Hannah Behrendt
Eine Nichtregierungsorganisation (englisch: Non-governmental organization, NGO) oder auch nichtstaatliche Organisation ist ein Interessenverband, der nicht durch ein öffentliches Mandat legitimiert ist, aber z.T. staatlich finanziert sein kann. Im öffentlichen Bewusstsein gelten NGOs als Organisationen, die durch ihre Aktivitäten versuchen, die Interessen von Armen v.a. in der „3. Welt“ zu mildern, die Umwelt zu schützen, soziale Dienste anzubieten oder Entwicklungshilfe zu initiieren. Diese Einschätzung von NGOs wollen wir hier hinterfragen.
NGOs sind ab dem letzten Drittel des 20. Jahrhunderts zu einem festen Bestandteil des politischen Milieus geworden. Lt. Google agieren inzwischen weltweit etwa 75.000 NGOs. Neben großen und bekannten Organisationen wie Amnesty International, Greenpeace, Ärzte ohne Grenzen oder dem WWF (World Wide Fund for Nature) gibt es inzwischen tausende, oft weniger bekannte kleinere Strukturen.
Ursprünglich waren NGOs entstanden, weil viele soziale, politische oder Umweltprobleme von den Regierungen nicht gelöst werden wollten oder konnten, aber auch, um ihnen bei der Lösung zur Seite zu stehen. Insofern waren sie immer auch Ausdruck von Kritik und Unzufriedenheit mit der „offiziellen“ staatlichen Politik. Sie waren aber auch Folge des Umstands, dass die reformistisch bzw. stalinistisch geprägte Arbeiterbewegung und die Linke sich bestimmter Probleme (Umwelt, politische Unterdrückung u.a.) oft nicht annahmen. So gingen Aktivistinnen und Aktivisten daran, selbst Strukturen aufzubauen und sich für „progressive Projekte“ zu engagieren. Die NGOs kamen aber oft schnell an ihre Grenzen, v.a. fehlte es an Ressourcen und Geld, so dass ihre Wirkungen oft sehr begrenzt blieben.
Schon Ende des 19. Jahrhunderts nahm die Zahl der NGOs schnell zu, was nicht zuletzt Ausdruck der zunehmenden Probleme der imperialistischen Weltordnung war, die es zu „betreuen“ gab. Neben humanitär ausgerichteten Organisationen gab es bald auch welche mit politischen, wirtschaftlichen, gewerkschaftlichen oder wissenschaftlichen Anliegen. Nach dem Ersten Weltkrieg entstanden auch wichtige internationale NGOs, die sich z.B. dem Flüchtlings- und Migrationsproblem widmeten und etwa mit dem Roten Kreuz und mit dem Völkerbund zusammenarbeiteten.
Seit den 1990er Jahren nahm die Zahl von Hauptamtlichen in den NGOs stark zu und die Arbeitsweise wurde „professionalisiert“, um die Anforderungen bewältigen zu können. Parallel dazu entwickelten sich kommerzielle Strukturen zum Eintreiben von Spenden- und Projektgeldern. Diese kommen sowohl von privaten Spendern als auch von Staat und Kapital.
Unabhängigkeit?
Der Name „Nichtregierungsorganisation“ suggeriert, dass NGOs nicht vom Staat abhängig wären. Das mag auf manche NGOs auch zutreffen, aber viele (und immer mehr) sind keinesfalls unabhängig. Das war im Grund schon immer so, allein schon, weil jede NGO für ihre Arbeit die Zustimmung, wenn nicht gar die Unterstützung des Staates braucht, für den bzw. in dem sie aktiv werden will. Bedeutsamer ist aber, dass die große Mehrzahl der NGOs bzw. ihre Protagonisten einer Strategie der Reformierung folgt, welche die Grundlagen des Systems (Privateigentum, Lohnarbeit usw.) nicht grundlegend infrage stellen. Diese Haltung hat sich nach dem Zusammenbruch des stalinistischen „Realsozialismus“ nach 1990 noch deutlich verstärkt.
Von einer Unabhängigkeit von NGOs kann v.a. dann überhaupt keine Rede sein, wenn diese quasi im Auftrag von Regierungen oder in Kooperation mit Unternehmen handeln, weil das für diese aus verschiedenen Gründen von Vorteil ist. Ab den 1980ern erfolgten in zunehmendem Maße Gründungen von NGOs, die im direkten Auftrag der CIA o.a. Geheimdiensten arbeiten oder von Milliardären gegründet wurden. Die „Open Society Foundation“ (OSF) des Milliardärs Georg Soros ist dafür ein bekanntes Beispiel. Offiziell verbreitet sie den Gedanken der „offenen Gesellschaft“ und fördert politische Aktivitäten, besonders in Mittel- und Osteuropa und den Nachfolgestaaten der UdSSR. Tatsächlich wirken Organisationen wie die OSF oft dafür, die Opposition aufzubauen, um dem Westen genehme Regime zu installieren, wenn nötig mittels „Farbrevolutionen“. 2017 wurde bekannt, dass Soros rund 18 Milliarden Dollar in die OSF gesteckt hat.
In den letzten Jahren wurde das Image der NGOs als „Helfer“ und „Weltverbesserer“ zunehmend erschüttert. Dabei ging es u.a. um den Missbrauch von Geldern, um Projekte, die mehr Schaden als Nutzen anrichten, aber für die NGOs Gewinn bringen. Das heißt aber nicht, dass alle NGOs „schwarze Schafe“ sind, die Mehrzahl von ihnen leistet wichtige und engagierte Arbeit, oft unter schwierigen und gefährlichen Umständen.
Kritik
Aufgrund von zahlreichen Skandalen und Verfehlungen von NGOs bzw. Mitarbeitern von NGOs haben Journalisten, tw. aber auch ehrliche NGO-Mitarbeiter die Arbeit der Strukturen genauer unter die Lupe genommen und ihre Kritik öffentlich gemacht. Wichtige und oft genannte Kritikpunkte sind dabei u.a.:
- NGOs sind nicht demokratisch legitimiert oder gewählt. Damit sind sie auch nicht befugt, im Namen der Bevölkerung eines Landes zu sprechen oder zu agieren;
- sie sind intern nicht immer demokratisch strukturiert, oft herrscht ein Funktionärs-Klüngel;
- der Zwang, im öffentlichen Diskurs aufzufallen, um mehr Spenden zu generieren, zwingt NGOs dazu, moralische Empörung und Emotionen hervorzurufen. Darunter leidet oft eine seriöse, auf Wissenschaft beruhende Darstellung der Sachlage;
- viele NGOs, gerade jene, die sich dem „Klimaschutz“ widmen, reiten auf einer Kampagnenwelle und profitieren von öffentlichen, über den Staat verteilten Geldern, ohne sich um die wissenschaftliche Fundierung ihrer Arbeit zu kümmern;
- tw. haben NGOs Dank ihrer Basierung in den imperialistischen Metropolen eine sehr starke Stellung gegenüber den Institutionen der Länder, in denen sie tätig sind, und handeln im Widerspruch zu ihnen.
NGOs in der Grauzone
Der Europäische Rechnungshof (ERH) kritisiert die derzeitigen Finanzierungspraktiken der NGOs durch die EU. Ähnliche Kritik gibt es auch auf nationaler Ebene. Der ERH stellt jedoch die Berechtigung der Zuwendungen nicht infrage. Er plädiert sogar dafür, die Subventionen fortzusetzen. Er moniert aber die mangelnde Überprüfung der begünstigten Strukturen und Vereinigungen bezüglich der „europäischen Werte“ und beklagt die „mangelnde Transparenz“ der Entscheidungen, Verfahren und Kontrollen dieser Organisationen.
Der ERH konstatiert, dass die EU zwischen 2021-23 im Rahmen der internen Politikbereiche 3,4 Mrd. Euro direkt verwaltete und 1,4 Mrd. Euro an Mitteln für Maßnahmen, die indirekt über ihre Durchführungspartner verwaltet werden, den NGOs gewährt hat. Dass viele NGOs direkt der politischen Einflussnahme im Sinne der EU und ihrer „Werte“ dienen, zeigt z.B. die Unterstützung von NGOs in Serbien, das eine Russland-freundliche Politik betreibt. Sogar eine EU-Kommissarin räumte ein: „Viele NGOs in Serbien würden ohne unsere Unterstützung nicht überleben, und gerade wegen der außerordentlichen Bedeutung der NGOs habe ich beschlossen, ihnen für den Zeitraum von diesem Jahr bis Ende 2027 zusätzliche 16 Millionen Euro zur Verfügung zu stellen.“
Auch in Deutschland erfreuen sich NGOs in vielerlei Gestalt, oft als Stiftung oder Institut, großzügiger Förderung und finanzieller Unterstützung durch Staat, Politik und Wirtschaft. Ein Beispiel ist das „Zentrum Liberale Moderne“ (LibMod), eine „Denkfabrik“, die 2017 von den Grünen Marieluise Beck und Ralf Fücks gegründet wurde. Seit 2018 wird es aus dem Bundeshaushalt mit Steuergeldern finanziert. Seit 2019 erhält LibMod jährlich eine halbe Million Euro aus dem Haushalt des Bundespresseamtes. Lt. wikipedia setzt sich „das Zentrum (…) für die Westbindung Deutschlands sowie die transatlantischen Beziehungen zwischen Europa und Nordamerika ein. Es tritt für ein entschiedenes Auftreten gegenüber der russischen Regierung unter Wladimir Putin ein und versteht den Kreml als Gegenspieler des Westens.“ LibMod agierte ganz ungeniert im Sinne der Ampel-Regierung und deren Aufrüstungs- und Kriegspolitik.
Besonders markant ist die finanzielle Unterstützung von Hunderten NGOs, Stiftungen und Institute, die sich dem Klimaschutz und der Energiewendepolitik verschrieben haben. In Summe erhalten diese jährlich hunderte Millionen von Staat und vom „grünen“ Kapital, um die absurde und unwissenschaftliche Klimapolitik zu popularisieren. Während über die tatsächlichen oder angeblichen Verbindungen der “Klimaleugner“ zur „Fossilmaffia“ oft berichtet bzw. eher spekuliert wird, ist von der Verquickung von „grüner“ Szene und „grünem“ Kapital fast nie die Rede.
Beispiel Greenpeace
Eine der weltweit größten und einflussreichsten NGOs ist Greenpeace. Es wurde 1971 gegründet und setzt sich für Umwelt-, Natur- und Klimaschutz und für Frieden ein. Greenpeace wirkt nach eigener Aussage „mit direkten gewaltfreien Aktionen für den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen von Mensch und Natur und (kämpft für) Gerechtigkeit für alle Lebewesen“.
Bekannt wurde Greenpeace v.a. durch den Kampf gegen Atomtests in der Südsee. Diese Protestaktionen hatten auch Wirkung und trugen mit dazu bei, dass überirdische Atomtests so nicht mehr durchgeführt wurden. Damals hatte Greenpeace duchaus eine tendenziell antiimperialistische Ausrichtung. Doch der Charakter von Greenpaece änderte sich. Anstatt gegen Kernwaffen wendete man sich immer stärker auch gegen die friedliche Nutzung der Kernenergie. Dabei igniorierte man zunehmend die Erkenntnisse der Wissenschaft und agierte offen populistisch. So äußerte sich Greenpeace zum Unfall von Fushima, indem man Tatsachen verdrehte und Probleme maßlos übertrieb. Man erregte sich z.B. darüber, dass man keinen Zutritt zum Gelände des KKW erhielt – dieser ist nur Fachpersonal erlaubt -, obwohl man noch nicht einmal einen Antrag dafür gestellt hatte. Noch heute kursiert in den Nachrichten die auch von Greenpeace befeuerte Lüge, dass der KKW-Unfall von Fukushima „tausende Tote“ gefordert hätte, obwohl es keinen einzigen Toten durch Radioaktivität gab und alle Toten, die es tatsächlich gab, Opfer des Tsunamis waren.
Greenpeace vertritt zunehmend irrationale und unwissenschaftliche Ansichten. So wollte Greenpeace Chlor (ein Element des Periodensystems) „verbieten“. Um den Ausstieg aus den fossilen Treibstoffen zu beschleunigen, förderte Greenpeace die Ausweitung von Palmölplantagen, für die auch Tropenwälder gerodet wurden. Diese Absurditäten und das zunehmend rein kommerzielle Geschäftsgebaren krisiert auch Patrick Moore, Mitgründer von Greenpeace und bis 1986 Präsident von Greenpeace Kanada.
Der Platz der NGOs im Kapitalismus
Bei aller Kritik an einigen NGOs sollte nicht vergessen werden, dass viele von ihnen und ihre Aktivisten sehr engagierte und nützliche Arbeit leisten, um die Welt zu einem „besseren Ort“ zu machen. Doch wie alle Formen von Reformpolitik ändern sie nichts an den Grundlagen des kapitalistischen Systems, v.a. am Privateigentum an den Produktionsmitteln und der Konkurrenz. Wesentliche Verbesserungen der Gesellschft können nur erreicht und verstetigt werden, wenn sie 1. in eine revolutionäre Konzeption eingebunden und 2. mit der Arbeiterbewegung verbunden sind. Ein Problem fast aller NGOs ist es, diese Fragen auszublenden und sich quasi als Ersatzsubjekt zu verstehen. Diese Einstellung – wie die Existenz der NGOs insegesamt – resultiert v.a. daraus, dass die Arbeiterbewegung reformistisch orientiert ist, sich vieler Probleme nicht annimmt oder sie an den Staat dirigiert. Wie auch die Entwicklung der Grünen als Partei zeigt, kann und muss jede Partei bzw. Organisation, sie sich nicht auf das Proletariat bezieht, sich dem Kapital und dessen Staat früher oder später anpassen und degenerieren.
Eine anderer Grund, warum es NGOs gibt, ist die Tatsache, dass der Imperialismus der Welt – nicht nur, aber v.a. der „3. Welt“ – riesige Probleme beschert, um die er sich nicht kümmert, so dass NGOs diese „Reparaturarbeiten“ übernehmen.
Der Umstand, dass NGOs meist nicht demokratisch legitimiert sind, führt dazu, dass sich ihre Arbeit verselbstständigen kann und sich immer mehr fragwürdigen und kommerziellen Ambitionen unterwirft. Gerade die unsichere und oft mangelhafte Finanzierung von NGOs macht sie auch anfällig für „Verlockungen“ von Staat und Wirtschaft – ihre Unabhängigkeit wandelt sich in das gerade Gegenteil. Für den bürgerlichen Staat und die Politik sind NGOs und ihre Unterstützung durch den Staat oft auch ein willkommenes Aushängschild für den humanen, sozialen, ökologischen und demokratischen Charakter des Kapitalismus.
Da NGOs ihre Basis fast immer in imperialistischen Ländern haben, geraten sie oft ins Fahrwasser imperialistischer Außenpolitik. Dabei besteht die Gefahr, dass NGOs an den Bedürfnissen der Bevölkerungen in den hilfsbedürftigen Ländern vorbei agieren – eine Art „gutgemeinter Paternalismus“.
Imperialistische Politik via NGO
Seit den 1980ern entstehen immer mehr NGOs, die sich als politische Agenturen verstehen – oft als kulturelle oder zivilgesellschaftliche Akteure „getarnt“. Mittels dieser NGOs transportieren die Regierungen ihre politische Agenda unabhängig von jeder demokratischen Legitimation in die Bevölkerung und dominieren oft die öffentliche Debatte. Besonders deutlich wird das bei der Klimapolitik, wo allein in Deutschland hunderte NGOs, „Thinktanks“, Vereine usw. die Mär vom Klimakollaps durch CO2 verbreiten und damit das Umleiten von Geldern in die Taschen „grüner“ Kapitalisten ideologisch begründen.
Mit dem Beginn der Periode des Spätimperialismus Ende des 20. Jahrhunderts hat sich die Herrschaftsweise der Bourgeoisie, v.a. des Finanzkapitals, modifiziert. Anders als früher spielen nun „weichere“ Faktoren eine größere Rolle: Ideologie, Medien, Kultur, „Wissenschaft“, Bildung usw. Diese Bereiche der Gesellschaft sind aber das Aktionsfeld der lohnabhängigen Mittelschicht (LMS). Diese Schicht ist zwar wie die Arbeiterklasse auch lohnabhängig und besitzt keine Produktionsmittel, agiert aber – anders als die Masse der Lohnabbängigen – als „Vermittlerin“, als Exekutorin der Herrschaft des Kapitals. Sie nimmt eine Zwischenstellung zwischen den Hauptklassen Bourgeosie und Proletariat ein. Je nachdem, welche dieser Klassen für die Mitte „attraktiver“ ist, schlägt sie sich auf deren Seite. Nur dann, wenn die Arbeiterbewegung stark und aktiv ist, kann sie die LMS für sich gewinnen – v.a. dann, wenn die LMS selbst sozial unter Druck gerät. Die NGOs werden wesentlich von der LMS, von akademisch Ausgebildeten geprägt.
Was tun?
Linke sollten bezüglich der NGOs u.a. dafür eintreten,
- dass diese einer unabhängigen demokratischen und Arbeiterkontrolle unterstellt werden, was ihr Finanzgebaren und ihre inhaltliche Ausrichtung betrifft;
- dass NGOs, die sich politischen Zwecken widmen, keine öffentlichen oder staatlichen Gelder erhalten;
- NGOs, die sich mit wissenschaftlich-technischen Themen befassen (Klima, Energiewende usw.), nachweisen müssen, dass ihre (leitenden) Mitarbeiter über eine seriöse wissenschaftliche Qualifikation verfügen.
Grundlegend geht es darum, dass die Arbeiterbewgung (wieder) so aktiv auftritt, wie es in früheren Jahrzehnten schon einmal der Fall war. Sie kann und muss sich für politische, soziale u.a. Anliegen engagieren und darf dieses Feld nicht einfach (klein)bürgerlichen Kräften und NGOs überlassen!