Ist der Kapitalismus reformierbar? (Teil 2/2)

Hanns Graaf

Der Arbeiterbewegung gelang es im 19. und im 20. Jahrhundert, erhebliche soziale und politische Erfolge zu erreichen – auch in Verbindung mit Aufschwungphasen des Kapitalismus. Als der Lange Nachkriegsboom in den 1970ern zu Ende war, schloss sich diesem eine „Plateauphase“ an: die erreichten Verbesserungen (v.a. in den imperialistischen Zentren) wurden „verwaltet“, aber nicht weiter ausgebaut. Schon in den 1970ern und umso mehr mit dem Beginn des Spätimperialismus in den 1990ern geriet der Kapitalismus zunehmend in Turbulenzen und die sozialen Errungenschaften der Arbeiterklasse wurden unter Beschuss genommen. Die neoliberalen Struktur“reformen“, technologische Sprünge, v.a. aber die Erschließung neuer Märkte und Profitquellen (China, Ostblock) führten dazu, dass der Kapitalismus kurzzeitig einen neuen Impuls bekam. Die Weltfinanzkrise von 2008 zeigte aber, dass dieser „Zwischenboom“ die grundsätzlichen Verwertungsprobleme des Kapitals (Warenüberproduktion, Überschuss an C-Kapital und Geldkapital) nicht lösen konnte und gewaltige Krisenpotentiale (Finanzmarkt) aufgehäuft hatte.

Bezüglich des politischen Reformismus bedeuteten diese Entwicklungen:

  • reformerische Errungenschaften wurde minimiert (Reallohnverluste, geringere soziale Leistungen), die lohnabhängige Unterschicht wuchs und verelendete stärker, der soziale Spielraum des Reformismus wurde enger;
  • rechtere Strömungen im Reformismus (3.Weg) nahmen zu, tw. war die Sozialdemokratie Vorreiter neoliberaler Angriffe (in Deutschland Schröder mit den Agenda-Reformen);
  • die Unterstützung des Reformismus (Mitglieder, Wähler) nahm ab und neue reformistische Formationen entstanden (Syriza, Podemos, WASG, Aufstehen, BSW u.a.).

Degeneration des revolutionären Flügels

Die Erosion und die „Verrätereien“ des Reformismus führten aber nicht wie noch Anfang des 20. Jahrhunderts dazu, dass der linke, revolutionäre Flügel der Arbeiterbewegung davon profitierte. Ein Grund dafür ist die Degeneration des revolutionären Flügels der Arbeiterbewegung mit der Durchsetzung des Stalinismus ab Mitte der 1920er Jahre – nicht nur in der UdSSR, sondern auch in der kommunistischen Weltbewegung (Komintern). Daraus ergab sich der zweite Grund: die Folge von strategischen Niederlagen der Arbeiterklasse in revolutionären Situationen u.a. zentralen Klassenkonflikten in den 1930ern und 1940ern. Dabei wurde nicht nur die revolutionäre Vorhut dezimiert, darunter litt auch das Vertrauen der Massen in die Erfolgsaussichten der Revolution. Weitere Gründe waren später der Lange Nachkriegsboom und die damit verbundene Verbesserung der Lage der Arbeiterklasse der imperialistischen Länder und Jahrzehnte ohne Kriege zwischen den westlichen imperialistischen Staaten. All das schien die Reformierung des Kapitalismus als Strategie zu bestätigen.

Dazu kam, dass die Minderheit von Linken, die sich gegen Sozialdemokratie und Stalinismus wandte, die u.a. in der IV. Internationale um Trotzki zu finden war, es nicht vermochte, trotz wichtiger Ansätze ihre Programmatik genügend weiter zu entwickeln. Es mangelte an einer kritischen Aufarbeitung des Bolschewismus und – damit verbunden – u.a. an einer Unterschätzung der Bedeutung von Selbstverwaltung und Genossenschaftswesen. Auch die krude Ablehnung des Anarchismus war ein Fehler.

Das Ergebnis dieser Negativa war und ist eine subjektiv antikapitalistisch-revolutionäre Linke, die programmatisch unterbelichtet und unfähig ist, die Methode von Marx korrekt anzuwenden. Sie ist sektiererisch oder/und opportunistisch. Das trifft besonders auf das stalinistisch-maoistische Milieu zu, aber auch auf die trotzkistische und rätekommunistische Linke. Ausdruck dieser Krise ist die große Zersplitterung der „extremen Linken“ und deren starke Anpassung an „links-grüne“ Ideologien und Bewegungen (Klimakatastrophismus, Genderideologie, Moralismus usw.). Das Ergebnis? Gingen linke Jugendliche früher in linke Gruppen, machen sie heute bei Fridays for Future mit.

Die Revolution wird heute allgemein nur als gutgemeinte Spinnerei oder als reiner Utopismus abgetan oder aber überhaupt abgelehnt, weil man ja – in Verwechslung von Stalinismus und Kommunismus – gesehen habe, wozu der Kommunismus führt. Doch nicht nur die Revolution ist bisher alles in allem gescheitert, sondern – was meist nicht gesehen wird – auch der Reformismus.

Yanis Varoufakis – in der Finanzkrise Griechenlands von Januar bis Juni 2015 Finanzminister und wegen seines Widerstands gegen die Troika bekannt geworden – äußerte sich zur Sozialdemokratie wie folgt: „Die Sozialdemokratie ist am Ende. Grund ist die Art und Weise, wie sich der Kapitalismus entwickelt hat. Als Willy Brandt regierte, oder Harold Wilson (…) war ihre Aufgabe, sich mit den Vertretern des industriellen Kapitals und den Gewerkschaften an einen großen Tisch zu setzen und einen Deal zu machen. Ein Teil des Mehrwerts wird an die Arbeiter gehen, ein weiterer Teil geht an mich, an den Staat, um den Sozialstaat zu finanzieren. (…) Dann, nach 1971, kam das Ende von der Bretton-Woods-Währungsordnung, und die Entfesselung des Finanzkapitals, die Macht wanderte vom industriellen Wirtschaftszweig zum Finanzzweig. Die Sozialdemokraten in Form von Blair und Schröder machten jetzt also Deals mit den Bankern, statt mit Industrie und Gewerkschaften. (…) Doch dann brach das Bankensystem zusammen. Und die Sozialdemokraten verstanden nicht, was passiert war. Sie verfügten nicht über die analytischen Fähigkeiten, um zu verstehen, dass es ihre Schuld war.“

Ein historisches Fazit

Die Sozialdemokratie, hat nicht nur dabei versagt, den Sozialismus zu erreichen, sie hat auch dabei versagt, den Kapitalismus zu reformieren. Wo ihr das in Ansätzen gelang, lag das weniger an der sozialdemokratischen Politik an sich, sondern eher an der konjunkturellen Entwicklung des Kapitalismus (Nachkriegsboom) und an der Stärke der Arbeiterbewegung. Doch gerade den letzteren Faktor hat die Sozialdemokratie immer weiter untergraben. M.a.W.: ihrer Strategie fehlte zunehmend auch die Streitmacht, sie umzusetzen. „Erfolgreicher“ Reformismus ist insofern eine Folge von Pyrrhussiegen. Immer dann, wenn die Krisen des Kapitalismus zunehmen und sich in Kriegen und Sozialabbau äußern, versagt der Reformismus und seine „Errungenschaften“ gehen verloren. Er ist, wie Trotzkis einmal sagte, wie ein kaputter Regenschirm: Bei Sonnenschein bemerkt niemand den Schaden, doch wehe, es regnet …

Erfahrungen

Die Revolution von 1917 stellt für viele Linke ein Modell dar, wie Revolutionäre in der Revolution agieren sollten. Sie betonen zu recht, dass eine revolutionäre Partei notwendig ist, die die Klasse führt, den Aufstand für die Machtergreifung vorbereitet und die Verteidigung der Revolution organisiert. Doch sie übersehen zumeist, dass der Sieg der Bolschewiki 1917 auch ein Ergebnis besonderer Bedingungen war, die so in Westeuropa nicht gegeben waren bzw. sind. Am ehesten bestanden sie 1936 in Spanien oder 1944-46 in Griechenland.

Schon in den 1920ern gab es revolutionäre Marxisten – darunter auch Lenin selbst -, die darauf verwiesen, dass eine Kopie der Taktik der Bolschewiki nicht ausreicht, um erfolgreich zu sein. Ein Vergleich Russlands 1917 mit dem Deutschland zwischen 1918 und 1933 zeigt das deutlich. In Deutschland dominierte der organisierte Reformismus von SPD und ADGB die Arbeiterklasse, die Bourgeoisie war weit stärker als in Russland. D.h, dass die Kraft der revolutionären Partei allein nicht ausreichte, um die Klasse zur und in der Revolution zu führen. Es bedurfte eines darüber hinausreichenden kritischen „oppositionellen“ Potentials und weiterer Strukturen des Proletariats, um die Macht erobern und behaupten zu können. Zu letzteren gehören Selbstverwaltungs- und Genossenschaftsstrukturen, Kontrollorgane, ein revolutionärer Gewerkschaftsflügel usw. Diese gab es in Russland fast nicht. U.a. deshalb spielten die Parteien, obwohl sie zu Anfang 1917 keine Massenparteien waren, eine so große Rolle – neben den Sowjets u.a. Basisorganen des Proletariats, die es aber erst in, jedoch nicht schon vor der Revolution gab und geben konnte. Die Partei und ihre während der Revolutionsmonate errungene Dominanz in den Sowjets reichten unter den besonderen Bedingungen Russlands aber aus, um sich durchzusetzen.

In Westeuropa u.a. hochentwickelten Ländern reichte das nicht. Hier mussten die Kommunisten erst die Dominanz des Reformismus aufbrechen und proletarische Bastionen in allen Bereichen der Gesellschaft aufbauen. Dazu bedurfte es einerseits einer korrekt angewendeten Einheitsfrontpolitik, die die Kampfeinheit der Klasse mit den reformistischen Organisationen herstellt und dabei zugleich den Reformismus politisch attackiert, testet und herausfordert und einen Teil der Basis des Reformismus auf die Seite der Revolution zieht. Zugleich mussten eigene Strukturen der Arbeiterklasse gegen Staat und Kapital aufgebaut werden, die nicht nur im politischen Bereich, sondern auch im ökonomischen, kulturellen, im Bildungsbereich usw. agierten. Das unternahm tw. sogar der Reformismus – und oft nicht unerfolgreich. Doch er sah diese Bemühungen eher als Organe der sozialen Selbsthilfe an, nicht (auch) als Stützpunkte des antikapitalistischen Klassenkampfes.

Die Sozialdemokratie ließ im Zuge ihrer zunehmend reformistischen Ausrichtung bald jede klassen-autonome Organisierung außerhalb von Partei und Gewerkschaft fallen und wurde immer systemkonformer. Doch auch die kommunistische Arbeiterbewegung unterschätzte ihrerseits die proletarische Selbstorganisation. Zudem wurde jede vernünftige Einheitsfrontpolitik ab Ende der 1920er unter dem Einfluss der herrschenden Gruppe um Stalin ad absurdum geführt (Sozialfaschismus-These, Einheitsfront von unten) und damit die antifaschistische Einheitsfront in Deutschland verhindert. Die historische Lehre daraus kann nur sein, diese Fehler und Versäumnisse zu überwinden.

Für einen revolutionären Reformismus!

Was bedeutet das? Der grundlegende Fehler des sozialdemokratischen Reformismus besteht darin, dass er a) nicht in eine revolutionäre Strategie eingebettet ist, welche die Alltagskämpfe und das gegebene ideologische und organisatorische Niveau der Arbeiterklasse mit dem Ziel der Revolution und der Machtergreifung der Klasse verbindet. Diese Verbindung existiert modellhaft in programmatischer Form in Gestalt des „Übergangsprogramms“ Trotzkis, welches 1938 das Gründungsprogramm der IV. Internationale war. Obwohl auch dieses den Aspekt der genossenschaftlichen Selbstorganisation unterbelichtet, ist es doch methodisch der einzige Typ von Programm, der „reformerische“ und revolutionäre Forderungen und Taktiken strukturell verbindet.

Der andere grundlegende Fehler des sozialdemokratischen Reformismus besteht darin, dass er nicht auf die demokratische Selbstorganisation der Lohnabhängigen setzt, sondern nur auf bürokratische Strukturen und Mechanismen bzw. überhaupt auf Staat und Parlament. So wird nicht nur die Aktion der Klasse begrenzt und im Rahmen des Systems gehalten, sondern zugleich auch die Umwälzung des Bewusstseins der Klasse behindert. Es entsteht eine Situation, dass die Arbeiterklasse vom Klassenkampf „entwöhnt“ ist und nur noch eingeschränkt bereit und in der Lage ist, sogar schon erreichte Positionen zu verteidigen – was die Reformisten wiederum als „Argument“ benutzen, nicht kämpfen zu können, weil die Basis angeblich nicht wolle.

Auch in dieser Hinsicht bietet das „Übergangsprogramm“ eine Lösung. Deren Übergangsforderungen (neben anderen, die keinen direkten Übergangscharakter tragen) bestehen wesentlich darin, dass sie die Massen dazu auffordern, eigene Strukturen für den Kampf aufzubauen, die sie selbst direkt, ohne „abgehobene“ Bürokratie kontrollieren: Räte, Streikkomitees, Streikposten, Kontrollkomitees in der Produktion, zur Preiskontrolle usw. und Milizen. Diese Organe sollen auch die Basis einer revolutionären Arbeiterregierung sein, die das Kapital enteignet und den bürgerlichen Staat durch eine Rätedemokratie ersetzt.

Das Übergangsprogramm war keine Kopfgeburt von Trotzki. Es verarbeitet die realen Erfahrungen der revolutionären Klassenkämpfe in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Immer wieder bauten die Arbeiterklasse (und tw. auch nichtproletarische Schichten) solche Strukturen auf oder versuchten es. Und immer waren es die Sozialdemokratie und die Stalinisten, die sich dagegen stellten. Lediglich die Anarchisten und die Rätekommunisten bezogen sich insgesamt positiv auf solche Versuche.

Es geht also nicht nur darum, die „historische Führungskrise des Proletariats“ dadurch zu lösen, indem eine revolutionäre Partei und Internationale aufgebaut wird; es geht auch darum, klassenkämpferische und revolutionäre Strukturen in den Gewerkschaften zu schaffen; es geht darum, die proletarische Selbstverwaltung voranzubringen. Nur so, nur wenn wir an allen Fronten des Klassenkrieges kämpfen und nicht nur an der politischen, können wir siegen.

Ja, der Kapitalismus ist reformierbar, wenn der Kampf um Reformen auf revolutionäre Weise geführt wird und mit dem Ziel der Revolution verbunden wird. Selbst die Revolution an sich ist „nur“ insofern revolutionär, als das Proletariat die Macht erobert; alles, was darauf folgt – und nur auf Basis der Machtergreifung folgen kann – ist ein tiefgreifender Reformprozess, der alle Bereiche der Gesellschaft umfasst und die Eigentumsfrage als zentrale Achse hat. Dieswe Reformen müssen aber vom Proletariat bewusst durchgesetzt werden und nicht von einer Bürokratie. Gelingt dies nicht, wird die nachkapitalistische Gesellschaft über eine staatskapitalistische Übergangsphase wieder in den Kapitalismus zurückgeworfen. Das ist die historische Lehre aus dem Stalinismus, der Vergesellschaftung mit Verstaatlichung „verwechselte“.

Zwei aktuelle Beispiele

Die Einführung eines Mindestlohnes in Deutschland war sicher ein Fortschritt, weil er das Lohndumping begrenzt. Doch schon die Art der Einführung ist typisch reformistisch. Während Löhne und Tarifverträge zwischen Kapital und Arbeit (genauer: von den reformistischen Vertretern der Arbeiterklasse) ausgehandelt werden, wurde der Mindestlohn vom Parlament festgelegt und eingeführt. Auch die Angleichung der Höhe des Mindestlohnes an die Inflation wird von den Parteien bzw. vom Bundestag festgelegt.

Dieses Vorgehen bedeutet, dass die Arbeiterklasse (ihr beschäftigter wie ihr arbeitsloser Teil) darauf keinen direkten Einfluss hat. Die wichtige Frage des Mindestlohns wird so auch aus der Diskussion an der Basis herausgehalten. Die Politisierung und auch die politische Qualifizierung der Lohnabhängigen wird so unterlaufen und die Entscheidung den herrschenden Eliten überlassen. So wird die Herausbildung von Klassenbewusstsein behindert.

Ein anderes Beispiel ist die Energiepolitik. Seit Jahrzehnten wird in Deutschland die Energiewende (EW) vorangetrieben. Dafür wird die unwissenschaftliche Ideologie von einer drohenden Klimakatastrophe durch anthropogenes CO2 verbreitet, um angeblich „klimaschädliche“ Technologien zu entwerten und durch „Erneuerbare“ zu ersetzen. Die EW dient bestimmten „grünen“ Fraktionen des Kapitals und wird durch die von „grünen“ Milieus in Medien, Politik, „Wissenschaft“ und Staat vorangetrieben. Die Politik, d.h. Parteien und Parlament, haben sich jedoch inzwischen soweit von der Realität entfernt, dass sie kaum noch in der Lage sind, naturwissenschaftliche und technische Fragen, die für die Gesellschaft relevant sind, zu beurteilen. Dieses Problem wird noch dadurch verschlimmert, dass auch die „unabhängigen“ Fach- und Beratungsgremien immer mehr unter den Einfluss des Kapitals und dessen bornierten Interessen geraten sind und vom Parteienklüngel personell bestimmt werden.

Um dem entgegen zu wirken, müsste die Energiepolitik auch in Gremien der Beschäftigten und Spezialisten des Energiesektors beraten werden. Entscheidungen, Gesetze usw., die diesen Bereich betreffen, dürften ohne deren Expertise und ohne deren Zustimmung nicht beschlossen werden. Diese „direkte Demokratie“ wäre nicht nur weitaus besser als die längst überlebte und überforderte parlamentarische Demokratie, sie würde auch den Einfluss der Arbeiterklasse auf die Gesellschaft vergrößern. Insofern müssten Linke, die diesen Namen verdienen, anstatt unreflektiert der fatalen EW-Politik zuzustimmen, für diese „direkte Demokratie“ eintreten. In diesem Zusammenhang müssten antikapitalistische Forderungen nach Enteignung der Energiekonzerne und deren direkte (!) demokratische Kontrolle – keine Verstaatlichung – gefordert werden. Ein „Energieplan“ müsste erarbeitet und gesellschaftlich diskutiert werden. Dabei dürften „grüne“ Pseudo-Experten nicht mitmachen, sondern nur wirkliche Experten, die über physikalische, technische und ökonomische Kenntnisse verfügen und nicht nur Kinderbuchautoren und Theaterwissenschaftler sind oder nur mit Dummschwätzerei glänzen.

Fazit

Letztlich geht es immer darum, dass die Arbeiterklasse (und ihr „nahestehende“ Mittelschichten) sich selbst mit gesellschaftlichen Fragen befasst und dazu eigene Strukturen bildet, die Staat, Kapital und der offiziellen Scheindemokratie entgegenstehen. Nur so kann sich Klassenbewusstsein entwickeln, das sich nicht nur auf die direkt politisch-ideologische Ebene bezieht, sondern im umfänglichen Sinn alternatives soziales Bewusstsein ist.

Geschieht dies, kann der Kapitalismus in einem, wenn auch begrenzten, Maße reformiert und zumindest einige Fehlentwicklungen verhindert werden. Letzten Endes geht es dabei darum, welche Klasse – Bourgeoisie oder Proletariat – wie viel Einfluss in der Gesellschaft hat. Den Kampf darum kann man einen Kampf um Hegemonie nennen. Allerdings muss dabei immer klar sein, dass 1. diese nur in Ansätzen erreichbar und der Kapitalismus insgesamt nicht reformierbar ist und 2. die Revolution unverzichtbar dafür ist, den Kapitalismus zu überwinden und die Klassenherrschaft des Kapitals durch eine proletarische Rätedemokratie zu ersetzen. Gerade der Kampf um die Hegemonie offenbart die Möglichkeiten und Potenzen der Arbeiterklasse u.a. produktiver Schichten, aber auch deren Grenzen innerhalb des Systems. Die Eroberung von sozialen Machtpositionen löst aber nicht den Klassenwiderspruch, sondern vertieft ihn. Der Klassenwiderspruch und die Systemfrage werden nicht nur härter, sie werden v.a. auch Teil des Bewusstseins der Massen. Um mit Marx zu sprechen: Die versteinerten Verhältnisse müssen zum Tanzen gezwungen werden, indem man ihnen ihre eigene Melodie vorsingt.

Zusammengefasst: Der „revolutionäre Reformismus“ ist Ausdruck, aber auch Voraussetzung der Revolution. Der Kapitalismus ist reformierbar, aber nur nur in den engen Grenzen seiner Produktionsweise. Die ihm eigene Dynamik sorgt für „Reformen“, die aber die systemischen Grenzen nicht überschreitet und die Ursachen von Krisen und Kriegen, von Not, Unterentwicklung und Unterdrückung nicht überwindet.

Nur das Proletariat, das mit einem Bewusstsein seiner Möglichkeiten und seiner historischen Mission ausgestattet ist, kann einen wirklichen Reformprozess anstoßen, der es bis an die Grenze der Revolution führt. Dann aber gilt: Hic Rhodus, hic salta. Begnügen sich die Arbeiterklasse und ihre politische Vorhut damit, nur auf die Revolution zu setzen oder aber nur auf Reformen, dann wird es weder Reformen noch die Revolution geben. Wenn Brecht von den „Mühen der Ebene“ sprach, die der Kommunismus bereithalte, nachdem das Gebirge des Kapitalismus überschritten ist, so sprechen wir von den „Mühen der Ebene“, die der Revolution vorausgehen.

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