Vorwort: Der nachfolgende Offene Brief von Hanns Graaf ist eine Replik auf Patrik Baabs „Offenen Brief an Dr. Sarah Wagenknecht und Katja Wolf“. Wir hoffen, damit eine Diskussion in der linken Szene um die Fragen des Friedens und die Politik des BSW anzuregen. Die Redaktion
Lieber Patrik Baab,
ich kenne Ihre Position zum Ukrainekrieg von mehreren Veranstaltungen und möchte hier noch einmal meine Zustimmung zu Ihren Positionen und meine Anerkennung für Ihr Engagement ausdrücken.
Sie haben völlig recht, wenn Sie schreiben: „Nach den Wahlen am 23. Februar 2025 wird sich für die Menschen in Deutschland das atomare Vernichtungsrisiko dramatisch erhöhen.“ Inzwischen haben die Union, die FDP und die Grünen klar gemacht, dass sie für den Einsatz der Taurus-Marschflugkörper sind. Damit erhöhen sie das Risiko der Ausweitung dieses Krieges bis hin zum nuklearen Inferno und machen Deutschland endgültig zur direkten Kriegspartei.
Bisher sind nur das BSW und die AfD (die aber die NATO-Mitgliedschaft und die Aufrüstung unterstützt) offen gegen den Kriegskurs der Regierung aufgetreten. Das ist ein Verdienst von Frau Wagenknecht. Es ist daher nachvollziehbar, dass Sie, sehr geehrter Herr Baab, sich wie auch viele andere um das weitere Agieren des BSW Gedanken machen. In Ihrem Offenen Brief an die BSW-Vertreter Wagenknecht und Wolf schreiben Sie: „Deshalb schlage ich mit Blick auf eine Regierungsbildung in Thüringen vor, dass Sie, Frau Wolf, der Landesverband des Bündnisses Sahra Wagenknecht mit Ihrer Unterstützung, Frau Dr. Wagenknecht, dringend nachverhandeln. Möglichen Koalitionspartnern muss ein klares und unzweideutiges NEIN zu Taurus-Lieferungen an die Ukraine abverlangt werden.
Wenn dies nicht durchgesetzt werden kann und das BSW sich dennoch an einer Landesregierung beteiligt, wird die neue Partei nicht nur zum Mehrheitsbeschaffer der Kriegstreiber, sondern auch mitverantwortlich werden für einen möglichen Dritten Weltkrieg, an dessen Ende unser Land nicht mehr auffindbar sein wird. Ohne eine deutliche Positionierung darf es deshalb keine Regierungsbeteiligung des BSW geben.
Ein klares Nein zu Taurus-Lieferungen ist auch die einzige Möglichkeit, das BSW bei den kommenden Bundestagwahlen weiter als Friedenspartei zu profilieren und signifikant zu stärken. Als letzte verbliebene Friedenskraft in der deutschen Parteienlandschaft darf sich das BSW nicht in die Politik der Kriegstreiber verstricken lassen.“
Hier stimme ich Ihnen aus mehreren Gründen nicht zu. Erstens: Ob ein entsprechendes Statement in der Präambel der Regierungserklärung steht oder nicht, hat nur symbolische Bedeutung, ist aber realpolitisch wertlos. Eine Landesregierung entscheidet nicht über Taurus oder andere militärpolitische Fragen. Auch der Bundesrat ist dafür relativ irrelevant. Die Union u.a. Kriegstreiber-Parteien in den Landesregierungen würden eine solche Erklärung eher noch als Beleg ihrer „Friedensabsichten“ benutzen.
Zweitens ist ein NEIN zu Taurus keineswegs der einzige Weg, das BSW „weiter als Friedenspartei zu profilieren und signifikant zu stärken.“ Weitaus wichtiger wäre dabei, dass das BSW nicht nur Erklärungen abgibt und aller Jubeljahr eine zentrale Demo veranstaltet, sondern überall Friedenskomitees aufbaut, die auf Menschen zugehen, sie aktivieren und organisieren. Das haben Wagenknecht und Co. bisher weder getan noch beabsichtigt. Das Ergebnis dieser unzureichenden, fast nur auf mediale Präsenz zielende Politik ist die Tatsache, dass die Friedensbewegung genauso schwach geblieben ist, wie sie schon vor 3 oder 4 Jahren war – obwohl es Millionen gibt, die die Kriegs- und Aufrüstungspolitik der Ampel (und der Union) ablehnen und berechtigte Angst vor einem nuklearen Inferno haben.
Es ist überhaupt eine falsche (und typisch reformistische) Vorstellung des BSW, in eine bürgerliche Regierung einzutreten, um „linke Vorstellungen“ umzusetzen, anstatt auch und v.a. Menschen zu mobilisieren und zu organisieren, wie es z.B. bei der Bewegung „Deutsche Wohnen und Co. enteignen“ in Ansätzen der Fall war. Genau entgegengesetzt ausgerichtet ist die Politik der SPD und der PDS/Linkspartei schon seit vielen Jahrzehnten. Diese Politik hat nicht nur nie wirklich funktioniert, sie hat v.a. dazu geführt, dass die Illusionen in das System und dessen Mechanismen gestärkt wurden und dass zugleich das Bewusstsein und die Fähigkeit der Lohnabhängigen, sich Errungenschaften selbst zu erkämpfen, untergraben wurde. Ein Ergebnis dieser Politik ist, dass immer mehr Lohnabhängige von SPD und Linkspartei die Schnauze voll haben und sie weder wählen noch ihnen beitreten. Diese Schwäche der Arbeiterbewegung ist ein Hauptgrund dafür, dass Aufrüstung, Kriegstreiberei, Abbau von Demokratie usw. derart forciert werden konnten.
Es ist bezeichnend genug, dass das BSW offenbar kein grundsätzliches Problem damit hat, mit CDU und Co. zu koalieren, wenn diese doch nur ein abstraktes Bekenntnis zum Frieden abgeben würden. Sozialpolitik, Bildung, Klima, Energie usw. usw. sind offenbar nicht so wichtig – zumindest sieht man dort wohl genug Schnittmengen mit den Kapitalparteien.
Es ist für mich sehr auch verwunderlich, dass Sie als sehr guter Kenner und objektiver Beobachter der Ukraine-Frage es Frau Wagenknecht durchgehen lassen, dass Sie – wie die anderen Parteien (außer der AfD) – permanent Lügen darüber verbreitet. Sie spricht vom „völkerrechtswidrigen Angriffskrieg Putins“ und „vergisst“ dabei, dass die Osterweiterung der NATO, die antirussisch-rassistische Politik Kiews, der von Kiew 2014 begonnene Bürgerkrieg gegen die russische Mehrheitsbevölkerung im Donbass und die vom Westen torpedierten Minsker Verhandlungen erst jene brisante Situation geschaffen haben, die Putin letztlich zum militärischen Eingreifen animiert hat.
Bezüglich der Krim spricht Wagenknecht von einer „russischen Annektion“. Das ist historisch falsch. Davon abgesehen, dass die Krim (außer ab 1953 als „Geschenk“ Chrustschows) nie zur Ukraine gehört hat, gab es seit 1991 mehrere klare Beschlüsse des Regionalparlaments der Krim sowie mehrere Referenden, die klar zum Ausdruck brachten, dass die Krim nicht Teil der Ukraine sein möchte, sondern autonom sein oder zu Russland gehören will.
Mit solchen Aussagen, kann Wagenknecht nicht überzeugen und dem bellizistischen Mainstream nicht wirklich entgegentreten, ja sie konterkarieren die korrekte Grundposition des BSW.
Wenn Sie, Herr Baab, befürchten, dass ein falsches Agieren des BSW in der Koalitionsfrage „der Anfang vom Ende der neuen Partei“ wäre und „alle Hoffnungen zunichte machen (würde), eine neue Volkspartei aus der Taufe zu heben, die es mit dem Friedensgebot des Grundgesetzes ernst meint.“, dann ist das zwar berechtigt, aber gelinde gesagt auch blauäugig. Das Ende des BSW wurde schon damit eingeläutet, dass es i.w. die reformistische Politik des Stellvertretertums, des parlamentarischen Kretinismus und der Ablehnung des Klassenkampfes fortführt und sich davon nur punktuell unterscheidet. So aktiv auch die Grundposition des BSW zur Kriegsfrage unterstützt werden kann und muss, so wenig dürfen die Gesamtpolitik des BSW und sein komplett undemokratisches und bürokratisches „inneres Regime“ unterstützt werden.
Lieber Herr Baab, bleiben Sie weiter ein der Wahrheit und dem Frieden verpflichteter Journalist, aber überdenken Sie doch bitte Ihre Erwartungen an das BSW.
Mit besten Wünschen
Hanns Graaf