Erfahrungen und Schlussfolgerungen aus den Anti-G20-Protesten
Redaktion von Aufruhrgebiet.de
Der G20-Gipfel war kein Erfolg für die Herrschenden. Weder konnten sie darauf verweisen, dass durch sie die Welt verbessert noch Probleme minimiert hätten. Sie konnten auch kein konkretes Projekt dafür präsentieren. Ja, es gelang ihnen noch nicht einmal, wie mitunter bei ähnlichen Events früherer Jahre, einen solchen Eindruck zu erwecken bzw. die Medien dazu zu bringen, diesen Eindruck der Öffentlichkeit zu vermitteln
Die „Randale“ und die massenhaften Proteste haben zudem deutlich gemacht, dass das Ansehen der großen „Staatenlenker“ und das Vertrauen in sie stark gelitten haben. Auch die Ambition des Hamburger SPD-Bürgermeisters Scholz, sich im Lichte des Gipfels zu sonnen, oder sich wie Kanzlerin Merkel als Vertreter „des Guten“ gegen „die Bösen“ (Trump, Putin, Erdogan) zu profilieren, haben nicht funktioniert oder sich gar als Bumerang erwiesen. Die Zweifel an der Sinnhaftigkeit solch teurer Gipfel-Treffen haben deutlich zugenommen.
Der G20-Gipfel hat keine konkreten Ergebnisse, selbst die Abschlusserklärungen übertreffen an Unverbindlichkeit und Leere noch frühere Papiere. Die G20 (partiell etwas anders als die G7) sind eine leere Hülle. Anstatt vieler Gemeinsamkeiten dominieren gegensätzliche Interessen, anstatt einer klaren Struktur, wie sie früher unter der Führung und durch die Führung der USA existierte, prägen nun wachsende Widersprüche und schwankende Allianzen das Bild.
Allgemeiner Hintergrund
Entsprechend der wirtschaftlichen Entwicklung der letzten Jahrzehnte hat das Gewicht Chinas in der Welt deutlich zugenommen, während das der USA abgenommen hat. Trotzdem sind die USA immer noch die stärkste und einflussreichste Macht. Trumps politische und mediale Schwenks und seine „Amerika first“-Politik machen die USA aber zu einem unsicheren Kantonisten für andere Staaten und unterminieren den einigenden Faktor der imperialistischen „Staatengemeinschaft“.
Die EU ringt immer noch mit ihrer Krise und hat große Probleme, als einheitlicher imperialistischer Block zu agieren. Der Brexit hat die Situation der EU zusätzlich verschlechtert. Zwar ist Deutschland immer noch die europäische Führungsmacht, hat aber politisch und militärisch weniger Gewicht als wirtschaftlich. Zudem versucht sich Frankreich unter Macron wieder stärker als eigenständiger Partner Deutschlands ins Spiel zu bringen. Das wurde auch bei seinem Treffen mit Trump nach dem G20-Gipfel deutlich. Die bilateralen Treffen zwischen Trump und osteuropäischen Vertretern (u.a. Polen), sein Date mit Putin, der Termin Putin mit Chinas Chef usw. zeigen das Bedürfnis, neue geo-politische Bündnis-Optionen auszuloten.
Diese Bemühungen, einen guten Platz bei der Neuaufteilung der Welt einzunehmen, ist nicht nur Ausdruck der Erosion der Führungsrolle der USA und des Aufstiegs Chinas – es ist v.a. Ausdruck der vertieften allgemeinen Krise des globalen Kapitalismus, die mit der Krise 2008/09 offen ausbrach. Deren Ursachen – v.a. die Überakkumulation von Kapital und ein tw. von der „Real-Wirtschaft“ abgekoppelter, hoch-spekulativer Finanzmarkt, sind nicht nur nicht gelöst, das Risiko-Potential (Verschuldung, Blasenbildung, geringere Risiko-Reserven des Staates und seiner Zentralbanken usw., schwächer werdende Konjunktur Chinas, wachsende Probleme der Schwellenländer usw.) ist noch größer als 2008. Der Kampf um Ressourcen, Absatzmärkte und Einflusssphären ist schärfer geworden, wie z.B. der Syrienkrieg oder aktuell der Konflikt mit Katar zeigen. Der Clinch zwischen widerstreitenden Kräften – Führungsmächte, Regionalmächte, politisch-religiöse Bewegungen wie der IS – ist härter und brutaler geworden. Der Zustand der Welt gleicht immer mehr einem Gordischen Knoten, der nicht mehr aufgelöst, sondern nur noch zerschlagen werden kann. Die Situation ähnelt fatal jener der Jahre vor 1914.
Die Proteste
Die Proteste gegen die G20 gehörten zu den größten ihrer Art in den letzten Jahren. Über 100.000 Menschen nahmen an den verschiedenen Aktionen teil. Zuletzt war nur die Anti-TTIP-Bewegung größer. Das Protest-Spektrum war sehr heterogen und reichte vom linken Reformismus (aktive Gewerkschafter, Linke der SPD, Linkspartei, attac) über das links-kleinbürgerliche Milieu (v.a. die Öko-Bewegung) und die „radikale Linke“ mit ihren diversen Spektren bis zur „normalen“ Hamburger Bevölkerung.
Die Breite und das Ausmaß des Protestes gegen die G20 belegen allein schon, dass der Gipfel für die Herrschenden objektiv ein Reinfall und für die Linke und die Arbeiterbewegung ein Erfolg war – auch wenn die Darstellung durch Politik und Medien v.a. hierzulande oft ein anderes Bild vermittelt. Auch hier erweisen sich die Medien oft genug als „Lügenmedien“.
Die Art des Protestes reichte von der Großdemo am Sonnabend mit ca. 80.000 TeilnehmerInnen über fast 30 kleinere und größere Demos (die größte davon die „Welcome to hell“-Demo) über den v.a. vom Linksreformismus dominierten „Gegengipfel“ bis zu Blockaden oder Aktionen wie jenen von greenpeace. Fast alle diese Aktionen waren von Seiten der Teilnehmer gewaltfrei. Die Ausschreitungen im Schanzenviertel in der Nacht von Freitag auf Samstag waren die absolute Ausnahme.
Die Bevölkerung Hamburgs hatte nicht nur schon im Vorfeld des Gipfels „die Schnauze voll“ von dem aberwitzigen Theater der Herrschenden und ihrer Büttel. Sie hatten auch sehr wenige Erwartungen in Trump, Merkel und Co. bzw. lehnten diesen Gipfel und ihre Protagonisten ab. Diese starke Skepsis bis Ablehnung war u.a. an den vielen optischen Anti-G20-Statements sichtbar und mehr noch an den zahlreichen Sympathie-Bekundungen der AnwohnerInnen für die Proteste. So wurden z.B. Blockade-Versuche lautstark unterstützt.
Schon im Vorfeld des Gipfels hatte der bürgerliche Staat nicht nur ein Rekord-verdächtiges Aufgebot von 20.000 Bullen mobilisiert. Auch das Ausmaß an Repression gegen die ProtestiererInnen, aber auch gegen JournalistInnen, SanitäterInnen und AnwohnerInnen war größer als gewohnt. Das begann schon damit, dass alles versucht wurde, den Protest zu erschweren und ihn als „Randale“ zu verunglimpfen. Die Erlebnisberichte von TeilnehmerInnen, aber auch viele Beiträge und Videos in den Medien (und nicht nur „alternativen“) zeigen ein erschreckendes Ausmaß von Gewalt, Repression und Inhumanität seitens der „Demokratie“ und ihrer Polizei. Alle Argumente, welche die Polizei-Gewalt und die Einschränkung der Demokratie mit der „Gewalt der Linken“ zu begründen versuchen, gehen schon deshalb fehl, weil die Repression bereits begann, bevor der Gipfel überhaupt begonnen hatte und weder ein Stein geflogen noch eine Demo losgelaufen war.
Die Beispiele für die Repression durch den Staat sind vielfältig:
Es wurde massiv versucht, die Protest-Camps zu verhindern. Tw. wurden sie – trotzdem einige richterlich genehmigt waren – behindert. So wurde bewusste mehrmals pro Nacht von der Polizei Lärm gemacht, um das Schlafen unmöglich zu machen. Tw. war die Einrichtung von sanitären Anlagen verhindert worden. Die Wege von und zu den Camps wurden oft abgeriegelt.
Die Polizei prügelte oft ohne jeden Anlass „präventiv“ auf DemonstrantInnen, aber auch unbeteiligte AnwohnerInnen ein. Oft wurde absichtlich auf den Kopf geschlagen und damit schwere Verletzungen oder Schlimmeres in Kauf genommen. Viele DemonstrantInnen äußerten, sie waren an Bilder von Polizei-Attacken aus den 1920er Jahren oder an SA-Überfälle erinnert.
Die in einer Straßenenge beginnende „Welcome to hell“-Demo wurde schon nach wenigen Metern gestoppt. Zum Anlass nahm die Polizei – wie sie im Nachhinein erklärte -, dass ihrer Aufforderung an „die Autonomen“, die Vermummung abzulegen, nicht Folge geleistet worden wäre. Tatsächlich kamen die meisten dieser Aufforderung (auch nach Druck durch andere DemonstrantInnen) nach, nur ein kleiner Teil machte nicht mit, weil er von dieser Aufforderung – tatsächlich oder angeblich – zu spät erfahren hätte. Sei es, wie es sei: Jedenfalls griff die Polizei sofort (!), ohne eine Reaktion abzuwarten, die Demo massiv an. Dabei nahm sie eine Massenpanik mit Verletzten oder Toten bewusst in Kauf. Ähnliches war schon 2016 am 1. Mai in Berlin zu beobachten, wo die Bullen nach (!) der Demo hunderte DemonstrantInnen in einen U-Bahnhof drängten – auf die Gefahr hin, dass dort Menschen auf die Gleise gerieten, auf denen noch Züge fuhren. Zudem zeigte die Polizei in Hamburg mit ihrem Vorgehen, dass sie es für legitim hält, wegen Delikten einer sehr kleinen Minderheit die gesamte Demo anzugreifen. Mit dieser „Methode“ kann freilich jedes Demonstrations- und Versammlungsrecht, ja jedes demokratische Recht ausgehebelt werden.
Die „Eskalation der Gewalt“
Die Vorgänge im Schanzenviertel waren in Wahrheit anders, als in den Medien dargestellt. Da war immer wieder – selbst im Nachhinein – davon die Rede, dass „ein Viertel in Schutt und Asche gelegt“ worden sei, dass „das Schanzenviertel in Flammen“ stehe und „überall Barrikaden brennen“ würden. Nichts von dem stimmt, alles ist total übertrieben – doch wenn die Kamera nur nahe genug draufhält, wirkt alles durchaus überzeugend.
Was sind die Tatsachen? Es gab an einigen Stellen Hamburgs, v.a. im Schanzenviertel, Brände, Plünderungen und (v.a. in Altona) einige angezündete Autos. Doch die Verwüstungen blieben sehr begrenzt, größere oder gar flächendeckende Zerstörungen gab es nicht. Selbst die Barrikaden erwiesen sich eher als Lagerfeuer; denn eine Barrikaden, die nur 2-3 Meter breit ist, ist einfach keine Barrikade. Die medialen Übertreibungen sollten (?) bewusst den Eindruck von Bürgerkriegs-ähnlichen Zuständen vermitteln und die Autonomen bzw. den „Schwarzen Block“ als große und gefährliche Kraft darstellen. Doch das ist kompletter Mumpitz!
Schon im Vorfeld des Gipfels kalkulierten der Verfassungsschutz und einige Medien mit der Zahl von 8.000 „Gewaltbereiten“. Auch der inzwischen durch die Medien ob seiner politischen Dummheit gern zitierte Anwalt der Hamburger Autonomen kündigte an: „Es wird einer der größten Schwarzen Blöcke, die es in Europa jemals gegeben hat.“ Es könne auch sein, dass es „nach der Demo knallt“. Anstatt einer klaren politischen Bewertung und Ablehnung der sinnlosen Zerstörungsorgie von Teilen der Autonomen brüstet man sich damit, wie „mobilisierungsstark“ und „effektiv“ man doch sei.
Statt 8.000 kamen aber nur etwa 1.500 „Gewaltbereite“, so schätzt es jedenfalls die Polizei selbst ein, die sicher wenig Grund dazu hat, die Zahl niedriger anzugeben. Wären es wirklich 8.000 gewesen, die in 10er-Gruppen hätten Hamburg verwüsten wollen, so wäre das Bild deutlich anders gewesen … Immerhin reichten die „Aktiönchen“ der paar hundert Gewalttäter Medien und bürgerlichen Politikern aus, um von der Tatsache abzulenken, dass 20.000 Polizisten ein ganze Woche lang Zehntausende DemonstrantInnen und AnwohnerInnen drangsaliert hatten.
Natürlich kann jeder vernünftige Mensch und umso mehr jede(r) Linke(r) froh sein, dass es nicht noch mehr solcher Randale gab. Wem sie wirklich nützt, kann man sehr gut daran ablesen, was derzeit an Hetze gegen die Linke in den bürgerlichen Medien läuft.
Der Marxismus hat von jeher alle Formen von individuellem Terror (und dazu gehört auch die Gewalt von Kleingruppen) abgelehnt. Erstens, weil er nicht „dem Staat“ oder „dem Kapitalismus“ schadet, sondern der Bevölkerung; zweitens, weil er dem Staat einen Vorwand liefert, die Demokratie einzuschränken und die Linke und die Arbeiterbewegung zu repressieren; drittens, weil diese „beispielhaften“ und „symbolischen“ Aktionen keinen politischen Inhalt außer einem „allgemeinen Hass“ transportieren (können) und viertens solche – notwendig subversiven – Aktionen absolut ungeeignet sind, größere Kräfte – geschweige denn die Arbeiterklasse – in die Aktionen einzubeziehen.
Der Mythos vom „Schwarzen Block“
Schwarz gekleidete und sonnenbebrillte Kontingente auf Demos oder bei Aktionen gegen Nazis gibt es seit vielen Jahren und Jahrzehnten. So gab es heftige Auseinandersetzungen zwischen Polizei und dem „Schwarzen Block“ z.B. schon beim Gipfel in Heiligendamm 2007. Damals vermuteten, befürchteten oder hofften – je nach politischem Standort – auch viele Linke, dass dieses Milieu einen Aufschwung nehmen würde. Doch das war nicht der Fall. Dafür, dass Autonome aus mehreren europäischen Ländern nach Hamburg angereist waren, war ihre Zahl letztlich überschaubar.
Obwohl optisch sehr präsent und mit ihren Aktionen auch medial gut verwertbar, stellt die – in sich noch stark differenzierte – autonome Szene nur eine, wenn auch relevante Minderheit in der europäischen Linken dar. Das Milieu des „Schwarzen Blocks“ ist wiederum nur ein Teil der Autonomen Szene. Von daher ist es völliger Unsinn, vom „Schwarzen Block“ auf „die Linke“ zu schließen. Das ist gerade so, als ob Luxemburg und Ebert etwas Gemeinsames hätten, weil beide Mitglied einer Arbeiterpartei waren.
Seit Hamburg geht die Mär, dass der „Schwarze Block“ straff organisiert“ sei. Als Belege dafür gelten etwa, dass man sich wie auf Befehl umgezogen, heimlich Steine aufgestapelt und sich über Handy abgesprochen hätte. Für wie blöd halten uns die Oberbullen der Polizei, die „Extremismusforscher“ und manche „Experten“, von denen manche weder in Hamburg noch im Leben auf einer einzigen Demo waren?! In Wahrheit sind gerade die Autonomen jener Teil der Linken, die weder ein Programm haben, kaum irgendwelche Absprachen z.B. vor und während einer Demo mit anderen Kräften eingehen oder sich gar daran halten. Kaum jemand ist so wenig organisiert und nur spontan wie die Autonomen. Kein Wunder, da ihr ganzer „Kampf“ und ihre ganze „Organisation“ nur darin besteht, zu einzelnen Events zu mobilisieren, sich dort v.a. selbst zu inszenieren und ihren Kleinkrieg gegen die (kurzsichtig als „der Staat“ verstandene) Polizei zu führen. Oft genug sind ihre Aktionen kontraproduktiv für die Gesamtaktion und gefährden die Demo selbst mehr als die Polizei.
Die Mystifizierung und Überhöhung des „Schwarzen Blocks“ dient natürlich der Verunglimpfung der gesamten Linken und jedes Widerstands. Diese „Linken“ sind in Wahrheit die nützlichen Idioten des bürgerlichen Staates und Provokateure – ob bewusst oder nicht. So verwundert es auch nicht, das immer wieder leicht Polizeispitzel in den „Schwarzen Block“ eingeschleust werden und tw. sogar Nazis den schwarzen Look nutzen, um sich in deren Aktionen „einzuklinken“. Auch in Hamburg wurde das mehrfach beobachtet.
Es war auch gut erkennbar, wer zum „Schwarzen Block“ gehört: ein Teil sind tatsächlich radikale Autonome, die national und international informell vernetzt sind, ein Teil sind „frustrierte“ Jugendliche, die sich spontan den Aktionen anschließen, ohne dass sie eigentlich zur Szene dazugehören, ein Teil sind auch „radikale“ Linke, deren Konzept an sich nicht darin besteht, „Randale“ zu machen, die sich aber im Zuge der Ereignisse – oft durch Provokationen der Polizei – mit den „Schwarzen“ solidarisieren, indem sie an deren Aktionen teilnehmen.
Der „Schwarze Block“ ist keine feste Struktur im eigentlichen Sinn oder gar eine Organisation. Es ist ein untereinander vernetztes und punktuell koordiniert handelndes Milieu. Er ist kein Teil der Arbeiterbewegung, noch bezieht er sich in relevantem Maß auf sie.
Der „Schwarze Block“ ist – wie im Prinzip der gesamte „Autonomismus“ – ein Teil der Linken, aber oft kein Teil der Arbeiterbewegung. Er stützt sich v.a. auf das links-kleinbürgerliche Mittelschichts-Milieu und auf deklassierten Rand-Schichten des Proletariats. Für sie ist das Proletariat kein revolutionäres Subjekt oder höchstens in dem Sinn, dass dieses durch mutige Vorkämpfer aus seinem Dornröschenschlaf gerissen werden müsste. Ohne irgendein System von Strategie und Taktik benutzen sie v.a. bestimmte Versatzstücke des Anarchismus als Ideologie und verkörpern insofern auch dessen historische Niedergangstendenz. Der Kampf für eine Erneuerung und Revitalisierung der revolutionären Arbeiterbewegung muss auch mit dem politischen Kampf gegen den Autonomismus einhergehen.
Der Autonomismus bezieht sich tw. positiv auf bestimmte „historische“ Konzepte: so etwa auf die links-sektiererischen Aktionen der KPD in den 1920 und 30er Jahren, auf die RAF und natürlich auf die individual-terroristischen Episoden des Anarchismus. Die Autonomen begreifen nicht, dass und warum all diese Kräfte und Taktiken erfolglos waren, als Strategie ungeeignet sind und der Arbeiterbewegung und der Linken immer nur geschadet haben. In gewissem Sinn ist der Autonomismus auch eine falsche und kurzschlüssige Reaktion auf die reformistische und bürokratische Verfasstheit der Arbeiterbewegung. Doch anstatt eines schlüssigen Konzeptes, wie diese Misere überwunden werden und der Reformismus bekämpft werden kann, geriert man sich als aktionistische Vorhut, als revoluzzendes Ersatzsubjekt für die Arbeiterklasse.
Wir müssen es grundsätzlich ablehnen, den bürgerlichen Staat zum (Schieds)Richter zu machen. Die Auseinandersetzung mit dem „Schwarzen Block“ und dem Autonomismus muss innerhalb der Linken und der Arbeiterbewegung geführt werden, weil nur so auch ein Lerneffekt entstehen kann.
Insofern lehnen wir es auch ab und verurteilen es als Skandal, wenn Teile der Linken in den Chor der bürgerlichen Politik einstimmen, der „die Gewalt“ verurteilt, um den Terror des Staates zu verdecken und dessen Gewaltexzesse und Einschränkungen der Demokratie zu begründen. Umso mehr lehnen wir es ab, wenn z.B. Teile von Solid dazu aufrufen, angebliche „Gewalttäter“ – deren Identifizierung man natürlich ohne weiteres dem bürgerlichen Staat überlässt – bei der Polizei zu denunzieren. Dieses Vorgehen ist so dumm wie empörend! Es zeigt aber auch die System- und Staatstreue dieser „Linken“.
Gewollte Eskalation?
Die Ereignisse von Hamburg stärken die Vermutung, dass der Staat bewusst auf Eskalation gesetzt hat und vielleicht sogar ein Exempel statuieren wollte. Dass er schon vor und während der Proteste schärfer vorging und aggressiver agierte als gewöhnlich ist unbestreitbar. Bei den Ereignissen im Schanzenviertel war auch deutlich, dass die Polizei die Brandstifter oft relativ ungestört gewähren ließ. Es wäre problemlos möglich gewesen, mit Wasserwerfern die Brände schnell und nachhaltig zu löschen. Dass das nicht oder sehr spät geschah, war offenbar gewollt, um NTV und Co. dramatische Bilder liefern zu können.
Offensichtlich waren an den Vorgängen im Schanzenviertel auch Rechte und Provokateure der Polizei beteiligt, was den Verdacht der bewussten Eskalation durch die Polizei erhärtet. So wurden einige Leute, die angeblich zum „Schwarzen Block“ gehörten, auf den Baugerüsten verhaftet, aber sofort wieder freigelassen. Kurz danach konnten wieder neue Gewalttäter auf diese Gerüste klettern … Nachtigall, ick hör Dir trapsen!
Ob man mit Hamburg einen Präzedenzfall schaffen wollte, um mehr Repression gegen Linke durchsetzen zu können, oder ob die Entwicklungen aus dem Ruder gelaufen sind, steht letztlich dahin. Dass die Gangart „der Demokratie“ gegenüber der „radikalen Linken“ härter werden soll, ist inzwischen weitgehend Konsens in der bürgerlichen Politik. Es wird eine „Extremismus-Kartei“ gefordert, stärkere Überwachung, elektronische Fußfesseln usw. Sogar einige Politiker der Linkspartei tuten in dieses Horn, wenn auch nicht so kräftig.
Klar ist aber, dass sich die Linke auf stärkere staatliche Repression einstellen und konkrete taktische Schlüsse für sich ziehen muss.
Schlussfolgerungen für die Linke
Die Mobilisierung gegen den G20-Gipfel war insgesamt, v.a. aufgrund der Größe, ein Erfolg. Der Eindruck, den die Medien der breiten Öffentlichkeit vermittelt haben und immer noch vermitteln, ist aber ein anderer. Es geht fast nicht um die mehr als mageren Ergebnisse des Gipfels selbst, auch nicht so sehr um die Proteste – im Zentrum der Berichte und Talkshows steht die Gewalt, auch wenn diese letztlich nur eine Episode innerhalb der fast einwöchigen Proteste darstellte. Wie bei allen Protesten der letzten Jahre verdunkelt die Randale das Gesamtbild. Statt der politischen Inhalte werden unsinnige Gewalt-Aktionen von kleinen Minderheiten diskutiert.
Die Linke – genau wie die Polizei – kann natürlich nicht verhindern, dass frustrierte Leute Steine werfen oder Läden plündern. Doch die Linke muss ihre Demonstrationen und Aktionen so gut wie möglich schützen – gegen die Polizei, aber auch gegen den „Schwarzen Block“. Was heißt das konkret?
Die Demos brauchen eine Demoleitung, die sich aus VertreterInnen aller an der Aktion beteiligten Organisationen zusammensetzt. Schon im Vorfeld muss geklärt werden, wie man agieren will und dass die Festlegungen der Demoleitung verbindlich sind. Kräfte, die sich nicht daran halten (wollen), müssen aus der Demo rausgehalten oder an deren Ende verwiesen werden. Dem „Schwarzen Block“ – insoweit er als solcher erkennbar ist und Leute sich bewusst ihm zuordnen – hat in der Demo nichts zu suchen. Das hat nichts mit einer Entsolidarisierung zu tun, denn mit Kräften, die sich an keine Absprachen und keine Disziplin halten wollen und können und deshalb die Demo desorganisieren und tw. sogar in Gefahr bringen, ist eine Kooperation weder möglich noch sinnvoll.
Eine gut organisierte Ordnerstruktur und die gezielte politische Vorbereitung der Demo und ihrer TeilnehmerInnen muss und kann durchsetzen, dass Provokateure, Besoffene usw. nicht in der Demo sind. Die übliche Praxis, dass eine Demo aus verschiedenen Blöcken besteht, ist politisch korrekt, sollte jedoch nicht so weit gehen, dass jeder Block „sein Ding macht“; stattdessen muss gelten: politische Eigenständigkeit, aber organisatorische Einheit (Kooperation) während der Aktion.
Ein erfolgreicher Feldherr wird versuchen, sich die Schlacht nicht vom Gegner aufzwingen zu lassen und über Ort, Zeit und Taktik selbst zu bestimmen. Das gilt allgemein auch für den Klassenkampf. Natürlich legt meist der Gegner fest, worum es geht. Doch die Linke lässt sich das eigene Handeln oft zu stark vom Gegner diktieren. Es hat sich fast immer als wenig erfolgreich erwiesen, der Polizei offensiv Paroli zu bieten, d.h. Absperrungen zu durchbrechen, in verbotene Zonen einzudringen, zu blockieren usw.
Generell ist es eine Frage der Taktik, was man tut und wie man es tut. Jedoch heißt Taktik nicht Beliebigkeit. In der Regel – noch dazu angesichts der Schwäche und Zersplitterung der Linken und ihrer starken Isolation von der Arbeiterklasse – erweist sich der Staat als stärker und tw. gewiefter als die Linke. Deshalb sind die „üblichen“ Versuche, bei solchen Gipfeltreffen wie in Hamburg über den Rahmen des Selbstschutzes hinaus offensiv zu agieren, kontraproduktiv. Nicht so sehr, weil man damit dem Staat Vorwände liefert (die findet er immer), sondern, weil die eigenen Kräfte in einem ungleichen und politisch unsinnigen Kleinkrieg verschlissen werden und zudem dann an anderer Stelle fehlen.
Ziel jeder politischen Aktion sollte es im Endeffekt sein, seine politischen Inhalte zu verbreiten und – soweit möglich – die Arbeiterklasse bzw. ihre fortschrittlichsten Teile zu erreichen und einzubeziehen. Aktionen sind auch dazu da, Strukturen auf- oder auszubauen. Legt man diesen Maßstab an solche Mobilisierungen wie in Hamburg an, offenbart sich oft ein Missverhältnis. Es gibt viele Demos, Blockaden, Versuche von Besetzungen, Konfrontationen mit der Polizei usw., doch weit weniger Ressourcen werden dafür eingesetzt, die Bevölkerung direkt anzusprechen und einzubeziehen. Dazu dienen Diskussionen im Kiez und in den Medien (Offenes Mikro, Speakers Corner, Verteilung von Material, öffentliche Livestreams usw.). Zu recht wird der reformistische Charakter der „Gegengipfel“ kritisiert – doch wird von der radikalen Linken ein eigener Gegengipfel organisiert?!
Nicht nur Hamburg hat gezeigt, dass die Bevölkerung dem Imperialisten-Gipfel und ihren Akteuren kritisch gegenübersteht und für Kritik und Protest aufgeschlossener ist als sonst üblich. Doch die „radikale Linke“ richtet sich stärker nach dem, was die Polizei oder die politische Prominenz machen, um diese zu „konfrontieren“. Doch das sind die falschen Adressaten! Es ist schlicht egal, ob Trump pünktlich beim Gipfel ankommt oder nicht oder ein paar Übersetzer nicht aus dem Hotel kommen. Jede Diskussion mit „normalen“ Leuten ist zehn Mal wichtiger.
Diese falsche Gewichtung der Aktivitäten hat viel mit dem falschen politischen Verständnis der Linken zu tun. Zuerst einmal ist bei fast allen Organisationen die „Außenorientierung“ eher gering ausgeprägt. Schaut man sich die Zahl ihrer öffentlichen Aktivitäten wie Mobilisierungen, Diskussionsveranstaltungen, Qualität der Publikationen, Homepages usw. an, so merkt man, dass das Level recht niedrig ist. Genauso sieht es aus in puncto Theorie- und Propagandaaktivitäten. Das alles hat wenig Qualität. Auch die Bemühungen, die Diskussion und die Zusammenarbeit zwischen Linken zu fördern, sind wenig ausgeprägt. Kurz: die Linke ist nicht nur in der Krise, sie hat auch wenig Bewusstsein dafür und tut fast nichts, um sie zu überwinden.
Die Frage der Gewalt
Diese politische Verfasstheit wird auch an der Frage der Gewalt / Militanz deutlich. Unter Gewalt bzw. Militanz versteht ein großer Teil der „radikalen“ Linken die direkte Konfrontation mit dem Staat – meist der Polizei – und die Anwendung bestimmter Mittel und Methoden, die über den Rahmen dessen, was der „demokratische“ Staat zugesteht, hinausgeht. Das geht vom Selbstschutz von Demonstrationen gegen Attacken der Polizei über das Durchbrechen von polizeilichen Absperrungen über das Werfen von Flaschen, Steinen und Mollis bis zum Abfackeln von (Polizei)autos.
Natürlich sind all das Elemente von Taktik, die stark situationsabhängig sind. Der Fehler vieler Linker besteht nun darin, dass sie diese Elemente überhaupt mit „Militanz“ identifizieren. Damit verkürzen sie den Begriff und umso mehr den Inhalt aber im Grunde auf Nebensächlichkeiten. Die revolutionäre Arbeiterbewegung hat den Begriff der Militanz selten oder nie gebraucht und jedenfalls nicht definiert. Trotzdem hatte sie sehr wohl ein Verständnis dessen, was wir heute „Militanz“ nennen. Sie (und auch Marx) verstand darunter, dass sich die Arbeiterklasse in ihren Zielen und Kämpfen nicht an den Rahmen der bürgerlichen Gesellschaft und ihrer Spielregeln halten darf – wenn es das Kräfteverhältnis erlaubt. Die Frage der „Möglichkeit“ wird aber v.a. von der Klassenkampfsituation bestimmt, nicht jedoch nur oder v.a. vom Bewusstsein der Bewegung. Als militant galt, den bürgerlichen Staat zu zerschlagen, das Privateigentum zu enteignen usw. Als militante Mittel galten z.B. ein Streik, eine Betriebsbesetzung, die Arbeiterkontrolle oder die Verteidigung des Streiks gegen Streikbrecher oder die Polizei. Militanz war gewissermaßen ein Attribut des Klassenkampfes und Ausdruck einer revolutionären Strategie.
Das heute zu beobachtende „Verständnis“ von Militanz ist hingegen ein ganz anderes. Es abstrahiert weitgehend vom allgemeinen Klassenkampf und seinen konkreten Bedingungen und umso mehr von einer revolutionären Programmatik. Vielmehr ist es meist rein situativ und subjektivistisch.
Die militante Aktion wird nicht als Teil eines größeren Zusammenhangs von Klassenkampf gesehen, sondern als „Wert an sich“. Sie ist in starkem Maße ein Ausdruck von Selbstdarstellung und Selbstversicherung: Wir, d.h. die Kleingruppe oder der “Schwarze Block“ sind mutig, entschlossen, wir brechen mit den bürgerlichen Normen oder auch mit der Inkonsequenz der Reformisten usw. Die reale Schwäche, Isoliertheit und oft inhaltliche Leere der „radikalen Linken“ wird durch radikale Gesten und aggressive Symbolik übertüncht. Das Durchbrechen einer Polizei-Absperrung vor der „Roten Zone“, ja sogar der Versuch dazu (bei dem es ja meist bleibt) wird als Erfolg gewertet – obwohl daraus nichts folgt und folgen kann, was das Bewusstsein, die Organisation oder Aktion der Klasse oder auch nur der Linken selbst in irgendeiner Weise voranbringen kann.
Damit soll jedoch keinesfalls gesagt sein, dass „militante“ Mittel nie angewendet werden sollten. Ein Selbstschutz gegen Angriffe der Polizei oder von Nazis, z.B. durch Bildung von Ketten, passive Schutzbewaffnung usw. ist nicht nur legitim, sondern notwendig. Das Verhindern von Nazi-Aufmärschen durch Blockaden oder auch körperliche Gewalt – soweit das aufgrund des Kräfteverhältnisses möglich erscheint – ist völlig legitim. Das ist jedoch etwas ganz anderes als ein sinn- und meist auch aussichtsloser Kleinkrieg mit der Polizei, wie er etwa im nächtlichen Hamburg zu sehen war. Umso sinnloser, ja einfach idiotisch ist das Abfackeln von Autos oder das Entglasen von Schaufenstern.
Es ist bezeichnend, dass gerade in Hinsicht darauf, was wirklich notwendig und effektiv sein kann – die Kooperation von Linken bei der Vorbereitung von Demos und deren Sicherung – sich die „militantesten“ Kräfte oft am unbrauchbarsten zeigen. Ja, man kann geradezu den Eindruck haben, je höher deren selbst eingebildete Pseudo-„Militanz“ ist, desto niedriger ihr politisches Niveau.
Was ist jetzt zu tun?
Die Linke sollte Hamburg zum Anlass nehmen, ihre eigene Verfasstheit, ihre Art zu handeln und zu denken kritisch zu hinterfragen – und zwar gemeinsam. Mindestens schon seit den 1990ern erleben wir bei allen größeren Mobilisierungen z.B. der Antifa, der Linken und tw. der Arbeiterbewegung – ob bei den Anti-Nazi-Protesten in Dresden, bei den Anti-Globalisierungs-Protesten in Genua, Nizza und Göteborg oder bei den verschiedenen Gipfeltreffen der imperialistischen Verbrecher – dasselbe: die unsinnigen Gewaltexzesse von (kleinen) Teilen des „Protestspektrums“ bringen die ganze Mobilisierung in Verruf, das Level linker Kooperation ist niedrig, politische wie organisatorische Schlussfolgerungen zur Verbesserung des Aktionsniveaus oder der politischen Konzeption werden kaum gezogen, jede Gruppe und jedes Milieu bleibt in seinem Glashaus, ein relevanter positiver Schub für die Linke und die Arbeiterbewegung erfolgt nicht. Jedes Mal betonen aber alle, dass „Schlussfolgerungen“ gezogen werden müssen, um es beim nächsten Mal „besser zu machen“. Doch es bleibt immer nur bei der Absicht.
Soll es diesmal anders laufen, muss mit dieses Weiter so! beendet werden!
Wir schlagen deshalb vor, regionale und ein bundesweites Treffen von „Organisationen“ zur Auswertung der diversen Mobilisierungs-Erfahrungen und zur Festlegung gemeinsamer Maßnahmen zur Vorbereitung, Durchführung und Sicherung zukünftiger Aktionen durchzuführen! Dabei sollte es v.a. um folgende Fragen gehen:
- Wie können Aktionen besser gegen die Polizei geschützt und auf Polizeigewalt vorbereitet werden? Wir kann die Linke sich auf schärfere Repression durch den Staat einstellen?
- Wie kann von der Linken verhindert werden, dass unsinnige Gewalt vom „Schwarzen Block“ ausgeht und dessen Teilnahme an den Protesten innerhalb der „Linken“ unterbunden wird?
- Wie kann die politische Einflussnahme auf die Bevölkerung und „die Öffentlichkeit“ (nicht nur am Ort des Geschehens selbst) verbessert werden?
- Wie können wir erreichen, die Bevölkerung und v.a. die Arbeiterklasse stärker in unsere Aktionen einzubinden?
- Wie können wir die immer noch dominanten Kräfte des Reformismus in der Arbeiterklasse (SPD, Linkspartei, DGB) politisch „testen“, „entzaubern“ und unter Druck setzen, um ihren Einfluss zu minimieren bzw. sie politisch zu „verändern“?
- Was ist das nächste „große Event“? Wie kann es effektiv vorbereitet werden?
Diese Diskussionen sollten und könnten letztlich auch dazu führen, das Verständnis von Politik, Taktik, Klassenkampf usw. innerhalb der Linken und der Arbeiterbewegung zu verändern und zu verbessern.
Wir rufen alle Linken, alle Organisationen und Anti-KapitalistInnen hiermit dazu auf, unsere Vorschläge zu diskutieren und zu unterstützen!