Eine politische Zwangsehe?

Vereinigung von KPD und SPD zur SED vor 70 Jahren

Hannes Hohn

Am 21. April 1946 schlossen sich in der sowjetischen Besatzungszone KPD und SPD zur SED zusammen. Die Bewertungen dieses Ereignisses sind konträr genug: eine Seite bejubelt diese Vereinigung als Überwindung der Spaltung der Arbeiterklasse und richtige Konsequenz aus den blutigen Erfahrungen des deutschen Proletariats unter dem Faschismus; die Gegenseite lehnt die SED-Gründung als Zwangsvereinigung ab. 

Es ist bezeichnend, dass während der Entstehung der PDS aus der SED nach 1989 die Frage der Entstehung der SED fast keine Rolle in der Debatte spielte. Gründe dafür waren einerseits, dass man in methodisch-programmatische Fragen möglichst nicht zu tief gehen wollte, andererseits sollte eine Spaltung (womöglich gar eine Auflösung) der Partei über solche Fragen vermieden werden. 1989/90 gab es immerhin eine relevante Strömung in der SED, die für eine Aufspaltung der SED in KPD und SPD eintrat. Das hätte aber auch einen Streit über die Aufteilung der Parteifinanzen bedeutet und die Gefahr heraufbeschworen, dass die neue Nomenklatura der PDS, die aus der zweiten und dritten Reihe des SED-Apparats kam, keine neuen Posten im Gefüge des Parlamentarismus gefunden hätte. Ohne Frage: eine gewisse Masse ist notwendig, um im parlamentarischen Geschäft mitmischen zu können – dem wesentlichen Anliegen der Führung der PDS wie der heutigen Linkspartei.

Bezeichnend für die allgemeine Debatte zum Thema ist auch, dass der eigentliche politische Inhalt der SED, ihre programmatischen Grundlagen, kaum betrachtet werden und die sekundäre Frage, ob die Vereinigung erzwungen war oder nicht, in den Mittelpunkt des Interesses gerückt wird. Dieses Herangehen ist auch Ausdruck des Unwillens der Führungen von PDS bzw. Linskpartei und SPD, die theoretischen Grundlagen und die Methode der eigenen Politik zu hinterfragen.

Beim Thema „SED“ werden v.a. Fakten und Augenzeugen dafür präsentiert, dass die Gründung der SED ein Akt des Zwangs gewesen sei, der von KPD und Sowjetischer Militäradministration in Deutschland (SMAD) als böses Bubenstück auf Kosten der SPD inszeniert worden sei. Doch die historischen Tatsachen ergeben kein so einseitiges Bild.

In der DDR gelang es der SED, durch gezielte Unterdrückung der Meinungs- und Forschungsfreiheit, die Vereinigung von KPD und SPD als bewußte und freiwillige Vereinigung der großen Mehrheit ihrer Mitglieder hinzustellen. Vereinigungsgegner wurden als Spalter, Sektierer und Reaktionäre verteufelt. Doch nachdem die ideelle Käseglocke der SED zersplittert ist, riecht manches nicht mehr so gut.

Zahlreiche Quellen belegen eindeutig, dass v.a. von Seiten der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland (SMAD) in vielfältiger Form Druck auf die SPD ausgeübt worden ist. SPD-Versammlungen wurden beeinflußt, Funktionäre, die gegen eine Fusion waren, wurden unter Druck gesetzt, mitunter auch verhaftet. Ein Beispiel dafür, wie die SMAD Einfluß ausübte, ist ihre Rolle bei der Mitgliederbefragung zur Vereinigung, die von vielen Sozialdemokraten gefordert wurde: sie wurde einfach verboten. Nur in West-Berlin kam sie am 31.3.1946 zustande – mit dem Ergebnis, dass nur 12,2% der SPD-Mitglieder für eine Vereinigung stimmten. In anderen Regionen dürfte die Stimmung allerdings weniger eindeutig gegen die Vereinigung gerichtet oder gar andere Mehrheiten vorhanden gewesen sein. Darauf deutet auch die Tatsache hin, dass es bereits vor der offiziellen Kampagne spontane Zusammenschlüsse von Basisorganisationen der SPD und der KPD gab.

Im Lager der SPD wird dieses Votum der West-Berliner Mitglieder als Beweis für die allgemeine Ablehnung einer Vereinigung mit der KPD in der SPD-Mitgliedschaft gewertet. Gerade der Druck auf die SPD von Seiten der SMAD aber hat die ablehnende Haltung manches Sozialdemokraten zur Vereinigung eher noch verstärkt. Umgekehrt bedeutet das aber auch, dass ohne diesen Druck die Vorbehalte kleiner und damit der Aspekt der Freiwilligkeit bedeutender gewesen wäre. Insofern war das Vorgehen der SMAD nicht sehr geschickt. Selbst in der KPD waren deshalb viele Mitglieder und Funktionäre mit diesem Vorgehen nicht einverstanden.

Vom Zwang zur Vereinigung zu sprechen, bedeutet aber v.a. zu berücksichtigen, dass es schon 1945 und bis zum Untergang der DDR unter dem politischen Diktat der SMAD und später der SED-Bürokratie nicht möglich war, substanzielle politische Kritik zu äußern, Tendenzen oder gar Fraktionen in der SED – wie auch in KPD und SPD – zu bilden geschweige, denn alternative Organisationen zu gründen. Ohne diese demokratischen Rechte war es jedoch faktisch unmöglich, legale politisch-organisatorische Alternativen zur SED zu schaffen. Diese Einsicht hat, wie Quellen belegen, viele Sozialdemokraten, aber auch KPD-Mitglieder, die der Fusion kritisch gegenüberstanden, bewogen, doch der SED beizutreten – einfach, weil es keine Alternative gab.

Trotz der geschilderten Umstände ist der Begriff „Zwangsvereinigung“ jedoch ungeeignet, um die Art und Weise der Vereinigung zu kennzeichnen. Zu viele historische Fakten sprechen dagegen.

Annäherung

Bereits im Sommer 1945 existierte in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) ein gemeinsamer Arbeitsausschuß von KPD und SPD auf der Ebene der Parteiführungen. Es gab bereits ab Mai 1945 Zusammenschlüsse von KPD und SPD auf Ortsebene sowie gemeinsame Versammlungen und Aktivitäten verschiedener Art – z.B. in den Antifa-Ausschüssen und in betrieblichen Komitees – und gemeinsame öffentliche Erklärungen zur Notwendigkeit der Vereinigung.

Diese Bereitschaft zur Zusammenarbeit kam auch in der erwähnten Berliner Urabstimmung zum Ausdruck, bei der zwar die Vereinigung abgelehnt wurde, aber immerhin fast 63% für eine Aktionseinheit mit der KPD votierten. Diese Einheitstendenzen erklären sich zum einen aus der blutigen Erfahrung des Faschismus, der nur darum sein Terrorregime errichten konnte, weil Sozialdemokraten und Kommunisten keine antifaschistische Einheitsfront gebildet hatten, was wesentlich Schuld der falschen Politik beider Führungen war. Zum anderen waren es die anstehenden Aufgaben nach Kriegsende, welche beide Parteien in der Praxis einander näher brachten: Beseitigung der Reste des Faschismus, der Wiederaufbau des öffentlichen Lebens und der Produktion.

Die Tatsachen weisen klar darauf hin, dass es trotz Nötigung und Zwang seitens der SMAD und der KPD und trotz fehlender Alternativen eine breite Bewegung in KPD und SPD Richtung Einheit in Aktion und Organisation gab.

Weitere Fakten müssen berücksichtigt werden, die gegen die These von der Zwangsvereinigung sprechen. Die Mehrzahl der Gründungsdelegierten und auch der SED-Mitgliedschaft kam aus der SPD. Obwohl es Formen direkten wie indirekten Drucks auf die Sozialdemokraten gab, so bestand natürlich die individuelle Möglichkeit für jedes Mitglied, aus der SPD vor dem Zusammenschluß auszutreten, der SED nicht beizutreten oder sie wieder zu verlassen. Massenhafte Schritte dieser Art gab es jedoch nicht. Dass es aber bei vielen SED-Mitgliedern schon bald nach der Vereinigung Differenzen zur weiteren Entwicklung der SED und ihrer Umformung zu einer offen stalinistischen Partei gab, belegen zahlreiche Repressionen gegen Mitglieder und Funktionäre.

SPD und KPD erreichten nach Kriegsende sehr schnell wieder alte Mitgliederstärke. Die KPD hatte schon im Frühjahr 1946 mit rund 500.000 Mitgliedern trotz Naziterror, Emigration, Kriegsopfern und noch in Gefangenschaft Befindlichen mehr Mitglieder als vor 1933. Ähnlich war die Situation in der SPD. Ohne Frage waren diese vielen neuen, parteipolitisch weniger beeinflußten Mitglieder mit weniger Ressentiments gegenüber der anderen Partei beladen als alte Mitglieder und konnten somit leichter für die Einheit motiviert werden. Eine gründliche Debatte der politischen Grundlagen beider Parteien und ihrer Rolle in den Klassenkämpfen der Jahre zuvor fand jedoch in beiden Parteien nicht statt und war von den Führungen beider Parteien auch nicht ernsthaft beabsichtigt.

Warum wurde im April 1946 die SED gegründet, obwohl noch ein knappes Jahr zuvor weder SPD noch KPD die Vereinigung beider Parteien unmittelbar als Ziel aufgestellt hatten? Ja, die KPD hatte Avancen aus der SPD in diese Richtung zuerst sogar brüsk zurückgewiesen. Dafür gibt es mehrere Ursachen: die SMAD fürchtete, dass ihr politischer Juniorpartner in Deutschland, die KPD, bei den bevorstehenden Wahlen gegenüber der SPD unterliegen würde und damit der direkte Einfluß der UdSSR auf die Entwicklung (Ost)Deutschlands vermindert würde. Diese Befürchtung war nur allzu berechtigt, da der Einfluß der SPD im Vergleich zur KPD – trotzdem letztere von der SMAD stärker gefördert wurde – sich zunehmend bemerkbar machte. Auch die Wahlen in Ungarn und Österreich, bei denen die dortigen KPen deutliche Schlappen erlitten hatten, nötigten zu einem organisationspolitischen Schwenk, der nicht auf die Zurückdrängung, sondern auf das Aufsaugen der SPD per Fusion orientiert war. Die Wahlen vom Oktober 1946 in Berlin bestätigten alle Befürchtungen hinsichtlich des Einflusses der SPD: sie erhielt über 48%, die SED dagegen nur 19,8% der Stimmen.

Programmatik

Die politische Grundlage der Vereinigung bestand aus zwei wesentlichen Elementen: 1. den demokratischen Illusionen des Proletariats und 2. dem Wandel der KPD seit 1935 von einer „revolutionären“, in Wahrheit aber zentristischen, zu einer reformistischen Partei.

Nach der faschistischen Diktatur waren die demokratischen Illusionen wieder erstarkt. Dabei spielte eine wesentliche Rolle, dass alle Ansätze proletarischer Machtentfaltung von der SMAD in Einklang mit den Führungen v.a. der KPD, aber auch der SPD ignoriert und bewußt sabotiert worden waren. Unter diesen Umständen konnte die Restauration bürgerlich-demokratischer Zustände den Arbeiterinnen und Arbeitern als Tugend erscheinen. Das Fehlen einer marxistischen Partei mit einem revolutionären Programm war natürlich ein entscheidender Faktor dafür, dass die Bewegung des Proletariats über Ansätze eigener Machtkonstituierung nicht hinausgelangte und die reformistischen Führungen von KPD und SPD ohne politische Konkurrenz blieben.

Die richtige Einsicht der Mitgliedsbasis, dass die fehlende Einheitsfront vor 1933 Hitlers Sieg ermöglichte, ging aber nicht mit einer schonungslosen Kritik der Politik von SPD und KPD einher. In gewissem Sinn können wir sagen, dass 1933 vor lauter (falschen) Prinzipien die Einheit übersehen wurde, während 1946 vor lauter Einheit die Prinzipien vergessen wurden. Im Grunde bestand die Vergangenheitsbewältigung nicht nur der KPD, sondern auch die der SPD darin, eine Verbeugung vor der Volksfrontpolitik zu machen. Diese besteht darin, ein strategisches und Regierungsbündnis der Arbeiterklasse mit Teilen der Bourgeoisie herzustellen – unter Preisgabe jeder revolutionären und anti-kapitalistischen Orientierung.

Da die Politik beider Parteien nicht revolutionär, sondern reformistisch – auf die Schaffung modifizierter, bürgerlich-demokratischer Verhältnisse gerichtet – war, gab es kaum prinzipielle programmatische Gegensätze, die einer Parteivereinigung grundsätzlich widersprochen hätten. Die SPD-Politik folgte – trotz einiger wichtiger Differenzen z.B. bezüglich ihres Verhältnisses zur UdSSR oder der Stellung zur Demokratie – der gleichen Logik wie die KPD und nahm auch in vielen konkreten Fragen die gleiche Position ein. Hier sollen nur die grundsätzliche Zustimmung zu den Reparationen oder die passive, ja unterstützende Haltung zur Auflösung der Antifa-Komitees und der spontan entstandenen betrieblichen Selbstverwaltungs-Strukturen der Arbeiterklasse erwähnt werden.

Stalins Strategie

Die KPD, die noch wenige Jahre zuvor die SPD den „Zwilling des Faschismus“ genannt und sie als „Sozialfaschisten“ beschimpft hatte, war inzwischen selbst zum Zwilling der reformistischen Sozialdemokratie mutiert. Doch die Entstehung der SED kann nicht nur aus innerparteilichen Umständen erklärt werden; sie muß im Kontext der Politik Stalins gesehen werden. Es ist kein Zufall, dass die SED nur in der Ostzone entstand und nicht in den Westzonen. Dem „Büro Schumacher“, der Machtzentrale der SPD im Westen, gelang es mit Hilfe der Westalliierten, die Vereinigung zu verhindern. Denn von Beginn an war die SED Machtinstrument der Politik Moskaus und somit objektiv verlängerter Arm der dort herrschenden Bürokratie. Doch so sehr deren konterrevolutionäre Strategie dem Imperialismus auch entgegenkam – dort, wo er selbst herrschte, in den deutschen Westzonen, wollte er selbst bestimmen; eine vereinigte Arbeiterpartei von Stalins Gnaden konnten sie nicht gebrauchen.

Nachdem die stalinisierte KPD vor 1933 durch ihren ultralinken Zentrismus gemeinsam mit der Kapitulantenpolitik der SPD das Zustandekommen einer breiten antifaschistischen Einheitsfront gegen Hitler unmöglich gemacht und kampflos kapituliert hatte, erfolgte nach Hitlers Machtübernahme mit dem VII. Kominternkongreß 1935 ein scharfer Schwenk nach rechts. Die dort beschlossene Volksfrontpolitik, die auch nach Kriegsende allgemeine Linie blieb, verpflichtete die stalinistischen Parteien programmatisch und praktisch, strategische Bündnisse und Regierungsallianzen mit Teilen der Bourgeoisie einzugehen und dafür auf die Diktatur des Proletariats zu verzichten. Weigerte man sich noch 1933, den sozialdemokratischen ArbeiterInnen und ihrer Führung eine Einheitsfront vorzuschlagen, so waren 1935 (also nur zwei Jahre später!) plötzlich nicht nur die SPD, sondern sogar rein bürgerliche Parteien Koalitionspartner geworden. Ein größeres Verwirrspiel ist kaum denkbar!

Ein methodischer Grundfehler der Volksfrontkonzeption war, dass zwischen Faschismus und Demokratie, zwei Herrschaftsformen ein und desselben Imperialismus, ein qualitativer Unterschied gemacht wurde, der scheinbar ein Bündnis des Proletariats mit einem (demokratischen) Teil der Bourgeoisie notwendig und möglich machte. Nach dieser Logik hieß die Alternative nicht mehr Sozialismus oder Kapitalismus, sondern nur noch Faschismus oder (bürgerliche) Demokratie. Dieses Konzept blieb auch nach der Niederlage des Faschismus für die KPD gültig.

Die Gründung der SED und das politische Nachkriegssystem in Ostdeutschland bzw. später der DDR stellten gewissermaßen eine Variante dieser Volksfrontkonzeption dar. Einerseits, weil originäre Einheitsfrontorgane der Arbeiterklasse beseitigt worden sind, zum anderen durch den antifaschistisch-demokratischen Block. Dieser Block unter Einschluß bürgerlicher Parteien wie der CDU oder der LDP, deren Gründung von KPD und SMAD unterstützt oder im Fall der NDP, einer Partei für ehemalige Wehrmachtsoffiziere und sonstige bürgerliche Kräfte, sogar initiiert wurde, bildete ein pseudoparlamentarisches System. Auch in der späteren DDR bestand dieser Block weiter als Mittel der Integration kleinbürgerlicher Schichten und der Maskierung der Alleinherrschaft der SED.

Als im Mai 1945, nach 12 blutigen Jahren, das „Tausendjährige Reich“ der Nazis zerschlagen war, war die Macht der deutschen Bourgeoisie noch stärker als am Ende des 1. Weltkriegs diskreditiert und erschüttert. Ihre bewaffneten Kräfte waren besiegt, der Staatsapparat befand sich in Zersetzung, die faschistischen Organisationen waren kollabiert, die nationalistisch-chauvinistische Massenbegeisterung für den Faschismus hatte sich in Agonie und Entsetzen gewandelt. Die gesamte exekutive Macht lag in den Händen der Besatzungsmächte.

Sofort nach Beendigung der letzten Kämpfe begann aber auch die deutsche Arbeiterklasse, Ohnmacht und Atomisierung der Jahre unter dem Faschismus zu überwinden. Die zerschlagenen Organisationen – KPD und SPD, Gewerkschaften und Betriebsräte sowie linke Gruppierungen – entstanden neu. Kader der SPD und der KPD, viele von ihnen gerade erst aus den KZ und Zuchthäusern gekommen, spielten dabei eine große Rolle. Kaum waren die letzten Schüsse verhallt, organisierte sich das Proletariat: in den Antifa-Ausschüssen, um die Reste der Nazidiktatur zu beseitigen, in den Betrieben, um die zerstörte Produktion wieder in Gang zu bringen. V.a. diese betrieblichen Komitees zeugen davon, dass die deutschen Arbeiterinnen und Arbeiter bereit und in der Lage waren, die Produktion zu kontrollieren und zu organisieren. Betriebskomitees und Antifa-Ausschüsse waren Ansätze zur Bildung von proletarischen Machtorganen – den Räten. In der Arbeiterschaft und weiten Teilen der Bevölkerung bis hinein in bürgerliche Kreise war nach dem totalen Zusammenbruch Hitlerdeutschlands eine mehr oder weniger bewußte antikapitalistische Stimmung verbreitet. Doch im Unterschied zu 1918 fehlte eine revolutionäre Massenbewegung.

Entgegen der Ideologie der Alliierten, nach der Nachkriegsdeutschland vor der Alternative Faschismus oder Demokratie stand, ging es in Wahrheit darum, den deutschen Kapitalismus in demokratischer Form wieder aufzurichten oder ihn zu stürzen und die Diktatur des Proletariats aufzubauen. Obwohl 1945/46 in Deutschland keine revolutionäre Situation bestand, so gab es doch, wie oben ausgeführt, Ansätze proletarischer Machtorgane. Doch die Erschütterung der gesellschaftlichen Ordnung, die Brisanz der sozialen Probleme konnte in der Nachkriegsperiode jederzeit die Frage der Macht auf die Tagesordnung stellen. Wie schon 1933 lag der Schlüssel der Entwicklung bei den Arbeiterorganisationen und insbesondere bei der Führung in Moskau.

In Potsdam hatten sich die Alliierten der Anti-Hitlerkoalition endgültig über das Schicksal Deutschlands geeinigt. Es sollte von nun an demokratisch, entmilitarisiert und entnazifiziert sein. Die Kontrolle dieser deutschen Verwandlung oblag den Besatzungsmächten Sowjetunion, USA, Frankreich und England, die jeweils eigene Besatzungszonen kontrollierten. Der alliierte Kontrollrat sollte als oberstes Gremium die Politik der Alliierten koordinieren. Stalin, Truman und Churchill waren sich darin einig, Deutschland als Staat nicht zu zerschlagen, sondern nur soweit zu schwächen, dass er keine den Großmächten gefährliche Rolle mehr spielen konnte. Quasi als Gegenleistung für ihren humanistischen Großmut sollte ein Großteil der materiellen Werte Deutschlands als Reparationen an die Besatzungsmächte fallen.

Die Antihitlerkoalition war ein strategisches Bündnis des degenerierten Arbeiterstaates Sowjetunion mit den „demokratischen“ Imperialismen. Die in Jalta, Teheran und Potsdam vorgenommene Aufteilung der Welt in Einflußsphären sind auch Ausdruck des Wunsches der Stalinisten, ein strategisches Übereinkommen mit dem Weltimperialismus zu treffen, um somit die Möglichkeit des Aufbaus des „Sozialismus in einem Lande“ sicherzustellen. Abgesehen davon, dass eine sozialistische Gesellschaftsqualität in einem isolierten Land und ohne Ausdehnung der Weltrevolution nicht erreicht werden kann, bedeutete die Politik Stalins auch den Verzicht auf alle weiteren Versuche des Proletariats, den Kapitalismus zu stürzen und seine eigene Macht zu errichten. Die günstigen Bedingungen für den revolutionären Kampf um die Macht z.B. in Frankreich oder Italien 1944/45 wurden bewußt nicht ausgenutzt, der Aufstand des griechischen Proletariats wurde im Stich gelassen, weil Griechenland im britischen Interessengebiet lag. Mehr als alle revolutionären Beschwörungen offenbart die praktische Politik Stalins dessen konterrevolutionäre Rolle, die in ihrer Konzeption in scharfem Gegensatz zu Praxis und Programm der Bolschewiki unter Lenin und Trotzki stand.

In Deutschland entwickelte sich die Lage prinzipiell genauso wie in den von der SU besetzten Ländern Osteuropas. Stalins Versuch, auf die Bajonette der Roten Armee gestützt, eine Pufferzone um die UdSSR aus bürgerlich-demokratischen Staaten zu schaffen, auf deren Politik er durch die Besatzungstruppen einerseits und die jeweiligen KPen andererseits direkten Einfluß nehmen konnte, ging nicht lange gut. Die nicht enteignete Bourgeoisie strebte nach der Wiedererlangung der ganzen Macht und mußte mit den Interessen des einheimischen Proletariats, aber auch mit der Moskauer Politik kollidieren. Die bürgerliche Wirtschaft und ihre politischen Subjekte, die bürgerlichen Parteien und (Reste) der bürgerlichen Staatsapparate, haben ihre Eigendynamik, die sich nicht an Stalins Datscha-Träumereien halten. Dieser Interessenkonflikt spitzte sich noch zu, als die USA Ende der 40er Jahre durch den Marshallplan die europäischen Staaten noch enger an sich zu binden suchte. Wollte Stalin nicht alles verlieren, was er im Krieg gegen Hitler gewonnen hatte, mußte er – entgegen seiner ursprünglichen Absicht – die Bourgeoisie als Klasse enteignen. Dazu war er auch gezwungen, wenn er nicht eine Konfrontation mit dem Proletariat riskieren wollte, dessen Bedürfnisse ohne konsequente antikapitalistische Maßnahmen nicht befriedigt werden konnten – es sei denn mit dem Zuckerbrot des Marshallplans. Stalin scherte „nach links“ aus. Der Sieg über Hitler entzweite die Sieger, die Antihitlerkoalition zerbrach.

Auch in Deutschland, besonders in dessen Ostteil, wo die Rote Armee die Macht besaß, wurde diese nicht dazu genutzt, den Kapitalismus zu beseitigen. Gerade die von den KPD- Führern propagierte  „Ausrottung des Faschismus mit allen Wurzeln“ hätte eigentlich bedeutet, dessen kapitalistische Grundlagen abzuschaffen. Doch den Führern der KPD und der KPdSU ging es lediglich darum, den Faschismus zu beseitigen, um demokratische Verhältnisse auf der Basis kapitalistischer Eigentumsformen zu schaffen.

Die in Moskau abgesegnete Politik der Gruppe Ulbricht, der Führung der KPD, läßt keine Fragen über die politischen Absichten Stalins und seiner deutschen Gefolgsleute offen. So heißt es im ‚Programm der antifaschistisch-demokratischen Ordnung‚ der KPD vom Juni 1945, dass „unseregrundlegende Orientierung in der gegenwärtigen Situation die Vollendung der bürgerlich-demokratischen Revolution, die im Jahre 1948 begonnen hatte (ist). Das heißt, die Junker, Fürsten undGroßgrundbesitzer sollen enteignet … werden. Die aktiven Nazis … müssen von den deutschenGerichten hart abgeurteilt werden. Die großindustriellen Kriegsverbrecher aber werden von derGerichten der alliierten Mächte … ihre Strafe erhalten.“ (W. Ulbricht: Die Entwicklung des deutschen volksdemokratischen Staates 1945-1958. Dietz Verlag Berlin 1958, S.27)

Kein Wort über die Enteignung der Bourgeoisie als Klasse. Kein Wort von der Notwendigkeit, dass die Arbeiterklasse selbst die Macht übernehmen muß. Sogar die SPD gab sich 1945 linker als die KPD und bekannte sich wenigstens abstrakt zum Sozialismus und zu einer „Sozialisierung der Wirtschaft“.

Zwar gibt das Juni-Programm der KPD offen zu, daß „manche Arbeiter (…) sofort den Sozialismuserrichten (wollen)“, aber diese Absicht wird als angeblich unmöglich abgelehnt. (ebenda S.28) Die Gründe, warum die Arbeiter nicht sofort mit dem Aufbau des Sozialismus – sprich der Errichtung der Diktatur des Proletariats – beginnen könnten, sind bezeichnend für die völlige politische und theoretische Degeneration der offiziellen KP-Führer vom Kaliber Ulbrichts und für uns auch deshalb interessant, weil die in diesem Dokument ausgedrückte Denkweise weitgehend auch der in der SPD entsprach und methodisch geradewegs Richtung SED führt.

Das Programm verweist darauf, dass die Arbeiter noch keine einheitliche Partei (von einer revolutionären Partei ist erst gar nicht die Rede) haben. Doch die Oktoberrevolution, auf die sich die Stalinisten so gern und oft beriefen, ist gerade ein Beweis dafür, dass die Partei der Revolution aus einer Minderheitsposition heraus durch eine richtige Politik die Massen hinter sich zu bringen wußte. Hätte sie gemäß dem Rezept der Ulbrichts gehandelt, hätte sie sich mit den konterrevolutionären Parteien erst vereinigen müssen, ehe die Revolution hätte durchgeführt werden können. Das Ergebnis dieser Politik wäre allerdings gewesen, weder eine revolutionäre Partei noch eine sozialistische Revolution zu haben …

Das KPD-Programm bedauert auch die fehlenden Erfahrungen der Massen in der Leitung von Wirtschaft und Gesellschaft. Das ist sicher richtig. Doch mit diesem Problem ist das Proletariat immer konfrontiert, denn der Kapitalismus, und umso mehr der Faschismus, verhindert ja eben die Machtausübung und Selbstorganisierung des Proletariats. Der Inhalt jeder revolutionären Umgestaltung der Gesellschaft besteht aber wesentlich darin, dass das Proletariat beginnt, über die Kontrolle von Produktion zur Übernahme der Macht in der Wirtschaft zu gelangen. Nur so kann sich auch die Emanzipation des Proletariats auf der politischen Bühne vollziehen. Nach dem Ausschluß von der Macht unter den Bedingungen der kapitalistischen Diktatur (ob in demokratischer oder faschistischer Form) erlernt es in Betriebs- und Streikkomitees, in Arbeitermilizen und schließlich den Arbeiterräten den Gebrauch der Macht, um sie schließlich auf der Ebene des gesamten Staates auszuüben.

Die oben geschilderten Ansätze von unabhängigen Organisationsstrukturen der deutschen Arbeiterinnen und Arbeiter unmittelbar nach Kriegsende belegen, dass das Proletariat schon selbst spontan über den Rahmen hinausgehen wollte, den ihm die moskautreue KPD vorgab. Dass das KPD-Programm vom Juni 1945 die mangelnden Vorraussetzungen zum Aufbau des Sozialismus beklagt, ist nur ein allzu löchriger Deckmantel dafür, dass die unabhängigen Organisationsansätze des Proletariats v.a. auf betrieblicher Ebene letztendlich beseitigt wurden, indem man die Betriebe den alten Eigentümern beließ, um sie später – unter Ausschluß jeglicher Form von Arbeiterdemokratie – auf bürokratische Art zu verstaatlichen bzw. der SMAD als Aktiengesellschaften zu überlassen.

Trotz aller Zwänge ist die SED auch Ergebnis einer massenhaften Tendenz nach Überwindung der Spaltung der Arbeiterbewegung. Zu Anfang war sie sicher stärker durch Elemente von Demokratie und lebendiger Mitgestaltung der Parteitätigkeit durch die Mitglieder selbst geprägt als die SED der folgenden Jahrzehnte. Die Funktionen der Partei waren zwischen SPD und KPD paritätisch besetzt, das Programm enthielt Passagen, die nur wenige Jahre später als „ketzerisch“ galten und mit den stalinistischen bürokratischen Stereotypen nicht unbedingt vereinbar waren. Doch deshalb von der frühen SED als einer demokratischen Partei – im Sinne von wirklicher proletarischer Demokratie zu sprechen, wäre falsch. Dafür fehlten z.B. statuarische Rechte wie das Recht auf Bildung von Fraktionen oder Tendenzen. Allein diese Tatsache verweist darauf, dass aus der Fehlentwicklung der Komintern unter dem Stalinismus keine Schlüsse gezogen worden waren. Auch die Hoffnung der Sozialdemokraten, durch die Kraft der Zahl die innerparteiliche Demokratie zu sichern, war mehr als blauäugig. Nur wenige Monate nach dem Gründungsparteitag waren tausende von Mitgliedern und Funktionären, zum Großteil ehemalige Sozialdemokraten, abgelöst, ausgeschlossen, abgeschoben oder verhaftet worden. Wolfgang Leonhard schreibt dazu:

“So sind von den 14 Mitgliedern des Zentralsekretariats, die bei der Vereinigung unter dem Jubel derDelegierten gewählt wurden, 10 Spitzenfunktionäre im Verlauf von wenigen Jahren ihrer Funktionenberaubt, degradiert, teilweise sogar als „Parteifeinde“ entlarvt und aus der Partei ausgeschlossenworden.“ (W. Leonhard: Die Revolution entläßt ihre Kinder. Kiepenheuer & Witsch, Köln, S.545) Die Machtmaschine des Stalinismus hatte schnell und gründlich gearbeitet …

Schon die Gründung der SED – sie erfolgte, nachdem die unabhängigen Organisationsansätze der Arbeiterinnen und Arbeiter beseitigt worden waren – ist ein Element der Unterdrückung von proletarischer Demokratie. Die stalinistische Maßregelung, die in der SED sofort nach ihrer Gründung einsetzte, ist nur der Vollzug dieser Politik in der Partei selbst. Oasen können in der Wüste überleben, demokratische Arbeiterorganisationen in einer Umgebung ohne lebendige Arbeiterdemokratie nicht.

In den „Grundsätze(n) und Ziele(n) der SED“, die auf dem Vereinigungsparteitag beschlossen worden waren, kommt klar heraus, dass es sich bei der neuen Partei um eine politische Konstruktion handelt, deren programmatisches Baumaterial durchweg aus dem Lager des Reformismus stammt. In ihm wird deutlich, dass seitens der KPD alles, was an revolutionäre Politik und die Positionen der frühen Komintern unter Lenin und Trotzki erinnert, vollständig über Bord geworfen worden war. Das ist das programmatische Fundament, auf dem sich SPD und KPD einigten – und einigen konnten.

Die Gegenwartsforderungen lagen voll auf der Linie, die übereinstimmend von KPD und SPD nach 1945 verfolgt worden waren:

  • Beseitigung des Faschismus;
  • Herstellung (bürgerlich) demokratischer Verhältnisse;
  • Bodenreform und Überwindung der Überreste des Feudalismus;
  • Bewahrung bürgerlicher Eigentumsverhältnisse, keine Enteignung der Bourgeosie als Klasse;
  • keine Einführung einer demokratischen Planwirtschaft anstelle der Marktwirtschaft.

Diese bescheidenen, reformistischen Forderungen wurden in einer Situation aufgestellt, in der die Bourgeoisie am Boden lag und die Arbeiterinnen und Arbeiter ohne ernsthaften Widerstand von ihr fürchten zu müssen, alle Macht hätten übernehmen können. Allein die Tatsache, dass die SMAD eine solche Entwicklung weder wünschte, noch propagierte und sie sogar aktiv verhinderte, hätte die SED die Politik Moskaus anprangern und bekämpfen lassen müssen. Doch gerade, damit das nicht passiert, wurde diese Partei schließlich gegründet!

Immerhin enthält dieses Dokument auch Forderungen wie das Koalitions- und Streikrecht, die in der späteren DDR nicht einmal mehr auf dem Papier standen, geschweige denn in der Praxis zu verwirklichen waren.

Der bürgerlich-demokratischen Tagespolitik der „Grundsätze und Ziele“ wird noch ein abstraktes Bekenntnis zum Sozialismus angehängt – typisches Merkmal eines Minimal-Maximal-Programms, wie es für reformistische Parteien durchaus üblich ist. Keine Übergangslosungen, keine Forderungen nach Schaffung von wirklichen Machtorganen des Proletariats (Räten, Arbeitermilizen usw.), keine Forderung nach Bewaffnung der Arbeiterklasse oder nach Zerschlagung des bürgerlichen Staates und der Enteignung der Bourgeoisie als Klasse. Die Revolution wird von der SED wie folgt definiert: Die SED „erstrebt den demokratischen Weg zum Sozialismus; sie wird aber zurevolutionären Mitteln greifen, wenn die kapitalistische Klasse den Boden der Demokratie verläßt.“(KPD 1945-68 Dokumente. Edition Marxistische Blätter, Neuss 1989, S.201)

Die Revolution als Notmaßnahme, nicht als notwendiger Akt zum Sturz des Kapitalismus und Schaffung der Diktatur des Proletariats. Wie weit mußten „Kommunisten“ sich schon theoretisch vom Marxismus entfernt haben, um dem zuzustimmen?!

Schon einmal, als sich 1919 die KPD mit dem linken Flügel der USPD vereinigt hatte, bildeten Kommunisten und frühere Sozialdemokraten eine gemeinsame Partei. Doch 1919 war die KPD noch eine revolutionäre Partei und die USPD-Linke bewegte sich auf revolutionäre Positionen zu, um sich auf einem revolutionären sozialistischen Programm mit der KPD zu vereinigen. 1946 bildeten zwei reformistische Parteien eine neue – auf einem reformistischen, bürgerlichen Programm mit sozialistischer „Zusatzklausel“. Welch Unterschied und welch tragischer Irrtum, über der Notwendigkeit der Einheit ihren politischen Inhalt zu vergessen!

Die SED war weder eine demokratische, noch eine revolutionäre Partei. Sie war, wie ihre Gründung, ihre Dokumente, ihre praktische Politik und schließlich ihr unrühmliches Scheitern 1989/90 beweisen, ein Instrument der herrschenden Bürokratie in der Sowjetunion und ihrer Statthalter in (Ost)Deutschland bzw. der DDR zur politischen Knebelung des Proletariats und der Eindämmung der internationalen proletarischen Revolution. Sozialistisch war an der SED, wie an ihren auf ähnliche Art und unter ähnlichen Bedingungen entstandenen Bruderparteien in Polen oder Ungarn, allenfalls der Name. Gründung und Untergang der SED sind Momente stalinistischer Politik, ihrer zeitweiligen Konjunktur und ihrer Todeskrise. Nicht die Nachauflagen PDS oder DIE LINKE als entstalinisierte, sozialdemokratische SED-Nachfolgeparteien, sondern der Aufbau einer revolutionären marxistischen Partei ist die Lehre aus der Geschichte der SED.

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