Der Oslo-Prozess

Hanns Graaf

Die aktuelle Zuspitzung des Nahostkonfliktes wirf auch ein grelles Licht auf die Ergebnisse früherer „Friedenslösungen“: Sie sind komplett gescheitert. Die umfangreichste „Friedensbemühung“ waren die Verhandlungen des Oslo-Prozesses.

Als 1993 die Verhandlungen zwischen Israel und der PLO unter der Regie der USA begannen, knüpften viele Menschen daran die Hoffnung, dass der furchtbare Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern nach vielen Jahrzehnten endlich zu Ende gehen würde. Diese Erwartungen waren von Politik und Medien massiv geschürt worden. Doch der einzige Effekt von Oslo bestand darin, für eine gewisse Zeit die Illusionen in die Vermittlerrolle des Imperialismus zu stärken und den Glauben an dessen Friedensabsichten zu schüren.

Worum es Israel geht und immer schon ging, sprach der israelische Likud-Politiker Moshe Feiglin in einem Interview mit Al Jazeera am 26.10.23 offen aus: „Es gibt nur eine Lösung: Gaza vollständig zerstören, bevor man dort einmarschiert. Und wenn ich von Zerstörung spreche, meine ich Zerstörung wie in Dresden und Hiroshima, ohne Atomwaffe.“

Verhandlungen

Der Begriff „Oslo-Friedensprozess“ bezeichnet eine 1993 begonnene Reihe von Abkommen zwischen der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) und Israel zur Lösung des Nahostkonflikts. Am 13. September 1993 unterzeichneten in Washington die Außenminister Abbas (PLO), Peres (Israel), Christopher (USA) und Kosyrew (Russland) die „Prinzipienerklärung über die vorübergehende Selbstverwaltung“ (Oslo I). Israel akzeptierte die PLO als offiziellen Vertreter der Palästinenser, die PLO verpflichtete sich, Israel als Staat anzuerkennen. Das Abkommen enthielt allgemeine Aussagen darüber, die Verantwortung im Gazastreifen und im Westjordanland auf die Palästinenser zu übertragen und ihnen eine autonome Regelung ihrer Angelegenheiten zu gestatten. Brisante Fragen wie der Status Jerusalems, die Flüchtlingsfrage oder die Siedlungen im Westjordanland wurden in dem Abkommen jedoch ausgeklammert. In folgenden Abkommen in Paris und Kairo wurden 1994 weitere Vereinbarungen getroffen.

In Taba (Ägypten) unterzeichneten Rabin und Arafat am 24.9.1995 das „Interimsabkommen über das Westjordanland und den Gazastreifen“ (Oslo II). Die Palästinenser bekamen für etwa 3% des Westjordanlands (mit über 80% der palästinensischen Bevölkerung des Westjordanlandes) autonome Regierungskompetenzen zugesprochen. In etwa ¼ des Gebietes sollten sich die Palästinensische Autonomiebehörde und Israel die Verwaltung teilen. In den restlichen 73% sollten die Israelis weiter allein die Kontrolle behalten.

Im Kern bedeuten all diese Vereinbarungen, dass sich an der Vertreibung und Unterdrückung der Palästinenser nichts ändert und Israel seine aggressive Siedlungspolitik fortführen kann. Die „Autonomie“ der Palästinenser bleibt äußerst eingeschränkt, die Kontrolle Israels über die Region in allen wesentlichen Fragen hingegen bleibt bestehen.

In der Grundsatzerklärung von Oslo heißt es u.a., die palästinensischen Machtbefugnisse erstreckten sich auf „das Westjordanland und den Gazastreifen, außer in Fragen, die Gegenstand der permanenten Statusverhandlungen sind: Jerusalem, Siedlungen, Militärstandorte und Israelis“ – mit anderen Worten, in allen Fragen von Bedeutung. (zitiert nach: N. Chomski, Wer beherrscht die Welt?, Ullstein 2017, S. 169)

Zum Gesamtcharakter von Oslo I und Oslo II schreibt Chomsky treffend: „Alle UN-Resolutionen, die in irgendeiner Weise die palästinensischen Rechte betrafen, wurden aufgehoben – auch diejenigen, die sich auf die Rechtmäßigkeit der Siedlungen, den Status von Jerusalem und das Recht auf die Rückkehr bezogen. So wurden praktisch mit einem Federstrich alle Fortschritte der Nahost-Diplomatie annulliert“ (ebenda S.171/72). V.a. über die Siedlungspolitik Israels enthielten die Oslo-Verträge keine verpflichtenden Bestimmungen.

Der scheinheilige Charakter der Verhandlungen kommt schon darin zum Ausdruck, dass keine Vertreter der palästinensischen Flüchtlinge mit am Verhandlungstisch saßen. Die Forderung der PLO nach einer internationalen Nahost-Konferenz wurde abgelehnt – zugunsten von Verhandlungen unter der Regie der US-Regierung unter Clinton, die auf Seiten Israels stand. Oslo erweckt den Eindruck, als hätten die USA die Initiative zu Friedensverhandlungen ergriffen, doch tatsächlich war es die PLO, die schon Jahre zuvor immer wieder Angebote unterbreitet hatte, die von den USA und Israel alle abgelehnt worden waren. Warum kam es dann 1993 trotzdem zu den Oslo-Verhandlungen?

Intifada

1987 brach die erste Intifada aus, der militante Widerstand der Palästinenser, v.a. der Jugend, gegen die andauernde und sich verschärfende Besatzungs- und Unterdrückungspolitik Israels. Für die PLO-Führung um Arafat, die in Tunis residierte, kam der Aufstand total überraschend – genauso wie für Israel. Arafat suchte nun nach einem Weg, sein sinkendes Prestige wieder aufzupolieren, Israel und die USA ihrerseits wollten die Intifada durch eine diplomatische Aktion beenden. Die Verhandlungen von Oslo waren das Ergebnis dieser Entwicklungen.

Wie zu erwarten, war die Folge von Oslo weder Frieden in der Region, noch ein Ende der Besatzung, der Vertreibung und Unterdrückung der Palästinenser. So sehr von der westlichen Politik und den Medien der Oslo-Prozess auch als großer Fortschritt bezeichnet wurde – er bewirkte nichts und konnte nichts bewirken, weil er an der Ursache des Konfliktes – der rassistischen Annektionspolitik Israels – nichts geändert hat. Oslo ist auch ein gutes Beispiel dafür, wie illusorisch die Hoffnung der pazifistischen und reformistischen Linken ist, durch Verträge mit dem Imperialismus, durch Zugeständnisse und Diplomatie Frieden und Sicherheit zu erreichen. Die Diplomatie hat eher den Zweck, der Bourgeoisie und ihren politischen Agenturen ein humanistisches Mäntelchen umzuhängen.

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