Was ist Imperialismus?

Hanns Graaf

In diesem Artikel geht es um die Frage, was Imperialismus ist und welche theoretischen Beiträge die Arbeiterbewegung und v.a. Lenin dazu geleistet haben. Eine stimmige Analyse des Imperialismus ist unabdingbar, um eine korrekte revolutionäre Politik formulieren und umsetzen zu können.

Imperialismus-Diskussion in der Sozialdemokratie

Als Ende des 19. Jahrhunderts der Kapitalismus in sein imperialistisches Stadium überging, gab es verschiedene Versuche von Sozialdemokraten, diese neue Entwicklungsphase zu verstehen. Am bedeutendsten waren dabei die Beiträge Kautskys und Hilferdings, letzterer v.a. mit seinem Buch „Das Finanzkapital“ von 1910. Schon Ende der 1890er hatte Kautsky in mehreren Artikeln in der „Neuen Zeit“ seine Analyse der neuen Phase des Kapitalismus dargestellt. Ökonomisch sah er in der Entstehung großer Kapitalstrukturen (Konzerne, Trusts usw.) und im Finanzkapital wesentliche neue Merkmale des Kapitalismus. Anhand der Zunahme des Kapitalexports zeigte er den Zusammenhang zwischen der Ökonomie und einer besonders aggressiven und global ausgerichteten imperialistischen Politik: „die neue Art der Reichspolitik oder Weltpolitik (ist) eine Folge der Entwicklung des industriellen Kapitals (…), der Zunahme der Bedeutung der hohen Finanz, des Kapitalexports.“ (Kautsky, Die Neue Zeit, 23.4.1915, S. 110.)

In der methodischen Tradition von Marx stehend, folgt für Kautsky Politik aus der ökonomischen Grundstruktur der Gesellschaft, die Interessen imperialistischer Staaten sind letztlich Ausdruck der Verwertungsinteressen des dominanten Großkapitals. Anders als noch im Kapitalismus der freien Konkurrenz ist so viel Kapital akkumuliert und konzentriert, dass es sich nicht mehr nur auf dem nationalen Markt realisieren kann. Es verlangt nach neuen Quellen für Ressourcen, nach lukrativen Investments und Absatzmärkten. Das führt zu verstärkter Aggressivität nach außen, es führt zu Kolonialismus und Neokolonialismus, zu Handelskonflikten und Kriegen und zur permanenten Neuaufteilung der Welt, die für das Kapital keine weißen Flecken mehr hat. Aber auch nach innen wächst die Aggressivität, da Aufrüstung und Krieg Widerstand provozieren, der bekämpft werden muss. Zudem kann eine kriegerische Außenpolitik nur durchgeführt werden, wenn die „Heimatfront steht“.

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