Laudatio des Tages vom 2.8.2016

HaHo

Heute sollen zwei Helden der Technikentwicklung gewürdigt werden: Bertrand Piccard und André Borschberg. Sie haben mit ihrem Solarflugzeug „Solar Impulse“ die Welt umrundet.

Die Fakten sind wirklich beeindruckend. Die Flugzeit betrug etwa ein Jahr, die Reisegeschwindigkeit liegt bei 70 km/h. Das beweist, dass Hektik beim Fliegen unnötig ist. Sollte die Erfahrung mit „Solar Impulse“ Schule machen, werden wir bald wieder gemütlich mit der Pferdekutsche unterwegs sein. Mit ihrem Flug haben Piccard und Borschberg auch mit dem Irrtum aufgeräumt, beim Fliegen ginge es um die Geschwindigkeit. Nein, es geht um die Flughöhe, in dem Punkt konnte die „Solar Impulse“ mit modernen Maschinen nämlich ungefähr mithalten.

Auch die Werbung für die Solartechnik fiel überzeugend aus. Das mit Solarmodulen zugepflasterte Fluggerät war sogar in der Lage, einen (!) Piloten zu transportieren – ohne Handgepäck. Das erübrigt die lästige Gepäckkontrolle und spart mindestens zehn Minuten Zeit, bevor man seinen einjährigen Flug antritt. Der Wirkungsgrad der Solarzellen beträgt 22,5%. Piccard hat damit überzeugend bewiesen, welche Leistungsreserven die Solartechnik, deren Wirkungsgrad aktuell bei etwa 15% liegt, noch hat. Wenn wir noch hundert Jahre warten und etwa 23.932.000.000 Euro investiert haben, wird der Wirkungsgrad dann bestimmt bei 24% liegen.

Geradezu atemberaubend ist die Wirtschaftlichkeit. Nur 177 Millionen Euro kostete es, einen einzelnen Menschen einmal um die Erde zu schicken. Angesichts der vielleicht 1.000 Euro, die so eine Aktion mit einem normalen Flugzeug kostet, entsteht natürlich eine ganz neue „Wertigkeit“ des Fliegens. Weg mit der Gleichmacherei, dass sich fast Jeder einen Flug leisten kann!

Besonders wollen wir auch den Mut von Piccard und Borschberg loben. Sie hatten beim Flug bestimmt die Hosen voll – nicht vor Angst, sondern weil an Bord kein Klo war. Man kann schließlich nicht alles haben.

Eine wichtige Erfahrung mit „Solar Impulse“ war auch, dass die Verbesserung der Welt – für die sich Piccard engagiert – v.a. darin besteht, Probleme zu lösen, die gar nicht bestehen. Na, wenn das nichts ist!

Die Erdumrundung der „Solar Impulse“ war nicht nur ein Flug, sondern ein großer Schritt für die Menschheit – ein großer Schritt zurück in die Zeit vor hundert Jahren, als das Fliegen begann. Dank Piccard haben wir also gelernt, dass es eine Zeitmaschine wirklich gibt. Er hat endlich bewiesen, dass ein „normales“ Flugwesen auf Solarbasis nicht funktioniert. Obwohl wir das schon vorher wussten, war das die Investition von 177 Millionen auf jeden Fall wert. Andere verbauen sogar Milliarden für einen Flughafen, der nie fertig wird. Demgegenüber ist Piccard das reinste Spar-Genie.

Der Erfolg von „Solar Impulse“ wird sicher auch viele andere Erfinder motivieren, Dinge zu konstruieren, die niemand braucht. Hier ein paar Vorschläge: eine Brille mit drei Gläsern, den  Rettungsring für Fahrräder oder den antriebslosen Föhn für Glatzenträger (CO2-neutral).

Immerhin: Taugt das Solar-Monstrum auch nicht für den Flugverkehr, so wenigstens für Schlagzeilen in Zeitungen, mit denen man sich den A… abwischen kann.

Fundstück VI

Wir haben uns einen Menschentypus zurechtgezimmert – je nach Epoche einen anderen – und klammern uns so sehr daran, dass wir alles, was ihm nicht gleicht, als krank oder monströs erachten.

Ist nicht einer der Gründe für unsere eigenen Qualen die Entdeckung, die wir früher oder später machen, dass auch wir ihm nicht gleichen?

George Simenon, Der verlorene Sohn

Berlin. Reichstag

Hanns Graaf

Auferstandene
Ruine: Deutschlands alter
Geierkäfig.

Fledderer, die
Zogs gen Osten, als der
Abtrieb in den
Westen.

Glasgewölbe überm
Hohen Hause, dem
Palaver.

Volksvertreter:
Voll versorgt und ganz
Verkuppelt.

Ach,
In wilhelminischen
Mansarden
Wurmfortsatz von
Kommunarden!

Nirgendwo ein
Liebknecht, nur

Lakaien.

Nazis gegen Nazis

1934: Der Röhm-Putsch

Hannes Hohn

Reichlich ein Jahr nach der Machtergreifung der deutschen Faschisten, am 30. Juni 1934, sorgte ein Ereignis für Schlagzeilen: der „Röhm-Putsch“. Es handelte sich dabei aber nicht um einen Putsch von SA-Führer Ernst Röhm gegen Hitler, sondern um einen Schlag, eine Säuberung Hitlers gegen Röhm und die SA-Führung. „Nazis gegen Nazis“ weiterlesen

Die Internationale

Hannes Hohn

„Die Internationale“ ist wohl immer noch das bekannteste Lied der Welt, obwohl es natürlich in Hitparaden und auch in den meisten Liederbüchern nicht auftaucht. Trotzdem ist das „rote“ Lied ein echter Evergreen, der inzwischen schon fast anderthalb Jahrhunderte alt ist. „Die Internationale“ weiterlesen

Fundstück V

Es scheint kein Unsinn zu sein, wenn man sagt, dass alle Kunst irgendwann einmal Massenunterhaltung wird; und wird sie das nicht, stirbt sie und wird vergessen.

Ramond Chandler, Oscar-Abend in Hollywood

Schwarze Verse

Hanns Graaf

Schwarz klebt die Erde uns unter den Nägeln,
Wenn wir den Wurzeln nachgraben.
Schwarzarbeit leistet mein Schädel: Geschichte,
Gesiebt aus dem Zeitengerölle.

Inschriften. Namen. Der Lebenden Orte
Noch von den Toten gezeichnet.
Schwarz, aus geronnenem Blut, all die Grenzen
Auf knallbunten Schulatlasseiten.

Rauchfahnen wehn, eure rußschwarzen Haare.
Treblinkas Roma-Mädchen.
Hakige Kreuze, ein zackiges Signum
Verblasst auf verblichnem Transportschein.

Schwarz, abgefroren im Dauerfrostboden
In wieviel Gulags wieviel Füße?
Ausgebrannt starren die Höhlen der Pfeifen
Im Stalinmuseum wie Augen.

Feurige Fahne, angeschwärzt, lohend
An Trotzkis gepanzertem Zuge.
Stickiger Qualm über rostigen Gleisen
Der Staatsbahn von nassmorschen Scheitern.

Schwarz, hart und januarkalt bohrt, oh Rosa,
Die Mündung sich in deine Schläfe.
Landwehrkanal, liegst verschollen im Lande.
DER WALD STEHT SCHWARZ UND SCHWEIGET.

Bleichester Bruder Vergessen: Uns schneit doch
Das Gestern als Schnee noch ins Morgen.
Schwarz meine Verse wie Stacheldrahtdrähte
Ins Weiß den Papieren geschlagen.

Weltzustandsbericht

Hanns Graaf

Containerkolosse vor
Rhodos auf leer
Gefischtem
Meer.

Fünfhundertjährige
Riesen im Dschungel: Ge-
Fällt für Fenster mit
Ausblick ins
Grün.

Kontinentale
Verschiebungen.
Klick klick: in Millisekunden
Milliarden.

Raketen,
Irdische, zielen auf
Unsern, uns fernsten
Planeten.

Computer
Der x-ten Generation
Erfassen die
Toten der Sahel-
Zone.

Verhungert
Soeben mit
Sieben ein
Späterer
Nobelpreisträger.

Vor Afrikas
Schulhütten: Kinder-
Soldaten üben das
Killen.

Beton
Stürzt vom berstenden
Welthandelszentrum
Auf hoffende
Bettler.

Grinsender
Gipfel. Zehn-
Tausende Fäuste dagegen
Geballt in Genuas
Gassen.

Ihr widerborstiger
Prophet: verschüttet
In Highgate, nahe dem
Meridian
Null.

2004

Das böse Fleisch

Vegetarismus / Veganismus

Hanns Graaf

Alternative und Weltretter aller Art haben einen Feind ausgemacht – nein, nicht das Bürgertum, sondern den Burger. Schnitzel und Leberwurst, Milch und Käse, Eier und Butter sind zu Menetekeln der Weltbedrohung geworden. Tierische Methan-Furze killen das Klima. Rinder  verbrauchen zu viele Ressourcen. Erst kommt zwar das Fressen, doch dicht dahinter schleichen die vereinigten Moralapostel aller Länder einher – d.h. eigentlich nur jener Länder, wo es genug zu Essen gibt und mancher Mensch auch zu viel in sich hineinstopfen kann. „Das böse Fleisch“ weiterlesen