„Entree“ kommt aus dem Französischen und bedeutet Eintritt oder Eintreten. Der Entrismus ist eine besondere Taktik im Parteiaufbau.
Zuerst wurde der Entrismus Mitte der 1920er Jahre von Angehörigen der KAPD bzw. von Karl Korsch in der SPD und ab 1931 in der SAPD angewandt. 1934 wurde der Entrismus dann von den AnhängerInnen Trotzkis in Frankreich durchgeführt. Das Land durchlebte damals eine tiefe Krise, die mit Massenstreiks, dem Aufstieg der Faschisten und der Bildung einer Volksfrontregierung aus der Sozialistische Partei (SFIO) und der bürgerlichen „Radikalen Partei“ einherging. Unter dem Druck der Erwartungen und der Aktionen der Massen verließ der rechte Flügel die SFIO und es entstand (v.a. in der SFIO-Jugend) ein linker Flügel. Die reformistische SFIO-Bürokratie verlor an Kontrolle über die Partei. Das bewog Trotzki, seine AnhängerInnen zum Eintritt in die SFIO zu bewegen, um die entstandene Chance auszunutzen.
Die nur etwa 100 Mitglieder der trotzkistischen „Kommunistischen Liga“ in Frankreich waren isoliert. Die SFIO hingegen zählte 120.000 Mitglieder. Trotzki meinte, dass RevolutionärInnen in der SFIO an Einfluss gewinnen und dort neue Kräfte für ein revolutionäres Programm rekrutieren könnten. So sollte der Aufbau einer stärkeren revolutionär-kommunistischen Organisation beschleunigt werden. Trotzki ging jedoch davon aus, dass der Entrismus nur für eine kurze Zeitspanne möglich und sinnvoll wäre. Er beharrte darauf, dass dabei das eigene Programm sowie die eigene Presse aufrechterhalten werden müssen.
Am 29. August 1934 wurde die „Kommunistische Liga“ formell aufgelöst und ihre Mitglieder traten in die SFIO ein. Sie konstituierten sich als Fraktion, die Bolschewistisch-Leninistische Gruppe (GBL).
Vor allem ihre Kampagne für den Aufbau einer antifaschistischen Arbeitermiliz zeigte Wirkung im linken Parteiflügel, der daraufhin die TPPS (Allzeit bereit zum Dienst)-Schutztruppe gründete. Sie schützte Versammlungen gegen faschistische Überfälle und unternahm Aktionen, um die Faschisten von der Straße zu vertreiben. Die Mitgliedschaft in der Massenpartei verschaffte der GBL auch Zugang zu GewerkschafterInnen. 1935 erhielt die GBL einen erheblichen Stimmenanteil auf der nationalen Parteikonferenz. In der Jugendarbeit war die GBL am erfolgreichsten. Ihre Zeitung „Revolution“ verkaufte sich pro Ausgabe 80.000 Mal – mehr als das offizielle Parteiorgan.
Der Entrismus in der SFIO war, obwohl nicht von allen TrotzkistInnen immer konsequent im Sinne Trotzkis durchgeführt, insgesamt erfolgreich. Doch die revolutionäre Krise schwächte sich ab, v.a. weil die SFIO, die stalinistische KP und die Gewerkschaftsspitzen eine revolutionäre Zuspitzung, d.h. die Machtergreifung der Arbeiterklasse, vereitelt hatten. Die Führung der SFIO erlangte wieder stärkere Kontrolle über die Partei. Ende Juli 1935 schloss sie 13 führende Mitglieder der SFIO-Jugend aus, darunter etliche Trotzkisten. Doch wie Trotzki vorausgesagt hatte, war seine französische Sektion gewachsen, weil sich etliche linke SFIO-Mitglieder dem Trotzkismus angeschlossen hatten. Die GBL konnte ihre Mitgliedschaft auf über 300 im Sommer 1935 steigern.
In der inzwischen veränderten Situation plädierte Trotzki für den Austritt aus der SFIO. Ein bedeutender Teil der GBL zögerte allerdings. Unter Führung von Raymond Molinier und Pierre Frank ließ sie Teile des trotzkistischen Programms unter den Tisch fallen und ging an die Bildung einer gemeinsamen Gruppe mit Zentristen, die jedoch die SFIO nicht verlassen wollten. Trotzki bemerkte dazu: „Wenn man fortwährend einer Organisation anhängt, die keine proletarischen Revolutionäre mehr in ihrer Mitte dulden kann, verkommt man zwangsweise zu einem elenden Werkzeug des Reformismus, Patriotismus und Kapitalismus.”
Der Entrismus wird, v.a. von Organisationen, die sich auf den Trotzkismus berufen, immer wieder angewendet, um den Kampf gegen reformistische oder zentristische Kräfte intensivieren und aus deren temporären Krisen Kapital schlagen zu können, d.h. schneller und mehr Kräfte für den Aufbau einer revolutionären Partei zu gewinnen.
Im Zuge der politischen Degeneration der trotzkistischen IV. Internationale Anfang der 1950er Jahre wichen Konzeption und Praxis des Entrismus bei den verschiedenen Rest-Gruppen der IV. jedoch meist von den ursprünglichen Intentionen Trotzkis ab. Einige Organisationen, z.B. die Militant-Tendenz, verstanden den Entrismus nun als längerfristige Strategie der Mitarbeit in der Sozialdemokratie bzw. in der Labour-Party, mit der sie oft bis zur politischen Unkenntlichkeit verschmolzen. Anstatt den Reformismus auf Basis eines revolutionären Programms zu bekämpfen, passte man sich ihm an.
Reformistische Parteien befinden sich nicht dauernd in einer offenen Krise, in der die Führung den Entrismus aufgrund der Radikalisierung der Basis nicht verhindern kann – es sei denn, die „RevolutionärInnen“ verleugnen ihr Programm. Dieses Versteckspiel, diese Anpassung anstelle des offenen politischen Kampfes prägt sehr viele Entrismus-Projekte. Das führte dazu, dass „die TrotzkistInnen“ oft als Trickser und Betrüger erscheinen, anstatt als offene und mutige StreiterInnen für revolutionäre Programmatik und Organisation.
Auch in Deutschland gab es wiederholt Situationen, wo Entrismus möglich und sinnvoll war. Etwa 1989/90 in der SED/PDS, die damals schwere Turbulenzen durchlebte und von verschiedenen Plattformen und Tendenzen geprägt war. Eine nächste Chance ergab sich 2005, als die Enttäuschung Hunderttausender über die unsoziale Agenda 2010 der SPD dazu führte, dass die WASG (Wahlalternative für Arbeit und soziale Gerechtigkeit) entstand. Doch anstatt zu einer Stärkung des revolutionären Potentials zu führen, fusionierte die WASG mit der PDS zur Linkspartei und führte dieser zweiten reformistischen Partei neben der SPD neue Kräfte zu. Eine Ursache dafür war, dass das Gros der „radikalen Linken“ in der WASG (v.a. trotzkistische Organisationen) sich weigerte, die linkeren Kräfte in WASG und PDS für eine klassenkämpferisch-revolutionäre Alternative zu gewinnen und eigenständig zu formieren. Stattdessen wurden sie entweder zum links-reformistischen „Flügel“ in der LINKEN und ergatterten Posten im Apparat (v.a. MARX 21) oder aber sie hingen dem Glauben an, die LINKE würde eine wichtige positive Rolle in kommenden Klassenkämpfen spielen, man könne sie „nach links drücken“ und der politische Charakter der PDS wäre noch offen (z.B. die SAV). Mehr als 10 Jahre später müssen letztere Erwartungen endgültig als illusorisch eingeschätzt werden.
In Momenten politischer und sozialer Krisen wird es immer wieder der Fall sein, dass reformistische oder zentristische Organisationen sich radikalisieren, nach links gehen und die Herrschaft ihrer Apparate und Konzeptionen in der Partei erodiert. Dann kann es sinnvoll sein, ihnen gegenüber die Entrismus-Taktik anzuwenden. Doch Erfolg, d.h. einen Zugewinn an AnhängerInnen für ein anti-kapitalistisches Programm, kann sie nur haben, wenn sie auf der Grundlage revolutionärer Politik und grundsätzlicher Kritik an reformistischen und zentristischen Konzeptionen erfolgt. Vor allem darf der Entrismus kein längerfristiges, strategisches Projekt sein und nicht der illusorischen Annahme folgen, den Reformismus dauerhaft nach links bewegen zu können oder zu glauben, dass eine etwas linkere reformistische Formation eine notwendige Zwischenstufe zur revolutionären Partei wäre.