Hannah Behrendt
Von etlichen Linken und selbst aus dem Regierungslager, von Grünen und der SPD, wird davor gewarnt, dass Deutschland eine Faschisierung drohe. Diese Gefahr wird am gegenwärtigen Rechtstrend und dem Aufstieg der AfD festgemacht. Die Anti-Rechts-Demonstrationen vor einigen Monaten haben gezeigt, dass die etablierten Parteien, Gewerkschaften, Kirchen, Sozialverbände und „grüne“ Bewegungen durchaus in der Lage sind, gegen „Rechts“ Millionen zu mobilisieren.
Was ist „Rechts“?
Früher, als man noch wusste, dass Wünschen nichts hilft, sondern nur Klassenkampf, gebrauchte kaum Jemand die Begriffe „Rechts“ und „Links“, weil sie nichts Genaues aussagen. Links oder rechts von …? Man sprach von „bürgerlich“ oder „proletarisch“ und bezog sich so auf Klassen. Mit „Links“ und „Rechts“ wird dieser Klassenbezug ausgeblendet. Schon deshalb sollten wir diese Begriffe vermeiden. Indem man sich auf auf das Proletariat bezog, machte man zugleich klar, dass die Bourgeoisie und ihr Staat die Gegner sind. Niemand wäre auf die Idee gekommen, dass der Staat oder eine bürgerliche Partei „links“ sein könnten. Indem die offizielle Propaganda sich gegen die „Rechten“, v.a. die AfD, wendet, ziehen sie eine politische Grenzlinie zwischen verschiedenen bürgerlichen Parteien, anstatt zwischen proletarischen und allen (!) bürgerlichen Parteien. So werden im Kampf gegen „Rechts“ plötzlich die anderen bürgerlichen Parteien zumindest partiell „links“, „demokratisch“, „antifaschistisch“ usw. und damit bündnisfähig. Anstatt, dass die Linke und die Organisationen der Arbeiterbewegung, v.a. die Gewerkschaften, gemeinsam kämpfen, wird eine klassenübergreifende Volksfront zusammengeschustert. Letztlich wird so die Formierung der Arbeiterklasse zum historischen Subjekt unterminiert.
Mit dem Etikett „Rechts“ wird zudem auch jede Sachdebatte unmöglich, weil anstelle von Argumenten eine quasi-moralische Verurteilung tritt. So haben Kritiker des Klima-Katastrophismus nicht einfach eine andere wissenschaftliche Position und bestimmte Argumente – nein, ihre Haltung ist moralisch verwerflich, so dass jede Auseinandersetzung mit deren Argumenten als unnötig und abwegig abgelehnt werden kann.
Rechtstrend
Es ist sicher richtig, dass nationalistisches, rassistisch-völkisches Denken zunimmt und sich die AfD (noch?) im Aufwind befindet. Die Ursache dafür ist die zunehmend chaotische, bellizistische, antisoziale, sich den geostrategischen Interessen der USA unterordnende Ampel-Politik. Die AfD war bislang die einzige, auf ihre Weise konsequente Oppositionspartei. Ihr Aufstieg erklärt sich aber v.a. daraus, dass die Linke und die Arbeiterbewegung seit Jahren Probleme nicht erkannt haben oder erkennen wollten, sich mit „Nebensächlichkeiten“ (Gendern usw.) befasst und die wirklichen Lebensfragen der Massen aus den Augen verloren haben bzw. keinen Kampf darum geführt haben. Letztlich haben sie gegenüber den Projekten des Kapitals klein beigegeben. Dieser Zustand der Arbeiterbewegung und der Linken ist v.a. das Ergebnis der Dominanz des Reformismus der SPD, der Linkspartei und der sozialdemokratischen Gewerkschaftsbürokratie. In vielen entscheidenden Fragen (Klima, Energiepolitik, Kernkraft-Ausstieg, Ukraine-Politik, Corona usw.) hat fast die gesamte linke Szene die Regierungspolitik mitgetragen und sich damit gegen die Massen gestellt.
Die AfD ist eine rechts-konservative Partei bürgerliche Partei, in deren Reihen auch Rassisten und militante Rechte (der „Flügel“) eine Rolle spielen. Sie stützt sich v.a. auf das Kleinbürgertum und den „Mittelstand“, deren Aktionsfeld nicht der Weltmarkt, sondern der nationale Markt ist. Deshalb richtet sie sich gegen die „Globalisierungspolitik“ (EU, Euro, Kriegspolitik, USA-“Gefolgschaft“, Migration usw.). Sie bindet auch Teile der Lohnabhängigen an sich, die keine andere Opposition sehen, die ihre Interessen vertritt. Die nationalistisch-konservativ-reaktionäre Politik der AfD bedeutet aber nicht, dass alles, was sie vertritt, falsch wäre; im Gegenteil: ihre Positionen zu den Themen Klima, Energie, Kernkraft und Ukraine sind insgesamt durchaus korrekt. Hier hört die Aufzählung aber auch schon auf, denn in so ziemlich allen anderen Fragen liegt sie falsch. So ist z.B. ihre Wirtschaftspolitik im Kern neoliberal und unsozial.
Es stellt sich nun die Frage, ob dieser Rechtstrend und der Aufstieg der AfD zu einer Faschisierung der Gesellschaft führen kann. Um diese Frage beantworten zu können, müssen wir zuerst klarstellen, was Faschismus ist bzw. war.
Das Wesen des Faschismus
Der Faschismus ist nicht nur eine besonders reaktionäre und aggressive Kraft, er zeichnet sich auch durch eine Reihe von Merkmalen aus, die ihn deutlich von anderen bürgerlichen Kräften bzw. Parteien unterscheidet.
Der deutsche – und tendenziell auch andere wie der italienische – Faschismus, entstand nicht als Partei oder Projekt der Großbourgeoisie, sondern formierte sich aus den Mittelschichten, dem städtischen und ländlichen Kleinbürgertum sowie der (damals weniger zahlreichen) lohnabhängigen Mittelschicht (Universitäten, Intelligenz, Beamte usw.). Diese sahen sich einerseits durch die Krise (Versailler Vertrag, Weltwirtschaftskrise ab 1929) und andererseits durch die Stärke der Arbeiterbewegung und die potentiell mögliche Revolution in ihrer Existenz oder Karriere bedroht. Diese u.a. besondere historische Faktoren führten zu einer Radikalisierung der Gesellschaft und der politischen Szene. Ausdruck dessen war u.a., dass SPD, KPD und NSDAP über eigene „Kampfverbände“ verfügten.
Der Faschismus war nicht einfach eine Partei, sondern eine militante Kraft, die sich v.a. gegen die Linke und die Arbeiterbewegung wandte, um diese (und die bürgerliche Demokratie) zu zerschlagen. Dazu waren „normale“ bürgerliche Parteien weder bereit noch in der Lage. Die Faschisten benutzen verschiedene Mittel, um ihr Ziel zu erreichen: sie nutzten die Demokratie, sie formierten aber auch eine militante Terrorbewegung (die SA oder in Italien die „Schwarzhemden“), sie verwendeten pseudo-revolutionäre und „sozialistische“ Floskeln, sie konstruierten Feindbilder (z.B. die Juden) und schürten einen extremen Nationalismus. Während eine „normale“ bürgerliche Partei nur auf „Repräsentanz“ in Politik und Staat zielt und die Aktivierung von Massen möglichst vermeidet, betont der Faschismus gerade diesen Aktionismus.
Der Faschismus ist nicht zufällig ein Phänomen, das v.a. in imperialistischen Ländern auftritt, wenn diese in der Krise sind, was sich in stärkeren sozialen und politischen Konvulsionen und in heftigeren Klassenkämpfen äußert. Diese Krise kann nur auf zwei Arten gelöst werden: entweder durch einen aggressiven Expansionismus, der den Einfluss des eigenen Kapitals auf dem Weltmarkt (wieder) vergrößert, oder aber durch die proletarische Revolution.
Faschismus-Theorien
Der Aufstieg des Faschismus, der zuerst 1922 in Italien begann, sorgte schon früh für Diskussionen in der Arbeiterbewegung. Verschiedene Konzepte standen sich gegenüber. Die Sozialdemokratie setzte auf die Nutzung und Verteidigung der bürgerlichen Demokratie gegen die Rechten und verweigerte sich der Herstellung einer Arbeitereinheitsfront gegen die Nazis. Die Stalinisten sahen in der Sozialdemokratie („Sozialfaschismus“) den Hauptfeind und unterminierten auf diese Weise ihrerseits die Arbeitereinheitsfront, die sie dann – viel zu spät – durch die sektiererische „Einheitsfront von unten“ erfolglos zu retten suchten. Die Faschismus-Definition von Dimitroff und der stalinisierten Komintern verkannte das Neue und Besondere des Faschismus. Er wurde als Ausdruck der „reaktionärsten und aggressivsten“ Teile des Kapitals angesehen. Das ist zwar „allgemein gesehen“ nicht falsch, was die historische Funktion des Faschismus anbetraf, doch ansonsten missverstand Dimitroff dessen Eigenart, dass er eben nicht ein Projekt des Großkapitals war, sondern sich aus der Mitte rekrutierte und auch deren besondere soziale Lage und Interessen ausdrückte. Die aus dieser schiefen Analyse entspringende Politik musste zur Niederlage führen. Nur die Einheitsfront der Arbeiterbewegung konnte die Nazis stoppen. Stattdessen hat die Sozialfaschismus-“Theorie“ der KPD diese unmöglich gemacht.
Schon vor 1933 sprach die KPD von der „Faschisierung“ und verwischte damit den Unterschied zwischen der reaktionären Notverordnungspolitik der Regierungen von Brüning oder Papen und der tödlichen Gefahr einer wirklich faschistischen Diktatur Hitlers. „Nach Hitler kommen wir“, tönte die KPD-Propaganda. Doch anstatt dass Hitler „schnell abgewirtschaftet hatte“ und die KPD an die Macht kam, wurde die Arbeiterbewegung verboten und vom Gestapo-Terror zerschlagen.
Die Alternative zur fatalen Politik von SPD und KPD stellten die Konzepte von SAP, KPD(O) und von Trotzki dar, die in wesentlichen Fragen eine richtige Orientierung – die der antifaschistischen Arbeiter-Einheitsfront – vertraten. V.a. die umfangreichen Analysen und politischen Vorschläge Trotzkis zeigten einen Weg auf, wie der Faschismus hätte geschlagen werden können. Selbst im historischen Nachhinein sind die Exaktheit und Konsequenz der Ansichten Trotzkis beeindruckend.
Ist die AfD faschistisch?
Nicht jede rechte Gruppierung kann als faschistisch charakterisiert werden – schon, weil der Begriff dann jede Spezifik und jeden Sinn verlieren würde. Die Funktion einer faschistischen Partei für das Kapital besteht darin, ihm mittels einer aggressiven Außen- und Militärpolitik (wieder) „Weltgeltung“ zu verschaffen. Dazu müssen im Inneren die Arbeiterbewegung und die Demokratie zerschlagen werden. Davon kann bei der AfD keine Rede sein. Sie vertritt eher die „nationalen“ Fraktionen der Bourgeoisie, das Kleinbürgertum und die „Mitte“, nicht das Großkapital und die global orientierten Dax-Konzerne. Sie wendet sich gegen den Ukrainekrieg und forciert ihn nicht wie die anderen bürgerlichen Parteien. Sie wendet sich nicht gegen die Einrichtungen der Demokratie – sie nutzt sie aus und richtet sich tw. sogar gegen deren Einschränkung durch den Staat, z.B. während der Corona-Lockdowns. Die AfD verfügt nicht über eine SA o.a. militante Strukturen, auch ihre Verbindungen zur militanten rechten Szene ersetzen diese nicht.
Obwohl nicht auszuschließen ist, dass die AfD ihren Charakter noch ändern kann, ist doch klar, dass sie aktuell keine faschistische Kraft ist. Während der historische „wirkliche“ Faschismus als Opposition begann, gehen die aktuellen antisozialen und antidemokratischen Attacken und die Kriegstreiberei von Staat und Regierung aus. Nicht die AfD hebelt demokratische Rechte aus, nicht die AfD führt uns in den Krieg. Sicher: Wir müssen die AfD bekämpfen – aber nicht Seit an Seit mit anderen bürgerlichen Parteien und dem Staat. Wir müssen die AfD bekämpfen – aber nicht, indem wir die Agenda der Ampel teilen und ihr zubilligen, dass sie „humane Werte“ vertreten und die Demokratie verteidigen würde. Wir müssen die AfD bekämpfen – nicht (nur), weil sie besonders rechts ist, sondern weil sie eine bürgerliche Partei ist! Auch im historischen Vergleich ähnelt die AfD viel mehr Parteien wie der deutsch-nationalen DNVP als der NSDAP.
Die Anti-Rechts-Kampagne
Wenn die Demokratie eingeschränkt wird, wenn neoliberale Politik praktiziert wird, wenn Rüstung und Kriegspolitik forciert werden, dann erfolgt das nicht durch die AfD, sondern durch die Regierung und die „Opposition“ der Union. Die Ampel, der Staat, die Großmedien – alle hetzen für Krieg und Aufrüstung. Selbst in der Asylpolitik braucht es nicht die – zudem völlig überzeichnete – „Ausländerfeindlichkeit“ der AfD, weil die Ampel und die Union selbst die „Festung Europa“ immer ungenierter ausbauen.
Welchen Zweck verfolgt also die offizielle Kampagne der Herrschenden gegen die AfD und die „rechte Gefahr“? Ihnen geht es im Kern nicht um die Rechten. Seit Jahren – Stichwort NSU – versagen sie beim Kampf gegen die militante Rechte, seit Jahren wissen wir, dass gerade im Staatsapparat, in Polizei, Armee und Geheimdiensten nicht wenige Rechte zu finden sind und die Sympathie für die AfD besonders groß ist.
Die Anti-Rechts-Kampagne ist wesentlich dafür da, den Menschen eine völlig übertriebene rechte Gefahr vorzugaukeln, um von der eigentlichen Gefahr, von den eigentlichen Angriffen abzulenken, die von der Ampel-Regierung ausgehen. Nicht die AfD bedroht den Rechtsstaat, sondern ihre vorgeblichen Verteidiger wie z.B. Innenministerin Nancy Faeser (SPD), Rüstungslobbyistin Strack-Zimmermann (FDP), Außenministerin Baerbock (Grüne), die Russland Mal eben so den Krieg erklärt, „Verteidigungs“minister Pistorius (SPD) oder bizarre Figuren wie Karl Lauterbach (SPD).
Diese Scheinheiligkeit von Verbrechern, die „Haltet den Dieb“ rufen, ist nicht neu. Jede Politik, wie falsch und reaktionär sie auch sein mag, tarnt sich immer mit gut klingenden, hochmoralischen und demokratischen Phrasen. Das Problem heute ist allerdings, dass auch viele Linke und die Arbeiterbewegung, v.a. die Gewerkschaften, dieser Propaganda auf den Leim gehen und ihr mehr oder weniger folgen, anstatt sie zu bekämpfen. So lange das der Fall ist, muss sich niemand wundern, wenn die Ampel (und ihre pseudo-oppositionellen Nachfolger um Friedrich Merz) ihre Agenda umsetzt und die AfD als bürgerliche Opposition davon profitiert.
Das „linke“ Gerede von der Gefahr der Faschisierung offenbart nicht nur völlige Unkenntnis der historischen Erfahrung mit dem Faschismus und dem Kampf gegen ihn, sondern auch eine weitgehende Unfähigkeit zur Analyse der Realität.