ABC des Marxismus XXIX: Was bedeutet Arbeiterkontrolle?

Die Frage, wer die Produktionsmittel – Betriebe, Verkehrsmittel, Banken, Handel usw. – kontrolliert, ist entscheidend dafür, wie die Gesellschaft funktioniert, denn ohne Kontrolle, d.h. ohne praktische Verfügungsgewalt bleibt jedes Eigentumsrecht nur eine leere Formel. Im Kapitalismus kontrollieren die Kapitalisten ihr Eigentum meist indirekt, durch Manager. Das ist schon deshalb unumgänglich, weil die Kontroll- und Organisationsaufgaben so vielfältig und speziell sind, dass sie nur von Spezialisten erledigt werden können, v.a. in Großunternehmen und global agierenden Konzernen.

Das Management im Kapitalismus genießt viele Vorteile gegenüber „einfachen“ ArbeiterInnen, damit es zuverlässig für den Kapitaleigner tätig ist und auch Entscheidungen, die auf Kosten der Beschäftigten gehen (Entlassungen, höhere Arbeitsbelastung), umsetzt. Diese Vorteile sind bessere Bezahlung, Erfolgsprämien usw. Die Manager sind unverzichtbar dafür, das kapitalistische Ausbeutungssystem aufrecht zu erhalten und zu organisieren.

Die Kontrolle über den kapitalistischen Produktionsprozess – und im weiteren Sinn auch der  gesellschaftlichen Prozesse – durch Kapital, Management und Staat ist zugleich damit verbunden, dass die Arbeiterklasse nur sehr beschränkte Möglichkeiten hat, in wirtschaftliche und staatliche Prozesse einzugreifen. Allerdings hat es die Arbeiterbewegung im Laufe von Jahrzehnten geschafft, sich immer mehr Einwirkungs- und Kontrollmöglichkeiten über die Einhaltung von Tarifregelungen, sozialen Standards usw. zu erkämpfen.

In entwickelten kapitalistischen Ländern, v.a. auch in Deutschland, ist dieser Einfluss der Arbeiterbewegung inzwischen in Gestalt des “Sozialstaats“ und der „Mitbestimmung“ sehr stark institutionalisiert und ritualisiert. Kapital, Staat und die reformistischen Führungen und Apparate sichern dieses System arbeitsteilig und sorgen dafür, dass das Aufbrechen offener Klassenkämpfe und das Entstehen von Kampf- und Kontrollorganen, die von der proletarischen Basis direkt kontrolliert werden, möglichst verhindert wird.

Dagegen müssen RevolutionärInnen dafür eintreten, dass sich die Arbeiterklasse so weit wie möglich eigene Organe schafft, die soziale, politische und ökonomische Prozesse kontrolliert, ihnen ihren Stempel aufdrückt und unter ihrer direkten Kontrolle steht. Diese rätedemokratischen und Selbstverwaltungsorgane dienen nicht nur der Kontrolle und Einflussnahme, sondern auch dazu, die Klasse im Kampf zu organisieren und zu mobilisieren. Dabei können ArbeiterInnen ihre Interessen direkt artikulieren und lernen, Wirtschaft und Gesellschaft zu verwalten.

Die Arbeiterkontrolle unterscheidet sich von staatlicher oder demokratischer Kontrolle dadurch, dass hier die Arbeiterklasse, also die große Masse der ProduzentInnen und KonsumentInnen, kontrolliert und ihre Interessen artikuliert, während die „demokratische“ Kontrolle praktisch meist durch den Staat erfolgt und direkt oder indirekt die Interessen der Bourgeoisie bzw. der Mittelschichten ausdrückt oder einen (für die Massen meist schlechten) Kompromiss darstellt. Die Kontrolle durch den Staat ist zudem oft wenig effektiv und mit viel bürokratischem Aufwand verbunden. Mit Arbeiterkontrolle ist letztlich gemeint, dass die Arbeiterklasse kontrolliert und nicht nur bestimmte ihrer Strukturen wie Parteien, Gewerkschaften und Sozialverbände oder eine Belegschaft, die alle auch immer beschränkte und bornierte Interessen verfolgen. Deshalb ist es wichtig, dass neben diesen Strukturen auch direkt gewählte und kontrollierbare VertreterInnen der Arbeiterklasse die Kontrolle ausüben.

Die Arbeiterkontrolle kann sich auf sehr viele Bereiche erstrecken: auf den Produktionsprozess (Kontrolle der Geschäftsunterlagen und Konten), auf die Einhaltung bestimmter sozialer Standards   (Mindestlohn) oder von Umweltschutzauflagen. Gerade bei komplexen technischen Prozessen ist es notwendig, dass die Kontrolle unter Einbeziehung von ExpertInnen des Vertrauens, von AnwohnerInnen usw. erfolgt.

Staat und Kapital werden immer versuchen, eine (direkte) Arbeiterkontrolle zu verhindern, damit ihre Verfügungsgewalt über Produktion und Gesellschaft nicht geschmälert und „gestört“ wird. Die Beschränkung dieser Macht der Bourgeoise und ihres Staates durch die Arbeiterkontrolle ist daher nur durch den Druck des Klassenkampfes erreichbar und ist in der Regel auch nur in Situationen möglich, wo der Klassenkampf zunimmt bzw. größere soziale und politische Erschütterungen erfolgen, die das „normale“ Funktionieren des Kapitalismus stören. Insofern ist die Losung der  Arbeiterkontrolle ein Teil des Übergangsprogramms, das dazu dient – anknüpfend an das aktuelle Bewusstseins- und Organisationsniveau der Arbeiterklasse – eine Verbindung, einen Übergang zur Frage des Sturzes des Kapitalismus und der Erringung der politischen Macht durch das Proletariat herzustellen. Die Bildung von Strukturen der Arbeiterkontrolle muss damit verbunden sein, dass die Klasse sich im Kampf auch andere Machtorgane wie Streikkomitees, Arbeitermilizen oder Räte schafft.

In jedem größeren Klassenkampf, in jeder Revolution taucht sofort die Frage der Arbeiterkontrolle auf: Wie groß sind die Vermögenswerte der Reichen?, Wo gibt es Korruption? usw. Während der Revolution in Russland 1917 begannen die ArbeiterInnen, die betrieblichen Abläufe zu überwachen und die Verfügungsgewalt der Kapitalisten einzuschränken. In der DDR und Osteuropa organisierten die ArbeiterInnen die Produktion in den zeitweilig herrenlosen Betrieben selbst – bis sie durch die Stalinisten verstaatlicht, d.h. die Belegschaften enteignet wurden.

Jede Form von wirklicher Arbeiterkontrolle ist mit der konkreten Verfügungsgewalt der Beschäftigten bzw. KonsumentInnen verbunden. Nur so können ihre Interessen und Erfahrungen zur Geltung kommen. In der nachkapitalistischen Gesellschaft bedeutet Arbeiterkontrolle v.a. auch, dass die KonsumentInnen darüber entscheiden, was – d.h. welche Produkte – hergestellt werden. Nur so kann die Herrschaft der Produktion über die Konsumtion, welche die bürgerliche Wirtschaftsweise prägt, überwunden werden und die Bedürfnisse der Menschen zum Ausgangspunkt jeder Produktion werden.

Sowohl in der deutschen Sozialdemokratie wie in der II. Internationale und den Bolschewiki um Lenin war aber tw. die Auffassung verbreitet, dass die Kontrolle von Produktion und Verteilung nicht direkt durch die genossenschaftlich und in Räten organisierte Arbeiterklasse ausgeübt wird , sondern nur mittelbar durch einen zentralen Staatsapparat. Dieser sollte (nach der Vorstellung der Reformisten) ein modifizierter bürgerlicher Staatsapparat sein oder (nach Auffassung Lenins) ein proletarischer. Der von den Bolschewiki nach 1917 aufgebaute Apparat funktionierte jedoch nicht nach Räte-Prinzipien – er war höchst bürokratisch und überzentralistisch und entzog sich zunehmend jeder Kontrolle durch die proletarische Basis. Das – und die praktische Enteignung der Arbeiterklasse als Eigentümer der Produktionsmittel – war die objektive Grundlage der sich späteren staatskapitalistischen Gesellschaft und der Herrschaft der Bürokratie.

Bei Engels heißt es in „Die Entwicklung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft“: „Der erste Akt, worin der Staat wirklich als Repräsentant der ganzen Gesellschaft auftritt – die Besitzergreifung der Produktionsmittel im Namen der Gesellschaft -, ist zugleich sein letzter selbständiger Akt als Staat. Das Eingreifen einer Staatsgewalt in gesellschaftliche Verhältnisse wird auf einem Gebiete nach dem andern überflüssig und schläft dann von selbst ein. An die Stelle der Regierung über Personen tritt die Verwaltung von Sachen und die Leitung von Produktionsprozessen. Der Staat wird nicht ‚abgeschafft‘, er stirbt ab.“

Der Untergang des Stalinismus ist der historische Beweis dafür, dass eine nicht-kapitalistische Gesellschaft nicht ohne die direkte Verfügungsgewalt und Kontrolle der Arbeiterklasse über Ökonomie und Gesellschaft funktionieren kann.

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