarisierung zu kämpfen, heißt unmittelbar ihre sozialen Interessen zu vertreten.
  2. Wir lehnen die wie auch immer geartete Wiedereinführung der Wehrpflicht ab und unterstreichen unsere Ablehnung von Auslandseinsätzen der Bundeswehr. An Schulen und Bildungseinrichtungen hat die Bundeswehr nichts zu suchen. Die Zivilklausel an Universitäten und Forschungseinrichtungen muss gewährleistet bleiben.
  3. Schluss mit den Waffenlieferungen in alle Welt; vor allem Schluss mit den Waffenlieferungen in die Ukraine und nach Israel. Wir wollen kein neues NATO-Kommando für die Ukraine, nicht in Wiesbaden und nirgendwo sonst in Deutschland. Schluss mit den Irrsinnsprofiten der Rüstungsindustrie. Allein Rheinmetall – der Konzern verdiente schon Unsummen an den zwei
    Weltkriegen im 20. Jahrhundert – konnte seine Profite in den letzten zehn Jahren auf das Fünfzehnfache steigern.
  4. Die Weigerung der hierzulande Herrschenden, Verhandlungen, Diplomatie und Deeskalation wieder in den Mittelpunkt politischen Agierens zu stellen, muss beendet werden. Auch Sanktionspolitik trägt nicht dazu bei, die Verhältnisse wieder friedvoller zu gestalten.
  5. Gerade in Anbetracht eines drohenden nuklearen Infernos wollen wir keine neuen US-Waffensysteme auf deutschem Territorium. Sie machen uns zur Zielscheibe. Die Bundesregierung muss hingegen den Atomwaffenverbotsvertrag endlich unterzeichnen und die USA auffordern,
    die Atomwaffen aus Büchel abzuziehen. Die nukleare Teilhabe muss beendet werden und es muss eine klare Ablehnung einer sogenannten europäischen Atombombe geben. Wir wenden uns uneingeschränkt gegen die Militarisierung der EU und fordern das Wiederinkraftsetzen der
    Rüstungskontrollverträge.
  6. Die Kriegshysterie in Politik, Medien und Gesellschaft muss ein Ende haben. Sie ist Hauptbestandteil der ideologischen Kriegsvorbereitung. Den Kern dieser Hysterie bildet die Behauptung, Russland bereite sich darauf vor, NATO-Staaten und somit auch Deutschland anzugreifen. Dass die russische Führung dies mehrfach zurückgewiesen hat, wird ignoriert. Ebenso wird ignoriert, dass die NATO im Jahr 2023 mehr als das 12-fache an Rüstungsausgaben hatte wie die Russische Föderation. Damit diese Ignoranz Früchte trägt, wurde und wird ein Russenhass entfacht, der selbst den aus Zeiten des kalten Krieges überbietet. Mit diesem geschichtsvergessenen
    ideologischen Wahn muss Schluss gemacht werden. Völkerhass, jeglichem Rassismus und Antisemitismus darf nirgendwo und in keinem Kontext Raum gegeben werden.
  7. Wir wenden uns gegen die Ausweitung von Repressionen gegen außerparlamentarische Bewegungen und vertiefen unsere Zusammenarbeit mit ihnen. Denn alle – sei es die Friedens-, Antifa- oder Umweltbewegung – haben es in Gestalt des mächtigen Profitsystems mit demselben Gegner zu tun. Die Partei Die Linke verweist mit allem Nachdruck auf den Zusammenhang zwischen zunehmenden präfaschistischen Entwicklungen und den Kriegsvorbereitungen. Wir haben die Lehren aus der Geschichte nicht vergessen.“

Soweit der Antragstext.

Falsche Positionen

Ohne hier ins Detail zu gehen, ist den meisten Einschätzungen und Forderungen des Antrags durchaus zuzustimmen. Trotzdem sind einige Anmerkungen nötig.

Im Antrag ist vom Militarismus die Rede, doch nicht vom Imperialismus. Damit wird tendenziell ausgeblendet, dass der Militarismus letztlich in den sozial-ökonomischen Verhältnissen der führenden kapitalistischen Mächte wurzelt, dass er nicht nur eine besonders aggressive Politik ist, sondern Ausdruck der ökonomischen Verwertungsinteressen des Großkapitals, die grundsätzlich global ausgerichtet sind.

Die falsche bzw. inkonsequente Politik der LINKEN zum Ukrainekrieg war ein Hauptgrund dafür, dass sich einige Mitglieder und viele Wähler von der Linkspartei ab- und dem BSW zugewandt haben. Gerade deshalb hätte die KPF in ihrem Antrag genauer auf die Fehler der LINKEN in der Ukraine-Frage eingehen müssen. Das ist aber nicht der Fall. Im Gegenteil: Wie bei der LINKEN (und auch beim BSW) spricht auch die KPF vom „völkerrechtswidrigen Krieg Russlands in der Ukraine“. Hier ist schon die Berufung auf das „Völkerrecht“ falsch, denn dieses wird nicht von den Völkern, sondern von den Herrschenden definiert – und es wird jeweils im Interesse der Herrschenden ausgelegt und durchgesetzt. So ist das Recht auf die Verteidigung der nationalen Souveränität, d.h. des Nationalstaates, Teil des Völkerrechts. Genauso ist darin aber auch das Recht auf die nationale Selbstbestimmung nationaler Gruppen festgeschrieben. Das Kiewer Regime hat danach also das Recht, die Separation der unterdrückten russischen Mehrheitsbevölkerung im Donbass zu verhindern, genauso wie formell die Russen im Donbass das Recht haben, sich abzuspalten.

Das verbrecherische Vorgehen Kiews gegen die Russen im Donbass hat seit 2014 bis Februar 2022 14.000 Tote gefordert. Russland hätte seine Landsleute bereits 2014 in ihrem berechtigten Kampf militärisch unterstützen können und müssen, Putin aber hielt sich zurück und setzte auf die Minsker Verhandlungen. Dabei wurde er vom Westen über den Tisch gezogen. Die KPF selbst betont völlig richtig, dass der Westen mit der Osterweiterung der NATO den Konflikt mit Russland faktisch provoziert hat. Warum spricht die KPF dann aber trotzdem vom „völkerrechtswidrigen Krieg Russlands“? Geht es hier um formelles Recht oder aber um die realen (Über)lebensinteressen von Menschen?!

Das Problem der Eingliederung der Krim in die Russische Föderation – nach der Logik der KPF auch ein Bruch des Völkerrechts – wird gar nicht erst erwähnt. Dass das Parlament der Krim und die Bevölkerung der Krim seit 1991 mehrfach beschlossen haben, nicht zur Ukraine gehören zu wollen, wird von der KPF einfach ignoriert. Aus diesen falschen, historisch unrichtigen Positionen und den Illusionen in das Völkerrecht ergibt sich fast zwangsläufig die verkehrte und sich dem westlichen Imperialismus anpassende Politik der LINKEN.

Diese Politik ist auch keine Politik des Klassenkampfes, sondern eine pazifistische, auf die „Bekehrung“ der Akteure der bürgerlichen Politik ausgerichtete. Sie betont, dass es doch „vernünftiger“ wäre, eine friedlichere Politik zu verfolgen. Doch für den dominierenden US-Imperialismus und seine westliche NATO-Gefolgschaft ist es durchaus rational, den Einfluss Russlands und Chinas zu begrenzen, um seine eigene Stellung in der Welt zu behalten. Da können die Reformisten noch so gute Ratschläge geben.

Forderungen

Den meisten Lesern wird auffallen, dass im Antrag der KPF wesentliche Forderungen fehlen, die zumindest früher auch von der PDS bzw. der LINKEN aufgestellt worden sind. Dazu gehören etwa: „Austritt aus der NATO! NATO raus aus Deutschland!“ und „Enteignung der Rüstungsindustrie und deren Umstellung auf zivile Produktion!“

Wenn die KPF schon richtig einschätzt, dass die NATO eine aggressive Politik verfolgt, dann fragen wir uns, warum diese Forderungen fehlen? Die Bundeswehr wird gleich komplett aus der Schusslinie genommen. Ist sie nicht Teil der NATO, ist sie kein Instrument des Imperialismus?! Offenbar ist das zumindest unklar, denn von Forderungen zur Zerschlagung der Bundeswehr, deren Ersetzung durch ein Milizsystem oder auch nur eine effektive demokratische Kontrolle der Armee ist nichts zu sehen. Das alles sind Forderungen, die schon von der alten Sozialdemokratie zu Bebels Zeiten aufgestellt worden sind.

So, wie schon die Politik und die Praxis der LINKEN von der KPF v.a. in strategischer Hinsicht nie kritisch hinterfragt wurden, fehlen im Aufruf der KPF auch konkrete Vorschläge, wie eine Anti-Kriegs-Politik aussehen könnte. Wie immer bei Reformisten reicht es offenbar auch der KPF, einige Einschätzungen und Forderungen aufzustellen – wie und vom wem diese umgesetzt werden sollen, bleibt aber offen. Von der Arbeiterklasse ist nicht die Rede, auch nicht von der Friedensbewegung. Gerade letztere ist gegenwärtig aber ein Schatten ihrer selbst und zudem gespalten. Dazu schweigt die KPF und verweist nur darauf, dass „alle – sei es die Friedens-, Antifa- oder Umweltbewegung – (…) es in Gestalt des mächtigen Profitsystems mit demselben Gegner zu tun“ hätten. Allein schon die Tatsache, dass diese Kräfte – nicht alle, aber zum großen Teil – wesentliche Projekte der Herrschenden (Corona- und Klimahysterie, Energiewende, Genderpolitik usw.) – unterstützt haben, anstatt sich dagegen zu wenden, zeigt, dass die Mär vom „Gegner“ eine hohle Phrase ist. Oder glaubt Jemand, dass man eine fortschrittliche kämpferische Kraft aufbauen kann, indem man andauernd in vielen zentralen Fragen mit dem Klassengegner kooperiert?!

Auf die Arbeiterbewegung, genauer: auf deren aktuellen Zustand, geht die KPF mit keinem Wort ein. Dass ohne deren Beteiligung eine schlagkräftige Friedensbewegung unmöglich ist, dürfte aber Jedem klar sein. Das ist aber nur möglich, wenn die politische und strukturelle Dominanz des sozialdemokratischen Reformismus über die Gewerkschaften bekämpft wird. Das haben die PDS und die LINKE nie versucht, genauso wie die KPF dieses Versäumnis ihrer Partei nie ernsthaft kritisiert hat.

Abgesehen von der falschen ideologischen Ausrichtung der LINKEN, der Friedensbewegung u.a. Kräfte mangelt es ihnen – und auch der „radikalen Linken“ – an einer Konzeption, wie man eine starke Friedensbewegung praktisch aufbaut. Wir wollen hier nur auf eine Frage eingehen: den Aufbau von Mobilisierungsstrukturen. Meist agieren Linke so, dass sie Kundgebungen und Demos organisieren. Diese bleiben meist auf das eigene Milieu beschränkt und sind – wie die letzten Monate zeigen – eher sehr klein. Versuche, im Kiez oder im Dorf Basiskomitees aufzubauen, an denen sich die Bevölkerung beteiligen kann, gibt es kaum. Diese konkrete Form von Einheitsfrontpolitik ist den meisten Linken ein Buch mit sieben Siegeln. Auch Forderungen an Gewerkschaftsgliederungen zu stellen, ist kaum üblich. Dieses Manko ist Ausdruck des Sektierertums und der allgemeinen politischen Unreife der linken Szene. Darauf hätte die KPF eingehen müssen.

Fazit

Die KPF hat die Politik der LINKEN nie ernsthaft und grundsätzlich kritisiert oder gar bekämpft. In dieser unseligen Tradition steht auch ihr Antrag an den bevorstehenden Parteitag der LINKEN. Sie geht weder auf die Fehler der Friedenspolitik der LINKEN ein noch unterbreitet sie konkrete Vorschläge, wie Opposition und Widerstand gegen Militarismus, Rüstung und Kriegstreiberei entwickelt und gestärkt werden kann. Damit ist die KPF weiterhin Teil des Problems und nicht Teil der Lösung.

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