Paul Pfundt
Die Stromgewinnung aus der kinetischen Energie des Wassers gilt als „erneuerbare Energie“, die dem Umwelt- und Klimaschutz nütze. Diese These wollen wir hier überprüfen.
Es gibt drei Arten von Wasserkraftwerken: 1. Kraftwerke mit Staumauer, 2. solche ohne Stauung an Fließgewässern und 3. Pumpspeicherkraftwerke. Während die ersten beiden Typen Strom erzeugen, ist das bei Pumpspeicheranlagen nicht der Fall: sie verbrauchen beim Hochpumpen des Wassers in das Oberbecken mehr Strom als beim Herunterfließen erzeugt wird. Der Energieverlust liegt bei 20-30%. Solche Anlagen können trotzdem sinnvoll sein, weil sie Reservestrom zur Abdeckung von Spitzenlasten oder bei Havarien liefern. Sie nutzen den in der Nacht erzeugten, aber nicht gebrauchten Strom. Dadurch sind insgesamt weniger Erzeugeranlagen nötig. Außerdem dienen Pumpspeicheranlagen oft auch dem Hochwasserschutz und der Trinkwasserversorgung.
Die Energiegewinnung aus fließendem Wasser wird schon sehr lange genutzt, z.B. bei Wassermühlen oder Pochwerken. Schon vor über 2.000 Jahren nutzten die Griechen Wasserräder, um Mehl zu mahlen, die Ägypter betrieben drei Jahrhunderte v.u.Z. archimedische Wasserschrauben zur Bewässerung. Im 17. Jahrhundert begann in Frankreich der Einsatz von Turbinen. 1849 baute der Ingenieur James Francis die erste moderne Wasserturbine, die „Francis-Turbine“, deren Wirkprinzip noch heute die am häufigsten genutzte Art von Wasserturbine ist.
Weltweit gibt es 60-70.000 größere Wasserkraftwerke mit einer Leistung von über 75 MW. In Europa werden über 20.000 Wasserkraftwerke betrieben. Pumpspeicherkraftwerke stellen etwa ein 1/7 der Gesamtkapazität. Wasserkraft ist derzeit die größte „erneuerbare“ Stromquelle mit ca. 15% Anteil an der Gesamtstromerzeugung – nicht zu verwechseln mit der Gesamtenergieerzeugung (Primärenergie), an der Strom nur etwa 25% Anteil hat.
Probleme
Fließendes Wasser ist wie Wind und Sonne gratis verfügbar, sie alle „schicken keine Rechnung“. Die Wassernutzung erzeugt keine schädlichen Emissionen und gilt insofern als „klimaneutral“ (wenn wir das Klima-Narrativ hier als korrekt unterstellen) und nachhaltig. Bei genauer Betrachtung sieht die Sache allerdings etwas anders aus. Es gibt folgende Nachteile von Wasserkraftanlagen (WKA):
- der Aus- oder Neubau von WKA ist begrenzt, tw. weil keine geeigneten Flüsse vorhanden sind oder die Wasserknappheit zunimmt;
- die Entnahme von Energie aus Fließgewässern verlangsamt deren Fließgeschwindigkeit und fördert die Verlandung; Staudämme vermindern den Sediment-Transport ins Meer, was zum Schwinden von Sandstränden beiträgt;
- das Wasseraufkommen ist wetterabhängig, auch wenn die Verfügbarkeit meist höher ist als bei Wind und Sonne; diese Schwankung bedeutet, dass Backup-Erzeuger nötig sind, die bei Bedarf einspringen können;
- Stauseen vernichten agrarische oder urbane Nutzflächen und Naturräume und fördern damit das Artensterben;
- der Bau von WKA ist sehr teuer, es sind enorme Mengen an Material, v.a. Beton, notwendig;
- große Staumauern können nicht zurückgebaut werden, ein Dammbruch fordert oft Tausende Opfer;
- Stauseen emittieren viel Methan, das als „Klimagas“ gilt, durch die Verrottung von Biomasse;
- die Turbinen von WKA töten Fische und beeinträchtigen deren Leben, z.B. durch die Behinderung der Lachswanderung.
Selbst Länder, wo Wasserkraft einen sehr hohen Anteil an der Stromerzeugung hat, sind noch auf andere Quellen angewiesen. Norwegen (85% des Stroms), Island (75%), Brasilien (65%) oder Kanada (60%) sind solche Länder, die viel Wasser, aber im Vergleich auch relativ wenig Bevölkerung und Industrie haben.
Strom aus Skandinavien?
Das hohe Aufkommen an Wasserkraft in Norwegen animierte viele Klimaschützer dazu, das Land als Stromlieferanten und Speicherreservoir für Deutschland zu betrachten. Das ist in mehrfacher Hinsicht absurd und zeigt nur, wie oberflächlich die Sichtweise von Klimaschützern oft ist. Warum?
- schwankt das Wasseraufkommen und damit die Stromproduktion in Norwegen jährlich um bis zu 60 TWh. Das Land kann also nicht immer zuverlässig liefern. 2. Ein Zubau an Kapazitäten ist nicht ohne weiteres möglich und außerdem sehr teuer. Zudem ist fraglich, ob die Norweger das wollen, um Deutschlands unterminierte Stromversorgung zu retten. 3. geht auf dem langen Weg zwischen Deutschland und Norwegen sehr viel Strom durch Leitungsverluste verloren. Würde man – so eine „grüne“ Idee – überschüssigen Windstrom nach Norwegen leiten, dort in Stauseen speichern und bei Bedarf nach Deutschland zurückleiten, gingen dabei insgesamt bis zu 75% des Stroms verloren. Ist das sinnvoll?!
Zwischen Deutschland und Schweden wurde eine 300 Kilometer lange Gleichstromleitung durch die Ostsee geplant. „Nach ihrer Fertigstellung wird die Hansa Powerbridge einen wesentlichen Beitrag zur Stabilisierung des deutschen Strompreises, zur Sicherung des Übertragungsleitungsnetzes sowie zur indirekten Speicherung von Strom aus erneuerbaren Energien leisten“, versprach der deutsche Netzbetreiber 50Hertz, der das Projekt gemeinsam mit dem schwedischen Svenska kraftnät geplant hat. Mit indirekter Speicherung war die Idee gemeint, norddeutsche Windstromüberschüsse in skandinavische Pumpspeicher zu leiten. Doch Schwedens Regierung hat das Projekt im Juni 2024 gestoppt, weil die Stabilisierung des deutschen Strompreises nicht das vordringlichste Interesse ihrer Wählerschaft wäre und die Strompreise in Schweden steigen würden, begründete die schwedische Energie- und Industrieministerin Ebba Busch ihre Entscheidung.
Grüne Wasserkraft?
Wasserkraft gilt v.a. gegenüber fossiler Energie als umwelt- und klimafreundlich. Da die These von der CO2-getriebenen katastrophalen Klimaerwärmung unwissenschaftlich ist, spielt die Emission von Treibhausgas aber keine Rolle. Es ist also von vornherein sinnlos, aus Gründen des „Klimaschutzes“ in Wasserkraft zu investieren.
Anders sieht es aber aus, wenn wir den Umweltschutz und die Ökonomie des Energiesystems betrachten. Aufgrund der sehr langen Laufzeit, tw. Jahrhunderte lang, ohne großen Bedien- und Sanierungsaufwand, sind Wasserkraftanlagen ökonomisch sinnvoll. Allerdings stellen sie immer einen großen Eingriff in Landschaft und Ökosysteme dar. Angesichts der ohnehin schon bedenklichen und weiter zunehmenden (!) ökologischen Zerstörungen muss der Neubau von WKA begrenzt werden. Neubauten mit der Begründung des „Klimaschutzes“ müssen generell abgelehnt werden. Oft fördert z.B. die EU mit dieser Begründung den Bau neuer Anlagen, die noch intakte Ökosysteme, v.a. Flusslandschaften, Überschwemmungszonen usw. zerstören. Ähnlich wie Windräder und Solar“parks“ verbrauchen auch WKA viel Fläche – eine durchaus endliche Ressource.
Obwohl auch die Wasserkraft natürlichen Schwankungen unterliegt und deshalb nicht allein eine zuverlässige Stromversorgung sichern kann, sind die Einspeiseschwankungen deutlich geringer als bei Wind- und Solarenergie. In Deutschland ist der Bau neuer WKA nur in sehr geringem Umfang möglich, da es dafür keine freien Flächen und geeignete Standorte gibt. Auch der Bau weiterer Pumpspeicherkraftwerke macht ökonomisch kaum Sinn. Die größte und modernste Anlage in Deutschland ist Goldisthal in Thüringen, dessen Bau noch in der DDR begonnen wurde. Goldisthal verfügt über eine Nennleistung von insgesamt 1.060 MW, was einem großen Kohlekraftwerk oder einem kleinen Kernkraftwerk entspricht. Doch diese Leistung wird nur für wenige Stunden ins Netz eingespeist – bis das Oberbecken leer ist. Heute würde eine solche Anlage 1,2-1,5 Milliarden Euro kosten.
Alles in allem ist die Wasserkraft eine Möglichkeit der Stromerzeugung, die aber angesichts der massiven ökologischen Auswirkungen nur sehr begrenzt und verantwortungsvoll eingesetzt bzw. ausgebaut werden sollte. Klimaschutzargumente für die Wasserkraft müssen strikt als unwissenschaftlich zurückgewiesen werden!
Alternative
Wie auch alle anderen Fragen der Entwicklung des Energiesystems und der Wirtschaft müssen die Beurteilungen und Entscheidungen dem Staat und dem Kapital so weit wie möglich entrissen werden. Deren „Experten“ – oft sind es nur selbsternannte „grüne“ Pseudoexperten – folgen meist nur absurden Ideologien und den Profitinteressen bestimmter „grüner“ Kapitale und Investoren und nicht den realen gesamtgesellschaftlichen Bedürfnissen und Bedingungen. So verhindert das CO2-Dogma oft sinnvolle technische Lösungen und begründet schlechte und schädliche Projekte.
Wir brauchen Gremien von wirklichen Fachleuten aus Wissenschaft und Technik und die Beteiligung von Einwohnern und Stromkunden, um die Entwicklung des Energiesystems festzulegen. Das Parlament, die Regierung und die ihr vorgelagerten (politisch beeinflussten) „Beratungsgremien“ sind strukturell ungeeignet, um vernünftige Lösungen zu ermöglichen. Anstatt der vielfältigen Lobby-Strukturen und der bornierten Partialinteressen von Unternehmen müssen demokratisch legitimierte Organe aus wirklichen Fachleuten aus Wissenschaft und Technik, Einwohnern und Stromkunden die Entwicklung des Energiesystems festlegen. Dazu müsste u.a. ein bundesweiter „Energiekongress“ einberufen werden, der eine „Energiekommission“ wählt, die Vorschläge zur Energiepolitik macht und ein Vetorecht gegen Regierungsmaßnahmen hat. Bei einem Dissens könnte – ähnlich wie schon bei Tarifkonflikten – ein Schlichter entscheiden. Diese Lösung wäre zwar kein Idealfall, könnte aber immerhin viele Dummheiten der deutschen Energiewendepolitik verhindern und ein breitere öffentliche Diskussion und Meinungsbildung fördern. Das bedeutet v.a., dass die Linke und die Arbeiterbewegung (Gewerkschaften) sich dafür engagieren. Dafür müssen sie ihren „Glauben“ an vorgeblich „grüne“ Ideologien und v.a. an die Klimakatastrophen-Hysterie überwinden.
Letztlich ist eine sinnvolle und effiziente Energiepolitik aber nur möglich, wenn die kapitalistische Produktionsweise, das Privateigentum an Produktionsmitteln und die Konkurrenz überwunden sind. Nur eine Wirtschaft und ein Energiesystem, das direkt (!) von den Produzenten und Konsumenten – nicht vom Staat – kollektiv-genossenschaftlich verwaltet wird und in ein Rätesystem eingebunden ist, kann technische Effizienz und Umweltschutz miteinander verbinden und die Interessen der Gesellschaft befriedigen.