Hanns Graaf
Dieser Beitrag widmet sich der Revolutionstheorie. Er vergleicht die Position von Marx zur Revolution von 1848 mit der Volksfrontpolitik Stalins ab den 1930er Jahren.
Die Revolution von 1848 war eine bürgerlich-demokratische Revolution, in der das damals noch tw. revolutionär eingestellte Bürgertum die Führung inne hatte. Die kämpfende Basis aber stellte schon damals das Proletariat. Mitte des 19. Jahrhunderts war es aber nach Zahl und Organisation oft noch nicht in der Lage, die Führung der Bewegung zu übernehmen und als eigenständige Kraft zu agieren.
Marx war das – trotz seines grundlegenden revolutionären Optimismus – durchaus bewusst. Der „Bund der Kommunisten“ war nur eine sehr kleine Kaderorganisation, die wenig Einfluss hatte. Marx´ Agieren 1848 hatte v.a. zwei Ziele: 1. sollte das Programm der proletarischen Revolution entgegen den Vorstellungen einer nur bürgerlichen in der Vorhut des Proletariats verbreitet werden. 2. sollte die Arbeiterklasse dazu angeregt werden, sich eigenständig zu organisieren und möglichst viele eigene Positionen zu erringen, um die Revolution bei nächster Gelegenheit unter eigener Regie und mit eigenen Zielen weiterzuführen. Nie hat Marx dafür plädiert, dass die Arbeiter sich den Bürgerlichen unterordnen, auf ihre Ziele verzichten oder gar in eine bürgerliche Regierung eintreten sollen.
Marx´ Position von 1850
Als Mitglied der Zentralbehörde des „Bundes der Kommunisten“ bilanziert Marx 1850 die Ergebnisse der Revolution in Deutschland und zeigt, welche Position die Arbeiterklasse aktuell und künftig einnehmen solle. Wir zitieren aus dieser „Ansprache der Zentralbehörde an den Bund“ einige Passagen, welche die Position von Marx verdeutlichen.
„Während also die demokratische Partei, die Partei der Kleinbürgerschaft, sich in Deutschland immer mehr organisierte, verlor die Arbeiterpartei ihren einzigen festen Halt, blieb höchstens in einzelnen Lokalitäten zu lokalen Zwecken organisiert und geriet dadurch in der allgemeinen Bewegung vollständig unter die Herrschaft und Leitung der kleinbürgerlichen Demokraten. Diesem Zustande muss ein Ende gemacht, die Selbständigkeit der Arbeiter muss hergestellt werden. (…)
Wir sagten Euch, Brüder, schon im Jahre 1848, dass die deutschen liberalen Bourgeois bald zur Herrschaft kommen und ihre neu errungene Macht sofort gegen die Arbeiter kehren würden. Ihr habt gesehen, wie dies in Erfüllung gegangen ist. (…)
Das Verhältnis der revolutionären Arbeiterpartei zur kleinbürgerlichen Demokratie ist dies: Sie geht mit ihr zusammen gegen die Fraktion, deren Sturz sie bezweckt; sie tritt ihnen gegenüber in allem, wodurch sie sich für sich selbst festsetzen wollen. (…)
Während die demokratischen Kleinbürger die Revolution möglichst rasch und unter Durchführung höchstens der obigen Ansprüche zum Abschlusse bringen wollen, ist es unser Interesse und unsere Aufgabe, die Revolution permanent zu machen, so lange, bis alle mehr oder weniger besitzenden Klassen von der Herrschaft verdrängt sind, die Staatsgewalt vom Proletariat erobert und die Assoziation der Proletarier nicht nur in einem Lande, sondern in allen herrschenden Ländern der ganzen Welt so weit vorgeschritten ist, dass die Konkurrenz der Proletarier in diesen Ländern aufgehört hat und dass wenigstens die entscheidenden produktiven Kräfte in den Händen der Proletarier konzentriert sind. Es kann sich für uns nicht um Veränderung des Privateigentums handeln, sondern nur um seine Vernichtung, nicht um Vertuschung der Klassengegensätze, sondern um Aufhebung der Klassen, nicht um Verbesserung der bestehenden Gesellschaft, sondern um Gründung einer neuen. (…)
Im gegenwärtigen Augenblicke, wo die demokratischen Kleinbürger überall unterdrückt sind, predigen sie dem Proletariat im allgemeinen Einigung und Versöhnung (…) in der die bestimmten Forderungen des Proletariats um des liebe Friedens willen nicht vorgebracht werden dürfen. Eine solche Vereinigung würde allein zu ihrem Vorteile und ganz zum Nachteile des Proletariats ausfallen. Das Proletariat würde seine ganze selbständige, mühsam erkaufte Stellung verlieren und wieder zum Anhängsel der offiziellen bürgerlichen Demokratie herabsinken. Diese Vereinigung muss also auf das entschiedenste zurückgewiesen werden. (…)
Die Arbeiter müssen (…) dahin arbeiten, dass die unmittelbare revolutionäre Aufregung nicht sogleich nach dem Siege wieder unterdrückt wird. Sie müssen sie im Gegenteil solange wie möglich aufrechterhalten. (…) Während des Kampfes und nach dem Kampf müssen die Arbeiter neben den Forderungen der bürgerlichen Demokraten ihre eigenen Forderungen bei jeder Gelegenheit aufstellen. Sie müssen Garantien für die Arbeiter verlangen, sobald die demokratischen Bürger sich anschicken, die Regierung in die Hand zu nehmen. Sie müssen sich diese Garantien nötigenfalls erzwingen und überhaupt dafür sorgen, dass die neuen Regierer sich zu allen nur möglichen Konzessionen und Versprechungen verpflichten – das sicherste Mittel, sie zu kompromittieren. (…)
Sie müssen neben den neuen offiziellen Regierungen zugleich eigene revolutionäre Arbeiterregierungen (…) errichten (…)
Um aber dieser Partei, deren Verrat an den Arbeitern mit der ersten Stunde des Sieges anfangen wird, energisch und drohend entgegentreten zu können, müssen die Arbeiter bewaffnet und organisiert sein. (…)
Sobald die neuen Regierungen sich einigermaßen befestigt haben, wird ihr Kampf gegen die Arbeiter sofort beginnen. (…) Das Proletariat muss hier dafür sorgen: (…)
dass diese Eisenbahnen und Fabriken als Eigentum von Reaktionären vom Staate einfach und ohne Entschädigung konfisziert werden. (…)
Aber sie selbst müssen das meiste zu ihrem endlichen Siege dadurch tun, dass sie sich über ihre Klasseninteressen aufklären, ihre selbständige Parteistellung sobald wie möglich einnehmen, sich durch die heuchlerischen Phrasen der demokratischen Kleinbürger keinen Augenblick an der unabhängigen Organisation der Partei des Proletariats irremachen lassen. Ihr Schlachtruf muß sein: Die Revolution in Permanenz.“
Damit setzt dieses Dokument die Methodik des „Kommunistischen Manifestes“ von 1847 fort und präzisiert sie.
Marx´ Methode
Was Marx hier aufstellt, sind Prinzipien, sind Taktiken angesichts einer bürgerlich-demokratischen Revolution wie 1848. Doch auch in späteren Revolutionen, in denen das Proletariat als stärkerer und eigenständiger Faktor auftrat und sozialistische Zielstellungen eine wichtige Rolle spielten, tauchten Elemente einer bürgerlich-demokratischen Umwälzung auf und das Bürgertum agierte darin als selbstständige, nun aber bereits konterrevolutionäre Kraft. Das war 1917 in Russland und 1918 in Deutschland so oder 1936 in Spanien. Diese Revolutionen unterschieden sich von den Revolutionen von 1848 dadurch, dass die Parteien des liberalen Bürgertums schon so schwach waren, dass sie auf die Hilfe von Arbeiterparteien angewiesen waren, um die Revolution auszubremsen. In Russland waren es die Menschewiki, in Deutschland war es die SPD, in Spanien waren es die Sozialdemokraten und die KP und – trotz ihrer antikapitalistisch-revolutionären „Ambitionen“ – die Anarchisten aufgrund ihrer falschen Strategie.
Auf wenige Thesen komprimiert, können wir Marx´ Herangehen wie folgt zusammenfassen:
- Kein Vertrauen des Proletariats in die liberale Bourgeoisie!
- Bewahrung der politischen und organisatorischen Unabhängigkeit der Arbeiterbewegung!
- Nur begrenzte Bündnisse und Abkommen mit den Liberalen gegen Feudale und Konterrevolutionäre!
- Etablierung eigener Machtorgane bis hin zu einer Arbeiterregierung!
- Durchsetzung antikapitalistischer Maßnahmen und Enteignung der Bourgeoisie!
- Weiterführung der demokratischen in die sozialistische Revolution (Permanenz der Revolution)!
Die letzten drei Punkte waren für die Situation von 1848 in Deutschland sicher etwas optimistisch, da die Arbeiterklasse noch zu unreif war, sowohl was deren Größe als auch, was deren Organisiertheit anbetraf. Umso bezeichnender ist, dass Marx trotzdem jede Unterordnung unter die Bourgeoisie ablehnte.
Die Entwicklungen nach 1848
Als Marx die 48er Revolution bilanzierte, hatte er die Erwartung, dass die Arbeiterbewegung sich quantitativ und qualitativ entwickeln würde und sich schon bald die Chance für eine neue, vom Proletariat geprägte Revolution ergeben würde. Doch es sollte noch Jahrzehnte dauern, bis es so weit war. 1864 entstand die I. Internationale, die aber nur bis 1872 bestand. Erst 1875 gründete sich in Gotha die erste wirkliche Arbeiterpartei des Kontinents – allerdings auf einem nicht-revolutionären Programm, das Marx kritisierte, wenn auch in ungenügender Weise.
Abgesehen von einzelnen Emeuten, z.B. der Pariser Kommune, gab es erst nach Marx´ Tod 1883 eine wirklich starke, international verbreitete Arbeiterbewegung in Gestalt von Parteien, Gewerkschaften, Parlamentsfraktionen, eigenen Medien und in Form von Streiks bis hin zu ersten Generalstreiks und der Revolution von 1905 in Russland. Ende des 19. Jahrhunderts hatte das Proletariat die Weltbühne als eigenständiger Faktor betreten. Dieser historische Aufschwung war aber mit zwei besonderen Merkmalen verbunden: 1. war die Programmatik der Sozialdemokratie (der Parteien wie der Gewerkschaften) stark reformistisch geprägt und nicht revolutionär. 2. erfolgte in den 1890ern der Übergang zum Imperialismus, der neue Strukturen und Herausforderungen bereithielt, z.B. das Aufkommen einer Arbeiteraristokratie und -bürokratie, verstärkte Militarisierung und Kriegstreiberei sowie die Zunahme des Nationalismus.
Konflikte in der Arbeiterbewegung
Ende des 19. Jahrhunderts begann in der Sozialdemokratie die politische Differenzierung zwischen einem reformistisch orientierten Milieu und einem zentristischen bzw. revolutionären. Mit den Repliken von Kautsky und Luxemburg gegen Bernstein begann 1899 in der SPD der offene Kampf zwischen diesen Flügeln. Wenig später brach auch der Konflikt zwischen dem revolutionären Flügel um Luxemburg (und in Russland um Lenin) und den Zentristen um Kautsky aus. Dieser entzündete sich v.a. an der Haltung zur Massenstreikfrage und zur Revolution von 1905 in Russland.
Obwohl die Linken um Luxemburg und Lenin strategisch gesehen gegenüber Bernstein recht hatten, litt ihre Position darunter, dass auch sie keine konsequent revolutionäre Programmatik vertraten. Luxemburg und ihre Anhänger versäumten es auch, einen konsequenten Fraktionskampf zu führen. Auch sie stellten sich auf das bestenfalls zentristische und inzwischen überholte „Erfurter Programm“ der SPD von 1892, auf das sich – nicht zu unrecht – auch Bernstein und Kautsky bezogen. Lenin wiederum forcierte 1903 den fraktionellen Bruch der SdAPR. Doch auch die Bolschewiki standen weiter auf demselben Programm wie die Menschewiki. Das sollte sich erst 1917 mit Lenins April-Thesen ändern.
Ein Mangel in den Positionen der Linken war die Unterschätzung der Frage der Selbstorganisation und der Genossenschaftsfrage. Luxemburg bügelte Bernsteins Mahnung von 1899, sich endlich ernsthaft theoretisch-programmatisch damit zu befassen, einfach ab. Ihre korrekte Orientierung auf die Selbstorganisation und auf Massenaktionen der Arbeiter setzte stark auf die Spontaneität und blendete die Frage der Strukturen weitgehend aus. Lenin und die Bolschewiki betonten zwar die Selbstständigkeit und die Führungsrolle des Proletariats, hatten aber zur Frage der Räte (Sowjets) immer eine indifferente Haltung.
Ein anderes Problem der Sozialdemokratie und auch der Linken war ihre falsche, unmarxistische Position zur Frage der (nachkapitalistischen) Wirtschaft. Sie sahen nämlich nicht die direkte (!) Übernahme der Produktionsmittel durch die, wie Marx es formulierte, „assoziierten Produzenten“ vor, sondern die Übernahme der Wirtschaft durch den Staat – bei der Sozialdemokratie durch die Übernahme des bürgerlichen Staates, bei Lenin durch einen neuen „proletarischen Staat“.
Weitgehend ungeklärt blieb (wie auch bei Marx) auch die Frage der Revolutionstheorie, u.a. die Frage der Bündnispolitik, des proletarischen „Staates“ und der Charakter der nachrevolutionären Übergangsgesellschaft.
Insgesamt blieben die Theoriebildung und Programmentwicklung, die bei Marx und Engels – trotz vieler von ihnen nur wenig ausgearbeiteter Themen – ihrer Zeit insgesamt voraus waren, ab 1900 hinter den sich schnell verändernden objektiven Umständen (Imperialismus) und subjektiven Faktoren (Arbeiterbewegung) zurück. Dieses Manko sollte sich bald als schwere Hypothek für die revolutionäre Arbeiterbewegung erweisen.
Die Volksfront-Strategie
Ende der 1920er vertrat die Kommunistische Internationale (Komintern) die Politik der „Dritten Periode“. Die kurze Nachkriegsstabilisierung, die „Goldenen 20er“, war zu Ende gegangen. Nun erwartete man den Zusammenbruch des Kapitalismus und das „letzte Gefecht“. Mittel- und langfristige Aufgaben rückten in den Hintergrund: Einheitsfrontpolitik, Genossenschaften, Bündnispolitik usw. Absurde Parolen der Thälmann-KPD wie die vom „Sozialfaschismus“ oder „Nach Hitler kommen wir“ desorientierten die Arbeiterbewegung, relativierten die besondere Gefahr des Faschismus und unterminierten die Schaffung der proletarischen Einheitsfront gegen den Faschismus.
Nachdem diese Politik 1933 offenkundig gescheitert war, nahm man nicht etwa eine Analyse des eigenen Versagens vor, sondern schwenkte vom Sektierertum zum Opportunismus um: die Volksfrontpolitik. Während die sektiererische „3. Periode-Politik“ die Klassenlinie mitten durch das Proletariat gezogen hatte, verlegte man sie nun mitten durch die Bourgeoisie. Konkret hieß das, dass ein Teil der Bourgeoisie – der „demokratische“, „antifaschistische“ und „national verantwortungsbewusste“ Flügel der Kapitalisten – Partner des Proletariats sein sollte. Natürlich ist es möglich, punktuell und begrenzt auch mit bürgerlichen Kräften zu kooperieren, doch darum ging es bei der Volksfront nicht. Die Besonderheiten dieser Konzeption sind vielmehr folgende: 1. wird keine begrenzte Aktionseinheit, sondern ein Regierungsbündnis angestrebt; 2. werden wesentliche proletarische Ziele in Politik und Propaganda aufgegeben: die Enteignung des Kapitals und die Zerschlagung des bürgerlichen Staatsapparats und dessen Ersetzung durch eine Rätedemokratie. Dieses Entgegenkommen war notwendig, damit die Volksfront für die Bourgeoisie überhaupt akzeptabel sein konnte.
Wir wollen an drei historischen Beispielen zeigen, welche fatalen Folgen die Volksfrontpolitik in Situationen zugespitzter Klassenkämpfe hatte.
Beispiel Frankreich
In Frankreich entstand 1934 angesichts des Aufstiegs der Faschisten und aufbrandender heftiger Klassenkämpfe die Volksfront (französisch: Front populaire). Sie war ein Bündnis aus der Sozialistischen Partei (SFIO), der KP und der bürgerlichen Radikalen Partei (RP). Das Bündnis zielte auf die Verteidigung der Demokratie ab, wollte – zur Befriedung der Arbeiter – soziale Reformen durchzusetzen und die Faschisten bekämpfen. Im Mai 1936 ging aus den Wahlen die Volksfront-Regierung aus SFIO und RP unter Leon Blum (SFIO) hervor. Die KP war nicht Teil der Regierung, unterstützte sie aber. Die Volksfront-Regierung führte einige Reformen durch, z.B. bezahlten Urlaub, Verkürzung der Arbeitszeit und einige Verstaatlichungen.
Was war die Bilanz dieser Regierung, die bis 1938 bestand? Die sozialen Errungenschaften lösten sich unter dem Druck der Krise und der Inflation großteils in Luft auf. Frankreich unterstützte das revolutionäre Spanien nur unzureichend, was deren Niederlage erleichterte. Die Enttäuschung über die Volksfront führte 1938 zum Regierungswechsel. Die französische Bourgeoisie unterstützte ab dann den aggressiven Kurs Nazi-Deutschland, weigerte sich, 1938/39 ihre Bündnisverpflichtungen gegenüber der ČSSR und Polen zu erfüllen (was vermutlich Deutschlands Niederlage schon 1939 bedeutet hätte), sabotierte eine effektive Verteidigung gegen den Angriff Deutschlands auf Frankreich und kollaborierte mit den deutschen Besatzern.
Der Hauptschaden, den die Volksfrontpolitik der KP, hinter der die revolutionär gesinnten Arbeiter standen, anrichtete, war, dass sie in einer vorrevolutionären Situation die Arbeiterklasse nicht zum Kampf um die Macht mobilisiert hatte, sondern sie der Befriedungs- und Almosenpolitik der Regierung unterordnete.
Beispiel Spanien
In Spanien entstand 1936 in Folge von Wahlen eine Volksfrontregierung aus kleinen bürgerlichen Parteien, den Sozialdemokraten und der KP. Später traten ihr auch die Anarchisten bei. Die Umstände, unter denen die Spanische Revolution stattfand, waren denen in Russland 1917 durchaus ähnlich. Doch während in Russland die Bolschewiki der bürgerlichen Keranski-Regierung nicht beitraten, sondern sie stürzte und eine revolutionäre Regierung an deren Stelle setzte, trat die Spanische KP auf Anweisung aus Moskau der Volksfront bei.
Die Faschisten werden aber nicht dadurch gestoppt, dass man mit – noch dazu sehr schwachen – bürgerlichen Parteien koaliert, sondern durch die Mobilisierung und Bewaffnung des Proletariats und der armen Bauern. Gerade das wurde aber von der Volksfront behindert. Die Dorfarmut hätte man auf die Seite der Revolution gezogen, indem man eine konsequente Landreform umsetzt. Doch diese wurde von der Regierung eher verschleppt, ja tw. blockiert. Den selben Fehler machte sie gegenüber der Bevölkerung in der spanischen Kolonie Marokko, der man nicht die Unabhängigkeit zugestand und sie damit dem Einfluss Francos auslieferte, dessen Truppen z.T. aus Marokkanern bestanden. Auch die Entmachtung der Generalskaste erfolgte nicht bzw. zu spät, so dass sie sich Francos Meuterei anschließen konnte.
Der minimale „Gewinn“ durch die Inkorporierung bürgerlicher Parteien bedeutete einen wesentlichen Verlust an revolutionärer Dynamik und damit an Überzeugungskraft und Opferbereitschaft der Massen. Das „Mehr“ an Kräften war kein Gewinn, sondern eine Schwächung der Revolution, weil die Volksfront entgegengesetzte Klasseninteressen vereint.
In Spanien waren die subjektiv revolutionären Kräfte vergleichsweise zahlenmäßig weitaus stärker als 1917 in Russland. Die KP, die POUM, die linken Sozialdemokraten und v.a. die Anarchisten – die stärkste Kraft – wären problemlos imstande gewesen, die Regierung zu stürzen und selbst die Macht zu übernehmen – allein, sie wollten nicht, was v.a. an deren zögerlichen und untauglichen Führungen lag. Während die Bolschewiki 1917 die Revolution voran getrieben hatten, bremsten die KP, die POUM und die Anarchisten sie – um ihre bürgerlichen Partner nicht zu verprellen. Das Ergebnis ist bekannt: Franco zeigte sich als Konterrevolutionär so entschlossen, wie es seine Gegner hätten sein müssen …
Beispiel Griechenland
Die (in der deutschen Linken wenig bekannte) Revolution in Griechenland von 1944-48 ist ein besonders drastisches Beispiel für das Scheitern der Volksfrontstrategie. Der Bürgerkrieg entflammte 1944 als Partisanenkampf gegen die deutschen Besatzer. Als diese abzogen, war das Land faktisch ohne starke Staatsmacht. Die Partisanenbewegung ELAS stand unter Führung der KP. Sie kontrollierte bald 90% des Landes. Die konterrevolutionären Kräfte, die kleine und aufgrund ihrer Kollaboration mit den Nazis verhasste Bourgeoisie und die Königstreuen, waren zu schwach, um gegen die Partisanen, hinter denen die große Mehrheit der Bevölkerung stand, zu bestehen. Doch anstatt die Macht zu übernehmen, suchte die KP – auf Anordnung Stalins – eine Verständigung mit den Briten. Gemeinsam mit ihnen sollte die neue Ordnung für Griechenland ausgehandelt werden. Diese sollte nach den Vorstellungen Stalins jedoch keine revolutionär-sozialistische sein, wie es die Mehrheit der Basis von KP und ELAS eigentlich wollte, sondern eine bürgerliche. Diese Strategie verfolgte Stalin ab 1944/45 auch in Osteuropa. Erst der Marshall-Plan der USA, der beginnende Kalte Krieg und der drohende Machtverlust der Moskau-treuen KPen sorgten dafür, dass Stalin Ende der 1940er seinen Kurs änderte und die Reste an bürgerlichen Strukturen in Politik, Staat und Wirtschaft eliminierte – freilich nicht, um eine Rätedemokratie zu errichten, sondern eine bürokratische, staatskapitalistische Ordnung.
Sobald die Briten 1945 ihre militärischen Kräfte frei hatten, wandten sie sich Griechenland zu. Mit brutaler Gewalt bekämpften sie die ELAS, die der britischen Militärmaschine zu wenig entgegenzusetzen hatte. Stalin unterstützte die ELAS nicht, ja er weigerte sich sogar, den Briten ein Ultimatum zu stellen, dem diese hätten folgen müssen, da sie gegen die Rote Armee und Titos Kräfte, die auf dem Balkan präsent waren, keine Chance gehabt hätten. So aber richteten die Briten und ihre einheimischen reaktionären Helfer ein Blutbad an, dem Stalin zusah, weil er die Anti-Hitler-Koalition auch nach der Niederlage Deutschlands erhalten und den strategischen Kompromiss mit dem Westen nicht gefährden wollte.
In Griechenland waren die objektiven Bedingungen für die Revolution besonders günstig. Doch anstatt diese konsequent zu nutzen, opferte Stalin die Revolution der Illusion eines strategischen Übereinkommens mit dem Imperialismus.
Stalinismus vs. Marxismus
Stalin begründete die Volksfrontpolitik u.a so.: „Die Volksfront ist eine vorübergehende taktische Allianz, die notwendig ist, um den Faschismus zu bekämpfen.“ Das ist in mehrfacher Hinsicht falsch. Erstens wurde diese Politik ab 1934 immer angewendet, auch wenn es gar nicht um die Bekämpfung des Faschismus ging (1945 in Italien und Frankreich, wo die KPen auf Geheiß Stalins in eine bürgerliche Regierung eintraten). Zweitens war sie (nicht nur in Spanien) ein auf Jahre angelegtes Regierungsbündnis und keine „vorübergehende taktische“ Maßnahme. Sie verstieß gegen den ursprünglich von allen großen Revolutionären anerkannten Grundsatz, nie in eine bürgerliche Regierung einzutreten. Schon 1899 hatte Luxemburg das Verhalten des französischen Sozialisten Alexandre Millerand scharf kritisiert, der – noch dazu gegen den Willen seiner Partei – als Minister in eine bürgerliche Regierung eingetreten war. Luxemburg zeigte, dass dieses Manöver nicht nur Illusionen in die bürgerliche Politik schürt und das Klassenbewusstsein des Proletariats untergräbt, sondern auch die versprochenen sozialen Reformen nicht eingelöst wurden. Noch heute ist es das Bestreben aller Reformisten (SPD, Linkspartei, BSW), mitzuregieren, weil sie weder bereit noch in der Lage sind, den Klassenkampf voran zu bringen. Drittens ist Stalins Begründung auch deshalb falsch, weil selbst der Kampf gegen den Faschismus nicht durch Koalitionen mit bürgerlichen Kräften, sondern nur durch die Mobilisierung der Massen gelingen kann.
Die Volksfrontstrategie ist letztlich ein Mittel, die grundlegenden Interessen des Proletariats (Enteignung des Kapitals, Ersetzung des bürgerlichen Staates durch ein Rätesystem) denen der Bourgeoisie unterzuordnen. Dahinter steht das Bestreben der Bürokratie, einen strategischen Kompromiss mit dem Weltkapital (damals v.a. mit Britannien und Frankreich, später sogar mit Nazi-Deutschland) zu erreichen, anstatt wie es Lenin und Trotzki stets betont hatten, den internationalen revolutionären Prozess voran zu bringen. Dazu hätte es der Selbstorganisation der Klasse in eigenen demokratischen Organen (Arbeiterregierung, Milizen, Räte, Genossenschaften) bedurft. Diese Orientierung würde aber mir der Herrschaft der Bürokratie in der UdSSR über die Arbeiterklasse kollidieren. Insofern ist die Stalinsche Außenpolitik auch Ausdruck und Ergebnis seiner Innenpolitik und der staatskapitalistischen Strukturen der UdSSR seit den 1930ern. Viele Marxisten, v.a. Leo Trotzki, haben die Volksfrontpolitik kritisiert und deren konterrevolutionären Kern aufgezeigt.
Stalin vs. Marx
Wenn wir uns noch einmal die oben skizzierten Marxschen Positionen von 1850 ins Gedächtnis zurückrufen und sie mit der Volksfrontkonzeption Stalins und seiner Adepten vergleichen, kann der Gegensatz nicht offenkundiger sein. Marx plädierte für eigenständige Strukturen der Klasse zur Abgrenzung vom bürgerlichen Liberalismus. Stalin hingegen trat für die Unterordnung der Klasse und ihrer Organisationen unter das Bürgertum in Form einer Koalitionsregierung auf einem bürgerlichen Programm ein. Marx orientierte auf das Vorantreiben der Revolution von der bürgerlich-demokratischen zur proletarisch-sozialistischen: die „Revolution in Permanenz“. Die Volksfront dagegen ging von einer schematischen Trennung des revolutionären Prozesses in eine antifaschistisch-demokratische Phase und eine sozialistische aus, die irgendwie und irgendwann folgen würde. Doch allein die Massenaktivität von Arbeitern und Bauern in Spanien zur Enteignung der alten Privatbesitzer und für die Schaffung von Genossenschaften zeigt, dass es vom ersten Tag der Revolution an eine sozialistische Dynamik gab. Marx forderte eigenständige Kampf- und Organisationsstrukturen bis hin zu Milizen. Die Spanische KP hingegen stützte den bürgerlichen Staat und wandte sich – tw. mit offener Gewalt – gegen proletarische Milizen und Genossenschaften.
Nicht nur auf theoretisch-programmatischer Ebene, sondern umso mehr im kompletten Scheitern der Volksfrontpolitik selbst in Situationen, die günstig für die Revolution waren, zeigt sich die Untauglichkeit der Volksfrontpolitik und der tiefe Widerspruch zur revolutionären Konzeption von Marx u.a. bedeutenden Revolutionären wie Lenin, Luxemburg oder Trotzki. Hätten die Bolschewiki 1917 gemäß der Volksfront-Methode gehandelt, so hätte sie in die bürgerliche Regierung Kerenskis eintreten müssen, anstatt diese mit dem Oktoberaufstand zu stürzen.
Obwohl sich Stalin stets als Fortsetzer des Werkes von Lenin inszenierte, ist nichts falscher als das – gerade hinsichtlich der internationalen Politik. Lenin ging es immer darum, die Weltrevolution voran zu treiben. Dabei war er mit dem Problem konfrontiert, dass die kommunistische Bewegung, die Komintern, sowohl politisch wie organisatorisch noch in den Kinderschuhen steckte. In den 1930ern war diese aber schon weit stärker und potentiell besser in der Lage, revolutionäre Krisen positiv zu nutzen. Mit der Wende zur Volksfront jedoch verpassten ihr Stalin und seine Gefolgsleute in der Komintern eine Konzeption, die nicht mehr auf die Revolution gegen, sondern auf einen Kompromiss mit der Bourgeoisie ausgerichtet war. Indem die Volksfrontpolitik das Weitertreiben der Revolution blockiert – und damit deren Sieg verhindert – ist sie Ausdruck einer reformistischen Strategie. Sie ist damit der mit revolutionären Phrasen getarnte Zwilling der Sozialdemokratie.
Zwischen den Schriften von Marx zur 48er Revolution und der Stalinschen Volksfrontstrategie liegen fast 100 Jahre. In dieser Zeit hatte sich der Kapitalismus stark verändert. Das Proletariat war zahlenmäßig enorm gewachsen, selbst in relativ rückständigen Ländern wie Russland oder Spanien. Es hatte sich starke Strukturen geschaffen: Parteien, Gewerkschaften und Genossenschaften. Es verfügte über viele Kampferfahrungen. Das alles unterstreicht, wie ahistorisch Stalins Politik war, wie sie dem historischen Trend geradezu widersprach. Nein, die Volksfrontpolitik, die in dieser oder jener Weise auch heute noch Teile der „radikalen Linken“, v.a. aber die Linkspartei oder das BSW prägen, ist keine besondere Form von Antikapitalismus – sie ist absolut konterrevolutionär und beschert den Massen nur Niederlagen.