Hanns Graaf
Das Bedingungslose Grundeinkommen (BGE) rückt immer wieder in den Fokus der Öffentlichkeit. Auch große Teile der Linken bis weit hinein in das reformistische Milieu von DGB, SPD und Linkspartei äußern sich dazu. Sogar einige offen bürgerliche Kräfte befürworten das BGE, etwa Tesla-Chef Elon Musk, der Telekom-Chef Höttges oder der DM-Drogerieketten-Gründer Götz Werner. Zwei ihrer Argumente dabei sind, dass durch die digitale Revolution immer mehr Arbeitsplätze verschwinden würden und die staatliche Bürokratie abgebaut werden müsste.
Doch das BGE ist längst auch im politischen Alltag angekommen. Schon in den 1970 und 80ern gab es – allerdings in jeder Hinsicht sehr begrenzte – Pilotversuche dazu in den USA. Anlass dazu war u.a. die wachsende Arbeitslosigkeit und Not der Schwarzen sowie die Zunahme von „Revolten“ gegen ihre fatale Lage. Mit dem Amtsantritt von Präsident Reagan und seinem neoliberalen Kurs war es damit dann allerdings vorbei.
In Europa hingegen hat die Idee des BGE in letzter Zeit immer mehr Fahrt aufgenommen. Seit Anfang 2017 erhalten 2.000 Arbeitslose in Finnland ein bedingungsloses Grundeinkommen. Die finnische Regierung will damit das BGE zunächst testen. Ebenfalls 2017 ist in der Schweiz eine Initiative zur Einführung eines Grundeinkommens von 2.500 Franken im Monat nach einer langen öffentlichen Debatte gescheitert. Bei dieser weltweit ersten Volksabstimmung zum BGE stimmten 78% der Teilnehmer dagegen, 22% dafür. Bei der Ablehnung spielte v.a. die Frage eine Rolle, woher das Geld für das BGE kommen solle. Umfragen in Deutschland zeigen, dass sich etwa die Hälfte der Bevölkerung in Deutschland ein solches Grundeinkommen prinzipiell vorstellen könnte.
Hierzulande lehnt die große Mehrheit der bürgerlichen Parteien, v.a. der Union und der FDP, das BGE ab. Der DGB ist dagegen, die SPD drüber gespalten, nur in der Linken gibt es dafür offenbar eine Mehrheit. Der bekannte Armutsforscher Christoph Butterwegge, Kandidat der Linken für das Amt des Bundespräsidenten, tritt allerdings dagegen auf. Er argumentiert: „Eine Sozialpolitik nach dem Gießkannenprinzip widerspricht dem vorherrschenden Gerechtigkeitsverständnis“. Zudem wäre es praktisch unbezahlbar. Erhielten z.B. alle Erwachsenen 800 und Kinder 400 Euro, würde das den Staat über 700 Mrd. Euro im Jahr kosten, was ungefähr der Summe aller heutigen deutschen Sozialleistungen eines Jahres entspricht.
Was ist das BGE?
Mit dem Begriff „Bedingungsloses Grundeinkommen“ ist gemeint, dass alle BürgerInnen ein bestimmtes Einkommen vom Staat erhalten, das ihnen ein Mindestmaß an gesellschaftlicher Teilhabe ermöglicht. Die Forderungen bezüglich der Höhe des Grundeinkommens bewegen sich meist auf dem Niveau des Arbeitslosengeldes oder leicht darüber. In Deutschland etwa werden oft 1.000 Euro monatlich als Summe genannt. Der entscheidende Unterschied zum ALG I oder zum ALG II (Harz IV) ist nun, dass das BGE an keine Bedingungen – vorheriger Verdienst, permanente Meldung beim Jobcenter, Pflicht zur Absolvierung von Maßnahmen oder Annahme von Jobs usw. – gebunden ist und also auch keine Sanktionen bei Nichterfüllung von Auflagen drohen. Ob BGE-BezieherInnen arbeiten oder nicht, bleibt ihnen überlassen. Einkünfte aus Erwerbstätigkeit werden nicht an das BGE angerechnet. Das BGE wäre also tatsächlich nicht nur ein Beitrag zur Armutsbekämpfung und zur Hebung des sozialen Standards der Gesellschaft, es würde auch bedeuten, dass der Zwang, einer Lohnarbeit nachzugehen, minimiert wäre.
BGE vs. Kapitalismus?
Zweifellos würde die Einführung des BGE eine Grundlage des Kapitalismus tendenziell unterminieren: die Ausbeutung von Lohnarbeit. Sollte das Grundeinkommen einmal sogar mehr als nur einen die Existenz sichernden Teil des Einkommens ausmachen, würde es die Lohnabhängigkeit sogar aufheben. Im Grunde wäre dann der Marxsche Grundsatz für die Verteilung im Kommunismus erfüllt: „Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen.“ Einen Haken hat die Sache aber: Marx verstand als Grundbedingung eines solchen Verteilungsprinzips eine völlig andere Gesellschaft als den Kapitalismus, wo u.a. die allgemeine Entfremdung überwunden und die befreite Arbeit zum Grundbedürfnis geworden ist. Die Befürworter des BGE hingegen wollen ein quasi kommunistisches Verteilungsprinzip in eine kapitalistische Gesellschaft implantieren.
Diese Vorstellung muss ganz einfach an den Realitäten scheitern. Obwohl Arbeit – allgemein als „schöpferisches Tun“ begriffen – sicher ein Grundbedürfnis des Menschen ist, schwindet dieses Bedürfnis, wenn die Arbeit entfremdete Lohnarbeit ist. So würde die Einführung des BGE dazu führen, dass die Bereitschaft vieler Menschen zu arbeiten sinkt, v.a. dort, wo die Bezahlung schlecht, wo stupide oder gesundheitsschädliche Arbeit zu verrichten, wo die Arbeitszeit (z.B. Schichtdienst) ungünstig oder der Arbeitsweg lang ist. Wenn der Zwang, Lohnarbeit zu verrichten, abnimmt, hat das eine Verteuerung der Ware Arbeitskraft zur Folge. Das führt zur Verteuerung aller Waren. Der allgemeine Preisanstieg würde also die Lohnsteigerung wieder auffressen oder unter bestimmten Umständen sogar zu einem Sinken des Lebensniveaus der Massen führen, was deren Freude über das BGE sicher nicht zuträglich wäre.
Viele Menschen würden – zu recht – auch als Arbeit ansehen, was sie selbst befriedigt, aber nicht direkt der Gesellschaft dient. Auch das würde dazu führen, dass die gesellschaftliche relevante Arbeitsleitung (das Bruttosozialprodukt) sinkt und damit natürlich auch der Verteilungsspielraum kleiner wird.
Um dem Absinken des allgemeinen Lebensstandards entgegen zu wirken, müsste der Reichtum von oben nach unten umverteilt werden. Diese Maßnahme würde aber auf energischen Widerstand der Bourgeoisie und der oberen Mittelschichten stoßen. Sie würden die Staatsmacht dafür in Bewegung setzen, um ihre Pfründe zu verteidigen. Selbst wenn die Umverteilung per Gesetz oder eine progressive Besteuerung formal auf den Weg gebracht würde, bieten sich der Oberschicht immer noch viele Möglichkeiten, ihrer Schröpfung zu entgehen, z.B. durch die Nutzung von Steuertricks oder schlicht Kapitalflucht. Um Steuer- oder Kapitalflucht (und damit auch den Verlust von Arbeitsplätzen) zu verhindern, wären harte Eingriffe in die Verfügungsgewalt der Bourgeoisie über ihr Kapital und über die Produktionsmittel nötig und der bürgerliche Staat müsste in einem Maße einer demokratischen Kontrolle unterworfen werden, die mit seinem Wesen – geschäftsführende Agentur und Machtinstrument des Kapitals zu sein – unvereinbar wären.
Daneben müsste der Anteil unproduktiver Arbeit, d.h. Arbeit, die kein wirkliches Lebensbedürfnis befriedigt, minimiert werden, um mehr Ressourcen in produktive Bereiche zu lenken. So wäre es etwa möglich, ein Sinken der „Arbeitsbereitschaft“ um sagen wir 10% ausgleichen zu können. Doch eben diese Reduzierung des unproduktiven Bereichs würde voraussetzen, dass das Proletariat massiv in die ökonomische und Gesellschaftsstruktur eingreift. Letztlich würden solche notwendigen Maßnahmen das gesamte Gebäude der bürgerlichen Gesellschaft erschüttern. Die Einführung des BGE, welche eine Revolution überflüssig machen soll – wie viele BGE-Befürworter durchaus eingestehen – führte in letzter Konsequenz also ebenso zur Umwälzung der gesamten Gesellschaft: zur Revolution.
Die Einführung des BGE würde zunächst auf nationaler Ebene erfolgen. Die damit verbundene Störung bzw. Einschränkung der kapitalistischen Ausbeutungs- und Herrschaftsmechanismen, v.a. der praktische Zwang zur Lohnarbeit, verschlechtert die Konkurrenzfähigkeit des betroffenen Kapitals gegenüber seinen Konkurrenten. Die Folge wäre entweder die Pleite oder die Abwanderung. In beiden Fällen gingen Arbeitsplätze und Steuereinnahmen verloren, was die Finanzierung des BGE sowie den Lebensstandard insgesamt untergraben würde. Um diesem Trend entgegen zu wirken, müsste die Gesellschaft auch hier eingreifen, z.B. indem sie die Abwanderung von Kapital unterbindet. Auch hier würde also die Einführung des BGE mit dem „normalen“ Kapitalismus kollidieren.
Marx und das BGE?
Manche Befürworter des BGE berufen sich auf Marx, u.a. indem sie darauf verweisen, dass ja auch Marx eine Gesellschaft erstrebte, in der die entfremdete Lohnarbeit überwunden wäre. Das ist zweifellos richtig, doch kann Marx eben nicht darauf reduziert werden. Er hat wiederholt betont, dass der Kommunismus keine Utopie ist, sondern nur das Resultat jener Tendenzen sei, die dem Kapitalismus schon innewohnen. Kommunismus ist insofern auch Negation der Negation und Ergebnis eines Entwicklungsprozesses. Marx und auch Engels haben – schon im „Kommunistischen Manifest“ oder im „Anti-Dühring“ – wiederholt heftig gegen Sozialreformer polemisiert, die glaubten, mit diversen Patentrezepten die Revolution oder sogar den Klassenkampf „umgehen“ zu können. Es ist nicht nur ein Bonmot, wenn Marx sagt: „Jeder Schritt wirklicher Bewegung ist wichtiger als ein Dutzend Programme.“ (Brief an Bracke, 1875) Mitunter wird dieser Satz so interpretiert, dass das Programm nicht so wichtig wäre. Davon kann jedoch gerade bei Marx keine Rede sein, denn er war nicht nur ein Programm-Schreiber, er hat auch immer wieder die Programmatik anderer Autoren kritisiert. Allerdings ergab sich für ihn ein Programm auch aus der Erfahrung des praktischen Klassenkampfes, die darin verarbeitet wird.
Die Berufung einiger BGE-Protagonisten auf Marx ist aber auch aus zwei anderen Gründen nicht nur unangemessen, sondern direkt falsch. Marx betonte stets, dass für ihn die Produktion bzw. die Eigentumsverhältnisse den Kern der gesellschaftlichen Struktur darstellen, nicht die Verteilung, die nur eine Folge, eine Funktion der Produktion ist. Daher war für Marx die Enteignung des Privateigentums auch so zentral für die Revolution bzw. für die nach-kapitalistische Gesellschaft. Die BGE-Unterstützer setzen aber nicht nur an der Verteilung an, sie ignorieren (wie oben gezeigt) auch die Folgen für die Produktions- und Eigentumsverhältnisse und die gesamtgesellschaftlichen Konsequenzen. Es ist wie der Glaube, man könne in einem Auto einfach irgendein anderes Getriebe einbauen, ohne die Gesamtfunktionsweise des Fahrzeugs dabei zu tangieren. Indem man glaubt, mit dem BGE die brisante Frage des Eigentums an den Produktionsmitteln umschiffen zu können, ist es Teil einer reformistischen Strategie – soweit wir Wunschdenken als „Strategie“ bezeichnen wollen.
Für Marx war immer klar, dass der Sturz des Kapitalismus im großen wie konkrete Reformen im kleinen immer nur durch den Kampf der Arbeiterklasse erreicht werden können, mag dieser Kampf direkt, etwa durch Streiks, oder indirekt, durch das Zugestehen von Reformen, um größere Konflikte zu verhindern, erfolgen. Dass eine Reform wie das BGE, das ja durchaus gesellschaftliche Dimensionen haben und nicht nur ein Nischen-Projekt sein soll, vom bürgerlichen Staat eingeführt wird, ohne dass die Klasse selbst dafür aktiv kämpft, wäre Marx sicher nie in den Sinn gekommen. Leider kommt der Klassenkampf als Mittel zur Durchsetzung des BGE deren Fürsprechern nur sehr selten in den Sinn. Das ist auch kein Zufall, denn das BGE soll eben vom bürgerlichen Staat eingeführt werden, dazu wird von den BGE-Initiativen die Unterstützung auch durch die bürgerlichen Parteien und die Unternehmer gesucht. Obwohl diese bisher das BGE mehrheitlich ablehnen, sehen sie zwei Aspekte durchaus positiv: einmal die Vereinfachung und damit Verbilligung der Zuteilung von Sozialtransfers, zum anderen die Erhöhung der Kaufkraft der untersten Schichten, was v.a. dem Handelskapital nützt. Durchaus angenehm für alle Kapitalisten ist auch, dass das BGE die Eigentumsfrage ausblendet.
Für Marx war an sozialen Reformen nicht nur die konkrete Verbesserung wichtig, die ja ohnehin immer nur eine zeitweilige Übereinkunft im Klassenkampf darstellt, die in der nächsten Krise vom Kapital wieder kassiert werden kann. Für ihn bestand der eigentliche Wert des Kampfes um Reformen darin, dass dabei der Organisationsgrad und das Bewusstsein der Arbeiterklasse steigen. Zudem war für Marx der Kampf für Reformen immer Teil einer revolutionären Gesamtkonzeption und keineswegs eine Alternative zur Revolution.
Die BGE-Fürsprecher sehen das ganz anders. Sie glauben, dass das BGE ein oder sogar das Mittel sein könnte, um den Kapitalismus zu reformieren und gerechter zu machen. Wohlgemerkt: mit „gerecht“ ist hier nur die Verteilung gemeint, nicht etwa die Frage des Besitzes, d.h. der Verfügung über die Produktionsmittel, die weiterhin ungerecht sein könne.
BGE und Klassenkampf
Um den Klassenkampf erfolgreich führen zu können, ist es u.a. notwendig, Spaltungen innerhalb der Klasse zu überwinden. Eine wesentliche Spaltung ist die zwischen Beschäftigten und Arbeitslosen. Letztere sind aufgrund ihrer sozialen Situation tendenziell deklassiert, es ist daher in der Regel schwerer, Arbeitslose politisch und organisatorisch zu erreichen. Da das BGE zuerst und am direktesten für die Arbeitslosen, in Deutschland v.a. die Harz IV-BezieherInnen, beträfe, wäre es also wichtig, diese Schicht – wie auch die wachsende Zahl von prekär Beschäftigten – in den Klassenkampf und in die Organisationen der Arbeiterbewegung, z.B. die Gewerkschaften, einzubeziehen. Bisher war es in Deutschland u.v.a. Ländern so, dass die Arbeitslosenunterstützung und viele Sozialleistungen (Rente) in hohem Maße direkt oder indirekt von den Löhnen bestimmt sind. Sie waren also wesentlich davon abhängig, welche Kraft die Arbeiterklasse (genauer: ihr im Arbeitsprozess stehender Teil) im Kampf um Löhne, Arbeitsbedingungen und Sozialleistungen entfaltet. Gerade aber für die Mobilisierung und Organisierung der Gesamtklasse stellt das BGE nun ein gewichtiges Problem dar. Warum?
Das BGE stellt grundsätzlich eine tendenzielle Abkopplung des Einkommens von der Lohnarbeit dar. Die einzelnen ArbeiterInnen sind also in gewissem Sinn individuelle „VerwalterInnen“ ihres Einkommens, das aus Steuermitteln kommt, während vordem ihr Lohn-Einkommen in viel höherem Maße von der kollektiven Organisation und Aktion der Arbeiterbewegung abhingen. Mit dem BGE schwindet natürlich auch die Möglichkeit für die ArbeiterInnen, per Streik höheren Lohn zu erzwingen, weil sie viel schwächer und indirekter in den Lohnarbeitsprozess und in das betriebliche Kollektiv der LohnarbeiterInnen eingebunden sind. Warum sollte sich ein(e) ArbeiterIn gegen Entlassung o.a. Angriffe wehren, wenn sie ihren Lebensunterhalt auch ohne Job grundlegend sichern kann – oder das zumindest glaubt?! Anstatt die Geschlossenheit der Klasse zu festigen, anstatt ihr kollektives Bewusstsein zu heben, unterminiert das BGE sie. Die Hoffnung auf die Verbesserung der sozialen Lage der Massen – nicht nur der Arbeiterklasse – richtet sich weniger auf den Kampf der Klasse, sondern mehr auf den bürgerlichen Staat als Zahlmeister des BGE.
Wie wir gezeigt haben, ist das BGE nicht nur ein illusionäres Projekt, das an den realen Gegebenheiten des Kapitalismus scheitern muss und sich weigert, die gesamtgesellschaftlichen Implikationen, welche die Einführung des BGE hätte, zur Kenntnis zu nehmen. Das Konzept des BGE gibt nicht nur ein falsches Ziel an, es zeigt auch einen falschen Weg dahin auf: anstatt auf den Klassenkampf orientiert es auf den guten Willen, auf die Einsicht der Bourgeoisie und ihres Staates.
Die Aufgaben der Linken
Aus all dem folgt, dass die Linke das BGE nicht nur nicht auf ihre Fahnen schreiben, sondern es grundsätzlich kritisieren sollte. Leider erfolgt dies kaum, ja ein erheblicher Teil auch der radikalen Linken unterstützt selbst die BGE-Initiativen. Aus dieser ablehnenden Haltung sollte nun aber nicht kurzschlüssig gefolgert werden, dass die Linke immer nur dagegen auftreten sollte. Es handelt sich auch hier – wie immer – um eine Frage der Taktik.
Angenommen, es gäbe in Deutschland eine Volksabstimmung zur Einführung des BGE und eine Mehrheit entschiede sich dafür – was sollte die Linke dann tun? Sicher wäre es dumm, einfach dagegen zu stimmen, weil die Massen sich mit dem BGE ja offenbar eine soziale Verbesserung erhoffen. Dagegen zu stimmen würde bedeuten, sich gegen die durchaus legitimen und positiven Erwartungen der Massen zu stellen, was auch damit einhergehen würde und müsste, die Massen als politisch rückständig, kurzsichtig oder staatsgläubig zu kritisieren. Man kann das tun, jedoch macht man sich damit weder Freunde noch böte man damit einen konkreten Handlungsvorschlag an.
Es wäre vielmehr geboten, einen Schritt mit den Massen gemeinsam zu gehen, also an ihrem momentanen Bewusstseinsstand anzuknüpfen, und zugleich der rein reformistischen Orientierung der BGE-Initiatoren eine Orientierung des Klassenkampfes entgegenzusetzen. Das würde z.B. bedeuten, für klassenkämpferische Mobilisierungen (Demos, Besetzungen, Streiks) einzutreten, um Staat und Kapital dazu zu bewegen, das BGE wirklich einzuführen und dafür zu sogen, dass das BGE wirklich eine spürbare Verbesserung der sozialen Lage v.a. der untersten Schichten bewirkt. Daneben müsste gefordert werden, dass das BGE durch eine Progressiv-Steuer auf Kapital und Reichtum finanziert wird und nicht durch „Umschichtungen“ im Staatshaushalt.
Flankiert werden müssen diese Maßnahmen auch dadurch, dass verschiedene Formen von Arbeiterkontrolle über die Geschäftsführung von Unternehmen und Staatsfinanzen usw. gefordert werden und dafür demokratische proletarische Strukturen aufgebaut werden, um die Umsetzung sicher zu stellen.
Eine wichtige Aufgabe der „radikalen“ Linken müsste es schon heute sein, eine breite Debatte über das BGE in der Arbeiterbewegung, in den Gewerkschaften und in SPD und Linkspartei anzustoßen und dort einerseits das BGE als reformistische Illusion zu entlarven und andererseits eine klassenkämpferische Ausrichtung einzufordern.
Im Fall, dass die Arbeiterklasse durch die Einführung eines BGE wirklich in Bewegung gerät, würde sich sehr schnell zeigen, dass Kapital und Staat das BGE behindern und unterminieren, wo es nur geht. Es würde sich zeigen, dass das BGE mit dem Kapitalismus, mit dessen Grundlagen und Spielregeln kollidiert und man sehr bald an einen Punkt gelangt, wo entweder das BGE scheitert oder aber der Kapitalismus attackiert und überwunden werden muss, um Wohlstand, Gerechtigkeit und soziale Sicherheit für alle garantieren zu können.
Ja, die Verbesserung des Lebens der Menschen muss als Aufgabe gesehen werden – es ist die Aufgabe der Arbeiterklasse bzw. der Arbeiterbewegung. Doch das BGE ist – davon abgesehen, dass es illusorisch ist – das falsche Mittel, weil es die Kampffähigkeit und kollektive Organisation der Klasse untergraben würde, wahrscheinlich weit stärker, als das heute die Leiharbeit bewirkt. Ein höheres Niveau von Löhnen, Renten, Sozialleistungen usw. kann nur durch den Klassenkampf erreicht werden, nicht durch „Geschenke“ des Staates. Eine solche „Almosen“-Gesellschaft gab es auch in der DDR. Wir wissen, dass 1989, im Augenblick der „höchsten Not“, niemand das sog. „Volkseigentum“ verteidigt hat. Zudem geht es auch nicht nur um ein besseres „monetäres“ Niveau, es geht auch um die Umgestaltung der Arbeit (Stichwort: Entfremdung), die beim BGE weitgehend aussen vor bleibt.
Das ganze Thema ist ja schon seit Jahren im Gespräch, aber umgesetzt wird es wohl nie. Ich glaube, dass es für viele Menschen eine Chance wäre, wieder auf eigenen Beinen zu stehen. Natürlich würde es auch diejenigen geben, die sich darauf ausruhen, aber sein wir doch ehrlich, gibt es diese nicht jetzt schon? Das ganze Thema sollte man nicht einfach beiseite schieben, sondern als Aufgabe sehen.