Die Strahlenschutzkommission hat den Gesetzgeber kritisiert – darf sie das?

von Dr. Lutz Niemann
(mit freundlicher Genehmigung des Autors)

Im Jahre 2008 hatte Sigmar Gabriel ein neues Thema in die öffentliche Diskussion gerückt, die „marode ASSE“. Er hatte ein NULL-Ereignis zu einem Skandal gemacht, mit fleißiger Mithilfe der Medien in Deutschland. Es ging dabei um die Endlagerung schwach radioaktiver Abfälle in der ASSE. Dieses Thema hatte sich als sehr zugkräftig erwiesen, um Stimmung und Emotionen bei den Bürgern zu wecken. Aber zunächst eine kurze Wiederholung der physikalischen Tatsachen und der Kampagne.

Worum geht es bei der ASSE?

Die ganze Erde ist seit Anbeginn vor 4,5 Mrd. Jahren voller Radioaktivität. Inzwischen ist diese Radioaktivität nur noch sehr schwach, weil sie in 4,5 Mrd. Jahren abgeklungen ist. Starke Radioaktivität gibt es nur noch in Kernkraftwerken (und bei nuklearen Explosionen), nur dort kann sie überhaupt für Lebewesen gefährlich werden. Im alten Salzbergwerk ASSE hatte man schwach radioaktive (und wenige Gebinde mit mittlerer Aktivität) Abfälle eingelagert, in der Summe war das etwa so viel Radioaktivität, wie in einem Kubikkilometer der Erdkruste enthalten ist. Eine kleine Menge von Nukliden mit kurzer Halbwertszeit war dabei, das ergab einen großen Anteil an Becquerel. Aber dieser Anteil ist im Jahre 2100 verschwunden, so daß der Abfall in der Tiefe der ASSE dann so radioaktiv sein wird, wie es das Gestein der Erde überall ist. Dann wird der Abfall durch hundertfach mehr Radioaktivität im Deckgestein zugedeckt sein. [1] Niemals können die radioaktiven Abfälle in der Tiefe nach oben gelangen und Menschen gefährden, wie es Sigmar Gabriel 2008 in der Kampagne glauben machen wollte. [2]

Was war der „Erfolg“ der Kampagne?

Wenn nur lange genug Unsinniges erzählt wird, dann wird es schließlich geglaubt. So ging es auch hier, die Zeitungen brachten Berichte, das Fernsehen ebenso. Da mußte irgendwann der Gesetzgeber zum Retter in der Not werden: Es wurde in 2013 vom Bundestag mit dem LEX ASSE ein Gesetz beschlossen, aufgrund dessen alle Abfälle aus der ASSE wieder an die Oberfläche zu holen sind. Natürlich wurden zunächst auch andere Möglichkeiten diskutiert, insbesondere das bereits in acht Jahren Arbeit zu 90% mit Salzgries wieder verfüllte Bergwerk gänzlich zu verfüllen. Diese Vollverfüllung wurde von allen zu Rate gezogenen Fachleuten als beste Möglichkeit empfohlen, nur das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) favorisierte die Rückholung aller Abfälle aus dem Bergwerk. Und da die ASSE zum 1.1.2009 in den Verantwortungsbereich des Bundesamtes für Strahlenschutz überführt worden war, bestimmte dieses Amt auch das weitere Geschehen.

Wie hat das Bundesamt für Strahlenschutz argumentiert?

Die Rückholung der Abfälle wurde mit einer möglichen Gefährdung der Bevölkerung durch einen unbeherrschbaren Lösungszutritt in der Tiefe begründet, der die Abfälle in der Tiefe auflösen könnte. Diese Lösung könnte in 40 Jahren zur Oberfläche aufsteigen und dort Personen mit einer Strahlendosis von 170mSv im Jahr bestrahlen.

Was sagt die Physik dazu?
  • Die in der Tiefe lagernden Nuklide liegen in der Form von unlöslichen Oxiden
  • Die an einer Stelle des Bergwerks einsickernde Flüssigkeit ist nicht Wasser, sondern Sole kann kaum noch weitere Stoffe auflösen.
  • In den Abfallfässern sind die Abfallstoffe einbetoniert, und Beton löst sich nicht in Wasser, noch weniger in
  • Die Sole hat eine Dichte von 1,4-1,6, die kann nicht nach oben durch höherliegendes Grundwasser mit der Dichte 1
  • Mit der Vollverfüllung aller Hohlräume würde das derzeitige Einsickern von Sole aufhören, denn nur in Hohlräume kann Flüssigkeit einsickern.
  • Es ist unverständlich, warum die Abfälle in der Tiefe gefährlich werden könnten, die rückgeholten Abfälle an der Oberfläche jedoch nicht.
  • Die radioaktiven Nuklide im Abfall sind im wesentlichen Uran und Thorium, also alpha-Strahler. Diese Nuklide sind so schwach radioaktiv, daß von ihnen keine radiologische Gefahr ausgeht.

Es ist also ganz klar, daß aus physikalischen Gründen eine Gefährdung der Bevölkerung durch die Abfälle tief unten in der ASSE ausgeschlossen ist.

Die Rückholung der Abfälle – wenn sie denn geschieht – ist für die Mitarbeiter eine geplante Strahlenexposition, dafür gilt nach § 47 der StrlSchV ein Grenzwert von 1mSv im Jahr. Für die Bewertung der Langzeitsicherheit bei Endlagerung nennt die Internationale Strahlenschutzkommission eine Strahlendosis von 0,1mSv pro Jahr für die Bevölkerung für wahrscheinliche Entwicklungen, dazu wird der Risikokoeffizient von 10 hoch minus 5 pro Jahr genannt.

Die Bedeutung dieser Zahlen wird beim Vergleich mit der zusätzlichen beruflichen Exposition des fliegenden Personals der Lufthansa klar: Diese beträgt im Mittel 2 mSv im Jahr und maximal 9mSv im Jahr. Es dürfen also die etwa 15.000 Mitarbeiter der Lufthansa vom fliegenden Personal viel höher bestrahlt werden, als es bei der Endlagerung in 100.000 Jahren vom Gesetz erlaubt ist – das ist unverständlich.

Falls jemals Abfälle aus der ASSE an die Oberfläche gebracht werden sollten, steht kein Lagerplatz zur Verfügung, auch im Schacht Konrad ist dafür kein Platz. Es bleibt nur die Möglichkeit, die rückgeholten Abfälle in neu zu bauenden Zwischenlagern aufzubewahren – das ist offenbar das Ziel der vom BfS betriebenen Politik.

Warum hat der Bundestag die LEX ASSE beschlossen, wenn die Physik dagegen spricht?

Diese interessante Frage kann hier nicht beantwortet werden, dazu müßte man die Abgeordneten befragen. Das ist für einen Bürger aber nicht möglich. Es steht zu vermuten, daß die Abgeordneten sich in der Sache nicht auskennen, sich auch nicht schlau gemacht haben sondern einfach den Empfehlungen des Antragstellers gefolgt sind, der wiederum dem BfS gefolgt ist. Und das BfS steht unter politischer Leitung. Somit wäre die LEX ASSE ein rein politisches Unterfangen ohne sachlichen Grund.

Was sagen die Fachleute dazu?

Die Sachlage mit der ASSE ist so klar und offensichtlich, daß der „Fachverband Strahlenschutz Deutschland-Schweiz“ schon im Jahre 2011, lange vor dem Beschluß der LEX ASSE, dagegen Stellung bezogen hat. [3] Dieses Schreiben wurde an alle Ministerien für Umweltschutz in Deutschland und an die mit der Materie befassten Kommissionen verteilt. Der Fachverband Strahlenschutz hat als Begründung gesagt, daß durch die Rückholung die gesetzliche Verpflichtung zur Vermeidung einer unnötigen Strahlenexposition mißachtet wird – eine sehr einsichtige Begründung.

Man sollte es deutlich sagen: Das Bundesamt für Strahlenschutz hat seinen gesetzlichen Auftrag mißachtet, entsprechend der Strahlenschutzgrundsätze vor Strahlen zu schützen. Ein privater Verein der Fachverband Strahlenschutz hat sich dagegen gewehrt.

Der Bundestag hat mit dem Beschluß der LEX ASSE die Argumente der Fachleute ignoriert. Jetzt hat die Strahlenschutzkommission in ihrem Bericht vom 15.9.2016 noch einmal auf 37 Seiten eine ausführliche Stellungnahme geschrieben mit derselben Aussage, nämlich die Rückholung der Abfälle kritisiert und die Vollverfüllung der Schachtanlage vorgeschlagen. [4] Dieses ist jetzt im Gegensatz zum vorherigen Protest des Fachverbandes Strahlenschutz eine offizielle Kommission, deren Aufgabe die Beratung der Ministerien in Strahlenschutzfragen ist.

Der Strahlenschutzkommission ist für ihren Bericht zu danken, die Wissenschaftler dieser Kommission haben getan, was ihre Pflicht ist. Jetzt wäre es Aufgabe der Politik bzw. des Gesetzgebers, die notwendigen Schlußfolgerungen zu ziehen und entsprechend zu handeln, also die LEX ASSE aufzuheben und den Schacht ASSE endgültig zu verfüllen.

Was wird geschehen?

Niemand kann in die Zukunft schauen, daher ist diese Frage nicht zu beantworten. Wenn jedoch die Vergangenheit betrachtet wird, ist zu erahnen, daß nichts geschehen wird.

Die ganze Welt lacht über das Bestreben der Deutschen, schwach aktive Abfälle wieder aus 500 Meter Tiefe herauf zu holen, um sie anschließend an der Oberfläche entweder zu verbuddeln oder in dafür neu zu bauende Lagerhallen mit meterdicken Wänden bis in alle Ewigkeit aufzuheben. Allerdings lachen nicht alle Menschen darüber, sondern nur diejenigen, die sich etwas mit der Physik auskennen. Diejenigen, die sich nicht auskennen, zittern vor Angst, denn „Jedes Becquerel ist ein Becquerel zu viel“, so heißt es bei den Angsttrompetern.

Wie im Mittelalter die Angst vor den Hexen, als diese auf ihren Luftfahrzeugen durch die Nächte schwebten und durch Kamine hindurch die Menschen mit dem Hexenfluch belegten. Heute zählen dagegen Hexen zu den Gutmenschen, weil deren Luftfahrzeuge kein CO2 ausstoßen – so ändern sich die Zeiten. Wann wird eine von Vernunft bestimmte Betrachtung des Themas Strahlung / Endlagerung eintreten?

Dieser Bericht soll auf privaten Internetseiten veröffentlicht werden, um dort, wo es möglich ist, unter Berufung auf Art.5 GG die Meinung der Fachleute in der Strahlenschutzkommission zu einer falschen Entscheidung des Gesetzgebers öffentlich zu machen.

Zitate

[1] Helmut Fuchs: Asse – die unterdrückten Fakten auf www.novo-argumente.com

[2] Bücher von Dr. Hermann Hinsch: Das Märchen von der ASSE, Radioaktivität – Aberglaube und Wissenschaft

[3] Rückholung der Abfälle aus der Schachtanlage ASSE II, vom 15.2.2011, Präsident Prof. Wernli

[4] Strahlenschutz bei der Stilllegung der Schachtanlage Asse II, vom 15.9.2015, zu finden auf www.eike-klima-energie.eu

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert