Hanns Graaf
Mit 12,6% erreichte die AfD ein sehr gutes Ergebnis, das ihr 94 Sitze, davon drei per Direktmandat, im Bundestag sichert. Damit sitzt zum ersten Mal seit 1949 eine Partei rechts von der Union im Bundestag. Der Erfolg der AfD wie auch der Wiedereinzug der FDP und der zunehmende Konservatismus der Grünen markieren eine deutliche Rechtsentwicklung im Land. Sehr gut war das Ergebnis der AfD nicht nur aufgrund der Stimmenzahl, die aber ungefähr im Bereich dessen lag, was man nach den Umfragen und den letzten Landtagswahlergebnissen erwarten (oder befürchten) musste, sondern v.a. aufgrund der Umstände, unter denen es erreicht wurde.
Zuletzt gab die AfD keineswegs ein besonders positives Bild ab. Sie war permanent von Querelen gebeutelt, ein Provokation jagte die nächste, gefolgt von verschiedenen halbseidenen Dementis. Die bekannteste Figur der AfD, Frauke Petry, war de facto entmachtet worden. Ihr Erklärung vom 25.9., dass sie – als gewählte Direktkandidatin – nicht der künftigen AfD-Fraktion angehören werde, bestätigt ihr Zerwürfnis mit der Partei und besonders mit dem zuletzt immer stärker betonten völkisch-rassistischen Populismus. Inzwischen erklärt sie sogar ihren Austritt aus der AfD. Auch Auslassungen des AfD-Spitzenkandidaten Gauland wie etwa die, die Deutschen könnten stolz auf ihre Weltkriegssoldaten sein – eine Verklärung und Verharmlosung der Verbrechen der Wehrmacht – störten die WählerInnen der AfD offenbar nicht.
Es gab eine unerhört massive politische und Medienkampagne gegen die AfD. Allerdings hat die Art dieser Kampagne – die noch am Wahlabend in den TV-Runden zu erleben war – die AfD-WählerInnen eher bestätigt als abgeschreckt. Tatsächlich war die Anti-AfD-Kampagne ein Offenbarungseid dafür, dass die bürgerliche Demokratie unfähig ist, ein Phänomen wie die AfD zu verstehen, geschweige denn zu bekämpfen.
So wurden sie und ihre WählerInnen immer wieder als Nazis oder als faschistisch und rechtsextrem bezeichnet. Zwar steht außer Frage, dass faschistisch und rassistisch eingestellte Leute wie z.B. Björn Höcke unter ihnen sind und es Verbindungen der AfD zur extremen Rechten gibt, doch dass fast 13% der WählerInnen bzw. weit über 20% der Ostdeutschen so eingestellt sein sollen, ist mehr als fraglich. Immerhin gab oder gibt es seit Jahrzehnten mit Reps, DVU oder der NPD wirklich solche Parteien, die aber immer völlig marginal waren.
Eine faschistische Partei unterscheidet sich von anderen bürgerlichen Parteien v.a. dadurch, dass sie die bürgerliche Demokratie weitgehend ablehnt, auf militante Aktionen gegen Linke, Ausländer und die Arbeiterbewegung setzt und entsprechende Mobilisierungsstrukturen, wie früher die SA, dafür aufbaut. Von all dem kann bei der AfD keine Rede sein. Sie ist eher eine etwas radikalere und populistischere CSU, wie viele ihrer Mitglieder selbst betonen. Insofern ist es Unsinn, davon zu sprechen, dass mit der AfD eine rechtsradikale Partei in den Bundestag eingezogen wäre.
Es ist nicht neu, dass der Charakter rechts-konservativer Parteien falsch eingeschätzt wird. So wurde von der KPD am Ende der Weimarer Republik etwa die Brüning-Regierung als faschistisch bezeichnet, was mit der fatalen Fehleinschätzung verbunden war, dass ein Hitler an der Macht keine „neue Qualität“ darstellen und schnell „abwirtschaften“ würde. Die Folgen dieser Fehleinschätzung sollten sich als dramatisch herausstellen, wie u.a. Trotzki gewarnt hatte. Er wurde nicht gehört.
Der Charakter der AfD
Die AfD ist eine rechts-konservative populistische Kraft unter Einschluss offen rassistischer und faschistoider Elemente. Die Gefahr ist weniger die AfD selbst, als das, was sich aus ihre ergeben könnte. Es ist nicht ausgeschlossen, dass sich aus der AfD heraus eine stärkere faschistische Partei oder Bewegung bilden könnte. Dass die Rhetorik der AfD Rassismus und Nationalismus im öffentlichen Bewusstsein fördert, ist allerdings unbestritten. Es könnte aber auch gut sein, dass die AfD durch ihre Zugehörigkeit zum bürgerlichen Politikbetrieb schnell entzaubert wird, wenn sich herausstellt, dass der populistische Kaiser eigentlich nackt ist oder höchstens die selben alten Klamotten aufträgt wie seine Widersacher.
Wie sich die Dinge entwickeln werden, kann natürlich niemand vorhersehen. Klar ist aber, dass schon heute gegen die AfD mobilisiert werden muss, um eine weitere Stärkung rechter Milieus zu verhindern. Insofern war der Protest gegen die AfD-Wahlparty in Berlin das Beste, was an diesem Wahlsonntag passierte.
Die TV-Statements der Spitzen aller demokratischen Parteien offenbarten bezüglich der AfD jedoch ganz andere Probleme. Sie trieb v.a. die Sorge um, dass die Debatten-Kultur und das Ansehen des Parlaments leiden könnte. Witzig an dieser Auffassung der diversen eitlen Polit-Gockel ist nur, dass sie gleichzeitig behaupteten, dass es in der Merkel-Ära „wirkliche“ Debatten und eine scharfe Opposition im Bundestag gar nicht gegeben hätte. Letzteres ignoriert schon Mal die Rolle der Linkspartei, die – freilich auf reformistischer Grundlage – sehr wohl deutliche Kritik an der Regierung formuliert hat.
Vor allem aber zeigt diese „Angst um das Ansehen des Bundestags“, dass man diese Ansammlung von stark weltfremden Juristen, Volkswirtschaftlern, Bürokraten und Politologen für den Nabel der Welt hält. Allein das offenbart, dass diese Politikaster überhaupt nicht verstanden haben, dass das Wahl-Volk sich immer mehr nicht nur von bestimmten Parteien – v.a. den „Volksparteien“ – abwendet, sondern auch von „der Demokratie“ überhaupt die Schnauze voll hat und völlig zu recht bemerkt, dass „das Volk“ eben nicht der Souverän ist, sondern allenfalls nützliches Stimmvieh, das über alle wesentlichen Dinge dieser Gesellschaft weder abstimmen noch gar etwas auf demokratischem Wege verändern kann: den Staatsapparat, die Wirtschaft, d.h. das Privateigentum usw.
Besonders markant kommt dieses „Unverständnis“ bei der Kanzlerin zum Ausdruck, die trotz eines sehr schlechten Wahlergebnisses noch nicht einmal eine Sekunde darüber nachdenken wollte, ob nicht vielleicht irgendetwas nicht so gut gelaufen ist. Ihre bräsige Verstocktheit erinnert fatal an die letzten Jahre der Kanzlerschaft Helmut Kohls. Da die AfD besonders in Ostdeutschland stark ist, hätte man auch ein Wort Merkels als einer Ostdeutschen dazu erwarten können – doch nichts da: komplett ignorant und selbstgefällig verkündete sie, sie könne sich gar nicht vorstellen, Fehler gemacht zu haben. Wenn 28 Jahre (!) nach der Wende in Ostdeutschland immer noch keine Angleichung der Lebensverhältnisse stattgefunden hat, ja Altersarmut oder die Auszehrung der Kommunen viel dramatischer sind als im Westen, dann sollte sich niemand wundern, dass die Ossis rebellischer sind als in den alten Bundesländern.
Die Enttäuschung über die schlechte soziale Perspektive (weniger über die aktuelle Lage) und das demokratische Schmierentheater ist ein wesentliches Motiv gewesen, dass Menschen aus Protest AfD gewählt haben. Fast möchte man sagen: Wen auch sonst?, denn auch die LINKE ist längst ein fester und seriöser Bestandteil des politisch-staatlichen Establishments.
Martin Schulz sagte am Wahlabend einen wahren Satz, als er meinte, die Politik der Kanzlerin sei mitverantwortlich für den Aufstieg der AfD – allerdings vergaß er zu erwähnen, dass auch die SPD jahrelang in der Merkel-Regierung saß. Tatsächlich hat die Große Koalition die sozialen Verwerfungen in der deutschen Gesellschaft, die v.a. unter Rot/Grün mit der Agenda-Politik zunahmen, vertieft.
Die Programmatik der AfD
Schaut man sich das Programm der AfD an, so bietet dieses ein etwas anderes Bild als das, was uns die diversen Kommentatoren gern präsentieren: 1. bewegt sich die AfD vollständig innerhalb der demokratischen Ordnung, von irgendeiner System-sprengenden Dynamik oder Radikalität ist dort nichts zu spüren. Anstatt dass die AfD außerhalb der Demokratie steht, gehört sie mit dazu. Die inhaltliche Nähe zu Positionen anderer Parteien ist groß, nicht nur etwa zur CSU in der Flüchtlingsfrage. Ihre Wirtschaftspolitik etwa ist in Teilen ähnlich neoliberal wie jene der FDP. 2. stimmt es nicht, dass die AfD nur Protest repräsentiere und keine Inhalte hätte. Zu vielen Fragen hat sie durchaus ein ganzes System von Forderungen und Positionen. Außerdem ist es auch etwas lächerlich, wenn etwa die CDU der AfD vorwirft, sie hätte kein Rentenkonzept – sie selbst jedoch verspricht, nach (!) der Wahl dafür eine Kommission zu bilden. In der Klima- und Energiepolitik etwa vertritt die AfD sogar eine Position, die sich von denen aller anderen Parteien deutlich – und positiv – abhebt.
Es ist v.a. die Schuld von Politik und Medien, die AfD nur als Partei darzustellen, die nur zur Flüchtlingsfrage und zur inneren Sicherheit etwa zu sagen hätte. Nur ganz selten wurde etwa die Position zu Klima- und Energie überhaupt besprochen, die auch allgemein (außer bei den Grünen) kein Wahlkampfthema war. Und wenn, erwies sich dabei, dass die Kritiker der AfD keine Sachkenntnis haben, dafür aber nicht mit Verleumdungen und Lügen sparen. Die Ablehnung der Energiewende war für nicht wenige WählerInnen ein Grund, AfD zu wählen. Kein Wunder, da doch die gesamte linke Szene diesen monströsen Unfug grundsätzlich befürwortet. Die Energiewende ist ein gutes Beispiel dafür, wie die Linke – gemeint ist hier die gesamte linke Szene, nicht nur die Linkspartei – völlig die Chance versäumt, gegen dieses reaktionäre Projekt zu mobilisieren. So nimmt es nicht Wunder, dass eine rechte Kraft wie die AfD dieses Feld bestellt.
Was ist nun der Zweck des ganzen AfD-Bashings? Zuerst geht es darum (v.a. der Union), einen politischen Konkurrenten madig zu machen, was allerdings gründlich misslungen ist. Zugleich kann man im Kontrast zur AfD die eigene demokratische Seriosität in ein günstiges Licht rücken und vom eigenen politischen Versagen ablenken.
Obwohl der Aufstieg der AfD ein wirkliches Gefahrenpotential darstellt, ist das weit größere Problem die (mögliche) neue Regierung einer Jamaika-Koalition aus CDU, CSU, FDP und Grünen, die eher konservativer und neoliberaler ausgerichtet wäre als die bisherige Große Koalition. Diese „Demokraten“ dürften nicht selten in den Mittelpunkt rücken, ihre Politik sei immer noch besser als die AfD. Auch deshalb darf es mit diesen Kräften keinen Schulterschluss gegen die AfD geben wie einst der „Aufstand der Anständigen“, sondern nur den Klassenkampf gegen die AfD und die bürgerliche Regierung – egal, welche Konstellation diese hat.
Beispiel Pegida
Die Darstellung der AfD durch bürgerliche Politik und Medien erinnert stark an deren Einschätzung der Pegida-Bewegung. Auch diese wurde von Anfang an nur in die rechte Ecke gestellt und deren Anhänger als Rechtsextreme oder als Nazis abqualifiziert. Es wurde fast überhaupt nicht beachtet, dass Pegida – hier ist die eigentliche, ostdeutsche Pegida-Bewegung gemeint – sich als Reaktion auf die islamistischen Terroranschläge v.a. in Frankreich gegründet hat. Zwar ist die Pegida-Position zum Islam durchaus rassistisch und undemokratisch, doch darf man nicht vergessen, dass der militante und erzreaktionäre Islamismus a la IS eben auch Teil des Islam ist. Und gerade gegen den richtete sich Pegida ursprünglich. Doch zu solch differenzierter Betrachtung der Pegida-Position reicht es bei den diversen Kommentatoren meist nicht.
Ein anderes Problem, das für die Entstehung von Pegida von Bedeutung war, ist die aggressive, durchaus einen militärischen Konflikt in Kauf nehmende, deutsche Politik gegenüber Russland in der Ukraine-Frage. Diese Kritik ist – bei all ihrer Kurzschlüssigkeit – berechtigt. Das Russland/Ukraine/Krim-Problem war es auch, aus dem der Vorwurf der „Lügenmedien“ abgeleitet wurde – berechtigter Weise! Ein anderes Problem war die Kriminalität in den ostdeutschen Grenzregionen, die von Politik und Medien lange – und tw. bis heute – verschwiegen werden.
Solche u.a. andere Fragen sind es, die „ganz normale Leute“ radikalisieren und nach Alternativen Ausschau halten lassen. Und wenn die Linke und die Arbeiterbewegung nichts unternehmen, ja tw. selbst Teil des Problems sind, muss man sich nicht wundern, wenn es rechte Demagogen gibt, die diese Situation für sich nutzen.
Einige Schlussfolgerungen
Für die Linke es wichtig, sich bei der Kritik an der AfD nicht mit den bürgerlichen Demokraten gemein zu machen, sondern die Verlogenheit ihrer Argumente anzuprangern und deren wesentliche Mitschuld am Aufstieg der AfD aufzuzeigen. Die Interessen der Arbeiterklasse müssen durch Klassenpolitik, durch ein Bündnis der ArbeiterInnenorganisationen, der MigrantInnen und Flüchtlinge, der Gewerkschaften und der Linken, vertreten werden – nicht durch gemeinsame Erklärungen mit den „demokratischen“ Parteien. Der Kampf gegen die AfD u.a. Rechte muss v.a. ein Kampf für den Aufbau einer linken und proletarischen Alternative sein. SPD, Linkspartei und Gewerkschaften müssen aufgefordert werden, sich für die Verbesserung der sozialen Lage der Massen einzusetzen, d.h. die Pfründe von Staat und Kapital zu attackieren. Dieser Kampf muss möglichst gemeinsam mit MigrantInnen und Flüchtlingen geführt werden.
In der Wahlanalyse der Gruppe ArbeiterInnenmacht vom 26.9.17 heißt es: „Daher schlagen wir eine Aktionskonferenz vor, auf der die Politik der nächsten Regierung analysiert und ein Forderungs- und Mobilisierungsplan verabschiedet wird. Dazu sollten vorbereitende Treffen in allen Großstädten, an Schulen, Unis und in den Betrieben und Gewerkschaftsgruppen stattfinden.“ (www.arbeiterInnenmacht.de) Dieser Vorschlag zielt in die richtige Richtung und sollte von anderen linken Organisationen aufgegriffen werden.
Für die radikale Linke geht es – gerade vor dem Hintergrund einer auch international erstarkenden Rechten – darum, endlich die selbstzufriedene Kleingruppen-Existenz zu überwinden, a) eine intensivere praktische Kooperation zu entwickeln und b) die grundlegenden programmatischen Fragen ernsthaft zu diskutieren. Diese Dynamik muss letztlich in den Aufbau einer revolutionären Arbeiterpartei münden – einer sozialistischen Alternative für die Welt anstatt der diversen reaktionären Alternativen für den deutschen Kapitalismus.