Die kapitalistische Ordnung weist eine spezifische Form von Arbeitsteilung auf, die alle Bereiche der Gesellschaft prägt. Diese Arbeitsteilung hat viele Facetten: die Teilung in Kopf- und Handarbeit, in „Anweisende“ und „Ausführende“, in Gelernte und Ungelernte, die Arbeitsteilung zwischen Mann und Frau usw.
Karl Marx schrieb im „Kapital“: „In der Gesamtheit der verschiedenartigen Gebrauchswerte oder Warenkörper erscheint eine Gesamtheit ebenso mannigfaltiger, nach Gattung, Art, Familie, Unterart, Varietät verschiedner nützlicher Arbeiten – eine gesellschaftliche Teilung der Arbeit. Sie ist Existenzbedingung der Warenproduktion, obgleich Warenproduktion nicht umgekehrt die Existenzbedingung gesellschaftlicher Arbeitsteilung.“ (MEW 23, 56f)
Die Steigerung der Produktivität der menschlichen Arbeit war notwendig mit der Entwicklung der Arbeitsteilung, also der Ausbildung eines „Spezialistentums“, verbunden. Mit der Entstehung des Privateigentums und des Staates entwickelte sich aber auch eine besondere Arbeitsteilung, die für die Aufrechterhaltung der Klassengesellschaft, d.h. von Ausbeutung und Unterdrückung, notwendig war: Priester, Soldaten, Verwalter, die Herrscherkaste auf der einen, Sklaven, Lohnarbeiter, kleine Handwerker, Bauern auf der anderen Seite. Erstere gingen zum großen Teil unproduktiven Tätigkeiten nach, die nur in einer Klassengesellschaft Sinn machen.
Die Arbeitsteilung des Kapitalismus ist einerseits von vorbürgerlichen Gesellschaften übernommen, andererseits aber auch durch für den Kapitalismus typische Strukturen bedingt. So ist die Verallgemeinerung des Lohnarbeitsverhältnisses mit verschiedenen Formen von Arbeitsteiligkeit verbunden: z.B. in Kapitaleigner, Management und ArbeiterInnen, aber auch in die Teilung von Lohnarbeit in Fabrik oder Büro und unbezahlter Arbeit im Haushalt. Die Ausweitung und höhere Bedeutung von Wissenschaft und Forschung für die kapitalistische Produktion wiederum ist einerseits mit einer spezifischen Form der Trennung von Kopf- und Handarbeit verbunden, während sie auf der anderen Seite diese Arbeitsteiligkeit – z.B. jene in Anweisende und Ausführende – zugleich auch wieder untergräbt, indem z.B. der Ingenieur seine privilegierte Stellung oft einbüßt und mehr und mehr proletarisiert wird, während sich zugleich die „normalen“ ArbeiterInnen immer stärker mit Wissenschaft und Technik in der Arbeit befassen müssen.
Marx beschreibt das sehr drastisch: „Was die Arbeitsteilung in der modernen Gesellschaft charakterisiert, ist die Tatsache, dass sie die Spezialitäten, die Fachleute und mit ihnen den Fachidiotismus erzeugt.“ (MEW 4, 157)
Doch bei allen Umwälzungen, welche die bürgerliche Gesellschaft mit sich bringt: sie modifiziert die alte Arbeitsteilung nur, überwindet sie aber nicht. Das ist ihr auch gar nicht möglich, da schon ihre Produktionsweise auf der Arbeitsteilung von Produktionsmittelbesitzern (Befehlenden) und Lohnabhängigen (Ausführenden) beruht. Mehr noch: der Kapitalismus als Klassengesellschaft besteht auf Unterdrückungs- und Herrschaftsverhältnissen, die eine bestimmte „berufliche“ Arbeitsteilung bedingen, z.B. das Beamtentum, Polizei, Armee usw.
Die nach-kapitalistische Übergangsgesellschaft – und umso mehr die kommunistische Gesellschaft – muss diese spezifische Arbeitsteiligkeit nach und nach überwinden, wenn sie erreichen will, dass alle Gesellschaftsmitglieder ihre schöpferischen Fähigkeiten entfalten können und ihr Leben nicht in der einen oder anderen sozialen Enklave verbringen, in der sie nur einen engen Erfahrungskreis haben und nur wenige ihrer Fähigkeiten anwenden und Bedürfnisse artikulieren können.
Es geht aber natürlich nicht darum, jede Form von Arbeitsteilung abzuschaffen. Ohne Frage wird das Ausmaß bestimmter Fachkenntnisse allein schon durch den Fortschritt von Wissenschaft und Technik sogar größer und damit auch der Bedarf an SpezialistInnen für jene Spezialgebiete. Was es zu überwinden gilt, ist die gewaltsame, künstliche Einschränkung auf nur einen oder wenige Tätigkeitsbereiche, ist die Einengung auf nur einen Wirkungskreis, ohne ihn im Zusammenhang mit der Totalität der sozialen Verhältnisse insgesamt zu sehen.
Eine höher entwickelte Gesellschaftsformation als der Kapitalismus bedarf einer wirklichen Vergesellschaftung des Eigentums, sie bedarf der direkten praktischen Verfügungsgewalt der ProduzentInnen und KonsumentInnen über die Produktion und alle auf ihr beruhenden sozialen Funktionen. Gerade das ist aber im Rahmen der überkommenen Arbeitsteilung unmöglich.
Marx betonte das u.a. in „Die deutsche Ideologie“: „Sowie nämlich die Arbeit verteilt zu werden anfängt, hat Jeder einen bestimmten ausschließlichen Kreis der Tätigkeit, der ihm aufgedrängt wird, aus dem er nicht heraus kann; er ist Jäger, Fischer oder Hirt oder kritischer Kritiker und muss es bleiben, wenn er nicht die Mittel zum Leben verlieren will – während in der kommunistischen Gesellschaft, wo Jeder nicht einen ausschließlichen Kreis der Tätigkeit hat, sondern sich in jedem beliebigen Zweige ausbilden kann, die Gesellschaft die allgemeine Produktion regelt und mir eben dadurch möglich macht, heute dies, morgen jenes zu tun, morgens zu jagen, nachmittags zu fischen, abends Viehzucht zu treiben, nach dem Essen zu kritisieren, wie ich gerade Lust habe, ohne je Jäger, Fischer, Hirt oder Kritiker zu werden.“ (MEW 3, 33)
Nach Marx ist der Mensch das „Ensemble gesellschaftlicher Verhältnisse“. Wenn er jedoch nur zu einem engen Ausschnitt dieser Verhältnisse eine bewusste Beziehung aufbauen kann, ist er selbst auch nur ein „halber Mensch“, ein sozialer Torso.
Wenn wir an dieser Stelle einen Blick auf die stalinistischen Länder werfen und die Frage stellen, ob dort die Köchin den Staat regiert hat, wie es Lenin einmal prononciert gefordert hat, oder wenigstens an der Verwaltung „ihres“ Betriebes und nicht nur „ihrer“ Küche beteiligt war, so müssen wir leider feststellen, dass die Köchin auch dort nie etwas anderes war als eine Köchin. Auch wenn der soziale Aufstieg mitunter auch für Menschen aus den unteren Schichten leichter war als im westlichen Kapitalismus – v.a. weil die soziale Schichtung flacher war und Reichtum und damit soziale Privilegien weniger vererbt werden konnten -, so sind dies trotzdem nur Ausnahmen von der Regel. Nicht zuletzt wirkte sich selbst diese Art von Aufstieg wieder negativ auf den Emanzipationsprozess der gesamten Gesellschaft aus, weil die Aufsteiger meist Teil der privilegierten Bürokratie wurden, die alle wesentlichen Entscheidungen traf. So war es kein Wunder, dass diese Bürokratie durchaus sehr bewusst Lenins Metapher von der Köchin ablehnte – frei nach dem Motto: Viele Köche verderben (uns) den Brei.
Die Überwindung der einseitigen und einschränkenden beruflich-funktionalen Arbeitsteilung ist unabdingbar, wenn erreicht werden soll, dass jedes Gesellschaftsmitglied seine jeweilige Tätigkeit in ihrem Zusammenhang mit dem sozialen Ganzen betrachtet und ausübt. Wer nur seinen eigenen engen und bornierten Lebens- und Tätigkeitsbereich kennt und erfahren hat, ist strukturell nicht oder weniger in der Lage, Wechselwirkungen und Zusammenhänge zu erfassen – in der Produktion, in der Wissenschaft und in der Gesellschaft allgemein.
Eine sehr konkrete Form von Arbeitsteiligkeit in der bürgerlichen Gesellschaft ist auch jene zwischen den ProduzentInnen (was hier die produzierenden ArbeiterInnen meint) und den KonsumentInnen. Zwar ist auch im Kapitalismus die Schnittmenge zwischen diesen sehr hoch, doch es ist keineswegs so, dass etwa die Arbeiterin in der Schuhfabrik ihre dortigen Bedürfnisse und Erfahrungen mit denen als Schuhkäuferin vereinbaren könnte und sollte. Sie zerfällt quasi in zwei „separate“ Personen. Zwei Seelen wohnen, ach, in ihrer Brust …