Antwort auf Kritik

Redaktion Aufruhrgebiet

Am 11.6.25 veröffentlichten wir ein Flugblatt zum Völkermord Israel in Gaza

Dieses beginnt mit folgender Passage:

„Beim Angriff der Hamas vom 7.10.23 wurden über 1.000 Menschen getötet und ca. 200 als Geiseln verschleppt. Er traf militärische, aber v.a. zivile Ziele. Daher ist er reaktionär und Menschen verachtend, er dient nicht dem gerechten Kampf der Palästinenser, sondern schadet ihm.“

Die Bewertung der Aktion der Hamas als „reaktionär und Menschen verachtend“ wurde von einigen Lesern kritisiert. U.a. wurde dabei angeführt, dass wir damit den berechtigten Widerstand der Hamas bzw. der Palästinenser insgesamt diskreditieren und in Zweifel ziehen würden.

Wir nehmen sachliche Kritik ernst und wollen deshalb hier darauf eingehen.

Uns ist bewusst, dass die Aktion der Hamas am 7.10.23 „aus dem Ruder“ gelaufen ist und ein Teil der Opfer auf das Konto der israelischen Armee geht. Uns sind auch jene Meinungen bekannt, die davon ausgehen, dass die Hamas vom israelischen Geheimdienst infiltriert ist und die Aktion am 7. Oktober inszeniert gewesen sein kann, um einen Vorwand für den Krieg in Gaza zu haben. All das ist möglich. Doch es sind tw. Vermutungen oder Behauptungen, die nicht bewiesen sind. Zudem haben sie nichts damit zu tun, was Israel in Gaza an Gräueln anrichtet. Wir haben sehr klar dargelegt, dass die Vorgänge am 7. Oktober höchstens der Anlass, nicht aber die Ursache für Israels Terrorfeldzug sind. Einen besseren Vorwand konnte sich Israel aber kaum wünschen. Fast die gesamte globale „Öffentlichkeit“ verurteilte die Aktion der Hamas und leitet daraus meist das Recht Israels ab, Vergeltung zu üben. Erst der ungeheure Massenterror Israels gegen Gaza ließ dann die „öffentliche Meinung“ umschwenken.

Wir haben im Flugblatt wie auch in unserer Palästina-Broschüre ausgeführt, warum der Widerstand der Palästinenser grundlegend historisch gerechtfertigt ist. Damit ist jedoch nicht gesagt, dass jede Art von Widerstand richtig ist und dem berechtigten Anliegen der Palästinenser dient. Es ist die Pflicht jedes Revolutionärs, fortschrittliche Kämpfe nicht nur zu unterstützen, sondern sie auch zu analysieren und Fehler aufzudecken, um sie künftig vermeiden zu können.

Warum war die Aktion der Hamas vom 7.10.23 reaktionär?

Nicht deswegen, weil sich die Hamas zur Wehr gesetzt und Israel angegriffen hat, sondern deshalb, weil sie dabei v.a. gegen Zivilisten vorging und bewusst in Kauf nahm, dass diese dabei zu Schaden kommen. Sicher wollte die Hamas die Zivilisten nicht töten, sie wollte sie als Geiseln nehmen, um diese gegen gefangene Palästinenser auszutauschen. Es war aber klar, dass diese Geiselnahme, die mit dem Durchbrechen der Grenzanlagen verbunden war, die Aufmerksamkeit der israelischen Sicherheitskräfte erregen würde. Damit war auch klar, dass es dabei zu bewaffneten Auseinandersetzungen und zu zivilen Opfern kommen würde.

Der Umstand, dass der israelische Staat, aber auch jüdische Siedler in den besetzten Gebieten schon seit Jahrzehnten Gewalt gegen palästinensische Zivilisten ausüben, kann nicht nach dem Motto „Zahn um Zahn“ ein Argument sein, selbst auf gleiche Weise zu handeln. Das ist auch nicht nur eine moralische Frage, es geht auch und v.a. darum, welche Mittel und Methoden den Widerstand befördern und welche nicht.

Strategie

Damit sind wir bei der Frage der Strategie angelangt. Der Widerstand der Palästinenser kann nur Erfolg haben, wenn es auch gelingt, den sehr unterentwickelten Klassenkampf in Israel zu unterstützen und sich mit ihm zu verbinden. Vor dem 7. Oktober gab es in Israel massenhafte Proteste gegen undemokratische Vorhaben der Regierung. Diese Proteste hätten von der Hamas unterstützt werden müssen.

Man kann sich lebhaft vorstellen, wie es auf Israelis wirkt, wenn Hunderte zivile Besucher eines Konzertes von der Hamas entführt und getötet werden. Fördert das etwa das Verständnis der jüdischen Bevölkerung für den Widerstand der Palästinenser? Wohl kaum! Nicht anders verhält es sich mit etlichen anderen Aktionen des palästinensischen Widerstands in den letzten Jahrzehnten, wie etwa der Entführung von Zivilflugzeugen, das Sprengen von zivilen Bussen oder das Abschießen von ungelenkten (!) Raketen, die – wenn sie überhaupt Schaden anrichteten – zivile Ziele trafen. Dieses Vorgehen, wahllos Ziele anzugreifen, um die Gegenseite zu Zugeständnissen zu zwingen, ist reaktionär, weil es nicht den Klassengegner – die Bourgeoisie oder das Militär – trifft, sondern die Zivilbevölkerung, also in der Mehrheit das Proletariat. Dieses terroristische Vorgehen hat viele Vorbilder. So wurden auch im 2. Weltkrieg von den USA und Britannien absichtlich und massenhaft die zivilen Wohngebiete deutscher Städte bombardiert. Dabei wurden Hunderttausende Zivilisten, darunter viele Frauen und Kinder, getötet. So hoffte man, die Bevölkerung gegen das Nazi-Regime aufzubringen. Das Gegenteil war der Fall! Diese Methode der Herrschenden – egal, ob es sich um imperialistische Militärs oder um die Hamas als bürgerlich-nationalistisch-klerikale Organisation handelt – ist reaktionär, weil sie nur Machtpolitik ist und nicht der Selbstbefreiung der Werktätigen dient.

Die latent anti-jüdische, nicht nur anti-zionistische Einstellung der Hamas und großer Teile der Palästinenser ist angesichts der Vertreibung, der Unterjochung und des Terrors Israels mehr als verständlich – doch sie ist zugleich falsch und kontraproduktiv, weil sie die Interessen Israels und des Zionismus mit denen „der Juden“ gleichsetzt – was so nicht stimmt, obwohl die Juden in Israel ohne Zweifel auch mitschuldig sind an der Politik Israels, indem sie davon Nutzen haben, diese tolerieren oder sogar deren Verschärfung fordern. Trotzdem muss von Seiten der Palästinenser versucht werden, den durchaus auch vorhandenen Klassenwiderspruch in Israel voranzutreiben und den Unmut, den Protest von Israelis gegen bestimmte Aspekte des israelischen Kapitalismus zu unterstützen und aufzuzeigen, dass es grundlegende gemeinsame Interessen zwischen dem jüdischen und dem palästinensischen Proletariat gibt – auch wenn diese aktuell weitgehend „verschüttet“ sind. Das zu ändern ist aber gerade nicht Teil der Politik der Hamas, die einer zutiefst reaktionären, bürgerlich-nationalistischen Ideologie und Gesellschaftsvorstellung folgt. Dass die Juden in Israel mit der Hamas – und aus ihrer Sicht mit den Palästinensern insgesamt – „nichts am Hut haben“, erklärt sich auch daraus, dass die Hamas z.B. eine reaktionäre Haltung zu Frauen und zu Minderheiten hat. Selbst wenn die israelischen Juden die Politik Netanjahus kritisch sehen, so können sie zu recht davon ausgehen, dass eine Gesellschaft nach den Vorstellungen der Hamas keine positive Alternative wäre.

Auch der Hamas ist bewusst, dass es Israel darum geht, die Palästinenser aus Gaza und aus dem Westjordanland zu vertreiben und ein zionistisches Groß-Israel zu errichten. Dazu sucht Israel immer nach Vorwänden, um sein reaktionäres Vorgehen zu „begründen“. Angesichts dessen ist es nicht nur dumm, sondern auch verbrecherisch gegenüber der eigenen Bevölkerung, Israel genau einen solchen Vorwand frei Haus zu liefern und die eigene Bevölkerung der israelischen Kriegsmaschine auszuliefern, ohne den Hauch einer Chance, militärisch dagegen zu halten. Es ist kein Wunder, dass sich aktuell immer mehr Palästinenser in Gaza von der Hamas und ihrer Hasard-Politik abwenden.

Führungsfrage

Das Hauptproblem des palästinensischen Widerstands besteht seit Jahrzehnten v.a. darin, dass er über keine brauchbare, d.h. fortschrittliche, proletarisch-revolutionär-sozialistische Führung verfügt. Nachdem die Palästinenser vom Kapitulantentum der PLO (Oslo-Prozess) genug hatten, wandten sie sich der Hamas zu, die scheinbar radikaler, aber auch noch reaktionärer war als die PLO. So lange der palästinensische Widerstand von solchen Kräften geführt wird, kann er nicht erfolgreich sein. Daher ist es eine wichtige Aufgabe von Linken, deren Politik, deren Ideologie und Praxis zu kritisieren und sie nicht aus falsch verstandener „Solidarität“ zu tolerieren oder gar zu unterstützen. Der Kampf der Palästinenser ist Teil des weltweiten antikapitalistischen Widerstands. Dieser muss daher solidarisch mit den Palästinensern sein, aber auch kritisch! So, wie die Palästinenser zu recht unsere Solidarität einfordern, so müssen wir das recht haben, ihre Art von Widerstand zu bewerten.

Wenn, wie unsere Kritiker meinen, die Aktion der Hamas am 7. Oktober 2023 nicht reaktionär und für den Widerstand der Palästinenser nicht schädlich war, dann bedeutet das doch wohl, dass noch mehr von solchen Aktionen wie am 7. Oktober 2023 wünschenswert wären?! Die Frage zu stellen heißt, sie zu beantworten.

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