Als „Proletarii“ galten im antiken Rom die besitzlosen und lohnabhängigen, aber freien Bürger. In der Französischen Revolution bezeichnete man den „Vierten Stand“, die Unterschicht, oft als „Proletarier“. Vom Proletariat als Klasse sprach um 1820 zuerst der französische Sozialist Saint-Simon. Heute wird statt vom „Proletariat“ meist von der Arbeiterklasse oder von Lohnabhängigen gesprochen.
Das Proletariat gibt es also schon lange, doch erst mit dem Aufstieg des Kapitalismus und der damit verbundenen Entwicklung der großen Industrie wuchs es bedeutend an und wandelte sich von einer Unterschicht am Rande der Gesellschaft zu deren Mehrheit und Hauptproduzenten.
Bürgerliche Ökonomen begannen schon im 18. Jahrhundert, sich mit der sozialen Lage der Arbeiterschaft und ihrer Funktion im Wirtschaftsleben zu befassen. Doch erst Karl Marx erkannte, worin das Wesen der Ausbeutung besteht und dass das Proletariat nich nur eine ausgebeutete und unterdrückte, sondern auch eine revolutionäre Klasse ist.
Wie alle anderen Klassen und Schichten einer Gesellschaft ist auch das Proletariat wesentlich durch eine bestimmte Stellung innerhalb des Produktions- und Reproduktionsprozesses definiert. Die ArbeiterInnen verfügen nicht über Eigentum an Produktionsmitteln, manchmal besitzen sie auch kaum persönliches Eigentum (Konsummittel). Andererseits ist der Arbeiter aber persönlich frei, er ist kein Leibeigener oder Sklave. Diese zweifache soziale Bestimmung drückt der Begriff vom „doppelt freien Lohnarbeiter“ treffend aus.
Zur Lohnarbeit, also zum Verkauf der einzigen Ware, über die er verfügt – seiner Arbeitskraft – an den Kapitalisten, ist der Proletarier nicht rechtlich gezwungen, aber faktisch, weil er nur von bezahlter Arbeit leben kann, da er keine anderen Einkommensquellen hat. Seine Freiheit und Gleichheit, die ihn im bürgerlichen „Rechtsstaat“ gesetztlich mit dem Kapitalisten auf ein Stufe stellt, ist also eine weitgehend formale, während die soziale Ungleicheit, die ihn für andere zu arbeiten zwingt, sehr real ist. Insofern ist auch der Begriff der „Lohnsklaverei“ durchaus angemessen.
Das Kriterium der Lohnabhängigkeit trifft aber auch auf andere Schichten der Gesellschaft zu, die trotzdem nicht Teil des Proletariats sind – es ist eine notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung für die Bestimmung der Klassenzugehörigkeit. Auch Manager, Vorstandsvorsitzende, Professoren oder ein Bundeskanzler sind formell Lohn- oder Gehaltsempfänger. Doch ihre Bezahlung, ihr Vermögen oder ihre Aktienanteile sind so hoch, dass sie eben nicht wirklich vom Lohn abhängig sind. Dazu kommt, dass sie – wie auch Offiziere, Polizisten oder Beamte – Teil des repressiven Staatsapparats sind und somit eine gegen die Arbeiterklasse und alle Unterdrückten gerichtete Funktion in der Gesellschaft ausüben. Daher sind sie nicht Teil der Arbeiterklasse.
Das Proletariat ist in sich uneinheitlich und gespalten: in Facharbeiter und Ungelernte, in Jung und Alt, in Inländer und Ausländer, in Männer und Frauen, in Beschäftigte und Arbeitslose usw. Das Kapital ist daran interessiert, diese Spaltungen aufrecht zu erhalten oder sie sogar, z.B. durch den Rassismus, bewußt zu vertiefen, um einen gemeinsamen Kampf aller Teile der Klasse zu verhindern. V.a. in den imperialistischen Zentren hat sich eine besondere Schicht in der Arbeiterklasse gebildet, die sozial besser gestellt ist als der Durchschnitt der Lohnabhängigen: die Arbeiteraristokratie. Sie bildet die soziale Basis des Reformismus und der Gewerkschaften.
Vor allem aus ihr rekrutiert sich auch die Arbeiterbürokratie, d.h. die (hauptamtlichen) Bürokraten, Funktionäre und Abgeordneten der reformistischen Arbeiter-Organisationen wie der SPD oder des DGB. Sie sind über tausend Fäden mit der bürgerlichen Ordnung verbunden und genießen soziale und politische Privilegien. Sie bilden eine besondere Kaste, welche der Aufrechterhaltung des kapitalistischen Systems dient und dafür in der Arbeiterklasse und deren Organisationen wirkt. Auch die Arbeiterbürokratie gehört nicht zur Arbeiterklasse. Ihr Einfluß und die von ihr genutzten undemokratischen Strukturen müssen bekämpft werden!
Die Arbeiterklasse besteht zunächst aus Individuen, die ihre Ware Arbeitskraft verkaufen und untereinander in Konkurrenz um Jobs stehen. Diese „Klasse an sich“ wird erst dadurch zu einer revolutionären „Klasse für sich“, wenn sie sich organisiert, z.B. in einer Partei, in Gewerkschaften oder Räten, gemeinsam kämpft und dabei ein höheres Bewusstsein ihrer sozialen Lage und ihrer Perspektiven entwickelt.
Politik und Medien sprechen oft von „Arbeitgebern“ (den Kapitalisten) und „Arbeitnehmern“ (den Beschäftigten). Mit diesen Bezeichnungen verdrehen sie aber den ökonomischen Tatbestand, denn tatsächlich geben (verkaufen) die ArbeiterInnen den Kapitalisten ihre Arbeit bzw. ihre Arbeitskraft, während diese die Produktionsmittel (Arbeitsplätze) zur Verfügung stellen. So werden die realen Ausbeutungsverhältnisse und der grundlegende Klassenwiderspruch zwischen Kapital und Arbeit mit solchen Begriffen verschleiert.
Worin besteht nun die Ausbeutung der ArbeiterInnen? Marx zeigt, dass das Lohnarbeitsverhältnis die Grundlage des Kapitalismus bildet. Es setzt die Enteignung (Expropriation) der ursprünglichen Besitzer von Produktionsmitteln (Bauern, kleine Handwerker) voraus. Diese Enteigneten (Expropriierten) sind gezwungen, ihre Arbeitskraft gegen Lohn zu verkaufen. Die Lohnarbeit ist damit verbunden, dass der kapitalistische Eigentümer (unter Benutzung des Staates) alle Bedingungen von Produktion und Reproduktion der Gesellschaft bestimmt, während die LohnarbeiterInnen lediglich Ausführende sind.
Im Kapitalismus scheint es so, als ob der Kapitalist den Arbeiter für seine Arbeitsleistung bezahlt. Wäre dem so, bliebe für den Unternehmer aber kein Profit übrig. In Wahrheit bezahlt der Kapitalist nur die Lebenshaltungskosten des Arbeiters, also das, was nötig ist, damit sich die Lohnarbeiterklasse reproduzieren (Wohnen, Essen, Bildung, Kinderaufzucht usw.) und weiter ausgebeutet werden kann. Wie hoch diese Kosten (Löhne) sind, hängt vom allgemeinen Kulturniveau des Landes, von der Wirtschaftslage – und vom Erfolg des Klassenkampfes der ArbeiterInnen ab.
Der Unternehmer kauft die Arbeit des Arbeiters für eine bestimmte Zeit, z.B. für 40 Stunden die Woche. Um seine Reproduktion zu sichern, muss nun der Arbeiter z.B. 25 Wochenstunden arbeiten (notwendige Arbeit). In den restlichen 15 Stunden – der „Mehrarbeit“ – arbeitet er nur für den Kapitalisten, der sich das in dieser Zeit geschaffene „Mehrprodukt“ aneignet. Die menschliche Arbeitskraft, die, wie jede andere Ware auch, auf dem Markt gehandelt wird, hat also die besondere Eigenschaft, mehr Wert zu erzeugen, als sie selbst darstellt bzw. benötigt. Die Aneignung dieses Mehrwerts ist die Quelle des Profits und die Grundlage des Kapitalismus.
Tagtäglich bekommen die Proletarier Ausbeutung und Unterdrückung zu spüren: durch Entlassungen, Verdichtung der Arbeit, Lohndrückerei, Kürzung von Sozialleistungen, die Verlängerung der (Lebens)arbeitszeit usw. Dagegen können sich die ArbeiterInnen nur wehren, wenn sie sich zusammenschließen und organisieren, z.B. in Gewerkschaften. Ökonomische und politische Streiks bis hin zum Generalstreik sind wichtige und wirksame Kampfmittel der Arbeiterklasse, weil sie ökonomischen Druck erzeugen und die Profitproduktion unterbrechen können. Doch die (ökonomischen) Kämpfe um Löhne oder gegen Entlassungen gehen noch nicht über den Rahmen des Kapitalismus und des Lohnsystems hinaus. Deshalb müssen solche Kämpfe möglichst auch mit politischen Forderungen, mit einer revolutionären Perspektive und dem Aufbau eigenständiger politischer und sozialer Strukturen der Arbeiterklasse verbunden werden: einer revolutionären Partei, klassenkämpferischen Gewerkschaften, Streikkomitees, Kontrollkomitees, Genossenschaften usw.
Das Proletariat ist nicht nur eine ausgebeutete und unterdrückte Klasse. Es ist zugleich die einzige wirklich revolutionäre Klasse, weil sie kein Privateigentum besitzt und kein andere Klasse ausbeutet oder unterdrückt. Ihre zahlenmäßige Größe und ihre enge Verbindung mit der modernen Produktion versetzt sie nicht nur in die Lage, den Kapitalismus zu stürzen u.a. unterdrückte Schichten mitzureißen, sie hat auch das Potenzial, eine völlig andere, kommunistische Gesellschaft aufzubauen. Deshalb nannte Marx das Proletariat auch den „Totengräber“ des Kapitalismus.