Marxismus vs. Genossenschaften?

Hanns Graaf

In Diskussionen mit „MarxistInnen“, begegnen wir immer wieder großen Vorurteilen gegenüber dem Genossenschaftsgedanken. Wir möchten daher in diesem Beitrag erneut auf dieses Thema eingehen und einige häufig benutzte Argumente der „Genossenschafts-Skeptiker“ genauer betrachten.

1. Argument: Viele Genossenschaften sind ganz normale kapitalistische Unternehmen oder wurden dazu. Das zeigt, dass sie als Alternativstrukturen nicht taugen.

Dieser Befund ist insofern richtig, als es in der Tat viele Unternehmen gibt, die Genossenschaften sind oder sich so nennen, die nicht anders als „normale“ Unternehmen handeln, also gewinnorientiert arbeiten. Sie verkörpern weder irgendeine Art von Alternative noch sind die internen Abläufe und Strukturen oder die Stellung der Beschäftigten besser als anderswo. Nicht überall, wo Genossenschaft draufsteht, ist also auch Genossenschaft drin. Ansonsten wäre ja jedes Unternehmen, das auf Gruppeneigentum basiert, etwa eine GmbH oder eine AG, eine Genossenschaft. Es gibt allerdings Genossenschaften, die den Namen auch verdienen, und trotzdem zu „normalen“ Unternehmen mutiert sind. Das lässt sich nicht bestreiten. Doch: sind nicht auch Gewerkschaften und sogar revolutionäre Organisationen degeneriert – und zwar fast immer?! Lehnen RevolutionärInnen deshalb deren Notwendigkeit ab? Wohl kaum.

Wir müssen v.a. bedenken, warum viele Genossenschaften degeneriert oder als Unternehmung gescheitert sind. Tw. lag es daran, dass sie sich im Konkurrenzkampf – dem sie als Genossenschaften im produktiven oder im Konsumtionsbereich natürlich auch ausgesetzt sind – nicht behaupten konnten. Sehr oft haben wir es aber auch damit zu tun, dass Genossenschaften Teil eines reformistischen Milieus oder einer reformistischen Strategie waren. Das wirkte sich in vielfacher Hinsicht negativ aus. So war die Verwaltung/Führung der Genossenschaft nicht demokratisch-solidarisch und auf direkter Selbstverwaltung beruhend organisiert, sondern mehr oder weniger bürokratisch. Ergebnis dessen waren oft Misswirtschaft oder der Verfall des Genossenschaftsprinzips in jeder Hinsicht. Ein anderer Aspekt war, dass die Genossenschaften von der reformistisch dominierten Arbeiterbewegung gar nicht als „Instrumente“ bzw. als Teil des antikapitalistisch-revolutionären Kampfes angesehen wurden.

Die Missachtung oder die stiefmütterliche Behandlung der Genossenschaften durch den Reformismus drückt sich auch darin aus, dass er sich überhaupt nicht dafür einsetzt, Genossenschaften aufzubauen bzw. sie zu einem System auszubauen. Die Degeneration bzw. der Rückgang des Genossenschaftswesens war insofern eine notwendige Folge des Reformismus und repräsentiert einen Aspekt der allgemeinen Degeneration der Arbeiterbewegung. Es ist ja auch logisch, wenn etwa der reformistische DGB sich nicht für Genossenschaften engagiert, schließlich versteht er sich bzw. die Gewerkschaftsbürokratie als „Sozial“-Partner der kapitalistischen Privateigentümer und tritt daher nicht dafür ein, diesen ihre Pfründe, das Privateigentum an Produktionsmitteln, durch einen genossenschaftlichen Sektor ohne Privateigentum zu schmälern.

Festzustellen, dass Genossenschaften oft als alternativer Tiger starten, um dann als bürgerlicher Bettvorleger zu enden, ist also zu wenig, es muss dabei auch betrachtet werden, a) ob es sich dabei wirklich um Genossenschaften handelt und b) welche Ursachen das Scheitern hat.

2. Argument: Auch Genossenschaften sind Teil eines kapitalistischen wirtschaftlichen Gesamtmechanismus und der Konkurrenz unterworfen. Insofern können sie nicht alternativ handeln.

Dieses Argument stimmt nur zum Teil. Genossenschaftliche – oder im weiteren Sinn selbstverwaltete Strukturen – der ArbeiterInnen und Bauern gibt es oder kann es in nahezu allen gesellschaftlichen Sphären geben: in der Produktion, im Handel, in der Bildung, im sozialen und Dienstleistungssektor, in der Kultur usw. Das Problem der Konkurrenz (im ökonomischen Sinn) betrifft de facto fast nur Genossenschaften im produktiven und im Distributionsbereich. Selbst dort ist es aber möglich, und wurde auch schon erfolgreich praktiziert, dass es zwischen Produktions- und Konsumgenossenschaften Kooperationen gibt, wodurch die Konkurrenz z.T. ausgeschaltet ist. Alternatives wirtschaftliches Handeln wird hier in Ansätzen durchaus ganz praktisch, indem die Bedürfnisse der KonsumentInnen viel direkter Einfluss auf die Produktion haben und unproduktive Elemente wie z.B. Werbung eliminiert werden können.

Zweitens besteht das „wirtschaftliche Handeln“ nicht nur darin, wie das Unternehmen nach außen agiert. Gerade für eine Genossenschaft ist von zentraler Bedeutung, wie ihr inneres Regime aussieht: die Ausschaltung von Chefs, von Bürokratie, die Tatsache, dass die Beschäftigten bzw. die GenossenschafterInnen selbst direkt darüber entscheiden, wie und was produziert wird. Letzteres ist aufgrund der Einbindung des Einzelunternehmens in die kapitalistische Wirtschaft natürlich nur partiell möglich.

Das „Alternative“ einer Genossenschaft besteht in der Tat weitgehend in diesem anderen „inneren“ Mechanismus. Welch positive Wirkungen – auch durchaus im Sinne der Produktivität der Arbeit – ein solches kollektives Miteinander hat, wird auch daran deutlich, dass selbst in rein kapitalistischen Privatfirmen zunehmend versucht wird, flachere Hierarchien zu haben und bestimmte Formen kollektiver Selbstorganisation zu nutzen. Hieran zeigt sich – nebenbei bemerkt – auch, dass die Produktivkräfte, hier der Mensch selbst, immer mehr über den engen Rahmen der kapitalistischen Verhältnisse hinausdrängen.

Die Möglichkeit, durch eine andere innere Organisation der Arbeit – teilweise – die Entfremdung der Arbeit zu überwinden und den Einfluss des Kapitals bzw. des Staates zurückzudrängen, ist ein zentrales Bedürfnis von Menschen in genossenschaftlichen Projekten. Als ein wesentlicher Vorteil von Genossenschaften wird daher von den GenossenschafterInnen auch immer wieder genannt, dass sie selbst direkt entscheiden können, dass das Betriebsklima und die zwischenmenschlichen Beziehungen unter den KollegInnen besser und angenehmer sind. Hier wird die von Marx kritisierte „Entfremdung“ der Arbeit und der ArbeiterInnen ein Stück weit minimiert. Das Argument der Unmöglichkeit alternativen Handelns stimmt also nicht.

3. Argument: Es ist eine Grundthese des Marxismus, dass das Proletariat innerhalb des Kapitalismus keine eigene Produktionsweise etablieren kann. Das ist erst möglich, wenn das Proletariat mittels der Revolution die politische Macht ergriffen hat, um danach die gesamte Gesellschaft umzugestalten.

Diese These ist ohne Frage richtig. Doch was folgt daraus für den Genossenschaftsgedanken? Eine  Genossenschaft oder ein ganzes System von Genossenschaften ist noch lange keine Produktionsweise und kann auch nur Ansätze einer anderen Produktionsweise enthalten. Natürlich gibt es Vorstellungen, dass ein stets wachsendes Genossenschaftssystem – flankiert von sozialpolitischen u.a. Reformmaßnahmen – nach und nach zum Sozialismus führen würde und daher eine Revolution unnötig und eher störend wäre. Eine revolutionäre Einstellung zum Genossenschaftswesen, wie wir sie vertreten, lehnt eine solche Auffassung natürlich ab und weist diesbezügliche Unterstellungen von „MarxistInnen“ zurück.

Genossenschaften und selbstverwaltete Strukturen sind zunächst tatsächlich nur Inseln im Meer des Kapitalismus, die bestenfalls zu einem größeren Archipel verbunden werden können. Doch die vorherrschende Produktionsweise ist – qualitativ wie quantitativ – die kapitalistische. Das ist völlig klar.

Doch auch die Bourgeoisie konnte ihre Produktionsweise innerhalb der Feudalgesellschaft und vor der bürgerlichen Revolution nur in „Inseln“ etablieren. Das Gros der Wirtschaft war von feudalen Produktions- und Eigentumsstrukturen geprägt, die Sphäre des Staates, der Politik, des Rechts usw. ohnehin. Selbst im gewerblichen Sektor überwog die handwerkliche oder Manufakturproduktion, Industrie im eigentlichen Sinn gab es im 18. und Anfang des 19. Jahrhunderts noch kaum. Kapitalistisches Wirtschaften war durch zahllose Bestimmungen und Strukturen eingeschränkt. So behinderten die oft noch bestehenden Zünfte die kapitalistische Akkumulation.

Doch auch dieser kapitalistische Archipel war durchaus dafür ausreichend, dass sich die Bourgeoisie als „Klasse an sich“ und als „Klasse für sich“ etablieren und erhebliche politische, ideologische, administrative und ökonomisch-finanzielle Positionen erlangen konnte – doch nicht genug, so dass sie trotzdem mitunter auf die Barrikaden stieg – um sie freilich oft schnell wieder zu verlassen oder gar die Gewehre umzudrehen – gegen das aufkommende Proletariat.

Wir sehen also, dass „Inseln“ als Stützpunkte der Klassenformierung, des Klassenkampfes und der Revolution von immenser Bedeutung sind. Umso mehr erlangen sie nach der Revolution an Bedeutung als Ausgangspunkte für eine andere Wirtschaftsweise – wenn sie daran nicht wie etwa im Stalinismus gehindert werden. Wir behaupten nicht, dass in der nach-kapitalistischen Ökonomie Genossenschaften die wichtigste oder gar einzige Struktur sein können. Doch wir sind davon überzeugt, dass sie ein wichtiger Teil der ökonomischen Gesamtstruktur sein werden.

4. Argument: Die Bedeutung bzw. die Chancen von Genossenschaften werden immer geringer, da die Tendenz des Kapitalismus zur Zentralisation und Konzentration des Kapitals immer mehr zunehmen und damit die Produktivität der großen Kapitale besonders stark steigt.

Natürlich gibt es diese Tendenz, allerdings ist sie nicht für alle Branchen gleich relevant. Sie trifft v.a. auf die große Industrie und auf den Finanzbereich zu. Gerade dort aber spielen Genossenschaften kaum eine Rolle. Es ist schwer vorstellbar, dass etwa Konzerne wie VW oder Siemens Genossenschaften werden könnten. Aber selbst das deutsche Kapital besteht immer noch zum erheblichen Teil aus kleineren und mittleren Unternehmen, in denen auch die Mehrzahl der Beschäftigten arbeitet. Für viele Bereiche, wo Selbstverwaltungsstrukturen auch möglich sind – soziale Dienste, Kultur, Bildung, Wohnen usw. – spielt die Konkurrenz zum großen Kapital keine so große Rolle. Ein Beispiel dafür, dass neben und gegen die kapitalistischen Großstrukturen auch ein Spielraum existiert, sind etwa die Welt-Läden und Fairtrade-Strukturen. Auch die dürften ja gegen die großen Handels- und Agrarkonzerne eigentlich keine Chance haben, doch sie bestehen nun schon sehr lange. Eine andere, von Elementen der Selbstverwaltung (zumindest ursprünglich) geprägte Struktur waren bzw. sind die Kinderläden, zuerst eine Kreation der 68er.

Wir dürfen auch nicht vergessen, dass selbstverwaltete Strukturen gegenüber privaten oder staatlichen den Vorteil haben, dass sie bestimmte unproduktive Elemente minimieren können und keinen Profit für den persönlichen Unterhalt des Kapitalisten oder zur Finanzierung der Bürokratie aufbringen müssen – ein klarer Konkurrenzvorteil.

Schließlich müssen wir auch sehen, dass die objektiven Bedingungen für das Genossenschaftswesen gegenüber etwa der Zeit von Marx besser geworden sind, nicht schlechter. Im 19. und selbst noch zu Anfang des 20. Jahrhunderts war das Proletariat fast überall noch eine Minderheit der  Bevölkerung, während sie heute in fast allen Industriestaaten die große Mehrheit darstellt. Auch die Arbeiterbewegung ist heute rein quantitativ stärker und die soziale Lage der Arbeiterklasse ist heute tw. sogar erheblich besser als damals. Selbst wenn die relative Verarmung zugenommen haben sollte, so hat die absolute jedenfalls abgenommen. Das bedeutet, dass aufgrund der größeren Zahl, der höheren Organisiertheit (trotz der fatalen reformistischen Politik der Gewerkschaften und sozialdemokratischen Parteien) und des größeren finanziellen Spielraums der Arbeiterklasse auch ihre Möglichkeiten zum Aufbau und zur Verteidigung des Genossenschaftssystems objektiv deutlich besser sind als früher. Wenn es schon im 19. und zu Anfang des 20. Jahrhunderts möglich war, ein ganzes Geflecht von Genossenschaften aufzubauen, so verweist das doch nur darauf, was heute unter viel besseren Vorzeichen eigentlich möglich wäre.

5. Argument: Der revolutionäre Sturz des Kapitalismus kann nur gelingen, wenn die Arbeiterklasse auf die Revolution vorbereitet und orientiert wird. Genossenschaften hingegen fördern die Illusion der ArbeiterInnen, sich schon im Kapitalismus und ohne revolutionären Umsturz eine „sozialistische Nische“ schaffen zu können. Zudem lenkt die genossenschaftliche Initiative kleiner und kleinster Gruppen von Lohnabhängigen davon ab, dass jeder Fortschritt und natürlich umso mehr die Revolution nur von der gesamten Klasse erreicht werden können. Genossenschaften spalten die Klasse eher.

Die hier benannten Gefahren gibt es tatsächlich. In der Tat sind Genossenschaften – wie auch alle anderen Strukturen der Klasse (Partei, Gewerkschaft, Räte) – nicht davor gefeit, zu degenerieren und ihren eigentlichen Zweck, der Bekämpfung und Überwindung des Kapitalismus zu dienen, zu verfehlen. Insbesondere Niederlagen im Klassenkampf befördern solche Negativprozesse.  Andererseits hängt auch viel davon ab, inwieweit ein revolutionär-sozialistisches Bewusstsein in der Klasse präsent ist.

Die Geschichte zeigt sehr deutlich, dass Genossenschaften, die nicht bewusst als Teil des Klassenkampfes verstanden werden oder die reformistischem Einfluss unterliegen, oft degenerieren oder scheitern. Sie werden ihren Zweck – soziale Stützpunkte einer antikapitalistischen Alternative zu sein – nur erfüllen können, wenn in ihnen ein entsprechender Geist lebendig ist. Es ist genau wie in den Räten: auch diese sind nicht per se revolutionär-sozialistisch, sondern nur dann, wenn RevolutionärInnen in ihnen die Führung haben bzw. erringen. Der Aufbau, die Ausdehnung  und die Verteidigung des Genossenschaftswesens kann nur gelingen, wenn sich die Arbeiterbewegung insgesamt dafür engagiert.

Genauso kann nach der Revolution der Aufbau einer kommunistischen Gesellschaft nur gelingen, wenn das Proletariat bereits über genossenschaftliche Strukturen verfügt und entsprechende Erfahrungen in der Organisation und Verwaltung der Ökonomie und der Gesellschaft insgesamt besitzt. Ein zentrales Problem der russischen Revolution war doch gerade, dass das Proletariat dort über diese Qualität nicht verfügte und zudem die Politik der Bolschewiki dazu führte, dass alle Strukturen, die notwendig gewesen wären, eine solche Qualität  auszubilden, von einem monströsen Staatsapparat erdrückt worden sind. In der deutschen Revolution war es genau umgekehrt: es existierten Strukturen und Erfahrungen (wenn auch stark reformistisch geprägt), doch es mangelte an revolutionärem Bewusstsein und an einer revolutionären Führung.

Ein „falsches Bewusstsein“ der GenossenschafterInnen entsteht also nicht per se aus der Selbstverwaltungsstruktur selbst, sondern ist v.a. durch das allgemeine Bewusstsein, Organisations- und Aktionsniveau der Klasse bzw. deren Vorhut geprägt. ArbeiterInnen, die eine Genossenschaft gründen oder ihr beitreten, werden in aller Regel ein höheres Bewusstsein (und wahrscheinlich auch Aktivitätslevel) haben, also das Gros der Klasse. Das ergibt sich schon daraus, dass es ohne ein „alternatives“ Wollen und ohne tägliche (!) Aktivitäten gar nicht möglich ist, ein genossenschaftliches Projekt zu betreiben und gegen Widerstände und Attacken des Klassengegners zu verteidigen. Gewerkschaftliche Aktivitäten, etwa Streiks, oder gar das Mitwirken in räte-artigen Strukturen (Kontrollkomitees, Milizen usw.) ist nur selten und punktuell möglich. In gewissem Sinn könnte man daher sagen, dass eine Genossenschaft „Klassenkampf in Permanenz“ ist. Auch qualitativ ist ein Streik oder ein Demo nicht „sozialistischer“ oder „revolutionärer“ als die genossenschaftliche Praxis.

Ein Hauptproblem des „marxistischen“ Verständnisses von Genossenschaften ist, diese nur als ökonomische Strukturen zu begreifen und sie nicht auch als spezifischen Teil proletarischen Klassenkampfes und proletarischer Selbstorganisation zu verstehen. Die Unterschätzung oder gar Ablehnung des Genossenschaftsgedankens ist somit auch Ausdruck einerseits von „Ökonomismus“ wie andererseits von „Politizismus“.

6. Argument: Bereits Marx polemisierte vehement gegen die genossenschaftlichen Illusionen von Lassalle.

Im „Gothaer Programm“ der Sozialdemokratie von 1875 heißt es: „Die Sozialistische Arbeiterpartei Deutschlands fordert, um die Lösung der sozialen Frage anzubahnen, die Errichtung von sozialistischen Produktivgenossenschaften mit Staatshilfe unter der demokratischen Kontrolle des arbeitenden Volkes. Die Produktivgenossenschaften sind für Industrie und Ackerbau in solchem Umfange ins Leben zu rufen, daß aus ihnen die sozialistische Organisation der Gesamtarbeit entsteht.“ Die Idee der Schaffung von „Genossenschaften mit Staatshilfe“ stammt tatsächlich von Lassalle. Seine Betonung der Staatshilfe ist natürlich auch dem Umstand geschuldet, dass die Arbeiterklasse damals kaum über die finanziellen Möglichkeiten verfügte, um Genossenschaften einzurichten (was heute durchaus anders ist).

Marx bemerkt in seinen „Randglossen“ zum „Gothaer Programm“: „An die Stelle des existierenden Klassenkampfes tritt eine Zeitungsschreiberphrase – ´die soziale Frage´, deren ´Lösung´ man ´anbahnt´. Statt aus dem revolutionären Umwandlungsprozesse der Gesellschaft ´entsteht´ die ´sozialistische Organisation der Gesamtarbeit´ aus der ´Staatshilfe´, die der Staat Produktivgenossenschaften gibt, die er, nicht der Arbeiter, ´ins Leben ruft´. Es ist dies würdig der Einbildung Lassalles, daß man mit Staatsanleihn ebensogut eine neue Gesellschaft bauen kann wie eine neue Eisenbahn! Aus einem Rest von Scham stellt man ´die Staatshilfe´ – ´unter die demokratische Kontrolle des arbeitenden Volks´.“

Marx betont hier, dass es v.a. auf die konkrete Veränderung der Praxis durch die Aktion der Klasse ankommt, die nicht durch Forderungen an den Staat oder wen auch immer ersetzt werden kann. Er spricht von „revolutionären Umwandlungsprozesse(n) der Gesellschaft“, aus der sich „die sozialistische Organisation der Gesamtarbeit“ in Form von „Produktivgenossenschaften“ ergeben kann. Wohlgemerkt: es geht hier um Genossenschaften auch im produktiven Bereich, nicht (nur) um solche im Bereich der Konsumtion. Marx hielt diese also offenbar für möglich – ganz im Gegensatz zu vielen „MarxistInnen“ heute. Was Marx kritisiert, ist die Vorstellung, dass Genossenschaftsstrukturen vom Staat aufgebaut werden, der dann unter der „demokratischen Kontrolle des arbeitenden Volks“ steht. Die heute bei manchen linken Organisationen, v.a. trotzkistischer Provenienz, übliche Forderung nach „Verstaatlichung unter Arbeiterkontrolle“ taucht bei Marx nicht nur nicht auf – sie wird von ihm dezidiert abgelehnt!

An anderer Stelle seiner Programmkritik betont Marx erneut: „Daß die Arbeiter die Bedingungen der genossenschaftlichen Produktion auf sozialem und zunächst bei sich, also auf nationalem Maßstab herstellen wollen, heißt nur, daß sie an der Umwälzung der jetzigen Produktionsbedingungen arbeiten, und hat nichts gemein mit der Stiftung von Kooperativgesellschaften mit Staatshilfe!“.

Gleich darauf hebt Marx noch einmal hervor, dass Genossenschaften wirklich von Bedeutung sind, wenn sie Ergebnisse des Klassenkampfes sind: „Was aber die jetzigen Kooperativgesellschaften betrifft, so haben sie nur Wert (Hervorhebung im Original), soweit sie unabhängige, weder von den Regierungen noch von den Bourgeois protegierte Arbeiterschöpfungen sind.“ Marx sieht den Kampf des Proletariats für Genossenschaften also positiv.

Aus der Ablehnung der Vorstellung, dass der Staat Genossenschaften einrichtet, sollten wir jedoch nicht leichtfertig den Schluss ziehen, dass es per se falsch wäre, den Staat dazu zu zwingen, die Gründung von Genossenschaften bzw. die Übernahme von Betrieben durch die Arbeiterklasse finanziell zu unterstützen und diesbezüglich auch Forderungen an den Staat zu stellen. Die Geschichte des Klassenkampfes kennt zahlreiche Beispiele, dass das durchaus möglich war. Auch die „Kinderläden“ als besondere Formen selbstverwalteter Strukturen von wurden ja vom Staat erst ignoriert oder bekämpft, um sie dann schließlich doch finanziell unterstützen zu müssen.

Auf jeden Fall sehen wir, dass Marx es für möglich und nützlich ansah, dass die Arbeiterklasse für Genossenschaften kämpft. Davon, dass eine solche Orientierung „utopisch“ oder der revolutionären Doktrin entgegengesetzt sei, kann bei ihm genauso wenig die Rede sein, wie davon, dass diese Aufgabe dem Staat übertragen werden soll. Als Kronzeuge einer die Genossenschaften ablehnenden Haltung ist Marx also ungeeignet. Das zeigt sich auch daran, dass sich bei Marx nirgends die Aussage findet, dass nach der Revolution der Staat die Wirtschaft übernimmt. Mehrfach betont er stattdessen, dass dann die „assoziierten Produzenten“ über die „genossenschaftlichen Springquellen des Reichtums“ verfügen sollen. Quod erat demonstrandum.

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