Die große Mehrheit der Menschheit wird unterdrückt. Frauen, Jugendliche, Schwarze, Lesben und Schwule, ethnische und religiöse Minderheiten, Oppositionelle – sie alle erleiden spezifische Formen von Unterdrückung. Aber die Werktätigen insgesamt (ArbeiterInnen, arme BäuerInnen usw.) werden ebenfalls unterdrückt. Unterdrückung bedeutet – ganz allgemein – die Verweigerung von Rechten und Möglichkeiten, die es gestatten, ein menschenwürdiges Leben zu führen.
Unterdrückung wird oft mit Ausbeutung gleichgesetzt. Doch MarxistInnen unterscheiden zwischen diesen beiden Begriffen. Ausbeutung ist eine ungleiche ökonomische Beziehung, in welcher der Ausbeuter vom Ausgebeuteten Mehrarbeit abpreßt. Im Kapitalismus werden alle ArbeiterInnen ausgebeutet, weil der Wert dessen, was sie mit ihrer Arbeit produzieren, das übersteigt, was sie als Lohn erhalten.
Die Ausbeutung der ArbeiterInnen ist aber zugleich Unterdrückung. Wenn der Boß sie schikaniert, die Arbeitsbelastung erhöht, sie entlässt usw., dann ist das Unterdrückung. Sie ist Voraussetzung jeder Ausbeutung. Damit ich Andere ausbeuten kann, muss ich absichern, dass sie sich nicht dagegen wehren können bzw. wehren wollen.
Bestimmte Gruppen der Bevölkerung werden unterdrückt, aber nicht notwendigerweise ausgebeutet. Es besteht kein Zweifel, dass die Frauenunterdrückung alle Frauen betrifft. Frauen sind ungleich im Hinblick auf Gesetz, Besitz, Wertschätzung und Unterstützung. Frauen werden innerhalb der Familie mittels moralischer Normen, durch Religion und Tradition in untergeordnete Rollen gedrängt. Das Gesetz, der Staat und die Familie – sie alle bestimmen über die Fruchtbarkeit der Frau. Frauen verdienen weniger als Männer. Millionen von Frauen sind verschiedenen Formen von Gewalt ausgesetzt und haben weniger Rechte.
Frauenunterdrückung ist ein grundlegender Charakterzug jeder Klassengesellschaft. Auch der Kapitalismus beruht auf ihr, weil Frauen sich um die Kinder u.a. häusliche Belange unentgeltlich kümmern, und weil sie das Proletariat schwächt und spaltet. Die Struktur der Familie im Kapitalismus und deren Funktion – Produktion und Reproduktion von Arbeitskraft – ist untrennbar mit der gesellschaftlichen Unterdrückung von Frauen verbunden.
Aber nicht alle Frauen werden ausgebeutet, manche gehen keiner Erwerbstätigkeit nach, andere sind Managerinnen und Unternehmerinnen und beuten selbst andere – auch Männer – aus. Aber alle Frauen werden aufgrund ihres Geschlechts unterdrückt.
Unterdrückung gibt es, seit sich die Gesellschaft in Klassen gespalten hat, wobei eine Gruppe Besitz hat sowie die Rechte, diesen Besitz für die eigenen Zwecke zu nutzen. Mit jeder Form von Klassengesellschaft hat sich der Charakter der Unterdrückung geändert. Im Kapitalismus mischen sich historisch ältere Formen, z.B. die Frauenunterdrückung, mit neueren Formen, z.B. dem Rassismus.
Auch Jugendliche, Lesben und Schwule werden oft unterdrückt. Das Modell der Familie – auch wenn es oft mehr Mythos als Realität ist – schreibt diese Unterdrückung strukturell fest. Jugendlichen wird die Selbstbestimmung verweigert, damit dieses Familienmodell erhalten bleibt. Sie müssen vieles erleiden: Verweigerung von Bildung, Kinderarbeit oder Mißhandlungen.
Sexualität, die diesen Strukturen widerspricht, wie z. B. Homosexualität, wird verdammt. Andere Formen von Unterdrückung haben nichts mit der Familie zu tun, sondern mit dem Nationalstaat. Die Unterdrückung einer Reihe von Nationen, Nationalitäten und Völkern ist ein wesentliches Merkmal der imperialistischen Epoche.
Imperialistische Länder wie die USA oder Deutschland beuten Halbkolonien aus. Aber sie unterdrücken deren Bevölkerung auch in Form rassistischer Diskriminierung und durch das Verweigern von grundlegenden Rechten gegenüber Menschen aus diesen Regionen, die in imperialistischen Ländern Arbeit suchen oder dorthin flüchten. Auf der Grundlage des Nationalstaats haben Rassismus und Nationalismus zur grausamen Unterdrückung ganzer Völker geführt – der Afroamerikaner in den USA, die mit dem Vermächtnis der Sklaverei und der täglichen systematischen Unterdrückung leben, der europäischen Juden oder der Sinti und Roma, die mit dem Alptraum des Holocaust leben müssen.
Diese verschiedenen Formen von Unterdrückung sind direkt oder indirekt mit den Strukturen des Kapitalismus verbunden bzw. sind sogar Bedingung für sein Funktionieren.
Da Unterdrückung weite Teile der Gesellschaft betrifft, sind Kämpfe dagegen von allen Klassen unternommen worden – einschließlich Bewegungen von Mittel- und Oberschichtfrauen, Schwarzen, Lesben und Schwulen oder unterdrückten nationalen Minderheiten.
MarxistInnen unterstützen alle Kämpfe gegen Unterdrückung, wer auch immer sie anführt. Diese Unterstützung schließt aber unbedingt die Kritik an den oft bürgerlichen Konzepten und Führungen ein. Arbeiterinnen und Arbeiter haben objektiv ein gemeinsames Ziel mit der Mehrheit der Unterdrückten: die Zerschlagung des Kapitalismus. Aber nur die Arbeiterklasse hat auch die reale Möglichkeit und die Macht, dieses Ziel zu erreichen.
MarxistInnen müssen versuchen, die Kämpfe der Unterdrückten mit einer antikapitalistischen und revolutionären Pespektive zu verbinden und sie mit anderen Formen von Widerstand und Klassenkampf zu verknüpfen. Auch in den Organisationen der Arbeiterbewegung selbst muss gegen alle Formen von Unterdrückung und Diskriminierung gekämpft werden, z.B. indem wir dafür eintreten, dass Unterdrückte gleiche Rechte haben, dass sie sich unbegrenzt artikulieren und als Minderheit dazu eigenständige Strukturen in ihnen bilden können (Caucus-Recht).