Thesen zum Bürgerkrieg in Spanien

Internationale Kommunisten Deutschlands (IKD), dt. Sektion der IV. Internationale, aus: Unser Wort, Januar 1938, Halbmonatsschrift der IKD

Vorwort der Redaktion: Wir dokumentieren den nachfolgenden Text, weil er eine gute Zusammenfassung und marxistische Bewertung der Ereignisse der Spanischen Revolution bietet. Zudem gibt er einen Einblick in die Debatten und Positionen innerhalb der Linken der damaligen Zeit und vermittelt zentrale Lehren zur revolutionären Strategie und Taktik für heute.

1.

Der Spanische Bürgerkrieg beweist von neuem, dass in unserer Epoche die Revolution nur als proletarische Revolution siegen kann. Gelingt es aufgrund des Fehlens einer wissenschaftlich vorgebildeten marxistischen Avantgarde nicht, die Revolution bis zur Errichtung der Diktatur des Proletariats zu steigern, entwickelt diese unweigerlich die Tendenz, zum Ausgangspunkt der militärischen Despotie oder der faschistischen Diktatur zurückzukehren. Wie der Revisionismus der Caballero und Prieto in der Spanischen Revolution von 1931 Gil Robles ans Ruder brachte, so erzeugte das „Volksfrontregime“ Azanas, Caballeros und der Stalinisten den Aufstand Francos.

2.

Das Gerede von der Unreife Spaniens für den Sozialismus ist purer Unsinn. National gesehen ist Spanien reifer für die Einführung des Sozialismus als es Russland 1917 war. Im übrigen kann die Spanische Revolution selbstverständlich – ebenso wie die Russische – nur als internationale Revolution siegen, was die spanischen Arbeiter nicht hindern darf, die Revolution bei sich anzufangen und den Arbeitern der übrigen Länder voranzugehen, statt auf diese zu warten.

3.

In der Abwehr des Francoaufstandes gingen die Arbeiter, die sich spontan und gegen den Willen der Volksfrontparteien erhoben, dann auch sofort über den Rahmen der bürgerlichen Demokratie hinaus. Sie errichteten ihre Komitees, ihre Milizen, übernahmen die Betriebe und begannen selbst die Kollektivierung der Landwirtschaft.

4.

Um diese Bewegung zum Siege zu führen, bedurfte es nichts als einer revolutionären Partei, die sich in scharfer Opposition zu allen kleinbürgerlichen und revisionistischen Strömungen die Eroberung der gesamten politischen Macht durch das Proletariat, die Befreiung Marokkos und die Entwicklung der internationalen Revolution zum Ziel setzte. Doch eben eine solche Partei existierte nicht in Spanien. Die anarchosyndikalistischen Organisationen CNT, FAI und die zentristische POUM nahmen zwar in abstrakter Weise für den Sozialismus Stellung, stellten jedoch nicht die Frage der politischen Macht, sondern überließen diese den bürgerlichen Republikanern und politischen Ausbeutern der Kleinbourgeoisie (Azana, Giral, Companys) und den reformistischen und stalinistischen Verrätern an der Revolution (Negrin, Prieto, Caballero, Hermandes, Uribe) bzw. teilten sich die Macht mit diesen.

5.

Die Rolle von CNT und FAI in der Spanischen Revolution bewies von neuem, dass der Anarchosyndikalismus nichts als der linke Schatten des plattesten Reformismus ist und an dem für die Revolution entscheidenden Zeitpunkt in diesen umschlägt. Die Staatsverleugner und Antipolitiker von CNT und FAI wurden zu den braven Koalitionsgenossen der Azana und Comapanys, denen sie nach Kräften halfen, den sozialen Charakter der Spanischen Revolution zu verfälschen, die selbstständigen proletarischen Machtorgane aufzulösen, den reaktionären Staatsapparat (Polizei, Justiz, bürgerliches Heer) wieder aufzubauen und die Arbeiter zu betrügen. Auf diese Weise brachten sich die CNT-Führer in stets größeren Gegensatz zu den Arbeitern selbst und machten diese zum Spielball der stalinistisch-republikanischen Provokationen (Entwaffnungsversuche der Arbeiter von Seiten der neu gebildeten Polizei, Angriffe auf das CNT-Gebäude etc.). Aus dieser Lage ergab sich der spontane Widerstand des Barcelonaer Proletariats in den Maitagen, der von der CNT verraten wurde und der wie alle spontanen, ohne bewusste, systematische, militärisch-revolutionäre Leitung sich vollziehenden Aufstände mit einer Niederlage enden musste.

6.

Die von den Stalinisten als trotzkistisch verfolgte, in Wirklichkeit zentristische POUM war der Aufgabe, das spanische Proletariat zum Siege zu führen, keineswegs gewachsen. Trat sie in der abstrakten Agitation für den Sozialismus und die Diktatur des Proletariats ein, so marschierte sie in der konkreten Politik im Schlepptau der verräterischen Volksfront. Statt die Elemente der Doppelherrschaft (Zentralkomitee der Milizen, Komitees) entschlossen zu verteidigen und auszubauen, die Massen über den Verrat der Stalinisten, der Reformisten und der CNT aufzuklären, um sich dann nach Gewinnung der Mehrheit der Arbeiterklasse die revolutionäre Machteroberung zum Ziele zu setzen, verzichtete die POUM auf die „Hegemonie“, die selbstständige Führerrolle, forderte für sich nur die Existenzberechtigung als eine der Tendenzen des antifaschistischen Proletariats; beteiligte sich selbst an der Auflösung der Komitees, nahm von September bis Dezember an der reaktionären Regierung Companys-Terradellas teil, beteiligte ich also am Verrat, statt die Massen über diesen aufzuklären, verfolgte auch weiterhin nach ihrem von den Stalinisten erzwungenen Hinauswurf aus der Regierung eine durchaus versöhnlerische, zweideutige Politik gegenüber der weiterhin an der Volksfrontkoalition beteiligten CNT-Führung, der sie alle Verantwortung für das Schicksal der Spanischen Revolution zuschob.

Die POUM sah nicht voraus, das die Politik des Anarchosministerialismus einen Abgrund zwischen den proletarischen Massen und der CNT-Führerschaft öffnete und zwangsläufig zu einem Zusammenstoß zwischen den Arbeitermassen und der wiedererrichteten bürgerlich-republikanischen Repressionsgewalt führen musste. So wurde auch die POUM von den Maiereignissen völlig überrascht und nahm zu ihnen eine schwankende Haltung ein. Auf diese Weise erleichterte die POUM der stalinistischen Reaktion ihr blutiges konterrevolutionäres Handwerk und bereitete ihren eigenen Untergang vor.

7.

Die Gruppe der „Linken Kommunisten“ (Nin, Andrade) in Spanien, die sich eine Zeit lang formell zu der „Internationalen Linken Opposition“ (der heutigen IV. Internationale) bekannte, ohne stets jemals in den Fragen der konkreten Politik und des Verhaltens zu den anderen Strömungen in der proletarischen Bewegung mit uns überein zu stimmen, hat in Wirklichkeit den Aufbau einer spanischen Sektion der IV. Internationale eher verhindert als gefördert. Durch den Zusammenschluss dieser Gruppe mit dem opportunistischen Arbeiter- und Bauernblock Maurins zur POUM und dem Anschluss dieser Partei an die spanische „Volksfront“ befand sich die IV. Internationale am Vorabend des Bürgerkrieges ohne Vertretung in Spanien. Das spanische Proletariat wurde dadurch vor die unerhört schwierige Aufgabe gestellt, eine marxistische Avantgarde ohne relativ ruhige Erziehungs- und Vorbereitungsperiode im Feuer des Bürgerkriegs zu schaffen. Trotz der unerhörten Schwierigkeiten, die dieser Aufgabe im Wege stehen, liegt in der Schaffung des subjektiven Faktors, der bewusst die Frage der Machteroberung durch das Proletariat zu einer Frage der eigenen Politik macht, die einzig mögliche Rettung der Spanischen Revolution. Gelingt es dieser blutjungen Organisation nicht, den Ereignissen eine andere Wendung zu geben, dann wird es ihre Aufgabe sein, an der gewaltigen Erfahrung des gegenwärtigen spanischen Bürgerkriegs die Kader zu erziehen, die verhindern werden, dass auch die gegenwärtigen heroischen Anstrengungen des spanischen Proletariats wieder vergeblich bleiben und sich der gegenwärtige Ablauf des spanischen Dramas nochmals wiederholt.

8.

Der Aufstieg der Stalinisten in Spanien ist der Aufstieg der Konterrevolution. Die Stalinisten erhielten die Macht nicht nach einem Sieg über die spanische Bourgeoisie oder auch nur über Franco, sondern nach einem Sieg über das spanische Proletariat (Niederschlagung des Barcelonaer Maiaufstandes), ebenso wie die deutsche Sozialdemokratie die Macht nach ihrem Sieg über das deutsche Proletariat erhielt. Heute sind die Stalinisten bereits gezwungen, gegen den gesamten radikalen Flügel der spanischen Arbeiterbewegung – von Caballero über CNT-FAI und POUM bis zu den Trotzkisten – mit den Methoden der Verleumdung, der rücksichtslosen polizeilichen Unterdrückung und des Meuchelmords zu regieren. Der Unterschied zur deutschen Revolution von 1918 ist nur der, dass der spanische Hitler den spanischen Noskes und Scheidemanns viel dichter auf den Fersen folgt.

9.

Die Rolle der Sowjetbürokratie und ihres Anhängsels, der Kominternbürokratie, in Spanien ist die des Totengräbers der proletarischen Revolution und des direkten Helfershelfers der militärisch-faschistischen Reaktion. Die stalinistische Bürokratie fürchtet nichts mehr als den Ausbruch einer neuen proletarischen Revolution in welchem Lande auch immer in der Welt, da sie weiß, dass damit das Ende ihrer eigenen Herrschaft über das Proletariat gekommen ist. Die deutsche Niederlage von 1923 ermöglichte den Sieg der thermidorianischen Bürokratie in der Sowjetunion und jede weitere Niederlage des internationalen Proletariats (China 1927, Deutschland 1933) führte zu einer Verschärfung des bürokratisch-despotischen Regimes und zu einer Schwächung der Positionen des russischen Proletariats. Ein Sieg des internationalen Proletariats würde das umgekehrte Verhältnis herstellen. Das erklärt, warum die Sowjetbürokratie die proletarische Revolution selbst um den Preis des Sieges der faschistischen Reaktion – deren Voranschreiten schließlich ihren eigenen Untergang herbeiführen muss – opfert.

Die Intervention der Sowjetbürokratie in Spanien erfolgte daher auch nicht, um den Sieg der Republik über Franco zu sichern, sondern um mit allen Mitteln den Sieg des spanischen Proletariats zu verhindern. Die Waffenlieferungen der Sowjetunion waren unter diesen Umständen nur ein Mittel, die Durchsetzung der reaktionär-bürgerlichen Politik zu erpressen und Teile der Arbeiterbewegung zu korrumpieren. Die Waffen wurden nicht der Revolution geliefert, sondern der Konterrevolution, nicht den Arbeitern, sondern den Resten der republikanischen Bürokratie, die mit Hilfe der russischen Waffen eine neue Repressionsgewalt (Polizei, bürgerliches Heer) aufbaute, um die Arbeiter zu entwaffnen.

Es ist deshalb als ein grober Irrtum zu verwerfen, wenn in dem vom „Internationalen Büro für die IV. Internationale“ vorgeschlagenen Zusatz zu den Thesen „Die IV. Internationale und die Sowjetunion“ u.a. gesagt wird, dass die Sowjetunion trotz ihrer Verfallserscheinungen als ein wichtiger Faktor im Klassenkampf angewandt werden kann (!) und die Behauptung aufgestellt wird, die Sowjetbürokratie habe durch die Waffenlieferungen die Sache der proletarischen Revolution begünstigt. Wenn es richtig ist, dass die Sowjetbürokratie im nationalen Rahmen eine zwiespältige Funktion erfüllt gegenüber dem russischen Proletariat die des Totengräbers der Oktoberrevolution und gegenüber dem Weltkapitalismus die des Erhalters der von der Oktoberrevolution geschaffenen Grundlagen – wobei die erstere Funktion mehr und mehr die letztere verdunkelt – so ist ihre Rolle im internationalen Klassenkampf zum mindesten seit der Chinesischen Revolution eindeutig konterrevolutionär. Nichts ist heute gefährlicher, als von einer progressiven Rolle der Sowjetbürokratie im internationalen Klassenkampf des Proletariats zu schwätzen, sie muss im Gegenteil als der gefährlichste konterrevolutionäre Faktor entlarvt und schonungslos bekämpft werden.

10.

Die unter Stalins Fuchtel stehende Valencia-Regierung ist völlig außerstande, Franco entscheidend zu besiegen. Auf rein militärischem Gebiet ist der von Hitler und Mussolini unterstützte Franco der Valencia-Regierung zweifellos überlegen. Den Krieg gegen Franco muss man revolutionär führen, durch die Entfachung der Begeisterung und des Opferwillens der ärmsten und ausgebeutetsten Schichten, durch den rücksichtslosen Kampf gegen alle Privilegien, gegen Nutznießertum und politische Unterdrückung. Doch die sich auf die privilegierten Schichten stützenden Stalinorepublikaner fürchten die Massen und indem sie zu ihrer Unterdrückung schreiten und die Begeisterungsfähigkeit der Massen mit den unheimlichen, vergifteten Methoden der GPU ersticken, bereiten sie den Sieg der Militärdiktatur vor. Die Voraussetzung für den Sieg über Franco liegt heute in einer neuen proletarischen Revolution im Gebiet der Valencia-Regierung. Der Kampf für die neue Revolution muss mit dem Kampf für die proletarische Presse- und Versammlungsfreiheit und für die Befreiung aller revolutionären Gefangenen aus den Kerkern der Stalin-Negrin-Regierung beginnen.

11.

Die zahlreiche Teilnahme marokkanischer Truppen auf Seiten Francos ist das direkte Resultat des Verrats der opportunistischen spanischen Arbeiterführung an der eingeborenen Bevölkerung Marokkos. Noch nach Ausbruch des Bürgerkrieges proklamierte die Volksfront Spaniens ihr „historisches Recht“ auf die Unterdrückung Marokkos und gab Solidaritätserklärungen für den englischen und französischen Imperialismus ab. Solidarität mit dem Imperialismus jedoch ist glatter Verrat, nicht nur an den Kolonialvölkern selbst, sondern auch an der Spanischen Revolution, die mit dem Imperialismus nicht siegen, sondern nur von ihm geschlagen werden kann.

Die proletarische Revolution kann in Spanien nicht siegen, ohne Marokkos Recht auf nationale Selbstständigkeit zu proklamieren und der eingeborenen Bevölkerung zu helfen, die Imperialisten zu verjagen und ihre nationale und soziale Befreiung zu vollziehen. Die nationale Erhebung der Kolonialvölker am Mittelmeer ist der wichtigste Bundesgenosse der sozialen Revolution in Spanien, Frankreich, Italien und im übrigen Europa.

12.

Der Spanische Bürgerkrieg zeigt von neuem den völligen politischen Zerfall der 2. und 3. Internationale. Stalin, Blum und Spaak erfanden in Gemeinschaft mit dem konservativen Mr. Eden die berüchtigte Non-Interventionspolitik, diese direkte Hilfeleistung für Franco. Alle Geldeinsammlungen und Lebensmitteltransporte der 2. und 3. Internationale sind nur ein jämmerliches Almosen und eine Tarnung des abscheulichen politischen Verrats dieser „Internationalen“ an der spanischen Arbeiterklasse. Die einzige wirksame Hilfe für die Spanische Revolution bestand in der Ausdehnung der Revolution auf die übrigen Länder, im Kampf gegen die Bourgeoisie in Frankreich, Belgien, England, von wo sich die Bewegung auf die faschistischen Länder Deutschland und Italien ausgedehnt hätte. Indem die Blum und Thorez die grandiose Bewegung des französischen Proletariats in Fesseln legten und das Regime der „Pause“ und der Notverordnungen errichteten, erstickten sie gleichzeitig die Spanische Revolution und degradierten den Spanischen Bürgerkrieg zu einem Spielball imperialistischer Interessen.

Der angebliche Pazifismus der Non-Interventionspolitik besteht darin, die Situation des Proletariats bis zum Zeitpunkt des Kriegsausbruchs weiter zu verschlechtern und den imperialistischen Kräften Zeit zu geben, sich weiter auf Kosten des Proletariats zu stärken. In ihrem Verhalten zum Spanischen Bürgerkrieg zeigen die 2. und 3. Internationale, die heute keine Antipoden sondern Bundesgenossen sind, dass sie das Proletariat nur stets tiefer in den Abgrund führen können.

13.

Eine revolutionäre Partei in Spanien selbst hätte dem Weltproletariat vorangehen, den ungeheuren Verrat der 2. und 3. Internationale anprangern und die IV. Internationale proklamieren müssen. Die internationale Politik der POUM war jedoch nur ein Spiegelbild ihrer nationalen Politik. Sie verbündete sich mit zentristischen und halbstalinistischen Konfusionsräten, politischen Quacksalbern und Bremsern aller Schattierungen (ILP, SAP, Pivert, Liebaers, Brandler etc.) und wartete darauf, dass ihr der „historische Prozess“ das Geschenk der neuen Internationale in den Schoß lege. Der politische Bankrott der POUM ist gleichzeitig der bankrott ihres Londoner Büros. Der Kampf für den Sieg der Spanischen wie der internationalen Revolution ist mehr als je identisch mit dem Kampf für die IV. Internationale.

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