Corona und Kapitalismus

Hanns Graaf

Der Corona-Virus ist nicht durch den Kapitalismus entstanden. Aber die Corona-Epidemie offenbart, wie Kapitalismus funktioniert.

Es ist nicht verwunderlich, dass die öffentliche Meinung (die meist die übernommene veröffentlichte Meinung ist) aktuell die Politik der GroKo und ihrer Berater als gut und alternativlos ansieht. Psychologisch spielt dabei mit, dass der Mensch der Klassengesellschaft, der daran gewöhnt wurde, sich unterzuordnen und Angst hat, soziale Verantwortung zu übernehmen, in Situationen der Bedrohung nach einer autoritären Herrschaft sucht, quasi als „Vaterfigur“ in Form eines Führers, eines starken Mannes oder einer „bewährten“ starken Regierung. Diese Reaktion erfolgt umso massenhafter, wenn die Linke und die Arbeiterbewegung als Alternativen nahezu unsichtbar und unhörbar bleiben. Und genau das ist aktuell leider der Fall. Gerade jetzt müssten Linke doch auf die Fehler und das Versagen der bürgerlichen Instanzen und des Systems hinweisen, angemessen auf die Krise zu reagieren bzw. sich darauf vorzubereiten. Doch hier kommt wenig bis nichts!

Das Krisenmanagement

Es geht hier weder darum, alle verordneten Maßnahmen gegen die Corona-Krise als falsch darzustellen – schon deshalb nicht, weil es im Zweifelsfall besser ist, mehr als zu wenig zu tun -, noch wollen wir hier die Lauterkeit und Kompetenz der Virologen anzweifeln, dazu fehlt uns allein schon die Fachkompetenz. Wir wollen hier aber einen Kontrapunkt zur offiziellen „Anti-Corona-Volksfront“ setzen.

In den ersten offiziellen Statements wurde das Corona-Problem – ohne jede Begründung – klein geredet und Warnungen als Fakenews abgetan. Politik und offizielle Medien (TV, Printmedien) tun jetzt so, als ob die deutsche Regierung das Richtige täte oder getan hätte und sich auf „die Wissenschaft“ stützen würde. Doch das ist falsch.

Inzwischen ist eindeutig klar, dass die Regierung(en) – alle unter Merkel und von der Union geführt – dabei versagt haben, sich auf Epidemien wie die aktuelle vorzubereiten. Bereits 2012/13 haben Bundestag und Regierung sich mit diversen Bedrohungen befasst und Papiere dazu verfasst. Getan wurde – zumindest hinsichtlich der Epidemievorsorge – nichts. Weder Beatmungsgeräte noch so simple Dinge wie Masken oder Schutzkleidung wurden vorsorglich angeschafft. Ein Plan, wie man im Fall des Falles reagiert und wie die Instanzen dann zusammenarbeiten, existiert offenbar nicht oder spielt in der Praxis keine Rolle. Auch die Situation im Gesundheitssystem und in der Pflege war schon unter Normalbedingungen angespannt, somit war klar, dass das System bei einer Epidemie kollabieren könnte. Diese Missstände betreffen auch die meisten anderen Länder und sind insofern systemische Fehler. Hier spielt nicht nur eine Rolle, dass das Sozial- und Gesundheitswesen aus Profitgründen oft kaputt gespart oder am Limit gehalten wurde, hier zeigt sich auch das Versagen der staatlichen und Politbürokratie und des Parlamentarismus wie etwa auch in der Flüchtlingskrise, der angeblichen „Klimakrise“, der „Dieselkrise“ u.a. Fragen.

Ein Schweizer Arzt schreibt: Bereits im „März 2019 (!) wurde in der epidemiologischen Studie von Peng Zhou aus Wuhan gesagt, dass u.a. aufgrund der Biologie der Corona-Viren in den Fledermäusen („bat“) in China vorausgesagt werden kann, dass es in Kürze eine erneute Corona-Pandemie geben werde. Mit Sicherheit! Man könne nur nicht genau sagen wann und wo, aber China werde der hot-spot sein. (…) Im Prinzip waren das 8 konkrete, deutliche Warnungen innerhalb von 17 Jahren, dass so etwas kommen wird. Und dann kommt es tatsächlich: im Dezember 2019, 9 Monate nach Peng Zhou’s Warnung. Und die Chinesen informieren die WHO nachdem sie 27 Patienten mit atypischer Pneumonie ohne Todesfall gesehen haben. Noch am 31. Dezember beginnt die Reaktionskette von Taiwan, die aus insgesamt 124 Maßnahmen bestand – alles bis zum 3. März 2020 publiziert. Und nein, es wurde nicht auf Taiwanesisch-chinesisch in einer asiatischen medizinischen Zeitschrift publiziert, sondern unter Mitarbeit der University of California im „Journal of American Medical Association“. (Quelle)

In Deutschland durften noch Wochen nach dem Ausbruch der Corona-Krise in Wuhan Menschen von dort einreisen, ohne kontrolliert oder separiert zu werden. Auch Volksfeste zum Bockbieranstich, Karnevalsumzüge und Klassenfahrten fanden statt. Dass der Virus in Heinsberg (NRW) solche massiven Folgen hat, liegt nur daran, dass die Bundesregierung nicht zügig reagiert hat. Von der angeblichen „Sorge um die Gesundheit der Bürger“ keine Spur. Sicher geht es hier nicht darum, dass die Politik absichtlich Schaden stiften oder gar mutwillig eine Krise erzeugen wollte. Solche Verschwörungstheorien kann man getrost als Unsinn abhaken. Vielmehr geht es darum, dass diese Gesellschaft, ihre Strukturen und Entscheidungswege nicht in der Lage sind, schnell und vernünftig zu handeln.

Angesichts einer weltweiten Pandemie erwartet man eigentlich, dass internationale Institutionen und Mechanismen greifen. Doch weit gefehlt! Was wir sehen, sind entweder nationale Egoismen und Konkurrenz, oder aber völliges Versagen. Letzteres trifft auch auf die EU zu, die sich weder um die mangelhafte Krisen-Prävention der EU-Länder noch um deren oft viel zu langsames Reagieren gekümmert hat, geschweige denn selbst aktiv vorangegangen ist.

Auch der deutsche Föderalismus muss auf den Prüfstand! Es ist absurd genug, dass das Baurecht, das Bildungswesen u.a. Fragen, bei denen es keine regionalen Unterschiede gibt oder geben sollte, der Hoheit der Länder unterstehen. Auch Epidemien werfen zwar mitunter regional, z.B. in Grenzgebieten, unterschiedliche Probleme auf, doch das ändert nichts daran, dass es eine gesamt-nationale Politik braucht und nicht einen Flickenteppich verschiedener Kompetenzen und Maßnahmen. KritikerInnen dieses absurden föderalistischen Theaters (die es ohnedies kaum gibt) werden mit dem „Argument“ abgetan, der Föderalismus (in dieser Form) hätte etwas mit Demokratie zu tun. Dabei hat er v.a. damit zu tun, dass zehntausende Bürokraten und Politiker durch ihn Posten und Privilegien haben. Auf die Frage des Föderalismus angesprochen, meinte LINKEN-Politiker Bartsch nur lapidar, „darum gehe es nicht“.

Pseudowissenschaft?

Im Moment scheint es so, als folge die Politik der Wissenschaft. Jeden Tag werden uns im TV Fakten zur Corona-Ausbreitung, die Zahl der Infizierten und Toten präsentiert. Das soll den Eindruck erzeugen, man wüsste genau, was los ist und könnte dementsprechend rational handeln. Doch das ist durchaus nicht so!

Es gibt nämlich mehrere Probleme:

  • die Methoden der Datenerhebung, der Feststellung der Zahl von Infizierten und der Todesursachen sind sehr verschieden, so dass ein Vergleich der Daten verschiedener Länder fast unmöglich ist;
  • die Zahl und die Art der Tests sind verschieden, sinnvolle Tests werden oft nicht oder zu spät durchgeführt, tw. reichen die Laborkapazitäten nicht aus; Länder, wo mehr und schneller getestet wurde, z.B. Südkorea, haben weniger Probleme mit dem Virus, weil sie die Epidemie schneller und zielgenauer bekämpfen konnten;
  • eine genaue Analyse der Todesfälle inkl. einer gründlichen Leichenbeschau fehlt meistens, wo sie jedoch durchgeführt wurde, zeigt sich, dass die Zahl der wirklich an Corona Verstorbenen deutlich unter den „offiziellen“ Zahlen liegt.

Diese u.a. Umstände bedeuten, dass es gar keinen genauen Überblick über die Ausbreitung und die Mortalitätsrate durch den Virus gibt. Dazu ein Beispiel: Auf dem Kreuzfahrtschiff „Diamond Princess“ hatten sich 700 Passagiere und Crewmitglieder angesteckt, 7 sind gestorben, das entspricht 1%. Doch die Passagiere waren überdurchschnittlich alt. Wenn man die Sterberate der „Diamond Princess“ auf die Altersstruktur der USA überträgt, ergibt sich eine Todesrate von nur 0,125% – weniger als bei einer üblichen Grippewelle.

Einen genaueren Überblick über die Dynamik und das Ausmaß der Epidemie könnte man nur erhalten, wenn es umfangreichere Stichproben-Tests geben würde, ähnlich den Wahlumfragen.

Der deutsche Virologe Prof. Streeck meinte in einem Interview: „Zurzeit stützt man sich zu sehr auf Modellrechnungen. Aber diese Modelle stecken voller Annahmen, die niemand getestet hat. Und es muss oft ja nur eine Annahme falsch sein oder eine Sache unberücksichtigt und schon fällt das ganze Modell in sich zusammen.“

Sicher ist jeder Virus anders und es bleibt daher immer eine gewisse „Unschärfe“ der Einschätzung, Eines aber sollte doch klar sein: eine effektive Eingrenzung solcher Epidemien kann nur erfolgen, wenn schnell und koordiniert gehandelt wird. Dazu gehören Maßnahmen wie Tests, Einschränkung der Übertragungswege, Schutz und Isolierung der besonders bedrohten Gruppen und der Erkrankten usw.. Gerade hier liegt aber die Schuld der Bundesregierung, weil sie wochenlang nicht reagiert bzw. Warnungen ignoriert und als „Fakenews“ abgetan hat. Im Fall des Falles sollte immer gelten: Vorsicht ist besser als Nachsorge.

Die Reaktion der Politik war aber so wie immer: erst reagiert man gar nicht, um dann plötzlich in übertriebenen Aktivismus zu verfallen. Warum ist ein Picknick zu zweit (Ehepartner) verboten? Warum mussten alle möglichen Läden schließen, obwohl sie sich durchaus auf den Virenschutz einstellen könnten (Abstand, Masken)? Warum gelten bestimmte Schutzmaßnahmen nicht durchgehend und jeder Supermarkt(konzern) agiert unterschiedlich? Musste man die Essenausgaben für Arme (Tafeln) schließen? Usw. usf..

Politik und Wissenschaft

Ein Problem des Kapitalismus besteht darin, dass das Parteiensystem und der Parlamentarismus damit verbunden sind, dass fast nur Leute in Entscheidungsgremien kommen, die von konkreten Fragen der Gesellschaft keine Ahnung haben und zudem dem Anpassungsdruck ihrer Partei resp. der dahinter stehenden Interessengruppen des Kapitals unterliegen. So sind Juristen und Sozialwissenschaftler die typischen Berufe von Parlamentariern und Parteifunktionären, die sich oft über Jahrzehnte nur noch in ihrer bürokratischen Blase bewegen.

Das Problem der „Realitätsferne“ wird aber dadurch noch akuter, dass die moderne Gesellschaft fast nur noch Fragen aufwirft, die mit Wissenschaft und Technik verbunden sind und nur vernünftig gelöst werden können, wenn die Entscheider bzw. die Gremien dazu kompetent sind. Das aber sind sie nicht. Man schaue sich nur an, wie viele Physiker oder Naturwissenschaftler im Bundestag sitzen – zehn Finger reichen da zum zählen. Umso wichtiger wäre es daher, dass es fachliche Beratungsgremien gäbe, die unabhängig und kompetent der Politik und dem Staatsapparat die nötige Expertise bereitstellen würden. Doch das ist oft nicht der Fall! Die Bürokratie besetzt die Posten mit ihren Leuten und sitzt am Geldhahn der Institute. Die Wissenschaft hängt am Tropf der Politik und ist von den Infusionen des Kapitals (Drittmittel) abhängig. Auch der Einfluss von Lobbygruppen ist groß.
Dazu kommt noch die Symbiose von Politik und Massenmedien. Immer öfter bestimmen deren Schlagzeilen die Politik und treiben sie in irrationale Kampagnen. Ein aktuelles Beispiel sind die NOx-Abgaswerte. Noch vor wenigen Monaten galten Dieselautos als die großen Dreckschleudern. Inzwischen ist durch Corona der PKW-Verkehr deutlich zurück gegangen – doch die Luft wurde nicht sauberer. Was vorher schon bewiesen war – dass die Diesel-Hysterie komplett übertrieben und absurd war – wird so aktuell erneut bestätigt. Reaktion von Politik und „Staatsmedien“ – wir werden sehen.

Gesundheitswesen und Pharmakapital

Gerade bei Pandemien ist die WHO besonders gefragt. Der Brite Paul Flynn, der 2010 eine Untersuchung im Europarat gegen die WHO geleitet hatte, kritisiert diese wie folgt: „Meiner Meinung nach ist sie (…) exzessiv beeinflusst von der Pharmaindustrie, die sehr geschickt bei der Manipulation von Gesundheitsausgaben vorgeht, zugunsten eigener finanzieller Interessen.“ Das WHO-Projekt „Global Alliance for Vaccines and Immunization“ (Globale Allianz für Impfstoffe und Immunisierung) wird zu 75% (750 Mio. US-Dollar) von der „Bill und Melinda Gates-Stiftung“ finanziert, hinter der wiederum die Pharmaindustrie steht.

Wegen ihrer Pandemie-Politik wurde die WHO oft kritisiert. So wurden nach dem Auftreten der Vogelgrippe 2005 weltweit bis zu 7 Mill. Tote prognostiziert – obwohl es mehrere ernsthafte Studien gab, die das völlig anders sahen. Aufgrund der WHO-Meinung wurden von vielen Ländern Millionen für die Grippemittel Tamiflu und Relenza ausgegeben. Die Vogelgrippe verbreitete sich zwar weltweit, doch es starben nur 152 Menschen, viel weniger als bei jeder „normalen“ Grippe. Der WHO-Verantwortliche Klaus Stöhr wechselte 2007 zum Pharmakonzern Novartis.
Ein generelles Problem der WHO sind auch die zu niedrigen Beitragszahlungen der Länder. Dadurch ist die WHO auf private Spenden angewiesen, die in erheblichem Maße von der Pharmaindustrie kommen. 2014 berichtete Frontal21, dass ca. 75% des WHO-Budgets aus dieser Quelle stammen. Natürlich ist es nicht so, dass deshalb alle gesundheitspolitischen Maßnahmen wie etwa die Impfpflicht falsch wären und nur den Profitinteressen geschuldet wären, doch Zweifel an der Objektivität „offizieller“ Gremien ist immer geboten.

Was lehrt uns die Corona-Krise?

Vor allem Eines: alles, was mit Gesundheitsvorsorge zu tun hat, muss dem Zugriff des privaten Kapitals, aber auch des bürokratischen Staates entrissen werden! Es muss sozialisiert werden, d.h. in die direkte Verfügungsgewalt derer gegeben werden, die damit zu tun haben und über Fachkompetenz verfügen: medizinisches Personal, WissenschaftlerInnen, PatientInnen, Gewerkschaften. Alles muss deren direkter demokratischer Kontrolle unterliegen. Der Staat muss so weit wie möglich herausgehalten werden. Insofern greifen die Vorschläge nach Verstaatlichung (mit oder ohne den Zusatz der „Arbeiterkontrolle“) viel zu kurz, weil Verstaatlichung eben immer bedeutet, dass die Verfügungsgewalt nicht in den Händen der ProduzentInnen und KonsumentInnen liegt. Auch der Stalinismus hat bewiesen, wohin eine solche Struktur letztlich führt.

Die Mechanismen des Kapitalismus, auf Krisen zu reagieren, sind nur sehr mangelhaft – nicht nur bei Corona, sondern auch bei sozialen, ökologischen u.a. Krisen. Nicht nur die bornierten privaten Profitinteressen stehen einem rationalen Krisenmanagement entgegen, sondern auch der bürokratische Filz aus Politik und Staat, der wiederum mit einem mehr oder weniger „unqualifizierten“ Konglomerat aus Medien und ideologisierter „Wissenschaft“ verquickt ist. Wer glaubt, dieses Knäuel an Problemen würde sich selbst entwirren? Der Kapitalismus ist immer weniger in der Lage, adäquat, d.h. zum Nutzen der Gesellschaft zu reagieren. Die Gesellschaft wird immer mehr zum Selbstbedienungsladen der Oberschicht und zur Spielwiese der Bürokratie – letzteres manchmal sogar zum Schaden des Kapitals. Dieses Gestrüpp aus Bürokratie und Kapital, diesen Gordischen Knoten kann man nicht entwirren, man kann ihn nur zerschlagen – durch eine revolutionäre Transformation.

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