Hanns Graaf
Inzwischen sind sich die Experten fast alle einig: uns steht eine Wirtschaftskrise bevor, die womöglich dramatischer ausfallen wird als die Finanzkrise 2008. Nur die Bundesregierung macht noch verhalten auf Optimismus und verweist auf die Milliarden schweren Rettungspakete.
Natürlich ist der Ausbruch der Corona-Epidemie nicht dem Kapitalismus geschuldet. Epidemien gab es schon immer. Allerdings zeigt die aktuelle Pandemie, dass die Regierungen, die Politik und die Staatsapparate eine Rolle große dabei spielen, wie sich die Corona-Viren verbreiten können und wie dem Problem begegnet wird. Die aktuelle Situation ist ein Beleg dafür, welch bedeutende Rolle der Staat und staatliche und politische Entscheidungen im modernen Kapitalismus für die Gesellschaft und die Ökonomie spielen. Das mag banal klingen, doch wenn die Regierung z.B. keine oder weniger durchgreifende Ausgangssperren, Ladenschließungen usw. verordnet hätte, wären die Auswirkungen auf die Wirtschaft aktuell nicht so stark – dafür läge vielleicht die Mortalitätsrate höher. Vor dieser Zwickmühle – Katastrophenschutz vs. Konjunktur – stehen die Regierungen schon aktuell und umso mehr, je länger sich die Corona-Krise hinzieht. Letztlich sind Regierungen nicht nur dem gesundheitlichen Wohlergehen der Bevölkerung verpflichtet, sondern auch und v.a. „ihrem“ Kapital.
Krisenursache Corona?
Zuerst tauchte das Corona-Virus in China auf. Ende Dezember 2019 informierte China die Weltgesundheitsorganisation WHO darüber. Sowohl China selbst als auch z.B. einzelne Unternehmen, die ihre Mitarbeiter sofort aus China zurückholten, reagierten relativ schnell und mit durchgreifenden Maßnahmen. Immerhin hat das dazu geführt – wenn man den offiziellen Zahlen aus China trauen darf -, dass China die Pandemie eingegrenzt hat und deren Gipfelpunkt möglicherweise bereits überschritten ist.
Andererseits gibt es etliche Regierungen, die das Problem zuerst ignoriert oder heruntergespielt haben, wie z.B. Trump in den USA, der britische Premier Boris Johnson oder Bolsonaro in Brasiliens – zufälligerweise alles Konservative.
Auch die deutsche Regierung, die sich gerade so darstellt, als tue sie alles, was nötig ist, um die Krise einzudämmen, spielt ein falsches Spiel. Die ersten Maßnahmen gegen Corona kamen nämlich deutlich zu spät. Die Ausgangssperren u.a. Maßnahmen wurden viel zu spät beschlossen oder waren zu inkonsequent. Immer wieder wird an die Menschen appelliert, sich vorsichtig zu verhalten und die Einschränkungen einzuhalten. Doch es zeigt sich, dass es nur sehr wenige Verstöße gibt. Das Problem sind also nicht die Leute, sondern deren Regierung. Anstatt frühzeitig Reisende aus dem Ausland zu kontrollieren und zu isolieren und den Flugverkehr einzustellen, wurden sogar noch Faschingsumzüge genehmigt. Diese Bundesregierung trägt eine direkte Mitschuld daran, dass sich die Corona-Epidemie auch hier so massiv ausbreiten konnte! Ein Teil der Toten geht auf ihr Konto.
Bereits 2012 befassten sich Bundestag und Bundesregierung mit verschiedenen potentiellen Gefahrenlagen, darunter auch mit Pandemien. Immer wieder gab es in den letzten Jahren epidemische Szenarien, z.B. die Vogelgrippe oder SARS, die aber zum Glück hierzulande nur geringe Auswirkungen hatten. Auch das übliche mediale Affentheater hat bisher immer nur dazu geführt, dass diese Gefahren eher zum Thema in Kabarettprogrammen mutierten, aber nicht wirklich ernst genommen wurden.
Die von den Virologen schon 2012 vorgeschlagenen Maßnahmen wurden nicht umgesetzt. Wie so oft erwiesen sich Parlament und Staat als unfähig, zügig und angemessen zu handeln. Während etwa beim Dieselskandal ein absurder und unwissenschaftlicher Hype um die Abgaswerte entfacht wurde, interessierte das viel wichtigere Problem der Seuchenabwehr kaum. Noch heute gibt es zwar strenge Regeln, die öffentliche Ansammlungen einschränken, die Produktion, wo tw. Tausende Menschen zusammen kommen, wird vom Staat allerdings nicht generell eingeschränkt.
Das verspätete, inkonsequente und uneinheitliche Reagieren offenbart auch, dass die staatlichen „Mega-Strukturen“, ob es die UNO, die EU oder die Bundesregierung ist, wenig effektiv funktionieren und an allen möglichen Partialinteressen, nationalem Egoismus, am Profitstreben der Konzerne oder schlicht an fachlichem Unwissen scheitern. Wenn selbst angesichts einer Pandemie noch der Föderalismus „gepflegt“ wird, dann zeigt sich, wie absurd manche Ideologien und Strukturen sind, die nur den Interessen der staatlichen und politischen Bürokratie dienen und ansonsten nur unnütz oder sogar schädlich sind. In einigen Ländern, z.B. Südkorea, gelang es bisher recht gut, die Corona-Epidemie einzugrenzen. Das war möglich, weil sehr schnell reagiert wurde, weil massenhaft Tests durchgeführt wurden und daher sofort Menschen isoliert werden konnten – nicht die Gesunden, sondern die Kranken und die besonders Gefährdeten.
Es ist völlig klar, dass die Globalisierung die Verbreitung gefährlicher Viren erleichtert. Der ständige Wettlauf zwischen viralen Gefahren und Gegenmaßnahmen wird nie beendet sein, sondern erfordert immer neue Anstrengungen. Natürlich ist jedes Virus anders und insofern ist eine Vorsorge (Tests, Impfstoffe, Medikamente) nur beschränkt möglich. Doch die Vorbeugung umfasst auch Faktoren, die permanent sichergestellt und angepasst werden müssen und können. V.a. muss das Gesundheitswesen dafür fit gemacht werden. Gerade daran aber hapert es, in anderen Ländern noch mehr als in Deutschland. Dabei könnten Intensivbetten, Beatmungsgeräte, Desinfektionsmittel oder Masken problemlos für den Fall der Fälle vorgehalten werden. Doch das wurde, wie sich jetzt zeigt, nicht gemacht. Dafür gibt es v.a. zwei Gründe: 1. das Kaputtsparen und die neoliberale Umstrukturierung des Gesundheitswesens und 2. die bürokratische Unfähigkeit des Staates. Beides wird offenbar, wenn man sich die Situation im Pflegebereich – sowohl in den Krankenhäusern als auch in der Altenpflege – anschaut, wo die Probleme viele Jahre von „oben“ ignoriert wurden und nun, in der Krise, natürlich nicht sofort behoben werden können. Die Corona-Krise trifft also auf eine Gesellschaft, die sich als tw. nicht in der Lage zeigt, adäquat zu reagieren und vorzusorgen.
Der Kapitalismus gleicht immer mehr dem Zauberlehrling, der die Geister, die er rief, nicht mehr unter Kontrolle hat.
Wirtschaftliche Folgen
Schon jetzt sind die Folgen der Corona-Pandemie gravierend: das soziale Leben ist massiv eingeschränkt und große Bereiche der Wirtschaft liegen brach. Die Börsen sind abgestürzt und selbst die massiven Hilfsprogramme oder die Zinssenkung durch die US-Notenbank FED konnten oder werden daran wenig ändern. Die jetzt beginnende Krise zeigt Merkmale, die sie deutlich von den Krisen der letzten 20-25 Jahren unterscheidet:
- Die Eingrenzung der Bewegungsfreiheit, die Schließung von Läden, Gaststätten und öffentlichen Einrichtungen führt zu einem massiven Einbruch des Konsums.
- Daraus und aus der Schließung von Fabriken (ob aus Gründen des Seuchenschutzes oder weil Zulieferungen fehlen) ergeben sich starke Einbrüche bei der Produktion, die tw. wiederum die Nachfrage blockieren.
- Die riesigen, noch größeren Rettungsprogramme als in der Finanzkrise von 2008 von FED und EZB bzw. der Staaten bedeuten, dass 1. die Geldmenge – es handelt sich hier zum größten Teil um „fiktives“ Geld, das mit keinem Wert unterlegt ist – enorm ausgeweitet wird, was die Inflation antreibt. 2. sind damit alle Bemühungen von Staaten zur Verringerung der Staatsschulden obsolet geworden, ja die ohnehin enorme Verschuldung der Staaten steigt weiter an. Die „schwarze Null“ ist Geschichte. Die Tendenz der Geldentwertung, die v.a. seit 2008 zunahm, verstärkt sich.
Wie haben es also mit einer kombinierten Krise zu tun, in der zugleich schwache Produktion und schwache Nachfrage auftreten: eine Deflation. Erste Anzeichen von Inflation zeigen sich jetzt schon bei einigen Lebensmittelpreisen, die nach den Hamsterkäufen angezogen haben. Zwar werden durch die massive Geldvermehrung durch die Hilfspakete die ärgsten Krisenfolgen (Bankrotte, Arbeitslosigkeit) momentan gemindert – doch sie werden dadurch nicht gelöst. Es ist richtig zu fordern, dass die Lohnabhängigen keine finanziellen Einbußen haben sollen und dementsprechende staatliche Maßnahmen erfolgen. Doch das ändert nichts am Problem, dass weniger produktive Wertschöpfung mehr Geld gegenübersteht. Diese Schieflage muss irgendwann wieder ausgeglichen werden oder gleicht sich in Form einer Inflation „von selbst“ wieder aus. Regierungen und Kapitalisten werden natürlich versuchen, die Lasten dieser „Sanierung“ auf die Massen und auf Konkurrenten abzuladen.
Wie schon 2008 soll die Krise „wegfinanziert“ werden. Doch schon damals zeigte sich, dass das nicht durchgehend funktioniert. Nicht nur die Krise im EU- und Euro-Raum (Stichwort: Griechenland) entstand als Folge der Finanzkrise, auch andere Länder, die lange den Ruf von „Tigerstaaten“ hatten, geraten immer wieder in die Bredouille und hangeln sich von Krise zu Krise.
Die rasante Ausweitung des fiktiven Geldkapitals in den globalen Finanzmärkten kollidiert immer stärker damit, dass es dafür zu wenig Anlagemöglichkeiten in der Realwirtschaft gibt. Das hat damit zu tun, dass viele Regionen der Erde (v.a. in Afrika) failed economies sind, die wenig oder keine wirtschaftliche Dynamik aufweisen und nur noch billige Rohstoffe liefern und von Hilfsgütern abhängen. Aber auch die „funktionierenden“ Ökonomien beruhen immer mehr auf Pump, auf künstlich erzeugtem Wachstum. So gibt es in USA, Spanien oder China Millionen von Immobilien, die leer stehen und weder die Investitionen ersetzen noch gar Gewinne generieren. Dazu existieren in vielen Branchen erhebliche Überkapazitäten, z.B. in der Automobilbranche 10-20%. In der letzten Krise wurden diese aber zum großen Teil nicht vernichtet, wie es normalerweise in einer Krise geschieht, sondern oft gerettet.
Besonders labil ist auch der Bankensektor. Dessen versprochene „Sanierung“ durch die Erhöhung des Eigenkapitalanteils oder die Ausgliederung fauler Kredite in „bad banks“ erfolgte kaum oder stellt ein Kartenhaus dar, das jederzeit einstürzen kann. Doch die schiere Größe dieses Kartenhauses aus „falschem“ Geld kann beim Einsturz noch wahrscheinlicher als 2008 dazu führen, dass nicht nur das Kartenhaus, sondern auch der Tisch darunter zu Bruch geht.
2008 gelang es noch, die Krise dadurch zu beenden – nicht ihre tieferen Ursachen zu beseitigen -, dass der Staat bzw. die Notenbanken intervenierten. Doch 2008 war die Situation der Weltwirtschaft noch besser als heute: China boomte noch und die Krise ging nicht von der „Realökonomie“ aus, sondern vom Finanzsektor. Heute ist es eher umgedreht. Die Weltwirtschaft war schon auf dem absteigenden Ast, als Corona begann. Doch auch die Ressourcen der Staaten für Rettungsaktionen sind heute deutlich geringer als 2008 und auch die Notenbanken haben ihr Pulver schon weitgehend verschossen. Wenn die Zinsen schon sehr niedrig oder gar schon im Minus sind, können Zinssenkungen nichts mehr bewirken. Den Unternehmen nützt derzeit auch billiges Geld kaum etwas, da sie entweder nicht produzieren können oder aber die Nachfrage fehlt, weil die Läden dicht sind.
Angesichts dieses Gesamtbildes verwundert es nicht, dass viele, ja die meisten Analysten – soweit sie nicht im politischen Auftrag Optimismus predigen – mit dem Schlimmsten rechnen. Allerdings sind Prognosen ja schwierig, weil sie die Zukunft betreffen, um George B. Shaw zu zitieren. Wann die Krise voll durchbricht, welchen Verlauf sie nimmt und zu welchen Ergebnissen sie führt, ist schwer zu bestimmen, weil viel davon abhängt, wie sich das Corona-Virus weiter verbreitet und wie der Staat bzw. die Staaten reagieren. Dass sich der Corona-Virus weiter ausbreitet, ist sicher, wenn wir uns Europa, aber auch die USA anschauen. An Afrika, wo es in keinerlei Hinsicht gute Voraussetzungen gibt, der Corona-Pandemie zu begegnen, mag man gar nicht denken. Sollte die Epidemie bis zum Sommer „überwunden“ sein, d.h. abklingen oder medizinische Gegenmittel gefunden sein, so könnte die Krise noch glimpflich verlaufen, doch wenn nicht …
Es ist auch denkbar, dass einem relativ kurzen Corona-bedingten Einbruch eine umso stärkere Nachfragewelle folgt, die einen großen Teil der Verluste wieder ausgleicht und die Konjunktur wieder ankurbelt. Selbst in diesem Fall aber wäre die riesige Finanzblase nicht verschwunden.
Herausforderung für die Linke
Schon jetzt zeigt sich, dass der Reformismus weder bereit noch in der Lage ist, angemessen auf die Probleme zu reagieren. Weder SPD noch LINKE oder gar der DGB haben Initiativen für eine schnelle(re) und konsequente(re) Reaktion auf die Corona-Pandemie erkennen lassen. Die letzten Tarifabschlüsse der IG Metall zeugen geradezu von vorauseilendem Gehorsam, indem auf jede Lohnerhöhung verzichtet wurde. Eine angesichts der Krise so sinnvolle wie überfällige progressive Besteuerung von Reichtum und Kapital haben die Reformisten „natürlich“ auch nicht gefordert. Auch von Kritik am durchaus nicht immer konsequenten Krisenmanagement der Regierung war wenig zu spüren. Wie auch, wenn man als SPD oder Linkspartei überall (mit)regiert und dafür so viele Kröten schluckt, dass deshalb die Zunge permanent belegt ist?!
Die „Zurückhaltung“ der Reformisten und die drohende Krise sind geradezu eine Steilvorlage für die „radikale Linke“. Bisher hat sie in vielen Statements auch Kritik formuliert und auf die wahrscheinlichen wirtschaftlichen und sozialen Folgen der Corona-Krise hingewiesen. Doch noch wichtiger wäre es, dass linke Gruppen, kämpferische GewerkschafterInnen usw. sich konkret auf die Krise und die zu erwartenden Angriffe von Staat und Kapital vorbereiten, um schnell handlungsfähig zu sein. Man muss kein Hellseher sein, um zu wissen, dass es massive Angriffe auf die Massen, auf soziale Systeme, auf Löhne und evtl. auch auf demokratische Rechte geben wird, um die „Corona-Delle“ wieder auszugleichen und die Kapitalverwertung auf Kosten der Massen und der Konkurrenz wieder in Gang zu bringen.
Wir müssen dafür kämpfen, dass die Krise – die Corona-Krise wie die Wirtschaftskrise – nicht auf Kosten der Massen gelöst wird. Das ist nur möglich, wenn wir den Einfluss von Staat und Kapital zurückdrängen und unsere eigenen Kontroll- und Machtorgane schaffen und die gesellschaftlichen Prozesse so weit wie möglich kontrollieren und beeinflussen. Einige linke Organisationen glauben jetzt, dass es vernünftig wäre, die Regierung „links“ zu überholen und bei all deren Maßnahmen ein „Noch mehr!“ zu fordern. Hier zeigt sich wieder einmal die große Schwäche der Linken, ein Phänomen sachlich-kritisch zu analysieren und hinter die Propagandafassade zu schauen.
Es geht vielmehr darum, dass die Linke und die kämpferischen Milieus in der Arbeiterbewegung eine Einheitsfront gegen die kommende Wirtschaftskrise aufbauen bzw. vorbereiten. Nur so können die sehr schwachen Kräfte der einzelnen Gruppen und Milieus gebündelt werden und eine Wirkung erreichen. Nur so wird es evtl. möglich sein, der opportunistischen Politik von DGB, SPD und Linkspartei etwas entgegenzusetzen und Widerstand zu formieren. Dieser Diskussions- und Formierungsprozess und die gemeinsame Praxis können und sollten auch ein Ausgangspunkt dafür sein, ein höheres Niveau von Kooperation und Diskussion in der linken Szene zu erreichen und sie dazu zu bewegen, ihre theoretisch-programmatischen Glashäuser zu verlassen. Insofern ist die Krise auch eine Chance. Das Projekt Aufruhrgebiet wird diese Bemühungen nach Kräften unterstützen.