Alter Wein in neuen Schläuchen

Eine Analyse der Wahlalternative „Soziale Liste Zukunft“

Hanns Graaf

Die „Freie Linke Zukunft“ ist ein Teil des Spektrums der „Freien Linken“ (FL). Kürzlich hat sie ein Projekt initiiert, das sich Wahlalternative „Soziale Liste Zukunft“ (SLZ) nennt (Aufruf hier). Wir wollen die Zielstellung und das Programm der SLZ hier daraufhin betrachten, ob es geeignet ist, den Widerstand gegen Krise und Krieg voran zu bringen und die antikapitalistischen Kräfte zu stärken.

Zunächst stellt sich die Frage, was ein Wahlprojekt gegenwärtig überhaupt bewirken kann. Es ist klar, dass die „Freie Linke Zukunft“ aus eigener Kraft keine Kraft aufbauen kann, die bei einer Wahl auch nur 0,1% erreichen könnte. Das wäre nur dann möglich, wenn es breiten, massenhaften Widerstand gegen die aktuelle Ampel-Politik geben würde. Davon kann gegenwärtig aber (noch) keine Rede sein. Das Ausmaß der Proteste liegt aktuell noch weit unter dem Level der Anti-Corona-Proteste 2020/21, die Hunderttausende auf die Straße brachte. Nur dann aber – und wenn die „Freie Linke Zukunft“ darin ein markante Rolle spielen würde – wäre für ein Wahlprojekt genügend „kritische Masse“ vorhanden. Das ist gegenwärtig nicht der Fall. Die SLZ ist somit von vornherein ein Projekt ohne Substanz, das sich und die Linke letztlich nur lächerlich macht, indem man peinlich wenige Stimmen einsammelt, die überhaupt kein Gewicht haben und nur zeigen, wie marginal die Linke ist – doch das weiß man auch so.

Nun könnte man argumentieren, dass das Wahlprojekt ein Mittel sein kann, um das Widerstandspotential zu vergrößern und dessen Vernetzung voranzubringen. Doch auch davon kann keine Rede sein. Hat man andere linke Gruppen angesprochen? Fehlanzeige! Hat man wenigstens versucht, andere Teile der FL, v.a. deren größte Struktur in Berlin (https://freie-linke-berlin.de/), einzubeziehen? Hat man nicht. Wurde die SLZ medial platziert? Nein! Diese Versäumnisse verweisen ganz klar auf das Sektierertum der „Freien Linken Zukunft“, welches sich auch auf anderen Feldern zeigt. So hat sie zweimal Angebote der Freien Linken ignoriert, an deren überregionalen Treffen teilzunehmen. Anstatt die verschiedenen Gruppierungen der FL zusammenzuführen, gemeinsam eine Programmatik zu erarbeiten und praktisch eng zu kooperieren, baute man eine separate Struktur auf. Einige Genossen, die heute bei der „Freien Linken Zukunft“ aktiv sind, haben sich schon bei der Entstehung der FL damit hervorgetan, willkürlich und undemokratisch zu agieren (Telegram-Chat), was leider viele Linke schon am Anfang von der FL abgestoßen hat. So haben sie dem von ihnen selbst initiierten Projekt sehr geschadet und tun es noch.

Ein weiteres Problem besteht darin, dass eine Wahlkandidatur – ernsthaft betrieben – sehr viel Aufwand mit sich bringt. Gerade jetzt geht es aber darum, den Widerstand auf der Straße auszuweiten. Die SLZ bedeutet in dieser Hinsicht nur eine Zersplitterung der ohnedies geringen Kräfte. Dazu kommt, dass eine Orientierung auf Wahlen in der aktuellen Situation (ungewollt) auch jenen Kräften in die Hände spielt, die evtl. den Widerstand dadurch beenden wollen, dass sie auf Neuwahlen setzen. Doch alle Oppositionsparteien taugen als Opposition nicht. Jede neue Regierung – egal in welcher Konstellation – wäre nur eine Alternative Pest oder Cholera.

Programmatik

Der Aufruf charakterisiert völlig korrekt das bedrohliche Ausmaß der Krise und stellt richtige Forderungen auf wie z.B.: „Beendet die wahnsinnigen und selbstzerstörerischen Sanktionen gegen Russland! Öffnung von Nordstream 2! Preisstopp für Lebensmittel durch dauerhafte Absenkung der Mehrwertsteuer, notfalls auf Null! Preisstopp für Strom und Benzin durch entsprechende dauerhafte Verbrauchssteuersenkungen!“

Manche Forderungen wiederum sind nicht wirklich durchdacht. So lautet eine Losung: „Aussetzung des preistreibenden Börsenhandels für Strom, Gas und Benzin! Verteilung dieser Ressourcen ausschließlich durch die Staaten!“ Hier müsste es doch wohl eher heißen „durch den Staat“. Doch wie soll der Staat Benzin verteilen? Und warum wird dann nicht eine Verstaatlichung der Privatfirmen gefordert? Das wiederum würde bedeuten, tausende Kleinbesitzer oder Pächter von Tankstellen zu enteignen. Ist das sinnvoll? Von einer effektiven Kontrolle des Energiesystems durch die Arbeiterklasse und die Verbraucher usw. ist auch nicht die Rede.

Weiter wird gefordert: „Aussetzung der CO2-Steuer. Finanzierung dieser Maßnahmen durch Steuern auf hohe Vermögen (nur Millionäre und Milliardäre wären betroffen, die von der Politik der letzten Jahre wesentlich profitiert haben)!“ Warum wird hier nicht die Abschaffung der CO2-Steuer gefordert? Das hängt vermutlich damit zusammen, dass die SLZ sich nicht gegen die Energiewende (EW) ausspricht. Sie kritisiert die Auswirkungen der EW, jedoch nicht deren Ursache: die aberwitzige Klimaschutzpolitik und den Ausbau der „Erneuerbaren“. Selbst wenn es eine Bedrohung durch den Klimawandel gäbe, wäre die EW als Mittel untauglich. Da hilft es auch wenig, wenn am Ende gefordert wird, dass es keine „Tabuisierung von Themen wie Klimawandel“ geben soll. Gefragt ist hier eine klare Position der SLZ zur Klimafrage! Die Forderung nach höherer Besteuerung ist zwar richtig, deren Einschränkung nur auf Millionäre und Milliardäre aber ist falsch. Korrekt wäre die Forderung nach einer progressiven Besteuerung von Kapital und Reichtum, wie sie übrigens schon im „Kommunistischen Manifest“ erhoben wurde.

Hinsichtlich der sozialen Frage fordert die SLZ u.a.: „Soziale Gerechtigkeit durch Schließen der Schere zwischen arm und reich! Grundversorgung (Gesundheit, Wohnen, Wasser, Strom, ÖPV, Rente) in öffentliche Hand!“ Doch was heißt „in öffentliche Hand“? Große Teile der Grundversorgung sind bereits in öffentlicher Hand, nämlich in Form der kommunalen Stadtwerke. Diesbezüglich macht die Forderung gar keinen Sinn. Ein wenig mehr Überlegung hätte vielleicht auch ergeben, dass das „öffentliche Eigentum“ in Wahrheit nicht wirklich öffentlich im Sinne der direkten Kontrolle der Öffentlichkeit ist. Zudem würden Marxisten (auch hier zeigt sich wieder, dass die Autoren des Aufrufs dem Marxismus recht fern stehen) die Frage stellen, welche Klasse die Kontrolle ausübt bzw. Eigentümerin ist. Insofern würde wirkliche öffentliche Kontrolle bedeuten, dass demokratisch gewählte Vertreter der Beschäftigten, der Gewerkschaften, der Nutzer sowie Wissenschaftler und Spezialisten des Vertrauens über die öffentliche Daseinsvorsorge, z.B. über das Stromsystem, entscheiden und nicht Bürokraten und mehr oder weniger ahnungslose Politiker. Die Ansichten der SLZ-Initiatoren künden von einer unklaren, ja falschen Haltung zum bürgerlichen Staat und von Ignoranz gegenüber der Rätedemokratie und der Arbeiterselbstverwaltung.

Hier kann ein Verweis auf Marx helfen. In einer Resolution für die Internationale Arbeiterassoziation (IAA) schrieb er 1866 zum Genossenschaftswesen: „Wir anerkennen die Kooperativbewegung als eine der Triebkräfte zur Umwandlung der gegenwärtigen Gesellschaft, die auf Klassengegensätzen beruht. Ihr großes Verdienst besteht darin, praktisch zu zeigen, dass das bestehende despotische und Armut hervorbringende System der Unterjochung der Arbeit unter das Kapital verdrängt werden kann durch das republikanische und segensreiche System der Assoziation von freien und gleichen Produzenten.“

Sehr bezeichnend für die gesamte politische Logik des Aufrufs ist, dass die Eigentumsfrage – die Kernfrage jedes Programms (zumindest für Marxisten) – von der SLZ gar nicht gestellt wird. Da wirkt der Hinweis, dass die „allgemeinen Forderungen (…) noch weiter ausgearbeitet werden müssten“, wirklich albern, denn eine Diskussion der Plattform muss natürlich vor deren Veröffentlichung erfolgen. Aber die Initiatoren von der „Freien Linken Zukunft“ haben es ja vorgezogen, im Alleingang, ohne Einbeziehung anderer linker Milieus, v.a. anderer Teile der FL, ihr Projekt zu lancieren. Das nennt man Sektierertum!

Frieden und Europa

Zum Komplex Frieden und Aufrüstung enthält der Aufruf mehrere Forderungen, die unterstützt werden können. So z.B. „Für ein neutrales Deutschland ohne Nato! Für einen atomwaffenfreien Kontinent!“ Interessant ist hier aber, dass es zu der aktuell brisantesten Frage – der des Krieges in der Ukraine – gar keine Aussage gibt! Diese Fehlstelle offenbart, dass die SLZ-Autoren sich wenig Gedanken dazu machen, was die konkrete Situation ist, welche Konfliktlinien es gibt, welche taktischen Fragen anstehen. Das aktuelle Problem besteht doch z.B. darin, dass aufgrund der Mainstream-Propaganda viele, auch fortschrittliche Menschen, glauben, dass Deutschland mit der Ukraine „solidarisch“ sein müsste und milliardenschwere Rüstungspakte und Waffenlieferungen an Kiew und Sanktionen notwendig wären. Sicher kann ein Aufruf nicht umfangreiche Argumentationen liefern, doch eine klare Haltung zu diesen Fragen sollte und könnte durchaus vermittelt werden. Die SLZ leistet das nicht! Allein dieses Versäumnis reicht schon aus, um zu sagen, dass die SLZ-Plattform nichts taugt.

Die ganze Konfusion des Aufrufs zeigt sich auch in der folgenden Forderung: „Weg mit der EU! Gründung einer Föderation gleichberechtigter Völker!“ Was soll diese Föderation sein? Welchen Klassencharakter hat sie? Eine Föderation – die EU ist de facto eine solche -, die auf kapitalistisch-imperialistischer Grundlage beruht, kann weder sozial, noch gleichberechtigt, noch friedlich sein. Das wäre nur möglich, wenn die Herrschaft des Kapitals gestürzt wäre und das Proletariat die Macht hat. Das wäre dann eine Föderation von Arbeiterstaaten. Aber das übersteigt offenbar das Problembewusstsein der SLZ-Macher.

Aufgewärmter Reformismus

Am Schluss verkündet die SLZ: „Dies sind Grundprinzipien einer wirklichen linken Politik“. Nein, das sind sie nicht! Die SLZ repräsentiert politisch nichts anderes als Reformismus, also eine Spielart bürgerlicher Politik. Der Haken am Reformismus ist, dass er a) die Grundlagen des Kapitalismus (Privateigentum, Staat) nicht in Frage stellt und b) nicht angibt, wie und womit die Arbeiterklasse den Kampf für die Umsetzung von Forderungen führen kann. Letzteres kann man mit dem Begriff der Übergangsforderungen bezeichnen. Diese besagen, dass 1. die Arbeiterklasse das zentrale Subjekt von Veränderungen ist, dass sie sich 2. eigene Kampforgane (Kontrollorgane, Streikkomitees, Räteorgane usw.) schaffen muss, um ihre Kämpfe zu kontrollieren und dem Zugriff von Staat, Kapital und der reformistischen Bürokratie (SPD, DGB, LINKE) zu entziehen, und dass 3. diese Politik auf die Machteroberung des Proletariats (Arbeiterregierung), also auf den Übergang zum Sozialismus, ausgerichtet sein muss. Das alles ist den Initiatoren der SLZ offenbar ein Buch mit sieben Sigeln.

Natürlich sind wir uns darüber im klaren, dass dafür gegenwärtig die Voraussetzungen für eine sozialistische Umwälzung mehr als dürftig sind. Doch es geht auch darum, den bewusstesten Teilen der Klasse und des Widerstands eine politische Perspektive zu weisen und über kurzfristige Agitatorik hinaus eine Vorstellung (Propaganda) davon zu vermitteln, was nötig wäre. Die SLZ leistet das nicht. Ihre Methode ist schon hundert Mal von sog. radikalen Linken angewendet worden: Aufstellung (nur) von Minimalforderungen ohne Angabe der Mittel und Methoden des Kampfes, um vermeintlich Massen erreichen zu können. Funktioniert hat das noch nie. Doch da die SLZ-Leute historische Erfahrungen des Klassenkampfes ignorieren und meinen, das Fahrrad neu erfinden zu müssen, fällt ihnen das nicht auf. Das alles ist kein Zufall. Die „Freie Linke Zukunft“ präsentiert sich auf ihrer website in vielen Beiträgen als ziemlich stalinistisch (was man vom Rest der FL zum Glück überhaupt nicht sagen kann). Insofern steht sie der Räte-Idee und der proletarischen Selbstverwaltung grundlegend skeptisch bzw. ablehnend gegenüber.

Anstatt die FL aufzubauen, die programmatische Debatte und den realen Widerstand voranzubringen, separiert man sich. Diese kontraproduktive Methode offenbart sich auch im folgenden Passus, wo es heißt: „Das wollen wir ändern, mit unserer Aufbauorganisation für die Wahlalternative Soziale Liste Zukunft.“ Es geht also nicht nur um einen Wahlaufruf, sondern um eine Organisation. Zwar funktioniert schon die „Freie Linke Zukunft“ nicht bzw. nur als kleine Splittergruppe – trotzdem geht man daran, eine neue „Organisation“ aus dem Boden zu stampfen. Doch schon Goethe wusste: Getretner Quark wird breit, nicht stark.

Nachdem die „Freie Linke Zukunft“ ihr Wahlprojekt quasi im Alleingang, ohne andere (Freie) Linke einzubeziehen in sektiererischer Manier aufgezogen hat, wirkt es nur noch bizarr, wenn verkündet wird „Wir (…) reichen allen, deren Anliegen die unseren sind, die Hand zur Zusammenarbeit“. Vielen Dank für nichts!

Die SLZ schreibt: „Wir möchten, dass man für eine soziale Politik mehr als nur einen „Daumen hoch“ oder ein „Herzchen“ in den sozialen Netzwerke vergeben kann. Wir möchten, dass eine soziale Politik endlich auch wieder auf einem Stimmzettel wählbar ist und auch nach den Wahlen durchgesetzt (!) wird!“ Da ist sie wieder, die alte Illusion, dass per Wahl eine sozialere Politik durchgesetzt werden könne.

„Wir sind der Meinung, dass es neue Wege braucht, um politisch etwas zu bewegen.“ Doch die SLZ beschreitet nur erneut einen ganz alten Weg: die Sackgasse des Reformismus.

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