Offene Grenzen?

Hannah Behrendt

Die Migration wird in Deutschland als das wichtigste Problem angesehen, das gelöst werden müsse. Als ab 2015 immer mehr Flüchtlinge nach Deutschland kamen, hat sich die Einstellung zur Migration stark verändert. Im Einklang mit Merkels „Wir schaffen das“ stand eine große Mehrheit der Zuwanderung aus humanitären Gründen zunächst positiv gegenüber. Es gab viel Hilfsbereitschaft und Solidarität in der Bevölkerung. Auch Politik und Staat haben damals die (unkontrollierte) Aufnahme von Flüchtlingen erleichtert und versucht, ihnen ein einigermaßen angemessenes Leben zu ermöglichen. Hieran sehen wir schon, dass die These, Politik, Staat und Kapital wären per se rassistisch oder fremdenfeindlich orientiert, so nicht stimmt. So traten und treten z.B. die Unternehmerverbände für mehr Migration ein – freilich weniger aus humanitären Motiven, sondern weil man Arbeitskräfte braucht, weil man ein Heer von flexibel einsetzbaren Billigjobbern als Lohndrücker will oder weil eine nationalistische Abschottungspolitik mit den Anforderungen der Globalisierung kollidiert, die v.a. für das Exportkapital relevant sind.

Trotz aller tatsächlichen oder behaupteten Weltoffenheit gab und gibt es natürlich auch rassistische Einstellungen im Staatsapparat und in der Bevölkerung – bis hin zu militanten Attacken gegen Asylbewerber und Mordanschlägen. Akteure waren dabei fast immer organisierte Rechtsradikale – entweder als Anstifter oder als Täter. Die in Staat und Politik zu beobachtenden reaktionären Tendenzen, die bürokratische Gängelung und Stigmatisierung von Migranten bis hin zu Abschiebungen halten sich allerdings (noch) die Waage mit realen Bemühungen, Flüchtlinge zu „integrieren“. So falsch es war, Staat und Politik als Multikulti-orientiert anzusehen, so unzutreffend ist es, sie nur als ausländerfeindlich und repressiv zu betrachten. Die Position der Bourgeoisie, ihres Staates und der bürgerlichen Politik zur Migration ist flexibel, sie folgt den sich verändernden wirtschaftlichen Verwertungsbedingungen des Kapitals. Letztlich entscheidet v.a. der Bedarf an Arbeitskräften über die Haltung zur Migration.

Zunehmende Migration

Die nachfolgende Grafik zeigt, dass es über 20 Jahre lang, von 1991-2013, eine durchschnittliche jährliche Zuwanderung von etwa einer Million gab. Von 2008-15 erfolgte ein kontinuierlicher und sehr starker Anstieg von jährlich 700.000 auf 2,1 Millionen (2015) – eine Verdreifachung! Bis 2020 sank die Zuwanderung wieder ab, trotzdem lag sie noch wesentlich höher als vor 2015. 2022/23 erreichte sie wieder neue Rekorde. 2023 kamen über zwei Millionen (!) Flüchtlinge nach Deutschland, davon die Hälfte aus der Ukraine.

Hauptursache für Flucht ist der Krieg (Balkankrieg in den 1990ern, Afghanistan, Syrien, Ukraine u.a.), nicht die Flucht wegen politischer, religiöser usw. Verfolgung oder aus wirtschaftlicher Not. Es gibt auch keine „Klimaflüchtlinge“, die eine reine mediale Erfindung sind. Neben der Zuwanderung gibt es auch Abwanderung, darunter fallen Auswanderer, aber auch abgelehnte oder zurückkehrende Asylbewerber. Das Saldo aus Ein- und Auswanderung sieht wie folgt aus:

Wir sehen, dass bis auf wenige Jahre der Zuzug deutlich überwog. An sich ist die Zuwanderung kein grundsätzliches Problem für das Ankunftsland. Siedlernationen wie die USA, Kanada oder Australien hätten sich ohne riesige Zuwanderung gar nicht zu modernen Gesellschaften entwickeln können. Allerdings hatte die Konstituierung dieser Staaten hohe „Unkosten“: Rassismus, Unterdrückung und Ausrottung der Eingeborenen usw.

Probleme

Probleme mit Einwanderung entstehen, wenn der Zuzug von Hunderttausenden oder gar Millionen Menschen pro Jahr die kulturelle, ökonomische usw. Leistungsfähigkeit des Aufnahmelandes übersteigt. Auch der aktuelle (und historische) Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern zeigt sehr deutlich, welche fatalen Folgen eine Massenzuwanderung haben kann. Ohne die Massenmigration von Juden wäre Israel als Staat nicht überlebensfähig gewesen. Diese jüdische Migration führte und führt aber mit Notwendigkeit dazu, dass die jüdischen Siedler Platz brauchen und einen Lebensstandard haben wollen, den sie ohne Überausbeutung und Vertreibung der Palästinenser so nicht haben könnten.

Ein anderes Beispiel sind die USA. Dass es dort bis heute keine Arbeiterpartei gibt, hängt auch damit zusammen, dass die verschiedenen nationalen Einwanderergruppen aus Europa, Asien und Lateinamerika und dazu die schwarze Bevölkerung im eigenen Land im Klassenkampf und beim Aufbau von Organisationen schwerer zusammenzubringen waren. Dazu kam, dass viele zugewanderte Arbeiter früher ihre Zukunft als Farmer sahen, sie gingen nach Westen und wurden durch neue Migranten ersetzt. Die Arbeiterklasse wurde so permanent neu zusammengesetzt.

Der Hauptgrund für Konflikte zwischen der „Stammbevölkerung“ und Zuwanderern – etwa in den Banlieues und Ghettos der Metropolen – ist aber der Kapitalismus, der Gleichbehandlung und “Integration“ von Zuwanderern mehr oder weniger erschwert oder unmöglich macht. Wie sollte es auch anders sein bei Zuwanderern, die oft aus ehemaligen Kolonien in imperialistische Zentren wie England oder Frankreich kommen?

Situation in Deutschland

Seit 2015 hat der Flüchtlingszustrom stark zugenommen. Man sollte den Thesen von Rechten, die von einer „Überfremdung“ oder von „Umvolkung“ sprechen, nicht folgen, doch ohne Frage nimmt der Anteil von Menschen, die aus nichteuropäischen Kulturkreisen kommen, stark zu. Die hohe Zahl von Zuwanderung und die Tatsache, dass ein Großteil davon aus islamisch geprägten Ländern kommt, stellt ein doppeltes Problem dar.

2023 kamen rund zwei Mill. Flüchtlinge nach Deutschland. Diese Menschen brauchen etwa eine Million Wohnungen, Schul- und Kitaplätze, Jobs, Ausbildungs- und Studienplätze, Sozialleistungen, Sprachkurse usw. usw. Angesichts des großen Mangels an Wohnungen, Lehrern, Pflegepersonal usw. muss man wirklich ein Träumer sein, um zu glauben, dass diese Probleme in kurzer Zeit lösbar wären. Selbst wenn Reichtum und Kapital massiv besteuert würden, was notwendig wäre, um genug Geld zu haben, wäre das kaum möglich, denn die Migration ist nur der Verstärker vieler ungelöster Probleme, die es schon lange gibt. Seit den unfähigen Merkel-Regierungen (von der Ampel ganz zu schweigen) wird der Berg an ungelösten Problemen immer größer.

Zuwanderung aus Ländern mit ähnlicher sozialer und kultureller Struktur ist relativ einfach zu handhaben. Doch bei der Zuwanderung aus muslimischen und „südlichen“ Ländern (Afrika, Afghanistan, Syrien, Iran usw.) ergeben sich größere Probleme – eigentlich nur bei ihnen. Asiaten oder Polen fallen als „Problemgruppen“ hingegen nicht auf, obwohl z.B. Asiaten äußerlich, kulturell und sprachlich uns „fremder“ sind als etwa Syrer. Menschen, die aus anderen Kulturen kommen, eine nichteuropäische Sprache sprechen und oft keine Ausbildung haben, sind natürlich schwerer zu integrieren als z.B. Franzosen oder Spanier.

Wenn die Vorbehalte gegen Ausländer, v.a. gegen solche aus islamisch geprägten Ländern, zunehmen, dann steckt dahinter meist die reale Sorge, dass die Leistungen für Asylbewerber letztlich zu Lasten der „normalen“ deutschen Bürger, d.h. der Lohnabhängigen, gehen. Das Grundproblem hinter der Migration – die Zerstörung der Lebensgrundlagen von Hunderten Millionen Menschen in den Ländern der Peripherie durch imperialistischen Krieg, Bürgerkrieg, Ressourcenmangel und letztlich durch die imperiale Welt(un)ordnung – wird dann kurzschlüssig auf „die Migranten“ projiziert. Neben realen Sorgen spielen aber auch irrationale rassistische, völkische u.a. rechte Vorbehalte eine Rolle.

Die starke muslimische Zuwanderung führt mitunter dazu, dass bestimmte reaktionäre Einstellungen, die in deren Herkunftsländern ausgeprägter sind, auch hierzulande zunehmen: ein rückständiges Frauenbild, die Verquickung von Staat und Religion, reaktionär-islamischer Extremismus, überkommene „Familien- und Clanbindung“ usw. Jede Kritik am Islam wird heute als rechts hingestellt, obwohl die Kritik an Religion und Kirche immer ein Merkmal fortschrittlicher Bewegungen war. Die Linke – von der Arbeiterbewegung ganz zu schweigen – stellt sich diesen Aufgaben aber nicht, ja sie passt sich zum Teil diesen reaktionären Tendenzen an und versteht den Islam(ismus) als „kulturelle Bereicherung“.

Migration und imperialistische Weltordnung

Ein Ergebnis der vom Imperialismus beherrschten Weltordnung sind die Verschuldung, die Unterentwicklung und Instabilität vieler Länder. Dazu kommen noch die vielen, vom Imperialismus verbrochenen oder angefachten Kriege, die Millionen zu Flüchtlingen machen. Die großen imperialistischen Kapitale agieren – anders noch als die Unternehmen des Gründerzeitkapitalismus, die sich wesentlich im nationalen Rahmen bewegten – auf dem Weltmarkt. Die Beherrschung, Ausplünderung und Neuordnung der Welt ist für sie unabdingbar. Der Absatz von Waren, der Export von Kapital, also Investitionen, sowie die Verfügbarkeit über Ressourcen sind für sie lebenswichtig.

Die Massenmigration ist nur ein Resultat der imperialistischen Herrschaft über die Welt. Die Globalisierung erfordert ein gewisses Maß an Freizügigkeit des Waren- und Kapitalverkehrs. Die Verfügbarkeit von Arbeitskräften ist dabei ein wichtiger Aspekt. Maßnahmen zur Begrenzung der Migration dienen nicht der totalen Abschottung, sondern dazu, den Zuzug von gewollten Fachkräften zuzulassen oder gar zu fördern, aber ungewollten Zuzug von auf dem Arbeitsmarkt nicht verwertbaren Menschen zu begrenzen. Es geht darum, qualifizierte Fachleute „anzuwerben“, um deren Ausbildung zu sparen und das eigene wissenschaftlich-technische Potential zu vergrößern – was die Unterentwicklung und Abhängigkeit der Länder der Peripherie weiter erhöht. So würde z.B. das Gesundheitswesen vieler westlicher Länder ohne Ärzte und Pfleger aus der „3. Welt“ kollabieren. Diese Art von Migration ist nichts anderes als eine Form neokolonialer Ausplünderung der „3. Welt“. Obwohl die Emigration die individuelle Situation der Geflüchteten verbessern mag, ist die Bilanz der Massenmigration für die Herkunftsländer negativ.

Bei der Beurteilung der Migration geht es meist um die Situation der Flüchtlinge: um die Gefahren auf ihrem Weg in das Zielland, um Rassismus, um Integration usw. Das ist natürlich richtig. Doch diese Sichtweise ist zu eng. Migration hat drei Hauptaspekte: die Situation der Flüchtenden, die Auswirkungen auf das Zielland und die Folgen für die Herkunftsländer.

Die Migration ist für die Mehrzahl derer, die vor Krieg, Verfolgung oder Armut flüchten, mit enormen Risiken bis hin zum Tod verbunden. Es ist klar, dass der bürgerliche Staat – bei allen Unterschieden zwischen den Ländern – nur unzureichend bereit und in der Lage ist, Geflüchtete human und gleichberechtigt zu behandeln, ihnen Arbeit, Ausbildung usw. zu bieten. Doch selbst reiche Länder sind nicht unbegrenzt in der Lage, den stetigen Zuzug von Millionen über Jahre zu meistern. Dabei spielt nicht nur eine Rolle, dass die Profit- und Verwertungsinteressen der Bourgeoisie verhindern, dass genug Mittel bereitstehen, um Geflüchtete gut zu integrieren. Es geht nicht nur um Geld, das durch die unzureichende Besteuerung von Reichtum und Kapital fehlt. Geld ist nicht alles. Infrastruktur, Wohnungen, Sprechkurse, Schul- und Kitaplätze usw. können nicht in kurzer Zeit den Anforderungen von Millionen Migranten gerecht werden. Geld baut weder Häuser, noch unterrichtet es Kinder.

Ein Beispiel ist der Wohnungssektor. Hierzulande fehlen immer mehr Wohnungen, v.a. bezahlbare. Die Mietkosten, die Mietnebenkosten (Energie) und die Baukosten sind jahrelang gewaltig gestiegen. Wenn dann allein 2023 zwei Millionen Flüchtlinge nach Deutschland kommen, ist das Desaster im Wohnungsbereich komplett. Niemand muss sich dann wundern, wenn es zunehmend Vorbehalte gegen Migranten gibt, „die uns die Wohnungen wegnehmen“. Doch die Zuwanderung verschärft nur ein Problem, das es auch ohne die massenhafte Migration gibt. Die Ursachen liegen nicht in der Migration, sondern in der Immobilienspekulation, falscher Infrastrukturpolitik, mangelndem Wohnungsbau usw. Wenn die meisten Parteien zumindest scheinbar verbal positiv zur Einwanderung stehen, dann sucht man bei ihnen zugleich vergebens Forderungen, dass die enormen Kosten der Migration vom Kapital und den Reichen getragen werden sollen, denn schließlich ist es deren System, das die Gründe für Fluchtbewegungen erzeugt.

Hilfe = Migration?

Die Integration von Geflüchteten vergrößert einerseits die industrielle Reservearmee, die – ob sie will oder nicht – als Lohndrücker fungiert. Andererseits verstärkt die Integration in den Arbeitsmarkt die Job-Konkurrenz in der Klasse. Beides wird von den Lohnabhängigen zu recht als Bedrohung angesehen. Gegenwärtig gibt es aber in vielen Bereichen Arbeitskräftemangel, so dass beide Probleme nicht so groß sind. Doch diese Situation kann und wird sich auch wieder ändern.

Selbst für die Mehrzahl der Flüchtlinge, die handfeste Gründe für eine Flucht vor Krieg, Verfolgung usw. haben, ist die Einwanderung nach Deutschland oder in andere imperialistische Zentren nicht die einzige oder beste Lösung. Bürgerkriegsflüchtlinge etwa aus Syrien könnten auch in Ländern der Region unterkommen (was bei den meisten ohnehin der Fall ist). Mit demselben Geld, das deren Betreuung in Deutschland kostet, könnte in diesen Regionen weit mehr geleistet werden, was auch deren Entwicklung zugute kommen würde. Leider werden diesbezügliche Vorschläge oft sofort als „rechts“ oder „rassistisch“ denunziert. Eine sachliche Diskussion zur Migration ist – wie zu fast allen Fragen – inzwischen fast unmöglich geworden.

Es geht nicht nur darum, ob, sondern auch wie Flüchtenden geholfen wird. Anstatt den Exodus zu finanzieren, sollten Maßnahmen unterstützt werden, die es diesen Menschen ermöglichen, in ihrer Heimat selbst für ihre Existenz zu sorgen, etwa durch die Förderung selbstverwalteter und genossenschaftlicher Projekte. Das aber erfolgt nicht oder nur sehr marginal in Form der „Entwicklungshilfe“, die oft mehr die Kassen der NGOs, der Bürokratie oder der Konzerne füllt, als denen zu helfen, die es bitter nötig haben. So unterliegt etwa Syrien auch nach dem Ende des Bürgerkriegs den Sanktionen der EU. Anstatt Hilfe für den Wiederaufbau und für normale Wirtschaftsbeziehungen zu leisten, was sehr viele emigrierte Syrer zur Rückkehr in die Heimat bewegen würde, wird die Entwicklung Syriens nachhaltig behindert.

Ohne die Überwindung der korrupten und reaktionären bürgerlichen Regime in der „3.Welt“ ist es überhaupt unmöglich – selbst mit deutlich gesteigerter „Entwicklungshilfe“ durch den reichen Norden -, die enormen Probleme dort zu lösen und die Ursachen der Migration zu beseitigen oder zu minimieren. Die Initiativen, Flüchtenden, die übers Mittelmeer kommen, per Seenotrettung zu helfen, sind zwar humanitär geboten, stellen aber trotzdem eine Sackgasse dar. Erstens kann so nicht Abermillionen von Geflüchteten geholfen werden, zweitens ändert das daran, dass die Fluchttendenz steigt, nichts, auch die Fluchtgründe werden so nicht beseitigt. Die „Rettungsstrategie“ ist nur Ausdruck des generellen Irrtums, den Problemen, die der Kapitalismus mit sich bringt, nur mit „innersystemischen“ Reformen und Hilfen zu begegnen. Alle großen Probleme des Kapitalismus – Not, Unterdrückung, Ausbeutung, Unterentwicklung, Krisen, Kriege – können nur gelöst werden, wenn dieses System gestürzt wird. Nicht die Flucht vor den Verhältnissen, sondern deren Veränderung ist die Lösung!

Zur „reformistischen“ Perspektive der Flüchtlingspolitik gehört auch, dass Flüchtlinge nur als Sozialfälle betrachtet werden und die Frage, wie der Widerstand gegen den Kapitalismus entwickelt werden kann, meist außen vor bleibt.

Offene Grenzen?

Einige linke Organisationen glauben, zur fraglos mangelhaften bürgerlichen Integrations- und Flüchtlingspolitik eine Alternative zu vertreten, indem sie die Forderung nach „Offenen Grenzen“, also nach unbeschränkter Zuwanderung, aufstellen. Diese Forderung wirkt zwar besonders links und radikal, ist aber stattdessen nur besonders weltfremd und dumm.

Was würde die Umsetzung dieser Forderung bedeuten? Es könnten alle Menschen nach Deutschland oder in andere Länder kommen, die das wollen. Nimmt man die Forderung ernst, müsste natürlich auch dafür Sorge getragen werden, dass Flüchtlinge einfach und ohne Risiken kommen könnten. Es müssten dafür entsprechende „Reisemöglichkeiten“ geschaffen werden. Das aber würde die Emigration noch lukrativer machen, was sofort zu einer erheblichen Vergrößerung der Flüchtlingszahlen führen würde. Deutschland stände dann vor der Aufgabe, jedes Jahr (!) zwei, drei oder noch mehr Millionen Migranten aufzunehmen. Diese brauchten Wohnungen, Schul- und Kitaplätze, Sprachunterricht, Ausbildungs- und Studienplätze und Jobs. Da die Mehrzahl der Flüchtenden aus Ländern kommt, die uns in sprachlicher, kultureller und sozialer Hinsicht eher fremd sind, ist deren Integration komplizierter, als das bei Menschen etwa aus Italien oder Ungarn der Fall wäre. Ohne Frage würde eine solche gesteigerte Massenmigration für die Aufnahmeländer nicht nur riesige Probleme auftürmen, sondern auch ein soziales und kulturelles Konfliktpotential schaffen, das zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen führen kann.

Als vor Jahren Thilo Sarrazin auf die langfristigen Folgen und Probleme der Massenmigration aus muslimischen Ländern hingewiesen hat, wurde er als rechtsextrem oder als Spinner abgetan. Davon abgesehen, dass seine Vorschläge lediglich typisch rechts-sozialdemokratisch waren und auch nicht per se rassistisch und ausländerfeindlich, zeigt sich nun immer deutlicher, dass er mit einigen (!) seiner Argumente durchaus recht hatte. Während sich nämlich Ausländer aus nicht-muslimischen Ländern alles in allem erfolgreich integrieren, gibt es fast nur Probleme mit der muslimisch geprägten Migration. Entgegen den Wunschträumen der „Multikultis“, die Migration immer nur als Bereicherung ansehen und glauben, eine sozial-kulturelle Gemeinschaft wäre eine Art Eintopf, wo alle „Zutaten“ einfach hinzugegeben, umgerührt und gemischt werden könnten, zeigt die Realität ein ganz anderes Bild. Überall nehmen die Probleme zu. Anstatt Weltoffenheit und Solidarität in der Gesellschaft zu stärken, werden durch die Massenmigration zunehmend Probleme erzeugt, die bei immer mehr Menschen Skepsis oder Ablehnung gegenüber der Migration erzeugen. Da ist es kein Wunder, dass es rechte Rattenfänger leicht haben, Menschen zu beeinflussen. Anstatt Staat und Kapital, kurz den Kapitalismus, als Problem zu identifizieren, schimpfen sie auf die Migranten, die dafür nicht nur nichts können, sondern vom Kapitalismus und seinen Katastrophen sogar besonders betroffen sind.

Es wäre Aufgabe der Linken und der Arbeiterbewegung, auf die Systembedingtheit der Migration und deren Probleme hinzuweisen, das tut sie aber meist nicht oder nur, wie die LINKE, ohne jede Konsequenz. Anstatt den Kapitalismus zu bekämpfen, spielen sie Heilsarmee. Der rechten, rassistischen und nationalistischen Hetze kann nicht dadurch begegnet werden, dass die realen und zunehmenden Probleme durch die Massenmigration heruntergespielt oder geleugnet werden. Die Forderung nach „Offenen Grenzen“ setzt dem noch die Krone auf, indem man eine Strategie vorschlägt, welche die Probleme weiter vergrößert und auch keinen Beitrag dazu leistet, den Kapitalismus zu überwinden.

Der Kontinent mit den größten sozialen Problemen ist Afrika. Dort geht die Schere zwischen dem enormen Bevölkerungszuwachs und der hinterher hinkenden sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung immer weiter auseinander. Es droht die Gefahr, dass ein ganzer Kontinent in Krieg und Bürgerkrieg, in Hunger und Armut versinkt. Dieses Problem kann aber nicht dadurch gelöst werden, dass immer mehr Menschen von dort nach Europa fliehen.

Die geradezu absurde Position der „Offenen Grenzen“ ist leider keine Ausnahme im linken Spektrum. Sie ist lediglich eine Stilblüte im Spektrum von Unsinnigkeiten „linker“ Politik. Auch in der Klima- und Energiefrage, zur Kernenergie, bei Corona, beim Gendern usw. passt sich das Gros der Linken der offiziellen Politik und bürgerlichen Strömungen und Bewegungen an. Eine Ursache dafür ist, dass die linke Szene weitgehend nur ideologisch agiert, d.h. sie analysiert nicht mehr die Realität, sondern betrachtet nur mehr die ideologische Ebene; sie reagiert nicht auf Fakten, sondern auf Meinungen darüber. Das hat mit einer materialistischen, historisch-kritischen Methode, wie sie der Marxismus darstellt, nichts zu tun. Das Ergebnis dessen ist, dass sich das Gros der Linken hinter Ideologien, Bewegungen und Projekte der Herrschenden stellt und damit Politik gegen die Interessen der Arbeiterklasse und der Mehrheit der Gesellschaft betreibt. Viele Linke stehen damit auf der falschen Seite der Barrikade.

Die Probleme, die mit der Massenmigration verbunden sind, dürfen nicht verschwiegen oder relativiert, sondern offen benannt werden. Das bedeutet u.a., dass die Regelung der Migration so weit wie möglich dem bürgerlichen Staat entwunden werden muss. So müssen z.B. die Kollegen von Migranten, die arbeiten oder in Ausbildung sind, darüber mitentscheiden bzw. dafür sorgen, dass diese nicht abgeschoben werden – nicht die Bürokratie der Ausländerbehörden. Migranten, die sich nicht integrieren wollen, kriminell sind und zumutbare Arbeit grundlos ablehnen, müssen abgeschoben werden. Zugleich müssen aber auch die Bemühungen für Integration verbessert werden. Das kann nur unter Mitwirkung der Bevölkerung, der Belegschaften und Gewerkschaften erfolgen. Die Verhinderung von Billigjobberei und Schwarzarbeit durch die Festlegung guter (Mindest)löhne und arbeitspolitischer Standards ist dabei eine wichtige Frage. Migranten müssen in die Arbeiterbewegung einbezogen und dürfen nicht nur als Sozialfälle angesehen werden. Auch Forderungen nach Aufteilung der Arbeit auf alle Hände ohne Lohnverzicht und eines gewerkschaftlich kontrollierten Programms öffentlicher Arbeiten müssen hier aufgestellt werden.

Hieran zeigt sich auch, dass der Kampf für bessere Integration, für soziale Verbesserungen, gegen Arbeitslosigkeit und Armut zusammengehören. Es muss aber immer betont werden, dass die Lösung dieser Probleme im Kapitalismus letztlich unmöglich ist. Es muss auch klar gesagt werden, dass eine weitere Zunahme der Massenmigration verhindert werden muss. Die Antwort auf die Massenmigration heißt nicht, die Illusion zu schüren, diese human gestalten zu können; sie heißt, den Klassenkampf voran zu bringen – hierzulande wie überall.

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