Hanns Graaf
Seit Jahren geistert die Idee eines Verbots der AfD durch Politik und Medien. Nun haben die Erfolge der AfD bei drei Landtagswahlen im Osten, wo sie jeweils um die 30% erreichte, die Frage erneut auf die Tagesordnung gesetzt. So hat eine Parlamentariergruppe des Bundestags – von der Union, über die SPD und die Grünen bis zur LINKEN – einen Antrag für ein Verbot der AfD eingebracht. Dieser müsste aber im Bundestag eine Mehrheit finden und vom Bundesverfassungsgericht positiv beschieden werden.
Die Gegner der AfD und die Befürworter des Verbots berufen sich darauf, dass Teile der AfD und einige ihrer Funktionäre wie Bernd Höcke vom Verfassungsschutz beobachtet werden und als „rechtsradikal“ und „verfassungsfeindlich“ eingestuft wurden. Es bedarf keiner großen Beweisführung dafür, dass die AfD und viele ihrer Funktionäre rassistisches Denken vertreten, den Nationalsozialismus relativieren und mit rechtsradikalen Milieus kooperieren. Zudem ist die Partei seit ihrer Gründung immer weiter nach rechts gerückt.
Die Frage ist nun aber, ob die AfD in ihrer Programmatik, in ihrer Praxis und hinsichtlich ihres Spitzenpersonals als rechtsradikal oder faschistisch bezeichnet werden kann? Diese Frage hängt mit einer weiteren zusammen: Was ist Faschismus?
Rechts oder faschistisch?
Schaut man auf die Programmatik der AfD, so findet man darin keine typisch faschistischen Positionen. Auch die Aussagen der beiden Vorsitzenden Weidel und Chrupalla bewegen sich oft am rechten Rand bürgerlicher Ideologie, sind aber nicht faschistisch. Aussagen wie die von Gauland, die Zeit des Faschismus sei nur „ein Fliegenschiß in der deutschen Geschichte“ ist sicher komplett abstrus und reaktionär, doch kann man auch daraus nicht seriös ableiten, dass Gauland wieder faschistische Verhältnisse wolle. Anders verhält es sich mit Aussagen von Höcke u.a. Vertretern des „Flügels“. Dass unter ihnen durchaus „faschistoide“ Typen sind, kann nicht geleugnet werden. Allerdings verkörpern selbst sie mehr den Typus des völkischen Rassisten und Nationalisten als den wirklicher Faschisten. Dabei sollten wir aber nicht vergessen, dass auch die härtesten Nazis nie ein Problem damit hatten, sich den Umständen anzupassen und sich zu verstellen. In gewissem Maße trifft das aber auf alle bürgerlichen Politiker zu.
Trotz all dieser Überlegungen und Fakten muss aber klar gesagt werden, dass die AfD weder rechtsradikal noch faschistisch ist. Warum? Der historische Faschismus – und was Faschismus ist, kann nur historisch bestimmt und nicht von Richtern oder Verfassungsschützern bestimmt werden – war durch bestimmte Merkmale geprägt und unterschied sich dadurch von anderen rechten oder konservativen Parteien. Dazu gehören u.a.:
- expansive Außenpolitik;
- reaktionäre, nationalistische Orientierung;
- völkisch-rassistische Ideologie;
- Feindlichkeit gegenüber der Demokratie und der Arbeiterbewegung, die zerschlagen wurden;
- Formierung einer bürgerkriegstauglichen Terror-Formation (Mussolinis Schwarzhemden, Hitlers SA);
- Benutzung pseudo-sozialistisch-revolutionärer Parolen.
Die historische Funktion des Faschismus für das Kapital ist es, in einer zugespitzten sozialen und politischen Krise der potentiellen Gefahr einer sozialen Revolution zu begegnen, indem die Arbeiterbewegung und die Demokratie zerschlagen werden, durch Krieg der Einflussbereich des eigenen Kapitals erweitert und das Leben der Nation auf Kosten anderer Völker verbessert werden soll.
Wenn wir uns diese Merkmale anschauen, wird schnell klar, dass die AfD die meisten dieser Merkmale nicht erfüllt, ja das nicht einmal anstrebt. Obwohl sie unzweifelhaft rechts eingestellt ist, fehlen ihr fast alle Merkmale einer faschistischen Formation. Die AfD lehnt die Demokratie nicht ab, kritisiert aber zu recht deren zunehmende Degeneration. Sie fordert nicht die Zerschlagung oder „Entmachtung“ der Gewerkschaften. Selbst in der Migrationsfrage werden ihr von Politik und Medien Positionen unterstellt, die sie gar nicht hat. Da ist von „Remigration“ die Rede, nach der die AfD angeblich alle, die nicht „Bio-Deutsche“ sind, abschieben wolle. Das beträfe ca. 20-25% der Einwohner Deutschlands. Das ist nicht nur völlig unreal, es ist auch eine Karikatur auf die Politik der AfD. Diese will zwar die Zuwanderung massiv minimieren und Migranten ohne Flüchtlingsstatus abschieben bzw. gar nicht erst ins Land lassen, Massenabschiebungen von Millionen plant sie jedoch nicht, weil das mit dem Kollaps des Landes verbunden wäre. Es ist ein allgemeines Merkmal der offiziellen Propaganda, der AfD alles Mögliche zu unterstellen, anstatt sich mit deren Argumenten und wirklichen Positionen zu befassen. So liegt die AfD mit ihrer Kritik an der „grünen“ Klima- und Energiepolitik oder am Genderismus insgesamt richtig. Auch ihre Position zum Ukrainekrieg ist weitaus besser als die der Kriegstreiber der Ampelparteien und der Union. Auch diese Fragen sind es, die Menschen dazu bringen, die AfD zu wählen.
Eine wirklich faschistische Partei hätte auch heute noch große Schwierigkeiten, massenhaft Unterstützung zu generieren, was u.a. an den katastrophalen Ergebnissen von 12 Jahren Nazidiktatur für Deutschland und die Welt liegt. Dazu kommt, was die kritische und tw. ablehnende Einstellung der AfD zur EU, zum Euro und zur Gefolgschaft Deutschlands zur USA anbetrifft. Diese Positionen konterkarieren – aktuell – die Kerninteressen des deutschen und europäischen Großkapitals. Daher stellen sich die entscheidenden Sektoren aktuell (noch) gegen die AfD. Das kann sich ändern, ist aber heute nicht absehbar. Wir befinden uns auch nicht in einer tiefen sozialen Krise, wie es ab Ende der 1920er der Fall war, als Millionen verzweifelt nach einer radikalen Lösung der Misere suchten.
Was für die AfD als Partei nicht zutrifft, stimmt noch weniger für ihre Wähler. Sicher ist ein Teil von ihnen rassistisch eingestellt (wie aber auch z.B. viele Wähler der Union), doch sie sind fast immer keine Faschisten. Auch die Corona-kritische Bewegung, die sozial und politisch sehr heterogen war, wurde insgesamt meist als rechts oder rechtsextrem bezeichnet. Das hätte aber bedeutet, dass es eine faschistische Massenbewegung geben würde. Im Grunde wird inzwischen jede Art von Kritik am staatlich verordneten Mainstream und der Regierungspolitik als rechts und verschwörerisch abgekanzelt. Wir sind schon mitten drin in der Orwellschen Welt: die Einschränkung der Demokratie gilt als deren Verteidigung.
Unter falscher Flagge
Die Anti-Rechts-Kampagne gegen die AfD stützt sich ideologisch tw. auf falsche, übertriebene und erfundene „Fakten“. Sie dient v.a. dazu, den massiven Unmut über die absurde, reaktionäre und ruinöse Politik der Ampel-Regierung zu kanalisieren und gegen die AfD zu richten. Die Massenmobilisierungen gegen die AfD mussten von Linken zwar unterstützt, jedoch auch damit verbunden werden, die antifaschistische Scheinheiligkeit der offiziellen Kampagne der Ampelparteien und ihrer Milieus (grüne NGOs, Kirchen, Sozialverbände usw.) zu entlarven. Wagenknecht hat völlig recht, wenn sie darauf verweist, dass die katastrophale Ampel-Politik die Hauptursache für den Aufstieg der AfD ist.
Die zweite Ursache des Erfolgs der AfD aber ist das Versagen der Linken (nicht nur der Linkspartei) und der Arbeiterbewegung (DGB) im Kampf gegen diese Politik. Es gibt keine ideologische Kampagne und keine bürgerliche Bewegung, die nicht vom Gros der Linken unterstützt würde: Dieselgate, FfF, Energiewende, Atomausstieg Gendern usw. usw. Die Bewilligung von 100 Extra-Milliarden für die Rüstung wurde von den Gewerkschaften einfach „geschluckt“. So ist es kein Wunder, dass von dieser Linken und dieser Arbeiterbewegung, die sich nicht bewegt, kaum noch jemand etwas erwartet und deshalb lieber, wenn auch oft zähneknirschend und mit schlechtem Gewissen, die AfD wählt.
Die Hauptgefahr geht gegenwärtig von der Regierung und der CDU als „Opposition“ aus – nicht von der AfD. Wäre die AfD eine faschistische Partei wie früher die NSDAP, so müssten wir tatsächlich unsere Kraft auf deren Bekämpfung konzentrieren. Das würde aber v.a. bedeuten, die Arbeiterbewegung zu einer Kraft zu entwickeln, die stark und überzeugend genug ist, eine Alternative zu den Faschisten zu sein. Davon sind wir leider meilenweit entfernt. Der Kampf gegen die AfD ist notwendig, aber er kann nicht so wie jetzt aussehen und dazu führen, dass es gegen die Regierung fast gar keine Mobilisierungen und oft noch nicht einmal Kritik an ihren Projekten gibt.
Wie sieht die Realität aus? Wer exekutiert die Verschärfungen des Asylrechts? Die Ampel und die Union. Das würden sie auch ohne die AfD tun. Wer rüstet und heizt den Ukrainekrieg weiter an? Dieselben Parteien, während sich die AfD für die Beendigung des Krieges durch Verhandlungen ausspricht. Wer ruiniert die Wirtschaft und belastet die Bevölkerung durch eine unsinnige und unwirksame Klima- und Energiepolitik? Die Antwort ist die gleiche. Das Gros der Linken sieht das nur deshalb nicht, weil sie keine Analyse dieser Fragen vornimmt und der „links“-bürgerlichen Propaganda unkritisch folgt.
Verbot als Lösung?
Wenn es die AfD nicht geben würde, wäre das zweifellos gut – doch sie verbieten? Ist das möglich? Ist das eine Lösung? Beides muss verneint werden.
Es ist sehr fraglich, ob ein Verbot überhaupt beschlossen wird. Das letzte Verbotsverfahren gegen die NPD dauerte vier Jahre – und scheiterte an zu vielen juristischen „Unklarheiten“. Würde es wieder so laufen – und die Wahrscheinlichkeit ist hoch – wäre das Wasser auf die Mühlen der AfD, die sich umso mehr als Opfer inszenieren könnte. Zudem wäre es auch sehr fraglich, ob man eine Partei einfach verbieten kann, die bei Landtagswahlen um die 30% erreicht, im Bundestag sitzt und bei der nächsten Bundestagswahl wahrscheinlich um die 20% erreichen wird. Ein Verbot könnte zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen führen.
Bisherige Verbote wirklich rechtsextremer Organisationen wie z.B. der Wehrsportgruppe Hoffmann, der FAP u.a. haben nicht dazu geführt, die rechte Szene zu schwächen – sie hat sich allenfalls umgruppiert. Es ist überhaupt eine absurde Vorstellung, eine reale soziale und politische Kraft einfach zu verbieten. Auf solche Ideen kommen nur Leute, die Illusionen in „die Demokratie“ haben. Sie glauben allen ernstes, dass man in der Weimarer Republik den Faschismus hätte verbieten können. Ein Verbot der AfD würde ihr bzw. diesem Milieu kurzfristig sicher weh tun, weil es ihren finanziellen, medialen und politischen Spielraum einschränkt. Doch zerstören kann man dieses Milieu damit nicht, schon gar nicht dann, wenn es sich wirklich um ein faschistisches Milieu handeln würde.
Es gibt bedenkliche „Nebeneffekte“ eines Verbotes „radikaler Organisationen“. Einerseits stellen sich der Staat und die bürgerliche Politik als „antifaschistisch“, als „Brandmauer gegen Rechts“ hin, was sie nicht sind. Sie selbst liefern den Rechten ja die Gründe für ihre Existenz. Sie selbst versagen permanent beim Kampf gegen Rechts, wie die Skandale um den NSU, die V-Männer oder rechtsextreme Mitglieder von Polizei und Armee zeigen. Auch im historischen Rückblick war der bürgerliche Staat kein antifaschistischer Akteur – im Gegenteil: viele Beamte und Angehörige des Establishments waren Nazis. Der faschistische Staatsapparat war nur ein etwas modifizierter alter Apparat, kein völlig anderer, weder personell noch funktionell. Wer dem Staat den Antifaschismus überlässt, macht den Bock zum Gärtner. Dass viele Linke ein Verbot der AfD unterstützen, zeigt auch, welche Illusionen sie in die bürgerliche Demokratie haben. Es ist für diese Reformisten aber auch ganz bequem, weil sie so nicht selbst aktiv werden müssen, sondern die Verantwortung auf den Staat abwälzen.
Der zweite große Haken an einem Verbot ist, dass nach dessen Logik auch andere „radikale“ und verfassungsfeindliche Organisationen verboten werden können. Hier sei nur an das KPD-Verbot von 1956 in Westdeutschland erinnert. Besonders mit den Corona-Protesten und dem Wiederaufflammen des Nahost-Konflikts erweist sich der Staat – personalisiert u.a. durch Innenministerin Nancy Faeser (SPD) – als zunehmend antidemokratisch und die Opposition unterdrückend. Diesem Staat die Verteidigung der Demokratie zu übertragen ist einfach absurd.
Antifaschismus: Ja, aber wie?
Der Faschismus als Massenkraft kann nur geschlagen werden, wenn sich (auch) die Arbeiterklasse daran beteiligt. Das wird sie aber nur tun, wenn sie darin einen Sinn sieht, wenn sie ihn als tödliche Gefahr erkennt. Das ist bezüglich der AfD aber nicht der Fall – und wenn der Mainstream noch so viele Lügen, Übertreibungen und Unterstellungen verbreitet. Das Vertrauen immer größerer Teile der Bevölkerung in den „Staatsfunk“ und die Verteidiger der „westlichen Werte“ ist zu recht gewaltig gesunken.
Gegen den Faschismus helfen keine Verbote und moralischen Appelle. Gegen ihn helfen nur proletarische Selbstschutzorgane und Mobilisierungen, die auch und v.a. die Jugend, die Linke und Migranten einbeziehen. Letzten Endes hilft gegen die braunen Populisten nur eine lebendige, kämpferische Arbeiterbewegung und eine Linke, die sich für die realen Interessen der Menschen einsetzt und nicht der Regierung „kritisch“ zur Seite steht und jeden bürgerlichen „grün-alternativen“ Firlefanz mitmacht.
Die Versuche, die AfD in die „Schmuddelecke“ zu drängen und jede Koalition mit ihr abzulehnen, wird nur einen Effekt haben: sie kann sich in der Opposition noch weiter als „Alternative“ profilieren und die Altparteien weiter vor sich hertreiben. Würde die AfD in Koalitionen eingebunden werden, was z.B. viele CDUler im Osten ohnehin befürworten, würde sich schnell zeigen, dass die AfD keine grundlegende Alternative zu den Altparteien darstellt, sondern sich aktiv am Management des Kapitalismus beteiligt. Was soll sie auch weiter tun? Eine SA oder betriebliche Strukturen wie früher die NSDAP mit ihren NS-Betriebsorganisationen (NSBO) hat sie nicht. Wer regiert, muss die Maske fallen lassen, er muss selbst die sozialen Angriffe auf die Lohnabhängigen exekutieren, anstatt sie als Opposition zu kritisieren. Das Wirtschaftsprogramm der AfD ist ein wesentlich neoliberales, leider wird das heute kaum thematisiert,weil es immer nur um den „Rechtsextremismus“ der AfD geht.
Früher war in der linken Szene ein Slogan sehr populär: „Wer vom Kapitalismus nicht reden will, der soll vom Faschismus schweigen“. Das sollte sich die Linke wieder auf die Fahne schreiben, anstatt immer nur von „der Demokratie“ zu labern. Dann, erst dann ist sie wieder glaubhaft und kann als Alternative zur AfD und als ehrlicher Interessenvertreter der Massen angesehen werden!