Der unbekannte Krieg (Teil 2 von 2)

Hanns Graaf

Der Krieg in Asien

Der Krieg zwischen dem aufstrebenden Japan und den alten Imperialismen in der Region (Großbritannien) und den USA war einerseits ein inner-imperialistischer Konflikt darum, wer den Zugriff auf die pazifische Region und ihre Rohstoffe hat. Zugleich war es aber auch ein anti-kolonialer Befreiungskampf, so zwischen den Indern und der britischen Kolonialmacht oder zwischen China und Japan. Im Falle Chinas kam noch dazu, dass es den inneren Klassenkonflikt zwischen den Revolutionären Maos und der bürgerlich-nationalistischen Kuomintang Tschiang Kaischeks gab.

Der Sieg der USA im Pazifik bedeutete nicht nur die Ausschaltung Japans, ihres stärksten Konkurrenten in der Region, er war auch damit verbunden, dass die USA nun die Positionen Englands u.a. imperialistischer Länder in Asien übernahm. Ein ganzes Netz von Militärbasen und die Unterstützung reaktionärer Regime in Asien gegen linke Bewegungen, z.B in Indonesien, belegen, dass der Pazifik-Krieg von Seiten der USA kein Befreiungskrieg, sondern ein imperialistischer war.

Partisanenkrieg

Der Widerspruch zwischen den werktätigen Massen einerseits und den faschistischen u.a. bürgerlichen Kräften andererseits kam besonders in den Partisanenbewegungen zum Ausdruck. Diese bestanden aus unterschiedlichen Kräften: es gab antifaschistisch-bürgerlich-demokratische Kräfte darin, aber auch offen revolutionär-antikapitalistische. Besonders in Italien, Jugoslawien und Griechenland prägten die KPen den Widerstand. In Jugoslawien und (weniger bekannt) in Griechenland gelang es dem Widerstand aus eigener Kraft, die Nazis zu verjagen und die Macht zu übernehmen.

Besonders tragisch ist der Fall Griechenland. Dort kontrollierten die unter der Führung der KP stehenden Partisanen nach dem Abzug der Wehrmacht 90% des Landes. Die Briten waren noch in Italien bzw. danach in Westeuropa beschäftigt. Anstatt nun aber diese günstige Situation zu nutzen, um die gesamte exekutive Macht zu übernehmen und einen Arbeiterstaat zu errichten, befolgte die KP Stalins Order, mit den Briten, also einer imperialistischen Macht, zu kooperieren. Diese nutzten diese Offerte, besetzten wichtige Positionen und führten einen Krieg gegen die KP und die griechischen Partisanen. Stalin ließ sie im Stich und lieferte sie dem Terror der Briten und der extremen Rechten aus – gemäß der Absprache mit den Alliierten in Potsdam und der dort ausgehandelten Einflusssphären. Zum Unglück der Griechen gehörte ihr Land zur westlichen Sphäre. Das Beispiel Griechenland zeigt besonders krass, dass Stalin die Moskau-treuen KPen ohne Skrupel zwang, selbst beste Gelegenheiten zur Revolution zu Gunsten eines strategischen Kompromisses mit dem Imperialismus ungenutzt zu lassen – wofür die revolutionären Massen einen unerhörten Blutzoll entrichten mussten.

Antifaschismus und Sozialismus

Besonders markante Beispiele für die Verbindung von antifaschistisch-antikolonialem Kampf mit dem Kampf für den Sozialismus sind Jugoslawien und China. In Jugoslawien siegten die Partisanen, die von der KP unter Tito geführt wurden, über die Wehrmacht. Nachdem sie die Macht erobert hatten, begannen sie mit antikapitalistischen Umwälzungen. Dabei verbanden sie Elemente eines Genossenschaftssystems – in der Industrie und auf dem Land – mit der Herrschaft eines Partei-Staatsapparats. Dieses Zwittergebilde sorgte zwar am Anfang für einen enormen sozialen Entwicklungsschub, geriet aber schon bald an seine strukturellen Grenzen. Zudem bestrafte Stalin die Jugoslawen für ihr Abweichen vom Moskauer Modell mit dem völligen Abbruch aller Beziehungen. Ein „Sozialismus“ in einem isolierten Land war aber unmöglich. Die Moskauer Blockade zwang Tito im Grunde dazu, enger mit dem Westen zu kooperieren – was die Probleme Jugoslawiens noch vergrößerte.

In China stand die KP Ende der 1920er vor einem Scherbenhaufen. 1927 war die Arbeiterbewegung militärisch von der Kuomintang, der sie sich auf Stalins Anweisung unterordnen sollte, niedergeschlagen worden. Trotzdem startete die KP kurz danach – wieder auf „Empfehlung“ Moskaus – einen Aufstandsversuch, der fehlschlug. Nach dem Verlust der Verbindungen zu den Städten und fast aller Arbeiterkader begann der „Lange Marsch“ ins Hinterland. Maos Armee und die Partei stützten sich v.a. auf die Bauernschaft. Maos Volksarmee kämpfte an zwei Fronten: gegen die bürgerliche Kuomintang und gegen den gemeinsamen Feind Japan. Auch dadurch, dass die Kuomintang stärker im Kampf gegen die Japaner gebunden war, konnte sich Mao durchsetzen, 1949 die Macht ergreifen und die Volksrepublik China ausrufen. Mao hatte kein sozialistisches Programm, sondern verfolgte eine Volksfrontpolitik, bei der auch die chinesische Bourgeoisie eingebunden werden sollte. Eine Landreform und eine Industrialisierungsoffensive waren der Kern von Maos Programm. Als schließlich auch die Reste der Bourgeoisie enteignet wurden, war damit ein staatskapitalistisches, aber kein sozialistisches Regime etabliert. Die Arbeiterklasse war versorgt („eiserne Schüssel Reis“), aber entmachtet bzw. sie hatte nie die Macht.

Jugoslawien und China sind auf je spezifische Weise Belege dafür, dass der 2. Weltkrieg – wie schon der 1. Weltkrieg – auch die Systemfrage aufwarf. Das Problem dabei war aber, dass 1917/18 eine revolutionäre Linke existierte, deren reifste Kraft, die Bolschewiki, in der Lage war, die Revolution zum Sieg zu führen. Am Ende des 2. Weltkriegs gab es eine solche Kraft nicht mehr oder sie war zu schwach (Trotzkismus). Die fast absolute Vorherrschaft über die einst revolutionäre Arbeiterbewegung hatte der Stalinismus übernommen. Seine Politik bzw. alle ihre Ausformungen (Einheitsfront von unten, Sozialfaschismus, Volksfrontpolitik) führten dazu, dass revolutionäre Möglichkeiten entweder vergeben wurden (Spanien, Griechenland u.a.) oder aber jene Parteien, die die Macht ergreifen konnten (China, Jugoslawien) nicht in der Lage waren, „gesunde“ Arbeiterstaaten zu etablieren, sondern Zwittergebilde oder staatskapitalistische Ordnungen, wie es auch im Ostblock der Fall war. Damit war zwar der Einfluss des westlichen Imperialismus deutlich eingeschränkt, doch eine sozialistische Alternative stellten diese Länder nicht dar – im Gegenteil: ihr undemokratischer, repressiver Charakter und ihre zunehmende wirtschaftliche Ineffizienz wirkten eher abschreckend auf die Lohnabhängigen v.a. in Westeuropa, was die bürgerlichen Ideologen weidlich ausnutzten.

Imperialistische Politik

Die alliierten Siegermächte werden heute als fortschrittlich, antifaschistisch und demokratisch dargestellt. Das waren sie im Vergleich zu Nazi-Deutschland in vielerlei Hinsicht sicher auch. Doch insgesamt war ihre Rolle trotzdem ebenfalls reaktionär. England, Frankreich und die USA haben nicht nur die Militarisierung und Hochrüstung Deutschlands unter Hitler geschehen lassen. Sie, aber auch Länder wie die Schweiz und die USA, trugen dazu bei, dass die Juden unterdrückt und vernichtet werden konnten, indem sie sich weigerten, deutsche Juden aufzunehmen, oder deren Aufnahme durch strenge Quoten begrenzten. England und Frankreich erlaubten es Hitler, sich die Nachbarländer (Tschechien, Polen) gewaltsam einzuverleiben. 1939 kamen sie ihrer Beistandspflicht gegenüber Polen nicht nach. Hätten sie 1939 aktiv eingegriffen, würde Deutschland den Krieg schon zu Beginn verloren haben – der Weltkrieg in Europa und der Holocaust wären verhindert worden.

Nach Kriegsende 1945 ging die verbrecherische Politik der alliierten Sieger aus West und Ost weiter. Willkürlich wurden in Osteuropa neue Grenzen gezogen und ethnisch einheitliche Gebiete geschaffen. Dafür wurden Millionen von Deutschen, die dort seit Jahrhunderten lebten, aus den Ostgebieten vertrieben. Zehntausende, v.a. Sudetendeutsche, kamen dabei um – nach Kriegsende! Millionen von Weißrussen und Polen wurden in die „freigewordenen“ Gebiete umgesiedelt. Dieser rassistischen (Um)siedlungspolitik Stalins stimmten auch die Westalliierten zu.

Ein anderes Beispiel dafür, welche reaktionären Folgen die Politik der Alliierten hatte, zeigt sich am Beispiel Israel. Mit Unterstützung der USA, aber auch Stalins, wurden die Juden in das neu gegründete Israel „umgeleitet“, so hatte man das leidige Judenproblem in Europa vom Hals. Das Ergebnis dieses zionistischen Projektes war, dass die Palästinenser aus ihrem Siedlungsgebiet mit Gewalt vertrieben und enteignet wurden – ein Verbrechen, das noch heute andauert.

Nachkriegsdeutschland

Was war die Politik der alliierten Sieger in Deutschland? Die übergroße Mehrzahl der Nazi-Verbrecher kam straflos davon – auch in der DDR. Viele von ihnen besetzten in Westdeutschland Posten im Staate. Die deutsche Bourgeoisie, die Hitler zur Macht verholfen und von seinem Regime profitiert hatte, wurde in Westdeutschland nicht enteignet. Nicht zuletzt betrieb das Adenauer-Regime bewusst die Spaltung Deutschlands. Er selbst sagte: „Lieber das halbe Deutschland ganz, als das ganze halb.“

In Ostdeutschland (wie auch in den anderen Ostblockstaaten) verfolgte Stalin zuerst eine bürgerliche Politik. Die Nazi-Kollaborateure, aber nicht die gesamte Bourgeoisie (!), wurden enteignet und ein bürgerlicher, aber gesäuberter Staatsapparat installiert, in dem die Rote Armee bzw. die einheimischen Stalinisten die Sicherheitsapparate kontrollierten. Bemühungen der Arbeiterklasse, die Produktionsmittel zu übernehmen und eigene politische Strukturen (Betriebsräte, Antifakomitees, Gewerkschaften, revolutionär-kommunistische Gruppen usw.), die den Stalinisten nicht passten bzw. nicht von ihnen kontrolliert wurden, wurden aufgelöst, „umgewandelt“ oder verboten. Als sich die bürgerlichen Kräfte wieder erholten und der Einfluss des Westens (Marshallplan) stärker wurde, änderte Stalin seinen Kurs, um nicht allen Einfluss zu verlieren, und installierte überall staatskapitalistisches Regime nach Moskauer Vorbild.

So entstand nach 1945 eine bipolare Weltordnung, die bis 1989 die Welt prägte. Sie bestand aus dem westlichen imperialistischen Block um die Führungsmacht USA und dem östlichen Block um die UdSSR. Die damit verbundene extreme militärische Konfrontation war aber keine zwischen Kapitalismus und Sozialismus, sondern eine zwischen dem „normalen“ Kapitalismus und dem Staatskapitalismus. Letzterer bedeutete, dass das Privateigentum an Produktionsmitteln enteignet war, daher die Feindschaft des Westens.

Die bipolare Weltordnung war von beiden Seiten konterrevolutionär. Während im Westen v.a. die Sozialdemokratie die Einbindung der Arbeiterbewegung in das System sicherstellte, bekämpfte im Osten der Stalinismus jeden oppositionellen und revolutionären Impuls. Das zeigte sich u.a. am Agieren der Moskau-treuen Parteien Mitte/Ende der 1940er. Wie am Ende des 1. Weltkriegs entstanden auch 1944/45 revolutionäre Situationen, wo es möglich war, den erschütterten und tief diskreditierten Kapitalismus zu stürzen. Doch der Stalinismus orientierte die KPen darauf, den Kapitalismus wieder aufzubauen und trat dazu in die bürgerlichen Regierungen ein (Frankreich, Italien). War das System wieder gerettet, ließ die Bourgeoisie ihre stalinistischen Helfer schnell wieder fallen. Die fatale Politik Stalins, die schon in den 1920er und 1930er Jahren die kommunistische Bewegung falsch orientiert, ihr damit massiv geschadet und ihr furchtbare Niederlagen zugefügt hat (China, Spanien, Deutschland u.a.), wurde auch nach 1945 weitergeführt – mit dem gleichen fatalen Ergebnis. Während 1919 die Kommunistische Internationale gegründet wurde, um den durch den Weltkrieg erschütterten Kapitalismus zu stürzen, löste Stalin 1943, als die Niederlage Deutschlands schon feststand, die Komintern auf.

Fazit

Der 2. Weltkrieg war Folge brisanter Widersprüche im imperialistischen Weltsystem und Ausdruck des Versuchs zu spät oder zu kurz gekommener imperialistischer Länder, die Welt neu aufzuteilen. Diese Versuche scheiterten an ihrer Schwäche und an der Stärke der USA und der UdSSR. Die Aggressivität der faschistischen Mächte ist auch Ausdruck des Versuchs, die inneren Probleme und den Klassenkonflikt zwischen Proletariat und Bourgeoisie durch Rassismus, Nationalismus und letztlich Expansionismus reaktionär aufzulösen. Quasi im Schatten der großen Schlachten des Krieges tobte auch ein Kampf des Proletariats u.a. Unterdrückter gegen Kolonialismus und Kapitalismus. Nur Dank der Weigerung der Sozialdemokratie und des Stalinismus (und der Unfähigkeit des Anarchismus in Spanien), die revolutionären Chancen vor 1939 und dann wieder 1944/45 zu nutzen, konnte der europäische Kapitalismus seine Fortexistenz sichern. Der doppelte Sieg des „demokratischen“ Imperialismus einerseits und des stalinschen Staatskapitalismus andererseits führte zu einem globalen Niedergang des revolutionären Flügels der Arbeiterbewegung, der bis heute anhält.

Alternative

So lange auch große Teile der Linken Illusionen in die „Friedensbemühungen“ der UNO, von Verträgen und der Diplomatie schüren, anstatt diese als imperialistische Machtinstrumente zu brandmarken; so lange die stalinistische UdSSR nur als Besieger des Faschismus, aber nicht auch als dessen Steigbügelhalter und als Totengräber der Revolution und der revolutionären Arbeiterbewegung angesehen wird; so lange nicht die Arbeiterklasse, der Klassenkampf und der Sturz des Kapitalismus als einzige Garanten des Friedens angesehen werden – so lange ist der Frieden nur das Vorspiel zum nächsten Krieg. Wer den Klassenkrieg nicht will, wird den imperialistischen Krieg bekommen!

Es gibt drei Voraussetzungen eines neuen Aufschwungs der revolutionären Arbeiterbewegung: 1. eine vertiefte Krise des Kapitalismus, die zu mehr sozialen Problemen, Angriffen und Kriegen, aber eben auch zu mehr Klassenkampf führt. Seit dem Übergang zum Spätimperialismus Ende des 20. Jahrhunderts zeigen sich diese Tendenzen immer deutlicher. 2. müssen die anti-revolutionären Kräfte in (!) der Arbeiterbewegung – Sozialdemokratie und Stalinismus – deutlich an Einfluss und Attraktivität verlieren. Auch das ist der Fall. In Deutschland zeigt sich das v.a. am Niedergang der SPD und der LINKEN. 3. müssen die schwachen subjektiv-revolutionären Kräfte völlig neu formiert werden. Das bedeutet: Überwindung der Zersplitterung und des Sektierertums, aber auch des Opportunismus. Das ist nur durch mehr praktische Kooperation und Aktivität möglich und die konsequente Neuerarbeitung einer revolutionären Programmatik, die von den realen historischen Erfahrungen im Klassenkampf ausgeht und nicht nur von dem einen oder anderen linken Ismus.

Während die erste und die zweite Bedingung weitgehend objektiv bestimmt sind und nicht künstlich „erzeugt“ werden können, ist der 3. Faktor stärker subjektiv bestimmt. Letztlich geht es dabei darum, den Marxismus zu erneuern und weiter zu entwickeln, das Erbe von Marx u.a. Marxisten historisch-kritisch aufzuarbeiten und an den konkreten Ergebnissen realer Klassenkämpfe zu messen. Das ist nicht wenig – darum muss schon jetzt damit begonnen werden! Darum müssen schon heute die ideologischen Glashäuser der diversen radikalen linken Gruppierungen zerstört werden und ein Neuanfang gewagt werden! Es geht um den Aufbau einer neuen revolutionären Arbeitermassenpartei. Um nichts weniger! Schon die Frage, wer dazu überhaupt bereit ist, trennt hier die Spreu vom Weizen.

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