Eine Kritik an den „Politischen Grundsätzen (Für den Kommunismus)“ der „Gruppe Internationale Kommunisten“ (GIS) (http://gis.blogsport.de/2013/12/23/fuer-den-kommunismus/)
Hanns Graaf
In diesem Text legt die GIS ihr grundsätzliches methodisch-programmatisches Verständnis von Kommunismus und Klassenkampf dar. Er enthält ein klares Bekenntnis zum Kommunismus und zur revolutionären Überwindung des Kapitalismus. Sein Hauptmangel ist das weitgehende Unverständnis dessen, was Klassenkampf ist und wie ein revolutionäres Subjekt darin eingreifen und sich stärken kann. Insofern könnte „Das Ziel ist alles, der Weg ist nichts“ ein passender Slogan für die GIS sein. Der recht umfangreiche Text kann hier nicht in Gänze behandelt werden. Unsere Kritik beschränkt sich daher auf einige zentrale Aussagen.
Kapitalismus-Analyse
In Kapitel 1 „Die grundlegenden Widersprüche des Systems“ bezieht sich die GIS positiv auf Marxens Postulat der Tendenz der fallenden Profitrate. Dazu heißt es: „Wenn der Wert des investierten Kapitals und die Arbeitsproduktivität ansteigen, kommt es zu einem tendenziellen Fall dieser durchschnittlichen Profitrate.“ Und weiter: „Die Steigerung des konstanten Kapitals zu Lasten des variablen Kapitals (der menschlichen Arbeitskraft) führt zu einer höheren organischen Zusammensetzung des Kapitals (d.h. des Verhältnisses von konstantem zu variablem Kapital).“
Dass es diese Tendenz gibt, ist unstrittig. Marx identifiziert sie auf betrieblicher Ebene. Eine empirische Untersuchung dieser Tendenz für die Gesamtökonomie gibt es bei ihm allerdings nicht. Das war Marx auch gar nicht möglich, weil es dafür schlicht keine ausreichende Grundlage an Daten gab. Inwieweit man nun trotzdem eine „betriebliche“ Tendenz auf die Gesamtwirtschaft übertragen kann, ist sehr fraglich. Wenn es diese grundsätzliche Tendenz in dem Sinne von Marx wirklich gäbe, müsste der Kapitalismus 150 Jahre nach Marx deutlich davon geprägt sein. Das ist empirisch jedoch nicht belegbar. Dazu muss noch bedacht werden, dass Marx mit dem Profitratenfall auch die Annahme verbunden hat, dass sich die industrielle Reservearmee durch die permanente Ersetzung lebendiger Arbeit durch Maschinerie vergrößern würde. Dazu käme noch (was sicher richtig ist), dass Millionen von Nichtproletariern (Bauern, Kleinbürgertum) proletarisiert werden, also die Reservearmee zusätzlich vergrößern.
Trotz aller gegenläufigen Tendenzen (z.B. Ausweitung des Weltmarkts, Verkürzung der Arbeitszeit) müssten wir in 150 Jahren kapitalistischer Entwicklung seit Marx eine permanente Zunahme von Arbeitslosigkeit beobachten. Auch eine solche generelle Entwicklung hat es u.E. aber nicht gegeben – aus zwei Gründen. Erstens haben sich der „unproduktive“ Sektor, d.h. der Staat bzw. staatliche Funktionen, massiv vergrößert (Verwaltung, Bildung, Wissenschaft, Sozialsystem). M.aW.: die lohnabhängigen Mittelschichten sind enorm gewachsen. Zweitens ist die lebendige Arbeit aus dem Arbeitsprozess nicht „verschwunden“ – im dem Sinn, dass sie gegenüber der „toten Arbeit“, der Maschinerie, abnimmt. Sie ist nur in andere Bereiche gewandert (Wissenschaft, F/E, Bildung, Werbung, Finanzwesen usw.). D.h. in der Maschinerie (konstantes Kapital) ist genauso viel (oder sogar mehr) lebendige Arbeit enthalten wie früher, nur geht sie oft auf einer „Vorstufe“ der Produktion oder danach darin ein. Auf betrieblicher Ebene stellt sich das jedoch nur z.T. dar.
Die ganze Frage harrt noch einer angemessenen Untersuchung, die der „Marxismus“ – wie so vieles andere – bisher leider nicht geleistet hat.
Im Abschnitt „Imperialismus“ heißt es: „Eine ökonomische Krise vom Typus des 19. Jahrhunderts entwertet nicht mehr länger genügend Kapital, um einen neuen Akkumulationszyklus in Gang zu setzen.“ Folgende Überlegung: Wenn es stimmt, dass sich die wissenschaftlich-technische Revolution immer schneller vollzieht, dann ist auch das Tempo der Entwertung/Ersetzung von C-Kapital immer höher. Die Umschlagzeit des Kapitals wird immer kürzer. Warum wird dann aber nicht „genügend Kapital“ entwertet? Eure Feststellungen bezüglich der Krisen trifft auf verschiedene Krisen, darunter auf jene von 2008, sicher zu. Ob man das allerdings verallgemeinern kann …?
Was in diesem Kapitel insgesamt auffällt, ist, dass wichtige neue Tendenzen des Imperialismus, z.B. die Ausdehnung der unproduktiven Sektoren und deren Einfluss auf die Profitraten-Entwicklung gar nicht betrachtet wird. Dasselbe Phänomen hat auch Auswirkungen für die Klassenstruktur im Kapitalismus und die Klassenverhältnisse. Die lohnabhängigen Mittelschichten sind heute von enormer Bedeutung – z.T. als Hindernis, z.T. als Initiator im Klassenkampf. Diese Schichten finden wir heute – ganz anders als zu Marx` Zeiten – in jeder Pore der bürgerlichen Gesellschaft. Der Staat, die Demokratie, das politische System, die Ideologie usw. werden von ihr stark geprägt. Was heißt das für den Klassenkampf? Was sagt die Linke? Keine Antwort, nirgends. Auch nicht bei Euch. Die Annahme von Marx, nach der die Mittelschichten erodieren und auch deshalb die Polarisierung der Gesellschaft in zwei rivalisierende Hauptklassen zunimmt, stimmt also so nicht in Gänze. Was folgt daraus …?
Staatskapitalismus
Im Abschnitt „Der Staatskapitalismus“ wird ausgeführt: „Dieser Staatskapitalismus machte wie der Imperialismus verschiedene Stadien durch. Der Staat begann nun im Prozess der Kapitalakkumulation eine Rolle zu spielen, die während des Konkurrenzkapitalismus des 19. Jahrhunderts noch undenkbar gewesen wäre.“ Das ist korrekt. Weiter heißt es: „Nur die Kommunistische Linke gelangte zum Verständnis, dass die UdSSR eine besondere Form des Staatskapitalismus darstellte.“ Das ist in zweifacher Hinsicht unrichtig. Erstens: Was ist die „Kommunistische Linke“? Zählt dazu nur jener Teil, der die UdSSR als staatskapitalistisch ansieht? Dazu zählen aber sehr verschiedene Milieus; ein Teil des Trotzkismus, das Gros des Anarchismus, der Maoismus … Ein methodisches Problem dieser „Zuordnung“ ist, dass nur eine Position als Kriterium genommen wird. Das ist unzureichend.
Zweitens: Staatskapitalismus gab es nur in Gestalt der stalinistischen Länder, weil nur dort der Staat wirklich Eigentümer der Produktionsmittel war. Im „westlichen“ Kapitalismus war das nicht oder nur ausnahmsweise der Fall, was selbst auch an anderer Stelle zugegeben wird. Dort, im „westlichen“ Kapitalismus, handelt es sich nur bzw. v.a. um staatliche Regulationsmaßnahmen. Es wäre besser, bezüglich dieser Länder vom „Etatismus“ zu sprechen, um sie von den wirklich staatskapitalistischen Ländern des Ostblocks zu unterscheiden.
Klassenbewusstsein und Selbstorganisation
Im Teil „Das Klassenbewusstsein“ wird ausgeführt: „Die kommunistische Produktionsweise kann sich nicht innerhalb des kapitalistischen Systems entwickeln. Sie setzt den politischen Sturz der Bourgeoisie durch den bewussten und aktiven Kampf der Klasse voraus. Erst wenn die Arbeiterklasse die Bourgeoisie entmachtet hat, kann sie die Aufgabe der ökonomischen Umgestaltung der Gesellschaft in Angriff nehmen. Alles andere wäre schlichtweg Reformismus.“
Das stimmt so nicht. Erstens suggeriert Ihr hier, dass das Proletariat überhaupt keine „eigenen“ Wirtschafts- und Sozialstrukturen im Kapitalismus schaffen könne, da Ihr z.B. Genossenschaften nirgends erwähnt. Die Praxis des Klassenkampfes beweist aber, dass es vielfältige Initiativen diesbezüglich gibt: Genossenschaften (im produzierenden wie im konsumtiven Bereich) und diverse „selbstverwaltete Projekte“. Um das Jahr 2000 gab es selbst in Deutschland ca. 400.000 (!) Menschen – das sind immerhin 1% aller Beschäftigten – in solchen Projekten. In anderen Ländern liegt der Anteil tw. noch höher.
Solche Projekte verkörpern natürlich noch keine andere Produktionsweise – weder qualitativ noch quantitativ. Sie sind aber Ansätze, die kapitalistische Verwertungslogik zurück zu drängen und verweisen auf eine Alternative. Sie sind wichtig, um den Widerspruch zum und die Kritik am Kapitalismus praktisch zu machen und Erfahrungen im Kampf für den Sozialismus zu sammeln. Mit Reformismus hat das zunächst gar nichts zu tun – sehr viel aber mit dem Unverständnis der radikalen Linken vom Klassenkampf. Es ist kein Zufall, dass gerade auch der Stalinismus, dem jede Selbstständigkeit und Selbstorganisation der Klasse suspekt war, gegen solche Genossenschafts-Initiativen eintrat (mit gewissen Ausnahmen v.a. im Agrarbereich). Ein Problem des russischen Proletariats 1917 war ja, dass es (im Unterschied zu den Bauern und ihrem Gemeineigentum, dem „Mir“) überhaupt keine solchen „genossenschaftlichen“ Erfahrungen hatte und umso leichter dem „Verstaatlichungswahn“ nachgab. Die Bolschewiki, aus der Tradition der II. Internationale kommend, haben ebenfalls das Genossenschafts- und Selbstverwaltungssystem komplett vernachlässigt und alles in die Hände des Staates gelegt. Das war einer der Hauptgründe für den folgenden Stalinismus und den Untergang dieses Systems. Alle Strukturen und Konzepte dafür waren schon vor Stalin da – es gibt hier eine grundsätzliche Kontinuität zwischen Bolschewismus und Stalinismus. Übrigens hat auch Marx nie den Kampf um Genossenschaften schon im Kapitalismus abgelehnt (she. dazu z.B. seine Ausführungen zu Lassalles Vorstellungen in den „Randglossen zum Gothaer Programm“). Im Gegenteil: Er wies mehrfach darauf hin, dass das Proletariat die Produktionsmittel direkt, d.h. ohne einen dazwischen tretenden Staat, verwalten muss. Man lese Lenins „Staat und Revolution“ genau und man wird darauf stoßen, dass Lenin das durchaus anders sah.
In diesem Abschnitt wie auch im Teil „Die Organisation der Revolutionäre“ geht die GIS auf die Bildung bzw. die Veränderung von Klassenbewusstsein ein. Sie schreibt: „Ihre (die Revolutionäre, d.A.) Aufgabe besteht in der Auswertung und Verallgemeinerungen von Kampferfahrungen und in der Verteidigung und Weiterentwicklung des revolutionären Programms.“ Das ist zweifellos richtig, aber nur die halbe Wahrheit.
Als MaterialistInnen gehen wir davon aus, dass das Bewusstsein wesentlich – aber nicht nur und nicht immer direkt (!) – vom Sein geprägt wird, auch das Klassenbewusstsein. So wäre ein Klassenbewusstsein ohne das „Sein“ in Form von proletarischen Organisationen und realen Klassenkämpfen unmöglich. Ihr stellt aber die Bildung von Klassenbewusstsein tendenziell so dar, als sei das nur eine Art von „Bildungsarbeit“, von Propaganda. Doch so, wie z.B. eine revolutionäre Partei als „Seins-Realitität“ für RevolutionärInnen unverzichtbar ist, können genauso auch „genossenschaftliche“ Strukturen eine Rolle spielen, um Klassenbewusstsein zu prägen (wenn auch vielleicht nicht immer ein „rein revolutionäres“). Diese Seite der Medaille seht Ihr offenbar nicht, doch diese „Einäugigkeit“ teilt Ihr mit dem Gros der Linken. In der GIS-Position schimmert auch ein wenig die durchaus unmarxistische und tendenziell idealistische Auffassung von Kautsky und Lenin durch, nach der das sozialistische Bewusstsein nur von außen, von der Partei, in die Klasse getragen werden könne. Das ist aber schon deshalb unrichtig, weil fast alle Inhalte des „sozialistischen Programms“ vom Proletariat selbst nach Erfahrungen im Klassenkampf „ausgedacht“ wurden und erst danach ins Programm „geschrieben“ werden konnten.
Nationalismus und Anti-Imperialismus
Erhebliche Probleme habe ich mit dem Abschnitt „Nationalismus und der Mythos der „nationalen Befreiung“. Dort steht: „Die ArbeiterInnenklasse aufzufordern, sich an einer nationalen Bewegung zu beteiligen, bedeutet, sie auf die Schlachtbank des Kapitalismus zu führen. Ebenso wenig sind diese Kämpfe „antiimperialistisch“.“
An dieser Passage ist so ziemlich alles falsch. 1. ist das Streben nach nationaler Befreiung kein Mythos, sondern Ergebnis nationaler Unterdrückung und Ausdruck von Freiheitssehnsucht. Sicher sind die damit verbundenen Vorstellungen oft illusionär, bürgerlich, begrenzt und nicht per se anti-kapitalistisch. Das trifft aber auf alle anderen Formen von „Widerstand“ genauso zu. Ihr würdet Euch doch auch nicht gegen einen Streik aussprechen, weil die Beteiligten nicht von Beginn an auch das Lohnarbeitsverhältnis insgesamt in Frage stellen? 2. Ihr behauptet, sich an einer nationalen Bewegung zu beteiligen, würde bedeuten, die Arbeiterklasse „auf die Schlachtbank des Kapitalismus zu führen“. Nach dieser Logik hättet Ihr die Partisanenkämpfe gegen die Wehrmacht, die ja nicht immer zugleich auch anti-kapitalistisch waren, ablehnen müssen?! Zudem: Warum ein Kampf gegen nationale Unterdrückung (meist durch den Imperialismus) zum Desaster führen muss, erschließt sich logisch nicht. Ist eine Nichtbeteiligung besser?!
3. Warum der Kampf gegen nationale Unterdrückung, die ja direkt oder indirekt durch den Imperialismus entsteht, kein anti-imperialistischer Kampf sein soll, bleibt Euer Geheimnis. Es gibt unzählige Beispiele dafür, dass antikapitalistische Kräfte auch oder überhaupt nur Einfluss erlangt haben, weil sie sich aktiv oder sogar führend am nationalen Befreiungskampf beteiligt haben. Und andererseits gibt es auch genügend Beispiele dafür, zu welchem Desaster es geführt hat, wenn sie es nicht taten (z.B. die Stalinisten, die den anti-imperialistischen Kampf gegen den britischen Imperialismus im 2. Weltkrieg ablehnten). Eure Position widerspricht also auch den realen historischen Erfahrungen. Sicher sind die meisten anti-imperialitischen Bewegungen bürgerlich geführt, doch das ist kein Grund, sich vom Kampf fernzuhalten. Vielmehr muss in diesen mit revolutionär-proletarischen Zielen und Methoden eingegriffen werden. Die frühe Komintern hat eine solche Politik in Gestalt der Taktik der „antiimperialistischen Einheitsfront“ systematisch formuliert, der Stalinismus hat das über Bord geworfen.
Ihr schreibt: „Antiimperialistisch zu handeln bedeutet heute, gegen das System als Ganzes vorzugehen.“ Das ist eine Phrase. Kein Klassenkampf (vom der eigentlichen Revolutionsakt abgesehen) kann gegen „das System als Ganzes“ vorgehen. Er kann sich immer nur gegen bestimmte Aspekte richten und nur seine revolutionäre Gesamtdynamik kann letztlich das System gänzlich überwinden.
Rassismus
Im Abschnitt „Rassismus“ zitiert Ihr Marx: „Alle industriellen und kommerziellen Zentren Englands besitzen jetzt eine Arbeiterklasse, die in zwei feindliche Lager gespalten ist, englische proletarians und irische proletarians. Der gewöhnliche englische Arbeiter hasst den irischen Arbeiter als einen Konkurrenten, welcher den standard of life herabdrücke. Er fühlt sich ihm gegenüber als Glied der herrschenden Nation und macht sich deswegen zum Werkzeug seiner Aristokraten und Kapitalisten gegen Irland, befestigt damit deren Herrschaft über sich selbst. Er hegt religiöse Vorurteile gegen ihn. Er verhält sich ungefähr zu ihm wie die armen Weißen zu den Schwarzen in den ehemaligen Sklavenhalterstaaten der amerikanischen Union. Der Irländer zahlt mit gleicher Münze zurück. Er sieht zugleich in dem englischen Arbeiter den Mitschuldigen und das stupide Werkzeug der englischen Herrschaft in Irland. Dieser Antagonismus wird künstlich wach gehalten und gesteigert durch die Presse, die Kanzel, die Witzblätter, kurz alle den herrschenden Klassen zu Gebot stehenden Mittel. Dieser Antagonismus ist das Geheimnis der Ohnmacht der englischen Arbeiterklasse, trotz ihrer Organisation. Es ist das Geheimnis der Machterhaltung der Kapitalistenklasse.“
Marx (wie auch Lenin) unterscheidet nicht zufällig den Nationalismus der unterdrückten Nation von jenem der unterdrückenden. Marx´ Schlussfolgerung war nun aber keineswegs nur eine allgemeine Verurteilung des Nationalismus, sondern die „kritische“ Unterstützung des Befreiungskampfes der Iren gegen das britische Empire. Ähnlich positionierten sich Marx und Engels in der „nationalen“ Frage des Konfliktes zwischen Deutschland und Frankreich 1870/71. Wie ihr Marx als „Kronzeugen“ für Euer Sektierertum in der nationalen Frage anführt, so erfüllt es durchaus den Tatbestand der bewussten Irreführung.
Eure Position zur nationalen Frage bedeutet im Grunde, einen wesentlichen Teil von Widerstand und Klassenkampf zu ignorieren – zugunsten einer abstrakten Phrase vom „reinen Antikapitalismus“. Doch diesen gibt es so wenig wie den reinen Kapitalismus. Dieser hat ganz verschiedene Seiten und Ausprägungen: Krise – Konjunktur, Imperialismus – Halbkolonien, Demokratie – Diktatur usw. usf. Antikapitalismus macht nur Sinn, wenn er diese konkreten Erscheinungsformen berücksichtigt und jeweils konkrete Taktiken dafür anwendet. Wir werden weiter unten noch zeigen, dass das Hauptproblem Eurer gesamten Methode darin besteht, dass Ihr diesen Zusammenhang nicht versteht und statt konkreter Politik und eines Systems von Taktiken nur allgemeine Absichtserklärungen zu bieten habt.
Anti-Faschismus
Dieselbe falsche Methode zeigt sich in der Frage des Faschismus und der Bündnispolitik. Dazu schreibt Ihr u.a.: „Wir lehnen jede Beteiligung an den diversen antifaschistischen Bündnissen und Kampagnen zur „Verteidigung der Demokratie“ ab. Diese stellen reaktionäre Sackgassen dar, um die ArbeiterInnenklasse vor den Karren des „demokratischen“ aber dennoch bürgerlichen Staates zu spannen. Die ganze Logik des Antifaschismus besteht darin, dem Faschismus widerstehen zu wollen, indem man die Demokratie verteidigt.“
Bei aller Richtigkeit Eurer Kritik an der inhaltlichen Ausrichtung des „Antifaschismus“, den Illusionen in die Demokratie, die Kooperation mit dem Staat und offen bürgerlichen Kräften usw. und trotz etlicher richtiger Feststellungen ist Eure Schlussfolgerung wieder nur totales Sektierertum und Ablehnung jeder Taktik. Praktisch bedeutet das, dass Ihr den antifaschistischen Kampf als wichtigen Teil des Antikapitalismus schwächt und unterminiert. Um es ganz simpel auszudrücken: das Proletariat ist völlig unfähig, den Kapitalismus zu überwinden, wenn es ihm nicht gelingt, bestimmte Bündnispartner zu gewinnen. Dass das Proletariat die einzige konsequent revolutionäre Klasse ist und die Führung im Kampf haben muss (Führung bedeutet ja an sich schon, dass es offenbar noch andere „Mitkämpfer“ gibt), heißt nicht, dass es allein kämpfen sollte und könnte. Der Verzicht auf Bündnisse bzw. der Verzicht auf konkrete Bündnis-Taktiken bedeutet also nicht nur, die Klasse zu isolieren und deren Kampffront zu schwächen – es heißt überhaupt, den Sturz des Kapitalismus zwar zu proklamieren, ihn aber zugleich unmöglich zu machen. So kommt man zu schönen „reinen“ Prinzipien, aber nicht zum Kommunismus.
Ihr behauptet: „Die ganze Logik des Antifaschismus besteht darin, dem Faschismus widerstehen zu wollen, indem man die Demokratie verteidigt.“ Das ist schon deshalb verkehrt, weil eine solche Haltung überhaupt nicht auf alle Teile des „Antifaschismus“ zutrifft. Der Fehler liegt hier auch keineswegs nur oder v.a. darin, dass „die Demokratie“ verteidigt wird, obgleich diese natürlich jeder bürgerlichen Diktatur vorzuziehen ist. Der Fehler ist hier v.a., dass der Klassenkampf auf den Kampf gegen Faschisten und für die Demokratie begrenzt wird. Das ist aber eine andere Art von Kritik, als Ihr sie formuliert.
Bündnispolitik
Schon in der Kapitel-Überschrift betont Ihr: „gegen alle Einheits- und Volksfronten!“ Darüber kann man nur verwundert den Kopf schütteln. Zunächst sind Einheits- und Volksfronten nicht nur ganz verschiedene, sondern im Wesen entgegengesetzte Konzepte. Es ist bezeichnend genug, dass Ihr beide Taktiken zwar ablehnt, aber überhaupt nicht ausführt, was diese Taktiken überhaupt sind und wodurch sie sich unterscheiden. Was Ihr darüber schreibt, zeugt von einer totalen Unkenntnis der Einheitsfront-Taktik. Diese wurde ja als ein System von Taktiken von der frühen Komintern erarbeitet. Sie sieht nicht nur die gemeinsame Aktion von Kräften der Arbeiterbewegung und der Linken (nicht aber mit offen bürgerlichen Kräften wie bei der von den Stalinisten erfundenen Volksfront) vor. Zugleich betont die Komintern die Notwendigkeit der Propagandafreiheit und der Kritik an reformistischen oder zentristischen Kräften in der Einheitsfront. Die Einheitsfront ist also nicht nur ein – in jeder Hinsicht begrenztes – Kampfbündnis gegen die Bürgerlichen, sie ist zugleich auch eine Taktik des Kampfes gegen nichtrevolutionäre Kräfte in der Arbeiterbewegung.
Die Volksfont hingegen war immer als ein strategisches und Regierungsbündnis von Kräften der Arbeiterklasse und bürgerlichen Parteien konzipiert. Sie war v.a. dazu da, revolutionäre Entwicklungen zu stoppen (z.B. in Spanien oder Frankreich in den 1930ern) und das Proletariat an die Bourgeoisie zu fesseln. Damit diese überhaupt mitmacht, wurde im Volksfront-Programm von vornherein auf die Machteroberung und die Enteignung des Kapitals verzichtet.
Diese krassen Unterschiede zwischen Volks- und Einheitsfront nicht darzustellen, kann man nur als grobe Irreführung bezeichnen, die eventuell auf Unkenntnis beruht – was aber als Entschuldigung nicht gelten kann.
Gewerkschaften und Streiks
Eine ähnliche Kopplung von Unkenntnis bzw. falscher „Analyse“ und Sektierertum finden wir auch im Kapitel 4 zu den Gewerkschaften. Dort heißt: „Heute können wir nur das absolute Versagen der Gewerkschaften feststellen, selbst die grundlegendsten ArbeiterInneninteressen zu verteidigen.“ Das ist offenkundig falsch, denn es gibt genug Beispiele dafür, wo die Gewerkschaften sehr wohl bestimmte Angriffe des Kapitals abgewehrt oder wenigstens gemildert haben, bestimmte Errungenschaften verteidigt oder sogar neue erkämpft haben. So stoppte v.a. der vom ADGB 1920 initiierte und getragene Generalstreik den Kapp-Putsch. Die sozialen Errungenschaften – so bürgerlich ihre Strukturen und Formen auch sein mögen – sind ohne das Wirken der Gewerkschaften undenkbar. Die 35-Stunden-Woche ist von der IG Metall erkämpft worden. Eigentlich ist es müßig, Eure krude Behauptung vom „absoluten Versagen“ zu widerlegen.
Geradezu dümmlich wird es aber hier: „Streiks, nicht Gewerkschaften sind die heutigen `Schulen des Sozialismus`.“ Erstens werden die meisten Streiks von Gewerkschaften organisiert (von wem auch sonst?!) und geführt. Gewerkschaften und Streiks gegeneinander zu stellen, ist so, wie das Schiff zu befürworten, aber den Ozean abzulehnen. Zweitens: Da Streiks meist von Reformisten geführt werden, ist ihr Charakter (Ziele, Methoden, Strukturen) auch entsprechend. Warum trotzdem Streiks – per se – „Schulen des Sozialismus“ sein sollen, Gewerkschaften jedoch nicht, bleibt ein Rätsel. Weder die einen noch die andern sind „Schulen des Sozialismus“. Sie sind entweder Schulen des Reformismus (was hin und wieder auch für Reformisten etwas Klassenkampf einschließt) oder sie sind wirklich Schulen des revolutionären Klassenkampfes – nämlich dann, wenn in ihnen RevolutionärInnen eine Rolle spielen oder gar die Führung haben. Das ist aber nur dann möglich, wenn man dort ist, „wo das Essen zubereitet wird“: in den Gewerkschaften und in den Streiks. Dafür aber braucht man Taktiken – es ist immer dasselbe Problem. Ihr habt sie nicht und werdet deshalb auch nie eine Rolle spielen können – außer die von Kommentatoren und Bewahrern der „reinen Lehre“ im staubfreien Schrein eines kommunistischen Tempels.
Das zeigt sich auch hier sehr schön: „Die einzige Alternative zu den Gewerkschaften besteht in der Selbstorganisation der Kämpfe – der Autonomie von unten. Die Aufgabe der RevolutionärInnen besteht darin, überall (mitunter auch in Gewerkschaftstreffen), wo die ArbeiterInnenklasse anzutreffen ist, für die kommunistische Perspektive zu kämpfen.“
Was heißt „Selbstorganisation“? Was ist „Autonomie von unten“? Welche Strukturen, welche Taktik, die dorthin führt – nichts Genaues erfährt man nicht. Wenn ich etwas autonom organisiere, ändere ich dadurch an der Herrschaft der Reformisten über die Gewerkschaften noch gar nichts. Im Gegenteil: ich überlasse diesen Bremsern den Führerstand und den ganzen Zug. Die „Autonomie“ der reformistischen Bürokratie von der Basis der Klasse, die es nämlich auch gibt, wird nicht dadurch beendet, dass man sich „unten“ oder „am Rande“ autonom organisiert, sondern dadurch, dass man die „Autonomen“ oben stürzt.
Ganz konkret: In Deutschland ist oft, jedoch nicht immer, zu beobachten, dass die Betriebsräte (v.a. je höher sie stehen) weniger militant sind (gelinde gesagt) als die Vertrauensleute. Beide gehören aber meist der Gewerkschaft an. Das sind die Fragen, die der Alltag des Klassenkampfes stellt. Ihr würdet den aktiven, linken, kämpferischen GewerkschafterInnen nach Eurer Logik sagen: Verlasst die Gewerkschaft, organisiert euch „autonom“. Wir würden Ihnen sagen: Kämpft in der Gewerkschaft darum, diese zu ändern. Dazu dienen z.B. Taktiken wie die des „Minority Movement“, der Aufbau einer revolutionären Gewerkschaftsfraktion o.a. Andere Vorgehensweisen – etwa die RGO-Politik der KPD – haben keinen Erfolg gehabt, sondern die KPD geschwächt und isoliert.
Reformismus
Dass die GIS von Reformismus wenig Ahnung hat, erweist auch der Absatz zur Sozialdemokratie.
Dort heißt es: „In Perioden starker Klassenkämpfe spielt sie eine zentrale Rolle bei der Verteidigung, indem sie sich als ArbeiterInnenpartei ausgibt. In Zeiten des Klassenfriedens verbreitet sie die Illusion, dass die ArbeiterInnen bei den Wahlen eine Wahl hätten. Die Sozialdemokratie ist eine wichtige ideologische Stütze des Kapitalismus und kann nicht für das Lager der ArbeiterInnenklasse zurückgewonnen werden.“
Schon die Unterteilung in Perioden und entsprechende Politik-Ausprägungen ist in dieser Art falsch. Alle von Euch richtig angeführten politischen „Manöver“ treten „periodenübergreifend“ immer auf und nicht nur manchmal. Die Formulierung „indem sie sich als ArbeiterInnenpartei ausgibt“ unterstellt, dass die Sozialdemokratie keine Arbeiterpartei wäre. Diese Darstellung ist völlig falsch. Einerseits methodisch, weil es nämlich völlig egal ist, als was sich eine Partei darstellt. Die CDU nennt sich „Volkspartei“, ist in ihrem Wesen aber keine. Die SPD ist eine bürgerliche Arbeiterpartei. Sie ist bürgerlich im Hinblick auf Programm, Politik, Führung, Apparat, innere Funktionsweise usw. Sie ist proletarisch, weil sie sich sozial auf die Gewerkschaften bzw. genauer auf deren Apparat (Arbeiterbürokratie) und Teile der Klasse (v.a. die Arbeiteraristokratie) stützt. Über diese Hebel beherrscht sie letztlich die gesamte Klasse. Würden diese (letzten) strukturellen Bindungen an die Klasse verschwinden, wäre die SPD nur eine „normale“ bürgerliche Partei. Dieser Bruch ist bei der SPD perspektivisch möglich, aber noch nicht erfolgt.
Die SPD (und ähnlich die Linkspartei) sind also in gewissem Sinne Hybride, deren innere Widersprüche in bestimmten Situationen des Klassenkampfes aufbrechen und von RevolutionärInnen mittels bestimmter Taktiken (da sind sie wieder) ausgenutzt werden können, um die Klasse vom Reformismus wegzubrechen.
Ihr habt zu dieser – strukturell entscheidenden Frage des Klassenkampfes in Deutschland und weltweit – weder eine brauchbare Analyse noch eine Taktik.
Zum Abschnitt „Erben der Konterrevolution: Die Linke des Kapitals“. Hier gibt es zweifellos viele richtige Einschätzungen, aber auch einige falsche. Auf einige der letzteren möchte ich hier eingehen.
Ihr schreibt: „Trotzki interpretierte die auf den ersten vier Kongressen der Komintern beschlossenen Richtlinien als die Grundlage revolutionärer Politik. Folgerichtig akzeptierte er die verhängnisvolle Vorstellung, dass die Sozialdemokratie eine proletarische Strömung sei, mit der man Abkommen und Bündnisse (sog. Einheitsfronten) schließen könnte. Die reaktionären Schlussfolgerungen dieser Sichtweise offenbarten sich 1935, als er seine AnhängerInnen anwies, den sozialdemokratischen Parteien beizutreten. Dies war die Grundlage der sog. Politik des Entrismus, d.h. der Mitarbeit der TrotzkistInnen in der Sozialdemokratie, also jener Kraft die den imperialistischen Krieg unterstützt und die Aufstände des Proletariats blutig niedergeschlagen hatte.“
Diese Aussage verbindet Geschichtsklitterung mit Unverständnis. Warum? Die Sozialdemokratie war damals eine proletarische, wenn auch reformistische, also politisch gesehen bürgerliche Kraft. Das hat auch Trotzki immer betont, nie sprach er von der Sozialdemokartei nur als einer Arbeiterpartei. Doch deren Mitgliedschaft war damals – anders als heute – fast durchweg proletarisch. Insofern war es nicht nur möglich, sondern – in bestimmten Situationen – auch notwendig, Bündnisse und Abkommen mit ihr zu schließen. Dass diese auch politischen Kampf bedeuten, haben wir weiter oben schon dargelegt.
Trotzkismus
Trotzki hat seine AnhängerInnen nie dazu aufgefordert, „den sozialdemokratischen Parteien beizutreten“. Der Entrismus (als Taktik, nicht als Strategie) wurde von Trotzki nur in bestimmten Situationen vorgeschlagen, so z.B. in Frankreich 1935. Er betonte, dass dies deshalb möglich und sinnvoll sei, weil die Sozialistische Partei (SP) damals in einer Krise war, sich nach links entwickelte und in ihr ein „pro-revolutionärer“ Flügel entstanden war. Nur deshalb (und aufgrund der Schwäche der Revolutionäre) erfolgte der Entrismus. Er diente dazu, a) revolutionäre Positionen in die SP zu tragen, Kräfte dafür zu gewinnen und aus der SP heraus zu führen. Dieses Wesen des Entrismus habt Ihr offenbar nicht verstanden. Ihr schreibt: „Dies war die Grundlage der sog. Politik des Entrismus“, ohne aber dieses „dies“ zu erläutern. Faktisch sagt Ihr nur, dass Entrismus Eintritt bedeutet, um das zu wissen, brauche ich keinen Marxismus, da reicht ein Wörterbuch.
Weiter. Ihr schreibt über die SP von 1935 (denn nur dort befürwortete Trotzki damals den Entrismus) als einer „Kraft, die den imperialistischen Krieg unterstützt und die Aufstände des Proletariats blutig niedergeschlagen hatte.“ Man kann der SP in den 1930ern viel vorwerfen, aber das nun gerade nicht. Weder hat die SP „Aufstände des Proletariats blutig niedergeschlagen“ noch hat sie damals – 1935 – „den imperialistischen Krieg (Welchen?) unterstützt“. In typisch sektiererischer Manier betrachtet ihr ein Phänomen des Klassenkampfs – hier die Krise und Linkswendung einer reformistischen Partei – nicht konkret, sondern abstrakt. Ihr seht nicht die politische Herausforderung und die Möglichkeiten, sondern nur die „Mängel“ und die „allgemeinen“ Merkmale. Ganz „allgemein“ ist auch der Mensch nur ein Säugetier …
Und es geht weiter mit der Demonstration völligen Unverständnisses des Trotzkismus (trotz einiger weniger richtiger kritischer Anmerkungen z.B. bezüglich der Ablehnung Trotzkis, die UdSSR als Staatskapitalismus zu begreifen, was aber wenig daran ändert, dass er eine Position des revolutionären Sturzes des Stalin-Regimes einnahm). Ihr schreibt: „Im Wesentlichen war das sog. „Übergangsprogramm“ nicht mehr und nicht weniger als eine Rückkehr zum Konzept des Minimalprogramms der Sozialdemokratie vor 1914. In ihm drückt sich besonders deutlich der tief verwurzelte Glaube der TrotzkistInnen aus, durch eine Reihe reformistischer Forderungen ein revolutionäres Bewusstsein hervorbringen zu können. Das ist kurz gefasst eine Politik, die sich auf Manipulationen stützt und der Arbeiter-Innenklasse die Fähigkeit abspricht, über ihre eigenen Kämpfe kommunistisches Bewusstsein zu erlangen.“
Hier muss man sich wirklich fragen, ob Ihr das Übergangsprogramms überhaupt gelesen habt? Darin tauchen z.B. Forderungen auf wie Arbeiterkontrolle, Räte, demokratische Streikkomitees, Arbeitermilizen und Sturz der bürgerlichen Regierung. Was hat das mit dem „Minimalprogramm der Sozialdemokratie vor 1914“ zu tun? Gar nichts. Offenbar habt Ihr auch diese Programme (Eisenacher, Gothaer und Erfurter Programm) nicht gelesen?! Auch sind die Übergangsforderungen Trotzkis keine „Reihe reformistischer Forderungen“, die „ein revolutionäres Bewusstsein hervorbringen zu können“. Hier erweist sich Eurer völlig absurdes Verständnis von Klassenkampf und Bewusstseinsentwicklung. Natürlich können reformistische Forderungen kein revolutionäres Bewusstsein erzeugen. Jedoch können sie – wenn für ihre Durchsetzung gekämpft wird – u.a. dazu führen, dass Situationen und Strukturen entstehen, in und mit denen das möglich ist. Die Russische Revolution ist ein Beispiel dafür, dass „reformistische“ Forderungen (Land, Brot, Frieden) die Massen mobilisierten und zu Räten, Milizen, Arbeiterkontrollkomitees usw. führten und die Bolschewiki für die Massen attraktiv machten, weil diese als einzige Partei – gewissermaßen – konsequente „Reformer“ waren, die für ihre Forderungen wirklich gekämpft haben. Allein mit der Losung „Für den Kommunismus“ hätten sie keine Massen gewinnen können.
Wenn Ihr schreibt, „Das ist kurz gefasst eine Politik, die sich auf Manipulationen stützt und der Arbeiter-Innenklasse die Fähigkeit abspricht, über ihre eigenen Kämpfe kommunistisches Bewusstsein zu erlangen“, dann zeugt das nicht nur von einem kompletten Unverständnis des Trotzkismus (jedenfalls dem von Trotzki und nicht dem vieler späterer „Trotzkisten“), es ist auch eine bewusste Lüge, denn Trotzki sagt ja ganz klar, dass die Übergangsmethode dazu dienen soll, die ArbeiterInnen für die revolutionäre Partei zu gewinnen. Nun kann man sagen, dass die Methode nicht zu diesem Ergebnis führt (Ihr führt diesen Nachweis nirgends), aber es ist grotesk, Trotzki selbst ein solches Wollen abzusprechen. Wenn man z.B. dafür wirbt, den Reformisten die Kontrolle über die Streikführung zu entreißen, Räte zu bilden usw., dann könnt Ihr doch nicht ernsthaft behaupten, dass damit den Massen die Fähigkeit abgesprochen würde, „über ihre eigenen Kämpfe kommunistisches Bewusstsein zu erlangen“. Ich war 25 Jahre Mitglied einer trotzkistischen Organisation und kann sagen, dass ich sowohl „den Trotzkismus“ wie auch die Kritiken daran sehr genau kenne. Aber solch einen kruden Unsinn darüber, wie Ihr ihn verbreitet, ist wirklich Komödien-Stadl. Eure „Kritik“ besteht zum größten Teil darin, einen Popanz aufzubauen, und dann kräftig darauf einzuschlagen.
Klassenkampf
Abschnitt 5 stellt die Aufgaben der RevolutionärInnen dar. Das ist eigentlich der wichtigste Teil eines Programms bzw. von Politischen Grundsätzen.
Zu Beginn gebt Ihr eine Art Gesamtschau: „Die Dominanz der bürgerlichen Ideologie hat zu einer merklichen Trennung der ArbeiterInnenklasse von ihren revolutionären Minderheiten geführt. Obwohl die ArbeiterInnenklasse heute größer und internationaler zusammengesetzt ist und die Globalisierung der Produktion ihre Vereinigung objektiv erleichtert, ist sie heute dennoch zersplitterter und desorientierter als je zuvor in ihrer Geschichte.“ Uns erscheint diese Darstellung zu einseitig. Die Trennung der Klasse von ihrer revolutionären Vorhut ist auch stark von Enttäuschungen und Niederlagen (Stalinismus) verursacht. Zudem, wer sind die „revolutionären Minderheiten“? Ich kenne keine einzige linke Organisation, die über ein revolutionäres Programm verfügen würde, das auf der Höhe der Zeit wäre. Die gesamte Linke ist reformistisch oder zentristisch geprägt. Die „Dominanz der bürgerlichen Ideologie“ – die es schon immer gab -, erstreckt sich z.T. auch auf die „radikale“ Linke. Z.B. auf dem Gebiet Klima / Energiewende / Umwelt dominieren obskure, unwissenschaftliche und reaktionäre Positionen in der Linken, die diese vom linken Kleinbürgertum übernommen hat.
Schauen wir uns nun Eure Vorstellung von Klassenkampf an. Dazu zwei Zitate von Euch: „Die Emanzipation der ArbeiterInnenklasse erfordert einen politischen Kampf um die Macht.“ Was hier aufscheint, ist ein Verständnis von Klassenkampf als nur oder vor allem als politischer Kampf. Das ist einseitig. Schon Marx postulierte 1875 in einem Brief an Bracke: „Jeder Schritt wirklicher Bewegung ist wichtiger als ein Dutzend Programme.“ Die meisten Linken interpretieren die „wirkliche Bewegung“ als Klassenkampf, nicht aber auch als die daraus wachsenden Strukturen – und wenn, dann nur als Organisationen (Partei, Gewerkschaft). Zu diesen gehören aber auch genossenschaftliche Strukturen im weitesten Sinn. Dazu schreibt Ihr: „Alle Versuche der ArbeiterInnenbewegung durch die Bildung von Konsumgenossenschaften oder selbstverwalteter Betriebe Strukturen einer auf Gemeineigentum beruhenden Produktion zu entwickeln sind stets an den politischen und ökonomischen Realitäten des Kapitalismus gescheitert.“ Das ist ein gut gepflegter Mythos gerade der „marxistischen“ Linken. Er hält aber weder einer historischen Prüfung stand, noch ist er bei Marx immer so ausgeführt. Hingegen beweist die Geschichte eher, dass das Proletariat nicht zur Klasse „für sich“ werden kann, wenn es nicht solche Strukturen erkämpft (in dieser Hinsicht hat auch Trotzkis „Übergangsprogramm“ einen Mangel).
Ihr meint, dass die Klasse die Staatsmacht erobern muss, um den Weg zum Kommunismus gehen zu können. Richtig. Allerdings ist die Formulierung „Eroberung der Staatsmacht“ unglücklich, denn das Proletariat soll keine Staatsmacht erobern, d.h. die vorhandene übernehmen, sondern eine eigene, völlig neue Rätemacht aufbauen. Doch andersherum stimmt auch, dass die Klasse zum Kommunismus gehen muss – so kurz und unzureichend, provisorisch und begrenzt auch immer – bevor sie bereit und in der Lage ist, die Macht zu erobern. Der „Große Sprung“ zur Macht wie in Russland 1917 war eine Ausnahme (v.a. für die entwickelten Länder), nicht die Regel. Die „Lenin-Adepten“ mit ihrer Idealisierung und Dogmatisierung der Russischen Revolution sind nur zu borniert, um etwas dazu zu lernen – aus der Geschichte, von der Gegenwart und von Marx. Eine konkrete und unvoreingenommene historische Analyse der Ergebnisse der Oktoberrevolution und der Politik der Bolschewiki zeigt ganz klar, dass die – gewollte (!) – Unterordnung des Proletariats unter einen Partei-Staat fatale Ergebnisse hatte und auch nur haben konnte.
Klassenkampf ist nicht nur politischer Kampf, er muss und kann auch ein Kampf um soziale Strukturen sein, in denen die Massen ein Stück weit die bürgerlichen Verhältnisse zurück drängen. Es ist ein wesentliches Dilemma der Arbeiterbewegung seit der II. Internationale (tw. auch schon bei Marx und seiner Kritik an den Frühsozialisten und den Anarchisten), v.a. aber durch Stalinismus und Sozialdemokratie, die Genossenschaftsfrage unterschätzt oder pervertiert zu haben. Auch Eure politische Methode weist dieses Manko auf.
In Euren „Grundsätzen“ fällt v.a. auf, dass sie überhaupt keine Forderungen enthalten, dass also konkrete Ziele für den Kampf fehlen. Lediglich der Kommunismus wird als „Maximalziel“ benannt. Genauso fehlen konkrete Vorschläge, wie der Klassenkampf geführt werden soll, d.h. es mangelt an einer Taktik und umso mehr an einem System von Taktiken. Ein revolutionäres Programm ist v.a. eine Anleitung zum Handeln. Dazu muss es konkret angeben, wer mit wem wie womit und wofür aktiv werden soll. Den Programmen der II. Internationale fehlte v.a. diese taktische Qualität (was auch Marx/Engels kaum kritisierten). Genauso bei Eurem Programm, das letztlich nur Kommentare und allgemeine Ziele bietet, aber keine konkrete Handlungsanleitung.
Kein Krieg kann gewonnen werden ohne die Anwendung bestimmter Taktiken. Kein Krieg kann gewonnen werden, wenn nicht alle wichtigen Frontabschnitte besetzt werden. Dasselbe trifft auf den Klassenkrieg zu. Mit der von Euch vorgeschlagenen politischen Methode kann das Proletariat nicht siegen, ja, es kann noch nicht einmal einen Schritt im Kampf voran kommen.
Die sehr tiefe historische Degeneration der Arbeiterbewegung, der Linken und des sog. „Marxismus“ muss und kann überwunden werden. Ihr leistet leider – trotz einiger durchaus richtiger Analysen und Positionen – insgesamt keinen relevanten Beitrag zur Lösung des Problems. Ihr seid mit Eurer undialektischen, formalistischen Methode selbst Teil des Problems. Gleichwohl kann sich das ändern, wozu wir hoffen, hier einige Anregungen gegeben zu haben.