Pariser Lied

Hanns Graaf

Paris, du musstest viel zu lang
Auf meine Ankunft warten.
Du weißt, gen Westen konnt ich doch
Mit Fingern nur auf Karten.

Verzeih mir, dass noch Preußens Sand
Mir rieselt aus den Socken.
An deiner Sprache kaue ich,
Den ungewohnten Brocken.

Umspült vom Blech: Arc de Triomphe
Der Autokarawanen.
Mein Pere-Lachaise, hast still geflaggt
Tiefrote Efeufahnen.

Montmartre, Louvre, Tuilerien.
Du Stadt der Bonaparten.
Und Achtundsechzig denk ich mir.
Auch du hast deine Scharten.

Vor Notre Dame. Als hörte ich
Den Glöckner bitter lachen,
Wenn auf dem Markt das Volk sich beugt
Und übt das Buckelmachen.

Paris, dich trennt mehr als ein Fluss,
Teilt dich auch keine Mauer.
Die Seine wälzt ihre Wasser um
Und weiß: nichts ist von Dauer.

Gelobt seist du, mein Groß-Paris,
Hast nicht nur Demokraten.
Hast dich erhoben und gestürzt
Gar manche Potentaten.

Auf Barrikadenpflasterstein
Ich stolpre beim Flanieren.
Am Eifelturm der Gipfeltreff,
Den höchste Nieten zieren.

Auch hier: die Künste eingesperrt.
Welch grausiges Exempel!
In Marmorhallen hinter Glas
In kalte weiße Tempel.

Drum lass ich mich gern infiziern
Von Strassen voll Musetten,
Wo kein Parkett zu Fall mich bringt
Und keine Etiketten.

Ein Flohmarkttraum: In hellen Scharn
Ziehn sie zum Bücherkramen.
Marx, Heine, Trotzki en francais.
Ach, wie die hierher kamen!

Ihr habt durchkreuzt die alte Welt
In kritischen Geschäften.
Verdank euch meinen Schädelschmerz
Nebst reichlich Gallensäften.

Vorbei die letzte Nacht in dir.
Noch warm und feucht die Kissen.
Komm ich zurück mit dünnrem Haar,
Werd ich mehr von uns wissen.

Adieu, du Schöne! Ach, mein Hals
Wie zugeschnürt und trocken.
Noch ein Chablis auf dich, Paris!
Ich mach mich auf die Socken.

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