Hanns Graaf
Das jüngste Treffen der Staatschefs der BRICS-Länder in Kasan hat erneut die Aufmerksamkeit der Welt angezogen. Während es die Anhänger der westlichen „Wertegemeinschaft“ eher als Konkurrenz und Bedrohung ihres vom US-Kapital beherrschten Blocks der G7 ansehen, sehen viele Linke das BRICS-Projekt als Alternative dazu, die eine neue multipolare, auf Interessenausgleich, Gleichberechtigung und friedliche Konfliktlösungen basierende globale Ordnung ermöglichen würde. Sind diese Erwartungen gerechtfertigt?
Was sind die BRICS?
Die Abkürzung steht für die Länder, die sich 2009 zu einer zwischenstaatlichen Struktur zusammengeschlossen haben und seitdem jährliche Gipfeltreffen durchführen: Brasilien, Russland, Indien, China und seit 2009 Südafrika. Am 1. Januar 2024 traten Iran, Ägypten, Äthiopien und die Vereinigten Arabischen Emirate bei. Am 2. September 2024 beantragte die Türkei offiziell den Beitritt zum Block. Zahlreiche andere Länder stehen in Kontakt zu den BRICS bzw. beabsichtigen, ebenfalls beizutreten. Auch Saudi-Arabien, obwohl offiziell noch nicht Mitglied, beteiligt sich an den Aktivitäten der Organisation.
Die BRICS unterscheiden sich deutlich vom westlichen Block, der sich um die USA gruppiert und in Strukturen wie der NATO, den G7 u.a. verbunden ist. Dieser Block hat nicht nur mit den USA eine klare Führungsnation, die nach wie vor die stärkste Macht in der Welt ist, sie ist in sich auch – trotz aller Differenzen und der Konkurrenz zwischen den einzelnen imperialistischen Mächten – einheitlicher strukturiert, weil er nur aus imperialistischen Staaten besteht. Die BRICS hingegen bestehen aus imperialistischen Ländern (China, Russland), „aufstrebenden“ Halbkolonien (Brasilien, Südafrika u.a.) und abhängigen Ländern wie Äthiopien u.a., die sich an den BRICS orientieren. Mit China haben auch die BRICS eine dominierende Macht, doch hat China nicht den Zugriff auf die Welt bzw. „seinen“ Block wie die USA, v.a. militärisch.
Was ist der Zweck der BRICS? Zunächst geht es um wirtschaftliche Zusammenarbeit, die allen Staaten gute Entwicklungschancen bieten soll. Ein zentrales Projekt dabei ist die „Neue Seidenstraße“, mit dem China einen stärkeren Einfluss im Euro-asiatischen Raum erringen und die wirtschaftliche Entwicklung der Region ankurbeln will. Dabei geht es darum, neue Absatzmärkte für die riesigen Mengen chinesischer Fertigprodukte zu erringen, Zugriff auf strategische Rohstoffe zu bekommen, aber auch, um Kapital zu exportieren und andere Ökonomien u.a. durch Kredite an China zu binden. Damit ist die chinesische Strategie eine klar imperialistische. Trotzdem unterscheidet sie sich (noch) von jener der USA und der von ihr dominierten Institutionen wie der Weltbank oder dem IWF. Deren Vorgehen bedeutet grundsätzlich Ausplünderung, Erpressung und „In Abhängigkeit halten“ der „3.Welt“. Demgegenüber ist Chinas Vorgehen „sanfter“: es zielt stärker auf gegenseitigen Vorteil und darauf, vom Wachstum anderer Länder zu profitieren und dieses zu fördern. Trotz allem führt auch diese Strategie dazu, dass die Abhängigkeit der Entwicklungsländer bestehen bleibt, ja sich mitunter sogar erhöht. Ein Beispiel dafür ist Afrika, wo immer mehr Land in chinesische Hände übergeht; ein anderes ist Sri Lanka, das durch umfangreiche Kredite an China (und durch eine falsche Regierungspolitik) in eine schwere wirtschaftliche und soziale Krise geraten ist. China versucht aber nicht wie die USA, durch „Farbrevolutionen“ ihm genehme Regierungen an die Macht zu bringen oder „Schurkenstaaten“ mit Waffengewalt auf Linie zu bringen. Dazu fehlen China (noch) auch die Mittel. Seine Methode, anders zu agieren als die USA und der Westen, ist derzeit erfolgreicher.
Russlands Interesse als zweiter Säule der BRICS ist es, seine Rolle als international bedeutender Macht zu behalten bzw. wieder zu erlangen. Dieses Bestreben kollidiert mit den Ambitionen des Westens, wie die NATO-Osterweiterung und der Ukrainekrieg zeigen, so dass Moskau eine alternative Allianz braucht, um dem Druck des Westens standhalten zu können. Der Rohstoffexport, nicht eine starke und innovative Wirtschaft, ist aktuell neben dem Status einer Atommacht die Grundlage des russischen Imperialismus. Allein mit militärischen Mitteln kann Russland sich nicht durchsetzen, wie seine Probleme in der Ukraine zeigen; es braucht offene Märkte und „normale“ Wirtschaftsbeziehungen.
Den aufstrebenden Halbkolonien wie Brasilien geht es darum, die ungleichen, vom westlichen Imperialismus dominierten Weltwirtschaftsbeziehungen zu verändern, um sich besser entwickeln zu können. Das ist oft auch mit Absicht der Regierungen dieser Länder verbunden, die soziale Lage der Bevölkerung zu verbessern und eine soziale Reformpolitik zu verfolgen. Doch wir dürfen nicht vergessen, dass alle Länder der BRICS auf kapitalistischer Grundlage beruhen. Von daher ist es ihr Bestreben, selbst einen imperialistischen Status zu erreichen. Diese Absichten – wie das Agieren der bereits imperialistischen Mächte China und Russland – sind nicht einfach Ausdruck einer bestimmten Politik, sondern folgen zwangsläufig daraus, dass sich die riesigen Kapitalmassen einer imperialistischen Ökonomie nur auf dem Weltmarkt und nicht nur auf dem nationalen Markt profitabel realisieren können. Da gegenwärtig bis auf China (und selbst das noch militärisch unzureichend) alle BRICS-Staaten ihre Interessen nicht mit Gewalt durchsetzen können, sind sie stattdessen auf Kooperation ausgerichtet. Sollte die Entwicklung dieser Länder zu imperialistischer Qualität weitergehen – was nicht sicher ist – würden sie ihren Kuschelkurs beenden können und müssen.
China und Russland setzen schon heute auch auf die militärische Karte. China provoziert in der Taiwan-Frage (was nicht dadurch gerechtfertigt werden kann, dass Taiwan „an sich“ zu China gehört), Russland hat wiederholt gegen Ex-Republiken der UdSSR oder in Syrien Gewalt angewendet. Sicher erfolgt dieses Vorgehen immer im Angesicht des ebenfalls aggressiven Verhaltens des Westens, doch wäre eine fortschrittliche Reaktion auch und v.a. dadurch gekennzeichnet, dass antikapitalistische Kräfte und die Arbeiterbewegung unterstützt würden – davon kann aber kein Rede sein.
Eine perspektivische „taktische Änderung“ des bisher überwiegend „friedlichen“, auf Ausgleich und Kooperation zielenden Agierens der BRICS ist schon dadurch angezeigt, dass die BRICS in Konkurrenz zum Westen stehen. Es geht letztlich darum, welcher Machtblock die Welt beherrscht. Sollte der Einfluss der BRICS weiter zunehmen, sollte China die „Neue Seidenstraße“ weitertreiben, sollte der Einfluss des westlichen Imperialismus in Afrika und Lateinamerika weiter abnehmen, so ist es um die Weltherrschaft der USA und ihrer Gefolgschaft geschehen. Die strategischen Denker des US-Kapitals wissen das schon lange und versuchen auf verschiedene Weise, ihre Position zu behaupten. Die Osterweiterung der NATO, die Ausrichtung der Ukraine gegen Russland, das Zerstören jeder Kooperation zwischen der EU und Deutschland mit Russland zeigen das anschaulich.
Gegenwärtig wirkt neben dieser Tendenz der Aggression aber auch eine gegenläufige: der Westen ist von China genauso abhängig wie China vom Westen. Die Öffnung des chinesischen Staatskapitalismus für Privatkapital bereits seit den Reformen von Deng in den 1970ern hat China zu einer imperialistischen Supermacht werden lassen. Zwar konnte der Westen seine zunehmenden Verwertungsprobleme mit der „Eingemeindung“ des Ostblocks und der Globalisierung mildern, doch zugleich sind damit die Probleme und die Konkurrenz in der Welt noch schärfer geworden. Anstatt einer friedlicheren Welt ohne Ost-West-Konfrontation ist nach 1990 nur eine neue, ebenso konfliktreiche Welt entstanden.
Innere Konflikte
Die BRICS sind noch eine ziemlich lose, ja fragile Struktur. Es gibt zwar diverse Kooperationen, Abmachungen und Projekte (so z.B. die Schaffung einer eigenen Währung ohne Dollargrundlage), doch das Zusammenwirken der sozial sehr unterschiedlichen Staaten – imperialistische Mächte, Schwellenländer und unterentwickelte Halbkolonien – könnte künftig nicht nur für Konflikte in den, sondern sogar zum Kollaps der BRICS führen. Ein Problem ist auch, dass die BRICS im Unterschied zum Westblock nicht wie dieser einer Supermacht, den USA, „unterstellt“ und über diverse Abkommen und Strukturen (NATO, IWF usw.) miteinander verzahnt sind. Einige dieser Konfliktlinien sind:
- Indien könnte immer mehr zum direkten Kontrahenten Chinas im asiatischen Raum werden;
- die Türkei nähert sich den BRICS an, ist aber zugleich Mitglied der NATO;
- die islamischen Länder sind tw. untereinander entlang religiöser Linien (Schiiten, Sunniten) verfeindet, ihre Interessen kollidieren mit denen der Türkei und Russlands in Nah- und Mittelost.
Ob es den BRICS unter diesen Umständen gelingt, feste Strukturen, z.B. im militärischen Bereich wie die NATO zu formieren, ist offen, ja eher unwahrscheinlich.
Zudem stehen die BRICS u.v.a. interessierte neue Länder unter starkem Druck der USA, sich nicht den BRICS anzuschließen. Die schon in den 1990ern begonnene Periode des Spätimperialismus wird künftig immer stärker vom Kampf zwischen dem Ost- und dem Westblock um die Formierung, Ausweitung und Verteidigung des eigenen Blocks geprägt sein. Insofern werden Wirtschafts- und Handelskonflikte bis hin zu heißen Kriegen zunehmen. Das wird aber auch mit stärkeren Angriffen auf politische und soziale Errungenschaften der Arbeiterbewegung – und damit auch mit mehr Widerstand verbunden sein. Nach einem dreiviertel Jahrhundert relativer „Klassenkampfruhe“ wird sich Lenins Charakterisierung des Imperialismus als einer Epoche von Kriegen und Revolutionen erneut (und endgültig?) bewahrheiten.
Duell der Giganten
Der Block um die USA versammelt die stärksten und am höchsten entwickelten imperialistischen Mächte. Doch der Einfluss der G7 und ihr Anteil am ökonomischen Leistungsvermögen der Welt schrumpft. Die USA sind schon lange nicht mehr die alles dominierende Werkbank der Welt wie nach 1945. Nach einer Periode der Krise in den 1970ern und 80ern, als Japan, Deutschland und Europa aufholten, haben sich die USA aber tw. wieder erholt. In der Wissenschaft, im IT-Bereich, bei der Positionierung neuer Weltunternehmen (google, Amazon und Co.) und im Finanzmarkt haben sie ihre Positionen ausgebaut oder behauptet. Das Gegenteil ist bei der EU der Fall. Als Tiger gestartet, der zu den USA aufschließen und zur „dynamischsten Wirtschaftsregion“ der Welt werden wollte, ist sie zum Bettvorleger mutiert. Innerlich zunehmend zerstritten, geschwächt durch den Austritt Großbritanniens, von der EURO-Krise und die Probleme ihrer Zentralmacht Deutschland gebeutelt, hat sie gegenüber den USA an Boden verloren und wurde inzwischen auch von China überflügelt. Die neue „Gefolgschaftstreue“ der EU gegenüber Washington erklärt sich z.T. auch aus ihrer schwächer gewordenen Position in der Welt. In gewissem Sinn ähnelt die EU mit ihrem Versuch, sehr unterschiedliche Partner zu einem Block zu formieren dem BRICS-Projekt.
Eine Bestandsaufnahme der BRICS fällt demgegenüber besser aus, ihre Dimensionen sind schon heute gewaltig. Die BRICS-Länder (nur die fünf Gründungsnationen) umfassen etwa 30% der weltweiten Landfläche und 45% der Weltbevölkerung. Die fünf Gründungsmitglieder sind Mitglieder der G20 mit einem gemeinsamen nominalen BIP von 28 Billionen US-Dollar, was etwa 27% des weltweiten BIP entspricht. Ihre Devisenreserven umfassen 5,2 Billionen US-Dollar. Die BRICS überflügeln die G7 bei der Öl-, Gas-, Gold- und Getreideproduktion. Diese u.a. Faktoren zeigen, dass die BRICS die G7 in zentralen Bereichen schon heute übertreffen und eine Ausweitung des BRICS-Blocks die wirtschaftlichen Gewichte weiter zuungunsten der G7 verschieben wird. Auch die Wachstumsraten sind bei den BRICS höher als bei den G7.
Es ist aber trotzdem offen, ob dieser positive Entwicklungstrend der BRICS weiter anhalten und die BRICS als Block sich weiter profilieren können. Jede Konvulsion der internationalen Lage gefährdet die Dynamik und die Geschlossenheit der BRICS, wie sie sich andererseits aber auch positiv für sie auswirken kann. Gerade diese Unwägbarkeit der Lage stellt ein permanentes Risikopotential dar, auf das alle Länder und die beiden Blöcke vorbereitet sein müssen. Der Kampf um Einfluss, um die Gewinnung neuer Partner bzw. gegen das Ausscheren alter Satrapen aus dem jeweiligen Block wird die kommende Periode mindestens so stark prägen wie es schon im Kalten Krieg der Fall war. Die Erwartung, dass die Welt nach 1990, als die Ost-West-Konfrontation beendet schien, eine friedlichere sein würde, hat sich als Illusion erwiesen – weil sie immer noch eine imperialistische ist, weil sie immer noch von derselben Produktionsweise geprägt wird, aus der die historisch gesehen immer gleichen Konflikte entspringen.
Die Positionen der Linken
Die politische Linke (so fragwürdig dieser Begriff an sich auch ist) hat sehr unterschiedliche Positionen zur Rolle der BRICS.
Einen Pol stellen die Linken stalinistischer Provenienz dar. Viele von ihnen halten Russland und/oder China für nichtkapitalistische Länder. Diese durchaus absurde Einschätzung leiten sie v.a. daraus ab, dass dort das Staatseigentum bzw. die staatliche Kontrolle der Wirtschaft stärker ausgeprägt sind als im Westen. Im Fall Chinas spielt auch eine Rolle, dass dort immer noch die KP regiert. Die Stalinisten stört dabei wenig, dass diese Regime sehr undemokratisch, tw. sehr repressiv sind. Für sie heißt Sozialismus nur Herrschaft der Partei und Staatseigentum, nicht aber Selbstverwaltung und Rätedemokratie. Natürlich ist es China gelungen, in den letzten Jahrzehnten Armut und Rückständigkeit zu überwinden, doch all das erfolgte im Rahmen des Kapitalismus und eben nicht dadurch, dass diese Produktionsweise überwunden worden wäre oder überwunden werden soll. Auch andere Ländern wie z.B. Südkorea haben eine solche Entwicklung vollzogen, ohne dass irgendjemand daran zweifeln würde, dass Südkorea kapitalistisch ist.
Andere Linke wiederum sehen China und Co. durchaus als kapitalistisch an, billigen ihnen aber eine Rolle als friedlicheres und sozialeres System zu. Das ist – aktuell – nicht generell falsch, überbetont aber die aktuelle Lage und die aktuellen Interessen und Möglichkeiten Chinas oder Russlands, die objektiv derzeit nicht in der Lage sind, der NATO militärisch Paroli zu bieten und wie die USA auf ein offen aggressives Vorgehen zu setzen. Das Problem dieser meist reformistisch geprägten Linken besteht darin, dass sie 1. unter Imperialismus v.a. eine bestimmte aggressive Politik verstehen und nicht wesentlich eine bestimmte wirtschaftliche Struktur (Finanzkapital, Konzerne usw.), aus der diese Politik entspringt. 2. neigen sie dazu, diesen Staaten bestimmte Negativa, z.B. den Mangel an Demokratie, „nachzusehen“ und deren weltpolitisches Agieren zu unkritisch nur als Alternative zum Westen zu sehen. Sehr leicht führt das dazu, dass die Politik Russlands oder Chinas unkritisch oder per se unterstützt wird. Anstatt die Arbeiterklasse auf den Kampf gegen den Kapitalismus in allen seinen Varianten zu orientieren, werden die BRICS als fortschrittliche „Partner“ des Proletariats angesehen.
Revival der Volksfrontpolitik
Diese Position ist sehr ähnlich jener der stalinistischen Volksfrontpolitik. Die schon ab Mitte der 1920er zuerst in China exekutierte und dann ab den 1930ern (in Spanien, Frankreich) und ab 1944/45 vertretene Ausrichtung hatte fatale Folgen. Überall wurden revolutionäre Chancen vergeben und die Arbeiterbewegung in blutige Niederlagen geführt. Anstatt der Einheitsfront der Linken, der Arbeiterorganisationen und der Unterdrückten zielte die Volksfront auf ein Bündnis mit bestimmten „fortschrittlichen“, „demokratischen“ oder „antifaschistischen“ Flügeln der Bourgeoisie. Damit diese sich – umso mehr in einer revolutionären Situation – überhaupt darauf einlässt, machte man ihr drei entscheidende Zugeständnisse, die einer Selbstaufgabe des Proletariats gleichkommen: 1. verzichtet man auf die Enteignung des (gesamten) Kapitals, 2. lässt man den bürgerlichen Staatsapparat intakt, anstatt ihn zu zerschlagen und durch ein Rätesystem zu ersetzen, 3. bildet man zusammen mit bürgerlichen Parteien eine (bürgerliche) Regierung.
Ein anderer Teil der Linken – wenn man diese Kräfte überhaupt als links ansehen kann – unterstützen mehr oder weniger offen den „Wertewesten“ gegen die autokratischen Diktaturen in China, Russland oder im Iran. So berechtigt die Kritik an diesen Mächten oft auch ist, treibt sie doch nur den Teufel mit dem Beelzebub aus, indem sie glaubt, eine Unterstützung der USA, Israels, der NATO oder ihrer „Partner“ wie der Ukraine würde zu mehr Frieden und Demokratie führen und der Umsetzung der „Menschenrechte“ dienen. V.a. diese „woken“ und „grünen“ Linken sind es, die den absurden und reaktionären Projekten des Kapitals bzw. bestimmter Flügel der Bourgeoisie wie die Klimahysterie, die Energiewendepolitik, die Corona-Diktatur u.a. Unterstützung auch von Teilen der lohnabhängigen Massen zuschanzen. Die fatale (gleichwohl aber nicht ganz überraschende) Verwandlung der Grünen vom pazifistischen Saulus zum bellizistischen Paulus ist ein wesentlicher Faktor dafür, dass nicht nur die Aufrüstungs- und Kriegspolitik der Ampel-Regierung sondern auch die regierungsfreundliche „Abrichtung“ der Bevölkerung so gut funktioniert. Ihr kongenialer Partner dabei sind die Reformisten von SPD, Linkspartei, dem BSW und dem DGB-Apparat.
Strategische Schlussfolgerungen
Natürlich ist es falsch, eine Position zu beziehen, die einfach nur sagt: die BRICS und der Westen um die Führungsmacht USA sind alle kapitalistisch bzw. imperialistisch, ohne auch die Unterschiede zwischen beiden Lagern und deren (partiell und aktuell) unterschiedliche Interessen zu sehen. Das zeigt sich u.a. im Ukrainekrieg. Dabei handelt es sich um einen imperialistischen Stellvertreterkrieg, der von allen Seiten – der NATO, Russlands und der Ukraine – reaktionär ist. Gleichwohl ist der westliche Imperialismus der Konflikttreiber – nicht Russland. Ein Sieg Russlands wäre sicher das kleinere Übel und hätte weniger Auswirkungen hinsichtlich der weiteren Zuspitzung der internationalen Lage als ein Sieg des Westens – und ein Sieg der Ukraine wäre nichts anderes als ein Sieg des Westens, der die Ukraine als (Halb)kolonie weiter ausplündern könnte und sie als Sprungbrett für weitere politische und militärische Eskapaden an der Flanke Russlands nutzen würde.
Doch das alles heißt nicht, dass Linke für den Sieg Russlands eintreten sollten. Wofür Linke eintreten sollten, ist der Sieg des Proletariats über den Kapitalismus und das Vorantreiben des Klassenkampfes. Und wer wollte behaupten, dass ein Sieg Putins das befördern würde?! Für Russland war es durchaus legitim und militärisch notwendig, die hemmungslose und vertragsbrüchige Ausdehnung der NATO nach Osten, die objektiv eine Bedrohung Russlands darstellt und das strategische Gleichgewicht verschob, zu stoppen, indem man eine NATO-Mitgliedschaft der Ukraine verhindert. Für Russland war es genauso legitim, die vom Kiewer Regime seit 2014 unterdrückte russische Bevölkerungsmehrheit im Donbass zu unterstützen. Putin hätte schon 2014 den von Kiew angezettelten Bürgerkrieg im Donbass durch ein deutliches Veto und die völkerrechtliche Anerkennung der legitimen Separationsbestrebungen beenden können. Das tat er nicht. Stattdessen ließ er sich (im naiven Glauben an die Seriosität des Westens) bei den Minsker Verhandlungen über den Tisch ziehen. Für ihn war ein gutes Verhältnis zum Westen, d.h. der Verkauf von Öl und Gas, wichtiger als die konsequente Hilfe für seine massakrierten Landsleute im Donbass. Das Ergebnis war allerdings keine friedlich-schiedliche Lösung des Konflikts, sondern die Aufrüstung der Ukraine und die Verschärfung ihrer Attacken auf den Donbass. Letztlich blieb Putin als letzte Option dann nur noch der Angriff im Februar 2022.
Das Imperialistische an der Politik Putins besteht auch darin, dass er, seitdem die Ukraine 1991 unabhängig geworden war, nichts dafür getan hat, die Kämpfe der Arbeiterklasse gegen Privatisierungen, gegen den Aufstieg der Oligarchen, gegen den sozialen Abwärtstrend zu unterstützen. Letztlich mündete diese Entwicklung im Maidan-Putsch von 2014, als ein nationalistisches, russophobes, rassistisches und faschistoides Regime an die Macht kam. Die Niederlage und Demoralisierung der ukrainischen Massen war der Nährboden, auf dem diese reaktionären Ideologien gedeihen konnten. Die Ironie der Geschichte war nun, dass die Versuche Putins, mit imperialistischen Räubern Geschäfte zu machen, anstatt sie zu bekämpfen, sich für ihn als Bumerang erwiesen.
Anstatt nur auf die Legitimität des Reagierens Russlands auf die aggressive Politik des Westens zu verweisen, muss die Linke zugleich den imperialistischen Charakter der Politik Putins benennen. Sie muss betonen, dass Widerstand gegen reaktionäre Entwicklungen und die Kriegstreiberei nicht aus Washington, Brüssel, Berlin, Peking oder aus dem Kreml zu erwarten ist, sondern nur vom Klassenkampf. Wir erinnern hier daran, welche absurden Illusionen große Teile der Linken in Deutschland bezüglich der Maidan-Bewegung hatten. Sie sahen darin nur oder v.a. eine Demokratie-Bewegung, jedoch nicht oder unzureichend, dass diese Bewegung komplett von rechten Kräften mithilfe des Westens initiiert bzw. übernommen wurde. Letztlich musste die Entwicklung, die 2014 mit dem Maidan begann, in einen Krieg münden.
Die Illusionen großer Teile der Linken in Russland erinnern an die Volksfront-Politik der stalinschen Komintern in den 1930ern. Anstatt die Arbeiterbewegung darauf zu orientieren, den Kapitalismus zu stürzen, wo sich dafür eine Chance ergab, bastelte man an Bündnissen mit den „demokratischen Imperialisten“ in London und Paris, um Hitler zu stoppen. Das Ergebnis dieser „innovativen“ Politik Stalins ist bekannt …
Letzten Endes geht es also darum, die Linke und die Arbeiterbewegung wieder auf einen antikapitalistischen und antiimperialistischen Kurs zu bringen. Das bedeutet auch, die Illusionen in bestimmte bürgerliche Flügel und Bewegungen zu überwinden. Dazu gehören auch die Illusionen in die BRICS. Wir drohen, in einen 3. Weltkrieg zu schlittern. Dagegen helfen weder pazifische Illusionen in Verhandlungen (so richtig es auch ist, für Friedensverhandlungen einzutreten), noch in die eine oder andere „bessere“ kapitalistische Macht. Dagegen hilft nur die Erneuerung der Linken und der Arbeiterbewegung an Haupt und Gliedern, damit aus pazifistischen Gebetsbrüdern wieder Totengräber des Kapitalismus werden!