In einer Fabel von Äsop versuchen Schwan, Krebs und Hund, gemeinsam einen Karren zu ziehen. Doch ihre vereinten Kräfte versagen, weil jeder in eine andere Richtung zieht. Genauso ist es auch bei der Volksfront, die gegensätzliche Klassenkräfte – Proletariat und Bourgeoisie – zu „vereinen“ sucht.
Der Ausdruck „Volksfront“ wurde zum ersten Mal im Oktober 1934 verwendet. Maurice Thorez, damals Führer der Kommunistischen Partei Frankreichs (KPF), rief zu einem „breiten antifaschistischen Bündnis“ auf, das neben den Arbeiterparteien ausdrücklich auch die „demokratischen“ Kräfte des Bürgertums (v.a. die „Radikale Partei“) umfassen sollte. Diese taktische Wendung war insofern bemerkenswert, als die stalinisierten kommunistischen Parteien zuvor jahrelang sogar Bündnisse mit der Sozialdemokratie abgelehnt und damit schwere Niederlagen der Arbeiterklasse, wie in Deutschland gegen Hitler, verschuldet hatten. Die Volksfront stellte auch eine grundsätzliche Abkehr von der Einheitsfront-Taktik dar, die von der Kommunistischen Internationale (Komintern) Anfang der 1920er erarbeitet worden war.
Die Volksfront-Politik war den neuen Prioritäten der Außenpolitik der UdSSR unter Stalin geschuldet. Der wachsenden Bedrohung durch Nazi-Deutschland und Japan suchte Stalin durch Bündnisse mit den „Feinden seiner Feinde“, v.a. Frankreich, zu begegnen. Die KPen dieser Länder sollten sich „freundlich“ zu den herrschenden Klassen im eigenen Land zu verhalten. Die KP Frankreichs schloss dazu ein Bündnis mit der Sozialistischen Partei, den Radikalen und kleineren bürgerlichen Kräften – auf der Grundlage eines bürgerlichen Programms, mit dem man gemeinsam zu den Parlamentswahlen im Mai 1936 antrat. Während das einzig „Antifaschistische“ an diesem Programm war, das es eine Auflösung der faschistischen Verbände durch den bürgerlichen Staat vorsah, enthielt es zugleich ein Bekenntnis zum französischen Imperialismus, den man bestenfalls durch kleinere Sozialreformen „mildern“ wollte. Außerdem untersagte Thorez seiner Parteipresse jede Kritik an den Bündnispartnern. Diese „Volksfrontregierung“ sollte sich für den französischen Kapitalismus als geradezu lebensrettend erweisen.
Der Putschversuch der französischen Faschisten im Februar 1934 weckte die enorme Kampfkraft des Proletariats. Die anfängliche Defensive schlug in eine mächtige Offensive um, die im Generalstreik vom Juni 1936 gipfelte. Millionen ArbeiterInnen waren im Streik bzw. besetzten die Betriebe. Die Machtergreifung war möglich. Es fehlte aber die revolutionäre Partei, die das Proletariat dorthin führen konnte. In diesem entscheidenden Moment eilte die Volksfrontregierung der gelähmten Bourgeoisie zu Hilfe. Anstatt die Massen zum Sieg über das Kapital zu führen, die Losung von Räten auszugeben, die Arbeiterkontrolle in den Betrieben zu propagieren und die ArbeiterInnen zu bewaffnen, verwies sie auf ein paar kleine Reformen und drängte – leider mit Erfolg – auf die Beendigung der Betriebsbesetzungen und des Streiks. Als so der kämpferische Elan der Arbeiterklasse „beruhigt“ worden war, konnte die Bourgeoisie zum Gegenangriff übergehen. Die Volksfront-Regierung stürzte schließlich. Das Resultat war nicht nur die Rücknahme der Reformen, sondern eine entscheidende Niederlage der französischen ArbeiterInnen. Auch die Faschisten, deren Vormarsch die Volksfront angeblich hätte Einhalt gebieten sollen, standen am Ende stärker da als zuvor. Die französische Bourgeoisie unterwarf sich 1940 dem deutschen Faschismus und bescherte den Massen Jahre der Diktatur und Entbehrung.
Für MarxistInnen ist die Volksfront eine Strategie der sozialdemokratischen und stalinistischen Bürokratien zur Aufrechterhaltung ihrer Privilegien und Posten durch die Verteidigung des Kapitalismus und die Verhinderung der proletarischen Revolution. Eine Volksfront ist ein dauerhaftes (Regierungs)Bündnis von Arbeiterorganisationen mit Teilen der Bourgeoisie auf einem bürgerlichen Programm, das v.a. das Privateigentums garantiert und den bürgerlichen Staat intakt lässt. Für die Bourgeoisie ist sie ein Mittel, in Krisenzeiten eine sich nach links radikalisierende Arbeiterklasse abzufangen, zu demobilisieren und die Revolution zu verhindern. In Zeiten, in denen sie fest im Sattel sitzt, schließt die Bourgeoisie solche Bündnisse nur selten. Die reformistische Bürokratie erkauft sich mit der Volksfront ihre Existenzberechtigung als Vermittlerin zwischen den Klassen. Als „theoretische“ Rechtfertigung der Volksfront-Strategie dienen stets irgendwelche „demokratischen“ Etappenziele (die demokratische Republik, die Verteidigung der Demokratie gegen den Faschismus, die nationale Befreiung etc.), die es zunächst zu verwirklichen gelte, und für die der revolutionäre Kampf als hinderlich dargestellt wird. Für diesen seien die Massen, die objektive Situation, die Zeit etc. „noch nicht reif“.
Die Strategie der Volksfront ist seit den 1930er Jahren allgemeines Prinzip jeder stalinistischen Partei und oft auch der Sozialdemokratie oder aktuell der Linkspartei in Deutschland. Obwohl die Volksfrontpolitik sehr oft angewendet wurde, führte sie immer und überall nur zu tw. sehr blutigen Niederlagen, so z.B. während der Spanischen Revolution in den 1930ern oder in Chile 1973.
Der Begriff „Volksfront“ wird oft mit dem der „Einheitsfront“ vermischt oder verwechselt. Die Einheitsfront jedoch unterscheidet sich grundlegend von der Volksfront. Sie ist nie ein Bündnis mit der Bourgeoisie, sondern nur mit anderen Parteien der Arbeiterklasse (Arbeitereinheitsfront) bzw. mit Organisationen von Unterdrückten oder nicht-proletarischen ausgebeuteten Klassen. Das Parteiprogramm wird nicht zugunsten der Einheitsfrontforderungen versteckt. Die zentralen Forderungen eines revolutionären Programms – die Enteignung der Bourgeoisie, die Zerschlagung des bürgerlichen Staates usw. – werden niemals zugunsten der „Einheit“ geopfert oder verschwiegen. Die Politik der jeweiligen Bündnisdauer wird – soweit sie inkonsequent, nicht-revolutionär und bürgerlich ist, offen kritisiert. Vor allem verzichten revolutionäre MarxistInnen nicht auf den Klassenkampf und die aktive Organisierung der ArbeiterInnen und der Massen. Im Gegenteil: die Sinnhaftigkeit einer Einheitsfront steht und fällt mit der Frage, inwieweit sie nicht-revolutionäre ArbeiterInnen und Unterdrückte in den Klassenkampf einbeziehen kann. Hört das Bündnis auf, ein Mittel des Kampfes zu sein, kündigt die revolutionäre Partei es unverzüglich auf. Nur mit dieser Strategie kann die Arbeiterklasse letztlich für ein revolutionäres Programm gewonnen werden.