Kommunistische Betriebsarbeit

Vorbemerkung: Dieser Text führt die Reihe von Beiträgen zur Frage, wie die Politik von Revolutionären im Betrieb und in der Gewerkschaft aussehen könnte, weiter. Teil 1 erschien hier.

Redaktion Aufruhrgebiet

Hanns Graaf

Betriebe sind immer noch die Orte, wo das Gros der Wertschöpfung stattfindet und das Industrieproletariat konzentriert ist. Allerdings haben sich in den vergangenen Jahrzehnten dort große Veränderungen vollzogen. Mit der Agenda-Politik ab den 2000ern vergrößerte sich in Deutschland die Schicht prekärer Beschäftigung deutlich, tarifgebundene Beschäftigungsverhältnisse gingen zurück. Der Anteil von migrantischen Beschäftigten, der schon mit der „Gastarbeiterwelle“ deutlich zugenommen hatte, stieg mit der Massenmigration ab 2015 noch einmal an. Auch der Anteil von Frauen an der Erwerbsarbeit ist heute höher als früher. Das Bildungsniveau der Arbeiterklasse nahm nach 1945 stark zu: waren in den 1950ern noch 2/3 der Beschäftigten un- oder angelernt, sank deren Anteil bis 2000 auf ca. 15%. Die Zahl der in der Industrie Arbeitenden sank relativ und absolut, während die Beschäftigtenzahl im sog. Dienstleistungssektor (der aber oft auch „industriell“ ist: Verkehr, Logistik, Reparatur usw.) anstieg. Die Zahl von Großbetrieben mit über 1.000 Beschäftigten nahm ab: 1976 gab es 1066 solcher Betriebe, 2008 nur noch 642.

Neben der Arbeiterklasse hat sich eine Millionen starke lohnabhängige Mittelschicht etabliert, die über keine Produktionsmittel verfügt und Lohn erhält, aber – anders als der „normale“ Lohnabhängige – eine Funktion im Herrschafts- und Organisationsapparat erfüllt. In imperialistischen Ländern besteht ein erheblicher Teil der Arbeiterklasse aus der gegenüber dem Rest der Klasse besser gestellten Arbeiteraristokratie. Diese stellt das Gros der Gewerkschaftsmitglieder und der Betriebsräte (BR). Sie sind einerseits ideell wie organisatorisch oft vom Reformismus dominiert, andererseits besser organisiert als andere Teile der Lohnabhängigen und objektiv besonders kampfstark.

Kommunisten bzw. die Partei haben bezüglich der Arbeiterklasse folgende Aufgaben:

  • Verbreitung revolutionär-kommunistischer Programmatik in der Klasse mittels Propaganda und Agitation;
  • Kampf gegen den Reformismus in Gestalt bürokratischer Strukturen und Verfahrensweisen sowie in Form von Ideologie (Sozialpartnerschaft, Friedenspflicht usw.);
  • Förderung der Selbstorganisation der Klasse und des Aufbaus entsprechender Strukturen (Streik- und Kontrollkomitees, gewerkschaftliche Opposition, räteartige Strukturen, Genossenschaften usw.);
  • Vorantreiben des Klassenkampfes, Verbindung des Kampfes um Reformen mit dem Ziel der Revolution (Übergangsmethode).

Eine wichtige, ja zentrale Aufgabe von Revolutionären ist die Arbeit in den Betrieben. Dort befindet sich das Gros der industriellen Lohnabhängigen – nicht in den Gewerkschaften, wo meist nur eine Minderheit der Klasse organisiert ist. Streiks, Besetzungen u.a. Aktionen der Arbeiterklasse gehen von den Betrieben aus. Abgesehen von der Geschäftsleitung und dem Management sehen sich Kommunisten im Betrieb verschiedenen Strukturen der Beschäftigten gegenüber: dem BR, der reformistischen Gewerkschaft bzw. dem Vertrauensleutekörper (VLK), mitunter einer „linken“ Betriebsgruppe oder einer gelben Gewerkschaft.

Das Ziel und die Grundlage jeder betrieblichen Verankerung von Kommunisten ist es, eine eigene Betriebsgruppe aus Mitgliedern und Sympathisanten aufzubauen. Diese Struktur ist die Basis für jede weitere Arbeit im Betrieb und auch in der Gewerkschaft. Sie muss mit anderen proletarischen Milieus und Widerstandsformen verbunden werden (Wohngebiet, progressive Bewegungen u.a.).

Die kommunistische Betriebsgruppe (KB) besteht aus Parteimitgliedern und Sympathisanten. Grundlage ihres Handelns im Betrieb ist nicht (nur) das Parteiprogramm, sondern ein darauf beruhendes spezifisches Programm, das die Arbeit in Betrieb und Gewerkschaft ins Zentrum stellt. Daraus abgeleitet muss wiederum ein spezielles Programm für den jeweiligen Betrieb entwickelt werden.

Wie beginnen?

Die Arbeit im Betrieb ist oft komplizierter und riskanter als andere politische Arbeit. Man kann von der Geschäftsleitung, von den Reformisten, aber auch von Kolleginnen und Kollegen „geschnitten“, bekämpft oder sogar rausgeschmissen werden. Daher ist bei jeder Betriebsarbeit genau zu ermitteln, wie die Verhältnisse im Betrieb, in der Belegschaft, in der Gewerkschaft, im BR, bei den Vertrauensleuten usw. sind: Welche konkreten Probleme gibt es?, Was wird in der Belegschaft diskutiert?, Welche Angriffe oder Kämpfe stehen an? usw. Vor jeder Intervention im Betrieb muss sichergestellt sein, dass die dort agierenden Genossinnen und Genossen politisch gut vorbereitet sind und von Genossen außerhalb des Betriebes unterstützt werden.

Am leichtesten ist es, wenn es schon einen oder mehrere Kommunisten im Betrieb gibt. Betriebliche Arbeit kann aber auch dann begonnen werden, wenn sie zunächst nur von außen erfolgen kann. In jedem Fall soll ein offenes Auftreten als Kommunist zunächst vermieden oder stark beschränkt werden, meist kann er nur getarnt agieren. Zunächst muss man sich für andere Beschäftigte als engagierter und zuverlässiger Kollege zeigen, der seine eigenen Ideen und Vorschläge zu allgemeinen politischen und betrieblichen Themen hat. Das kann soweit gehen, Kollegen die Parteiliteratur anzubieten oder sie zu Veranstaltungen und Aktionen einzuladen. Egal, ob es ein Mitglied im Betrieb gibt oder nicht: die betriebliche Arbeit (vor dem oder im Betrieb) muss von außen von der Organisation unterstützt werden. Das ist politisch nötig, aber auch moralisch, um den eigenen Genossen vor Ort persönlich den Rücken zu stärken.

Der eigentlichen KB werden meist Vorstufen vorangehen: eine relativ lose Gruppe, ein Freundeskreis, der miteinander diskutiert, in der Freizeit etwas gemeinsam unternimmt oder in einer betrieblichen Frage gemeinsam agiert.

Betriebsbulletin

Von zentraler Bedeutung ist das Betriebsbulletin. Es sollte relativ dünn und sehr verständlich geschrieben sein, da manche Kollegen Vorbehalte gegenüber politischen Pamphleten haben. Auf linke Insidersprache sollte verzichtet werden. Obwohl es am besten ist, wenn die Genossinnen und Genossen, die die Intervention im Betrieb durchführen, das Bulletin selbst schreiben, kann es auch mit anderen Genossen oder Kollegen gemeinsam verfasst werden. Inhaltlich sollte das Bulletin zwei Schwerpunkte haben: 1. ein betriebliches Thema, das konkrete Probleme und Diskussionen im Betrieb, der Gewerkschaft oder der Branche aufgreift und 2. ein allgemeines politisches Thema, das in der gesellschaftlichen Debatte oder in den Medien eine Rolle spielt. Es kann aber auch ein allgemeines Thema behandelt werden, z.B. Was ist Ausbeutung? Das Betriebsbulletin kann offen oder auch „unter der Hand“ verteilt werden. Dabei muss versucht werden, Kollegen für die Verteilung im Betrieb zu gewinnen. Ein nächster Schritt wäre, diese in die Erarbeitung des Bulletins einzubeziehen. Eine Vorstufe zum bzw. eine Ergänzung des Bulletins sind Handzettel, die illegal im Betrieb kursieren. Das Bulletin ist kein Ersatz für andere Medien der Gruppe (Zeitung, Homepage), sondern soll auf sie hinweisen.

Die trotzkistische Gruppe Lutte ouvrier in Frankreich hat es über Jahrzehnte geschafft, fast von Null beginnend, sich seit den 1940ern in inzwischen hunderten Betrieben zu verankern. Das zentrale Mittel dafür war – das Betriebsbulletin.

Funktionen?

Jeder Organisation und jedem Kommunisten stellt sich die Frage, ob es sinnvoll ist bzw. wie es möglich ist, eine Funktion, z.B. als Vertrauensmann, als Betriebsrat oder (außerhalb des Betriebes) als Gewerkschaftsfunktionär, zu übernehmen. Grundsätzlich muss dabei bedacht werden, dass 1. die Gewerkschaft (im Kapitalismus) insgesamt nicht revolutioniert werden kann, auch nicht dadurch, dort möglichst viele Posten zu besetzen. Das liegt u.a. daran, dass Struktur und Funktionsweise des Apparats der Gewerkschaft und der BR bürgerlich-reformistisch geprägt sind und klaren politischen und juristischen Regularien unterworfen sind. Ein „Marsch durch die Institutionen“, wie er von manchen Linken versucht wurde, ist daher sinnlos. Andererseits wäre es aber auch falsch und sektiererisch, grundsätzlich die Übernahme von Funktionen abzulehnen – nicht zuletzt, weil Kollegen oft einen engagierten Linken als BR oder Gewerkschaftsfunktionär haben wollen.

Zunächst müssen wir sehen, dass sich die Funktionen unterscheiden, obwohl meist zwischen BR, VL und Gewerkschaft eine enge Kooperation besteht. Das ergibt sich schon daraus, dass die Gewerkschaft „offiziell“ im Betrieb nicht agieren kann. Diese Rolle nimmt der BR wahr. Diese partielle „Ausgrenzung“ der Gewerkschaft ist Ergebnis der Umsetzung der Politik der Klassenkollaboration der SPD. Ein BR ist formell dem Betriebswohl verpflichtet, seine Tätigkeit ist stark reglementiert. Er ist v.a. der Belegschaft verpflichtet, die ihn gewählt hat – nicht formell der Gewerkschaft. Ein BR ist andererseits mit dem Betrieb und den Kollegen meist enger verbunden, als ein Gewerkschaftsfunktionär.

Vertrauensleute wiederum werden nur von den Gewerkschaftsmitgliedern des Betriebes gewählt, nicht von der Belegschaft und sind den Gewerkschaftsmitgliedern „verpflichtet“. Oft ist der Hauptvertreter der Gewerkschaft im Betrieb der BR, der auch meist auf einer Liste der Gewerkschaft kandidiert. Es gibt aber auch BR, die mit der Gewerkschaft wenig am Hut haben. Dann repräsentieren die Vertrauensleute die Gewerkschaft im Betrieb. Da die Vertrauensleute nicht so stark in das „Betriebsmanagement“ eingebunden sind wie der BR, agieren sie mitunter linker und kämpferischer als der BR.

Aufgrund der „sozialpartnerschaftlichen“ Ausrichtung des DGB (und der SPD und der LINKEN) sind gewerkschaftliche Funktionäre, BR und Vertrauensleute oft nicht bereit und in der Lage, den Klassenkampf effektiv zu führen oder gar voran zu treiben. Deshalb wenden sich viele Kollegen auch von diesen ab. Schon deshalb ist es falsch, sich nur auf die BR, die Vertrauensleute oder die Gewerkschaften zu orientieren.

In manchen Betrieben gibt oder gab es oppositionelle Betriebsgruppen, die tw. mit linken Organisationen verbunden sind. Sie haben (wie auch viele Beschäftigte und linke Funktionäre) oft Vorbehalte gegenüber einer Partei, tw. wegen schlechter Erfahrungen, tw. aus einer rein syndikalistischen Einstellung heraus. Mitunter kann eine Mitarbeit in solchen Strukturen sinnvoll sein, manchmal ist eine Kooperation angebrachter. Auf jeden Fall kann das den Aufbau der KB nicht ersetzen.

Eine Kandidatur zum BR oder zum Vertrauensleutekörper ist nur sinnvoll, wenn ein Kommunist im Betrieb starke Unterstützung in der Belegschaft genießt. Diese darf sich nicht darauf beschränken, Jemand zu wählen. Es muss – soweit das überhaupt möglich ist – herausgefunden werden, ob diese Unterstützung auch bei Konflikten oder in Kämpfen vorhanden ist bzw. wäre. Die zweite Voraussetzung einer Kandidatur ist, dass die Organisation ihre(n) Kader unterstützt. Ansonsten – und generell – besteht die Gefahr, dass die Funktionäre sich aufreiben und verschlissen werden.

Ob es um die KB, um BR, Vertrauensleute oder Gewerkschaftsfunktionäre geht: immer müssen sie möglichst miteinander verbunden werden, im Idealfall in einer revolutionären Gewerkschaftsopposition oder -fraktion. Sie müssen ihre Tätigkeit auch mit dem allgemeinen Klassenkampf außerhalb von Betrieb oder Gewerkschaft verzahnen.

Gerade die kommunistische Arbeit im Betrieb verlangt viel Stehvermögen. Mit einmaligen Aktionen kann fast nie etwas erreicht werden. Die Qualität einer Organisation zeigt sich auch darin, ob sie bereit und in der Lage ist, diese kontinuierliche Arbeit zu leisten. Gerade die politische Arbeit im Betrieb verweist aber auch darauf, dass das Stadium der linken Kleinstgruppen überwunden werden muss, weil diese meist gar nicht über die Kapazitäten für eine solche Arbeit verfügen und zudem oft stark vom studentischen und Mittelschichtsmilieu geprägt sind.

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