Die Welt am Sonntag vom 8. Oktober 2017 brachte einen langen Beitrag von Herausgeber Stefan Aust, welche Folgen wie auch Spätfolgen die Atombombenversuche der USA im Pazifik für die dortige Bevölkerung hatte und hat. Der sonst so kritische Stefan Aust vertraute bei seinen Recherchen allein auf die subjektiven und wie sich schnell heraus stellte z.T. stark gefärbten Erzählungen der Einwohner. Belegende quantitative Angaben zu den gemachten Behauptungen fehlen gänzlich. Unser Autor, der Strahlenschutz-Experte Dr. Lutz Niemann, hat den Aust-Artikel einer kritischen Überprüfung unterzogen und kommt zu tw. ganz anderen Schlussfolgerungen.
Dr. Lutz Niemann (mit freundlicher Genehmigung des Autors)
Die ICAN hat in diesem Jahr den Friedensnobelpreis erhalten – was ist aber ICAN? Es bedeutet „International Campaign to Abolish Nuclear Weapons”, also eine weltweites Bündnis von Nichtregierungsorganisationen, die sich für ein weltweites Verbot von Nuklearwaffen einsetzen. Vor 10 Jahren wurde diese Organisation gegründet. Jetzt erhielt sie durch die Preisverleihung öffentliche Aufmerksamkeit, was sich bei der feierlichen Verleihung im Dezember fortsetzen wird. Offenbar als eine erste Reaktion darauf brachte die „Welt am Sonntag“ einen 4-seitigen Bericht „Der vergessene Atomkrieg“ über das Testgelände der Amerikaner in der Südsee.
Schon das Wort „Krieg“ in der Überschrift lässt den Leser erschrecken, und so geht es weiter auf vier ganzen Seiten mit „verstrahlt“, „verbrannt“, „radioaktiv verseucht“, „auf ewig unbewohnbar“, „unsichtbare Gefahr“, „Hölle“, „sind alle gestorben“, „Evakuierung notwendig“ …
Aber Radioaktivität lässt sich sehr genau messen, dazu kein Wort. Auch Gefahren kann man messen, indem man deren Wirkung beschreibt und in Zahlen fasst, auch dazu kein Wort.
Es gibt drei Ereignisse, die eine Einordnung der Gefahren durch Strahlung für die Menschen zulassen:
1. Hiroshima und Nagasaki
Dort explodierten Kernwaffen über den Städten etwa 500 Meter über dem Boden. Es wurden sofort weit über 200.000 Menschen durch Druckwelle, Hitze und die Feuersbrunst getötet. Aber die ionisierende Strahlung (oft als radioaktive Strahlung bezeichnet) erreichte kaum die letale Dosis, die im Bereich von 5 bis 10 Sievert liegt [1]. Als Spätfolge wurde unter den Überlebenden eine erhöhte Krebsrate festgestellt, es starben daran etwa 440 Menschen, die eine Dosis über etwa 0,5 Sievert erhielten. Im Dosisbereich <0,3 Sievert ist die Datenlage unklar, es zeigte sich aber eher eine niedrigere Krebsrate als normal – das wird meist verschwiegen.
2. Tschernobyl
Dort gab es eine Explosion des Reaktors (korrekter ist hier das Wort Leistungsexkursion), der Graphitmoderator brannte und sehr viel vom radioaktiven Inventar wurde mit der Feuersäule in die Luft getragen und vom Wind rund um die Erde verteilt. Es litten etwa 140 Feuerwehrleute an der Strahlenkrankheit, 28 Personen von ihnen starben. Aus der Umgebung des Kraftwerks wurden über 300.000 Personen evakuiert. Bei den Bewohnern der stark kontaminierten Zone bei Bryansk und unter den Aufräumarbeitern wurde keine erhöhte, sondern eine erniedrigte Mortalitätsrate bei Krebs festgestellt. In der evakuierten Zone liegt der Strahlenpegel heute im Bereich 0,000 0001 bis 0,000 0003 Sievert pro Stunde, und in der Nähe des Kraftwerks werden 0,000 002 bis 0,000 008 Sievert pro Stunde erreicht. Zur Zeit des Unglücks im April 1986 lag der Strahlenpegel im 3 Km vom Kraftwerk entfernten Ort Pripyat bei 0,001 bis 0,01 Sievert pro Stunde.
3. Fukushima
Im dortigen Kernkraftwerk mit 6 Reaktoren gab es wegen der ausgefallenen Stromversorgung Kernschmelzen und folglich Druckanstiege in den Reaktoren. Bei der Druckentlastung wurden radioaktive Spaltprodukte frei gesetzt. Die damals von den automatischen Meßpunkten auf dem Kraftwerksgelände registrierten Werte zum Strahlenpegel waren weltweit verfügbar, täglich fortgeschrieben auf neuestem Stand. In Deutschland wurden diese Meßkurven von Mitarbeitern der GRS beschriftet und weiter verbreitet. Bei jeder Druckentlastung stieg der Strahlenpegel auf hohe Werte an, um danach wieder abzufallen, weil mit dem Wind die radioaktiven Nuklide verteilt wurden. Aus diesen Kurven war zu sehen, dass es außerhalb des Kraftwerksgeländes keine gesundheitliche Gefahr durch Strahlung geben konnte, und das wurde später von UNSCEAR bestätigt. Dennoch wurden in der Umgebung über 100.000 Menschen evakuiert, weil dieses vom Gesetz verlangt wurde. Es wurden auch die Krankenhäuser und Altenheime evakuiert. Etwa 150 bis 600 Strahlenschutzopfer gibt es [2], weil die ärztliche Versorgung der Intensivpatienten abgebrochen wurde.
Woher kommt die Strahlung?
Die in Waffen oder Kraftwerken eingesetzten Ausgangsstoffe sind sehr schwach radioaktiv. Auch der Mensch ist ein radioaktiv strahlender Körper. Erst bei der Kernspaltung entstehen Spaltprodukte mit kurzer Halbwertszeit, und damit eine starke Strahlung, die gefährlich sein kann. Daher ist die Menge der gespaltenen Atomkerne ein Maß für die Strahlung.
Bei den Sprengsätzen auf Hiroshima (U-235) und Nagasaki (Pu-239) war die Explosionsenergie 13 bzw. 22Kt TNT. Dabei wurde jeweils etwa 1 Kg Uran bzw. Plutonium gespalten, es sind also jeweils 1Kg strahlende Spaltprodukte entstanden.
In einem Reaktor der üblichen Größe von 1.000 MWe wird in einem Jahr rund eine Tonne Spaltstoff gespalten und es sammeln sich in einem Jahr bis zu einer Tonne strahlende Spaltprodukte an. Es können in Reaktoren wie Tschernobyl und Fukushima daher bis zu tausendmal mehr strahlende Spaltprodukte im Vergleich zur Bombe enthalten sein.
Die schreckliche Gefahr der Bombe sind die Druckwelle und die Hitzestrahlung der Explosion, das brachte in Japan den Tod für über 200.000 Menschen. Als strahlen-induzierte Opfer unter den 86.000 Überlebenden werden bis zum Jahre 2000 etwa 440 Tote der Strahlung zugeschrieben.
Bei einem Reaktor ist die angesammelte Menge an strahlenden Spaltprodukten eine potentielle Gefahr, die durch mehrfache Barrieren eingeschlossen bleibt und nur bei Unfällen frei gesetzt werden kann. Nur dann kann sie Schaden anrichten, falls die Dosis groß genug ist. Daher ist die potentielle Strahlengefahr bei Reaktorunfällen wesentlich größer als bei einer Bombe wie in Hiroshima und Nagasaki.
Demagogie: Alles ist verstrahlt!
Strahlung ist gefährlich bei großer Dosis in kurzer Zeit im Bereich über einem Sievert. Das ist bei allen Dingen so, im Übermaß sind alle Dinge schlecht, können gefährlich werden. Das wusste vor über 500 Jahren schon der berühmte Paracelsus. Nur bei Strahlung wurde diese Weisheit vom modernen Menschen vergessen.
Nur bei Strahlung macht man die Annahme, dass wegen der Gefahr bei hoher Dosis auch jede noch so kleine Dosis schädlich sei. Das ist eine Hypothese. Mit dieser Hypothese werden oft hypothetische Opfer ausgerechnet, die dann als nicht nachweisbar bezeichnet werden. Ein hypothetischer Schaden ist jedoch kein Schaden. Jeder kann das an einem Selbstversuch testen und eine Woche lang nur hypothetische Nahrung zu sich nehmen – das Ergebnis wird deutliches Magenknurren sein, denn hypothetische Nahrung ist keine Nahrung.
Aus den Reihen der Internationalen Strahlenschutzkommission ICRP heißt es zu der hypothetischen Strahlengefahr „speculative, unproven, undetectable and ´phantom´ “. Wegen dieser spekulativen Gefahr steigt Deutschland aus seiner gesicherten Stromversorgung aus und wirft seine Kernkraftwerke mit einem Wiederbeschaffungswert von über 150 Mrd. Euro auf den Müllhaufen.
Auch in der Südsee bei den oberirdischen Kernwaffentests war die Strahlengefahr eine spekulative Gefahr. Man wusste um mögliche Gefahren, und man hatte entsprechend gehandelt und vorsorglich Menschen evakuiert. Wenn heute dazu „Der vergessene Atomkrieg“ gesagt wird und jegliche Dosisangaben fehlen, dann kann man bei Kenntnis der in Tschernobyl und Fukushima gemessenen Dosen nur von Angstmache reden.
Die UN-Kommission UNSCEAR zählt von Anbeginn bis zum Jahr 2005 für die friedliche Nutzung der Kernenergie 147 Todesopfer, dabei ist Tschernobyl eingeschlossen. Bei jeder neuen Technik gibt es Unfälle, diese Zahlen zur Kerntechnik zeigen das wohlüberlegte Herangehen der Wissenschaftler an diese Technik.
Die wirkungsvollste Demagogie: Land ist auf Jahre unbewohnbar!
Schon lange vor der Entdeckung der Kernspaltung wurden in den 1930er Jahren für den Umgang mit Röntgengeräten Grenzwerte für ionisierende Strahlung eingeführt. Damals wird das Motiv echte Vorsorge vor der noch unbekannten Wirkung der Strahlung auf Lebewesen gewesen sein. Das hat sich fortgesetzt mit immer neuen Vorschriften zu immer kleineren erlaubten Dosen wegen der hypothetischen Strahlengefahr.
Schon 1955 gab es bei Freisetzung von Radioaktivität die Warnung „auf Jahre nicht bewohnbar“. Diese Warnungen wurden in Tschernobyl und Fukushima befolgt, daher wurden dort Menschen evakuiert.
Heute kann man aus Kenntnis der Bestrahlungsdosis sicher sagen:
- In Fukushima wird durch Abtragen der obersten Bodenschicht in der evakuierten Zone ein Strahlenpegel von 0,000 0001 Sievert pro Stunde Wer sich dort alle Stunden des Jahres im Freien aufhält, der erhält eine kumulierte Dosis von 0,001 Sievert im Jahr. Das ist ein Zehntel der Dosis einer CT-Ganzkörperuntersuchung. Eine CT-Untersuchung ist erlaubt, der Aufenthalt in der Umgebung von Fukushima ist verboten – wo bleibt da die Logik?
- Die „Todeszone“ rund um Tschernobyl ist weiterhin unbewohnt, aber der Strahlenpegel liegt dort heute bei etwa einem Zehntel bis Hundertstel des Strahlenpegels im Flugzeug auf Reiseflughöhe auf unserer geographischen Die „Todeszone“ ist verbotenes Land, aber Fliegen ist erlaubt – wo bleibt da die Logik?
In beiden Fällen hat man Menschen wegen der hypothetischen Strahlengefahr ihre Heimat genommen.
In der Südsee hatte Greenpeace die Menschen in den ursprünglich evakuierten Zonen, die später wieder besiedelt wurden, erneut evakuiert, wegen einer „unsichtbarer Gefahr“. Die Menschen dort kennen sich nicht aus in der Materie, sie glauben, was man Ihnen sagt.
Eine hypothetische Gefahr ist keine reale Gefahr, aber sie kann Angst erzeugen. Und das wurde über Jahrzehnte gemacht. Die Menschen wurden systematisch aufgehetzt von Betroffenheits-Organisationen vom Schlage Greenpeace. Sie haben es zu ihrem persönlichen Geschäftsmodell gemacht haben, andere Menschen in Furcht und Schrecken zu versetzen. Das ist zu tadeln, denn bei niedrigem Strahlenpegel ist Strahlung in niedrigem Dosisbereich von hohem Nutzen: Es gibt allein in Deutschland 8 Radonheilbäder, wo durch die Radioaktivität des Gases Radon die Kurgäste profitieren. Allein in der EU gibt es über 80.000 Patienten im Jahr, die die heilende Wirkung von Strahlung für sich nutzen, sie werden „schön verstrahlt“ [2]. Das ist ein kraftvolles Argument gegen die Aktionen der Angstmacher. Wir sind es den unschuldigen Evakuierungsopfern der Demagogen schuldig, zu sagen: Eine nicht nachweisbare Gefahr ist keine Gefahr.
Gesetze können falsch sein, denn sie werden von Menschen gemacht. Das ist bei der Strahlenschutzgesetzgebung ganz sicher der Fall, und viele Fachleute der Strahlenbiologie protestieren gegen diese Gesetze [3]. Die Strahlenschützer sehen das anders, denn ihnen geben falsche Gesetze die Lebensgrundlage. Unsere Medien hätten die Macht zu einer Veränderung, aber bisher haben sie diese Macht nicht genutzt – das ist schade.
[1] „Legenden vom bösen Atom“, DER SPIEGEL, 47/2007
[2] „Schön verstrahlt”, DER SPIEGEL, 17/2016
[3] Z.B.: Feinendegen, Becker, Calabrese, Cuttler, Luckey, Cohen, Doss, Tubiana, Muckerheide, Allison, Jaworowski, Sanders, Marcus, Miller u.v.a.
(zuerst erschienen auf EIKE am 17.11.17)