Anmerkungen zum Programm der Gruppe ArbeiterInnenmacht

Hanns Graaf

Die Gruppe ArbeiterInnenmacht (GAM) gehört zu den wenigen radikal-linken Organisationen, die über eine umfangreichere Programmatik verfügen. Auch ihr Aktionsprogramm hat sie immer wieder überarbeitet und aktualisiert. Die neue Fassung wurde nun im Mai 2018 veröffentlicht (www.arbeiterinnenmacht.de). Die Kernelemente des Programms, insbes. der Forderungsteil, blieben überwiegend gleich. Positiv an diesem Programm ist zunächst, dass nicht nur eine Analyse der Lage (international und national) erfolgt, sondern daraus auch konkrete Forderungen bzw. Vorschläge für die Linke und die Arbeiterbewegung abgleitet werden. Insofern ist es tatsächlich eine Anweisung für den Klassenkampf und nicht nur ein Kommentar. Methodisch beruht das Programm auf Trotzkis „Übergangsprogramm“.

Wir können vielen Einschätzungen und Forderungen durchaus zustimmen, wollen hier aber einige, aus unserer Sicht fehlerhafte, Aussagen kritisieren bzw. auf wichtige Aspekte hinweisen, die fehlen.

Allgemeine Lage

Zu Beginn, im Anschnitt „Globale Krise und Kräfteverschiebung“, stellt die GAM fest: „Die Finanzkrise und globale Rezession von 2007-2009 markieren den Beginn einer neuen, weltgeschichtlichen Periode. Die inneren Widersprüche der imperialistischen Epoche entfalten wieder einmal ihren explosiven Charakter“. Hier (und anderswo bei der GAM) wird aber nicht begründet, warum es sich hier um eine „neue, weltgeschichtlichen Periode“ handeln soll. Innere Widersprüche prägten die imperialistische Epoche schon immer. Und gegenwärtig sind sie wohl kaum so groß wie z.B. in den Phasen, als diese Widersprüche sich in zwei Weltkriegen austobten. Zum Periodenwechsel wird lediglich ausgeführt: „Die Ursache der Finanzkrise, der tiefen Rezession und des Rückgangs der Produktion in allen tradierten imperialistischen Staaten war und ist die Überakkumulation von Kapital.“ Das ist nicht sehr überzeugend, schon weil die Ursache der Finanzkrise in der EU v.a. die Fehlkonstruktion des Euroraumes mit erheblichen Produktivitätsunterschieden der Länder, aber gleicher Währung war und nicht wesentlich in der Überakkumulation lag. Auch von einer „tiefen Rezession und dem Rückgang der Produktion in allen tradierten imperialistischen Staaten“ kann so nicht gesprochen werden, da die Weltwirtschaft insgesamt längst wieder aus der Krise heraus ist (was an den Wachstumsraten ablesbar ist), auch wenn deren Ursachen natürlich weiter bestehen. USA, China, Deutschland (von Japan abgesehen, das aber schon lange vor 2007 stagnative Tendenzen zeigte) als den größten Ökonomien geht es wieder recht gut. Insgesamt war die Krise von 2007 zwar global gesehen sogar „weitreichender“ als die bis dahin schwerste von 1929, doch offenbar hat das Kapital heute mehr Mittel und Wege, um solche dramatischen Folgen für das Gesamtsystem wie damals zu verhindern.

Natürlich ist nirgends definiert, was eine „Periode der Weltgeschichte“ ist, doch wenn man den Beginn des Imperialismus um 1900, die Revolution von 1917 oder den Zusammenbruch des Stalinismus 1990 als Wegzeichen neuer Perioden nehmen würde, so war 2007 demgegenüber eher weniger einschneidend. Überhaupt sollten wir uns hinsichtlich der Krisenhaftigkeit des Kapitalismus anlässlich des 200. Geburtstages von Marx einmal die Frage stellen, ob dessen Prognose, dass die Krisen des Kapitalismus immer heftiger ausfallen und sich also eine zunehmende Zusammenbruchstendenz bemerkbar macht, richtig ist. Niemand kann die Zukunft vorhersagen, doch die immerhin rund 150 Jahre nach Marxens Voraussage bestätigen ihn in dieser Hinsicht eher nicht. Dafür sind zwei große Krisen – 1929 und 2007 – einfach zu wenig.

Offenbar spielt in die Einschätzung der GAM hinein, dass sie partout nach dem großen revolutionären Crash sucht bzw. ihn „herbei analysiert“, in dem man das „Modell Oktoberrevolution“ erneut anwenden könne. Wie die Beschäftigung der GAM mit dem 100. Jahrestag der Oktoberrevolution zeigt, glaubt sie tatsächlich an dieses „Modell 1917“, ohne aber zu sehen, dass sich dieses 1. nie erfolgreich wiederholt hat und es 2. unter sehr besonderen Bedingungen stattfand, die heute (und schon lange) allenfalls in der „3. Welt“ funktionieren können. Etwas ganz anderes als die Stilisierung von 1917 zu einem Modell der Revolution ist es, bestimmte Lehren zu ziehen.

Führungskrise

Methodisch passt es zu diesem „revolutionären Modellieren“, Bewegungen und Klassenkämpfe zu positiv zu bewerten. Schon der Anti-Globalisierungs-Bewegung (AGB) ab 1999 wurde ein partiell antikapitalistischer Charakter angedichtet und sie deshalb als eine (jedoch nicht die einzige) Quelle einer neuen 5. Internationale angesehen. Heute – also fast 20 Jahre später – gibt es weder eine antikapitalistische Bewegung noch die Fünfte Internationale oder auch nur Ansätze davon. In Wahrheit war der „Antikapitalismus“ der AGB in starkem Maße ein Protest linker und jugendlicher Mittelschichten ohne eine proletarische und sozialistisch-revolutionäre Perspektive. Auch die ohnehin nur punktuell involvierte (reformistische) Arbeiterbewegung ordnete sich der linken Kleinbürgerei unter und blieb passiv.

Doch bis heute weigert sich die GAM bzw. ihre internationale Organisation LFI, ihre tw. fehlerhaften Einschätzungen anzuerkennen und sich zu fragen, welcher möglicherweise falschen Methode diese entsprangen. Im Gegenteil, sie halten an ihrem zwanghaften, unrealistischen Optimismus fest, wie das aktuelle Programm zeigt. Dort wird behauptet, dass die „revolutionären Erhebungen des Arabischen Frühlings oder der vorrevolutionären Krise in Griechenland, die scheinbar fest etablierte Regime stürzten und Millionen im Kampf um eine andere Gesellschaftsordnung in Bewegung brachten.“ Ja, in Griechenland gab es eine vorrevolutionäre Krise, doch weder dort geschweige denn im Arabischen Frühling waren Millionen für eine „andere Gesellschaftsordnung“ – also den Sozialismus unterwegs. Hier verwechselt die GAM die Unzufriedenheit und die Empörung der Massen mit dem System bzw. bestimmten Aspekten dieses Systems mit einem sozialistischen Bewusstsein der Massen. Sicher (und das konstatiert natürlich auch die GAM) mangelte es in all diesen Konflikten an einer revolutionären Führung, welche die durchaus vorhandene objektive antikapitalistische Dynamik dieser Kämpfe hätte ausnutzen können, doch das ist etwas ganz anderes als das, was die GAM hier schreibt.

Genau auf dieser methodischen Linie liegen auch die programmatischen Forderungen im Schlusskapitel „Für die permanente Revolution! Für die Fünfte Internationale!“. Dort heißt es: „Der Aufbau einer neuen, Fünften Internationale ist entscheidend, um im Kampf gegen die herrschende Klasse effektiv Widerstand leisten und den Kapitalismus, die Wurzel der gegenwärtigen Misere, stürzen zu können.“ Natürlich benötigt das internationale Proletariat eine  revolutionäre Internationale, doch ob eine solche wirklich „entscheidend“ wäre, ist zumindest fraglich. Warum? Erstens werden Klassenkämpfe – auch noch heute im Zeitalter der Globalisierung – wesentlich national ausgetragen, worauf schon Marx hinwies. Internationale Unterstützung, Kooperation und Solidarität sind zwar wichtig, aber meist nicht entscheidend. Zweitens sind diese auch möglich und notwendig, wenn es noch keine Internationale gibt. Zudem wird weitgehend übersehen, dass eine Internationale nur dann entstehen kann (und sollte?), wenn es in irgendeiner Form einen qualitativen und/oder quantitativen Ansatz dafür gibt bzw. wenn es einen Aufschwung des Klassenkampfes oder der Arbeiterbewegung gibt. Momentan ist eher das Gegenteil dessen der Fall.

In dieser „Überbetonung“ der Frage der Internationale drückt sich auch eine einseitige Auffassung der These von der Führungskrise des Proletariats aus. Dazu sagt das Programm, die 5. Internationale wäre „ein entscheidender Schritt dazu, die seit den 1950er Jahren bestehende Führungskrise des Weltproletariats zu lösen“. Wenn die GAM meint, die Führungskrise bestehe erst seit den 1950ern, so zeigt sich darin ein doppelter Irrtum: Erstens wird die Krise erst an der Spaltung bzw. der Degeneration der IV. Internationale festgemacht, obwohl diese auch schon davor nur eine sehr marginale Rolle selbst für die Vorhut des Proletariats gespielt hat, es also bereits vor 1950 diese Führungskrise gab. In gewissem Sinn bestand die Führungskrise bereits seit Ende der 1920er Jahre mit dem Aufkommen des Stalinismus oder sogar schon seit 1914 mit der Kapitulation der II. Internationale – oder sogar noch früher. Was es lediglich gab, waren minoritäre Ansätze zur Lösung dieser Führungskrise.

Viel fataler aber ist zweitens, dass die Führungskrise nur oder v.a. als Fehlen oder als Schwäche einer revolutionären Führung gesehen wird, dabei aber weitgehend die Frage, warum die Arbeiterklasse selbst nicht mehr Dynamik entwickelt hat, um eine revolutionäre Führung (mit) aufzubauen, ausgeblendet wird. Hier spiegelt sich auch die Leninsche Einseitigkeit in puncto Partei wider, welche das sozialistische Bewusstsein als „ideale Lehre“ dem Proletariat zu vermitteln imstande wäre. Hier ist nicht der Raum, diese Frage genauer darzustellen, jedenfalls greift die trotzkistische Erklärung der Führungskrise – trotz ihrer durchaus richtigen Intention – zu kurz und erweist sich auch als wenig dialektisch.

Übergangsforderungen

Im Abschnitt „Ein Programm von Übergangsforderungen – für eine neue revolutionäre Partei“ stellt die GAM völlig richtig dar: „Es ist die Aufgabe von RevolutionärInnen, sich auf diese Aufgabe (die Revolution, d.A.) vorzubereiten, in den aktuellen Kämpfen die Frage der zukünftigen entscheidenden Umwälzungen hervorzuheben.

Zugleich wird es natürlich auch alle wichtigen, aktuellen Tagesforderungen beinhalten, Forderungen nach sozialen Verbesserungen, nach elementaren ArbeiterInnenrechten, für die Verteidigung und Ausweitung demokratischer Rechte. RevolutionärInnen unterscheiden sich von ReformistInnen keineswegs dadurch, dass sie den Kampf für solche Forderungen ablehnen. Sie betrachten sie aber nur als Teilschritte, deren Wert weniger in dieser oder jener Verbesserung, sondern vielmehr in der Vorbereitung auf weitergehende, das System selbst in Frage stellende, revolutionäre Kämpfe besteht.“

Der entscheidende Fehler besteht nun aber darin, dass für RevolutionärInnen die Alternative und  die Perspektive nur in „das System selbst in Frage stellende(n), revolutionäre(n) Kämpfe(n)“ und im Aufbau politischer Strukturen (Partei, Gewerkschaften, Räte) bestehe. Doch sozialistisches Bewusstsein entsteht eben nicht nur, wenn es von der Partei in die Klasse getragen wird, wie es Lenin postulierte. Es entsteht auch und bis zum einem gewissen Grad (auch in der Partei) durch soziale Erfahrung. Soziale Erfahrung entsteht in sozialen Strukturen, nicht (nur) durch Propaganda und in politischen Strukturen. Es muss noch ein anderer Faktor hinzutreten. Dieser Faktor sind selbstverwaltete, genossenschaftliche Strukturen schon im Kapitalismus. Sie sind jene sozialen Strukturen, in denen sich (wenn auch nur in Ansätzen) Bewusstsein, Erfahrungen und Bedürfnisse  entwickeln können, wie ein Leben ohne Kapitalismus, ohne Privateigentun und Staat aussehen kann und dass das möglich ist. Von dieser Erkenntnis ist die GAM weit entfernt!

Genauso weit weg ist sie davon, sich mit den entsprechenden Erfahrungen der Arbeiterbewegung zu befassen. Das von der GAM so favorisierte „Modell 1917“ zeigt unwiderlegbar, zu welchen Katastrophen es führt, wenn eine Partei, in dem Fall die Bolschewiki, die Frage von Selbstverwaltung und Genossenschaftswesen nicht nur unterschätzt, sondern solche Strukturen auch bewusst bekämpft. Was die GAM (und der Trotzkismus allgemein) dazu zu sagen haben, ist, mehr Räte-Demokratie anzumahnen, als ob ein komplett falsches, auf den Staat zentriertes System dadurch grundsätzlich besser würde, wenn es demokratischer wäre. Es geht hier vielmehr im Kern um die Eigentumsfrage: Wer kontrolliert wie die Produktionsmittel? Die MarxistInnen der GAM stellen diese Grundfrage des Marxismus nicht bzw. nur halb, indem sie im Grunde glauben, dass die Verstaatlichung das Problem schon lösen würde. So offen sagen sie es natürlich nicht, doch ihre völlig unzureichende Kritik an der Politik Lenins und der Bolschewiki in dieser Frage zeigt das sehr klar.

Problem Staat

Das ist auch am Programm ablesbar. Dort wird gefordert: „Streiks und Besetzungen im Kampf gegen Massenentlassungen und Schließungen! Entschädigungslose Verstaatlichung und Fortführung/Umstellung der Produktion solcher Firmen!“ An anderen Stellen wird noch die Notwendigkeit der Arbeiterkontrolle bei der Verstaatlichung betont. Niemals ist aber die Rede davon, dass die ArbeiterInnen selbst das „herrenlose“ Kapital in Besitz nehmen und verwalten sollen. Sie sollen nicht zu Eigentümern, sondern immer nur zu Co-Kontrolleuren des Staates werden! Selbst das wäre ein Fortschritt – der Fehler ist hier nur, dass die GAM bei ihren Forderungen immer dabei stehen bleibt!

Als Begründung schreibt die GAM: „Indem wir diesen Kampf mit Forderungen nach ArbeiterInnenkontrolle – nicht durch die FirmenchefInnen oder „ExpertInnen“ des bürgerlichen Staates – verknüpfen oder mit der Forderung nach Aufteilung der Arbeit auf alle verbinden, verweist unser Programm auf die Schaffung von Gegenmachtorganen gegen die KapitalistInnen und auf eine zukünftige, andere Organisation der gesellschaftlichen Arbeit.“ In einem allgemeinen Sinn stimmt das. Doch auch hier zielt „Gegenmacht“ wieder nur aufs Politische, nicht auf soziale Strukturen. Eine andere Organisation der Arbeit wird – bis zu einem bestimmten Grad – aber schon in vielen „selbstverwalteten“ Projekten und Unternehmen (auch in Deutschland) erfolgreich praktiziert. Das tangiert die GAM aber nicht (und sie weiß wahrscheinlich auch nichts davon). Es ist schon bizarr: Da wird auf die Zukunft verwiesen, aber das, wo die Pflänzchen der Zukunft schon gedeihen, interessiert die GAM nicht. So ist die Zukunft nicht ein realer Kampf um reale strukturelle Alternativen, sondern nur – Propaganda.

Nebenbei bemerkt: In Trotzkis „Übergangsprogramm“, auf das sich die GAM – zu recht – positiv bezieht, gibt es interessanterweise zwar Forderungen nach Arbeiterkontrolle und nach Verstaatlichung, aber nirgends die Kopplung dieser beiden wie im Programm der GAM.

Im Programmteil Für eine ArbeiterInnenregierung, gestützt auf Räte und Milizen! heißt es: „Unsere Forderungen nehmen die aktuellen Bedürfnisse, die sozialen und politischen Forderungen der ArbeiterInnenklasse zum Ausgangspunkt, verallgemeinern und verbinden sie mit dem Kampf für ArbeiterInnenkontrolle und proletarische Selbstorganisation. Wir stellen diese Forderungen nicht auf, weil wir glauben, dass ArbeiterInnenkontrolle und bürgerliche Herrschaft parallel existieren könnten. Wir wissen, dass das unmöglich ist, weil im Kapitalismus nicht KapitalistInnen und ArbeiterInnen gleichermaßen herrschen können. Solche Versuche oder Programme führen nur zu Niederlagen, wie schon die Politik der USPD, welche die ArbeiterInnenräte mit dem Parlamentarismus „aussöhnen“ wollte, bewiesen hat.

Diese Passage ist höchst widersprüchlich. Natürlich können ArbeiterInnenkontrolle und bürgerliche Herrschaft parallel existieren. Allerdings nicht in dem Sinn und in dem Maße, dass zwei darauf beruhende Produktionsweisen koexistieren könnten. Doch punktuell und graduell ist das durchaus möglich – und existiert real auch. Wäre dem nicht so, würde es ja auch überhaupt keinen Sinn ergeben, dass die GAM selbst Forderungen nach Arbeiterkontrolle aufstellt. Mit der gleichen Logik könnte man ja auch behaupten, dass es in einer kapitalistischen Gesellschaft keine kommunistische Partei geben könnte.

Als weiteres Argument errichtet das GAM-Programm einen Popanz: Solche Versuche oder Programme führen nur zu Niederlagen, wie schon die Politik der USPD, welche die ArbeiterInnenräte mit dem Parlamentarismus „aussöhnen“ wollte, bewiesen hat.Es geht aber in einem revolutionären Programm stattdessen darum, Arbeiterkontrolle, Genossenschaften und proletarische Selbstverwaltung schon im Kapitalismus zu erkämpfen und praktisch so weit wie möglich zu etablieren – ohne damit die Notwendigkeit der Revolution und damit des qualitativen Sprungs zu einer neuen Produktionsweise zu vergessen. Die GAM hingegen schüttet das Kind mit dem Bade aus – und plädiert absurderweise gleichzeitig dafür, dass es schwimmen lernen soll.

Arbeiterkontrolle

Wenn die GAM schreibt „Wir wissen, dass das (also die Arbeiterkontrolle, d.A.) unmöglich ist, weil im Kapitalismus nicht KapitalistInnen und ArbeiterInnen gleichermaßen herrschen können“, dann offenbart sich hier auch ein Missverständnis von Arbeiterkontrolle. Der Begriff „Kontrolle“ setzt voraus, dass etwas „Fremdes“, also das Eigentum anderer, kontrolliert wird. „Eigentum“ ist definiert als juristischer Eigentumstitel und praktische Verfügung über das Eigentum. Arbeiterkontrolle ist insofern eben noch kein Eigentum und repräsentiert auch keine Herrschaft, sondern allenfalls eine mehr oder weniger große Einschränkung der Herrschaft des „eigentlichen“ privaten oder staatlichen Eigentümers. Natürlich – und in diesem Sinne hätte die GAM recht – kann eine solche Doppelmacht im Betrieb (geschweige denn auf nationaler Ebene) nicht dauerhaft existieren. Die eine oder andere Klasse wird die Situation für sich positiv auflösen.

Es stimmt, wenn die GAM schreibt: „Unsere Forderungen nehmen die aktuellen Bedürfnisse, die sozialen und politischen Forderungen der ArbeiterInnenklasse zum Ausgangspunkt, verallgemeinern und verbinden sie mit dem Kampf für ArbeiterInnenkontrolle und proletarische Selbstorganisation.“ Doch warum vermeidet sie es dann, positiv zum Kampf für die Etablierung entsprechender sozialer Strukturen, z.B. von Genossenschaften, aufzurufen?

Diese Fehlstelle in Programm und Politik der GAM (und des größten Teils der „marxistischen“ Linken) ist nicht nur ein Mangel; sie ist vielmehr Ausdruck eines abstrakten „Revoluzzertums“ und der Preisgabe eines zentralen Frontabschnitts des Klassenkampfes und die Missachtung der Möglichkeit und Notwendigkeit der sozialen, nicht nur politisch-ideologischen Emanzipation des Proletariats im Klassenkampf.

Nach diesen eher grundsätzlichen Fragen wollen wir im Folgenden noch auf einige „konkrete“ Punkte des Programms eingehen.

Die Jugend

Im Abschnitt Die Jugend ist die Zukunft! wird gefordert: Kostenloser Zugang zu allen Sport- und Kultureinrichtungen für Kinder und Jugendliche! Das ist zweifellos gut gemeint, aber völlig unrealistisch und weltfremd. Um nur ein Beispiel zu nennen: Angebot und Nachfrage bestimmen (etwas verkürzt gesagt) im Kapitalismus den Preis – auch bei der Kultur. Sicher ist es möglich und sinnvoll, in bestimmten Bereichen diesen Mechanismus „auszuhebeln“, etwa beim kostenlosen Nahverkehr. Doch generell ist das im Kapitalismus unmöglich. Die Forderung der GAM, Sport und Kultur kostenlos zu nutzen, ist dagegen – so generell aufgestellt – unrealisierbar, schon deshalb, weil sie nur die Nachfrageseite sieht und nicht die Angebotsseite. Eine bessere Lösung wäre hier z.B. gewesen, zu fordern, den finanziellen Spielraum von Jugendlichen zu vergrößern. So fordert die GAM ja auch nicht, die Mieten auf Null zu senken.

Sehr fraglich ist auch eine weitere Forderung in diesem Kapitel: „Für volle politische Rechte ab 14 Jahren einschließlich des Wahlrechts!“ Es gibt – auch international – diverse Forderungen zur Herabsetzung des Wahlalters, die Forderung „ab 14“ ist jedoch sehr selten: aus gutem Grund. In diesem Alter sind die für die Gesellschaft „relevanten“ sozialen Erfahrungen sehr begrenzt. Der soziale Erfahrungsraum von 14jährigen besteht wesentlich aus Familie, der Clique und der Schule (in anderen Ländern ist das tw. anders). Es wäre also recht absurd, 14jährige über wesentliche Fragen der gesellschaftlichen Entwicklung mitbestimmen zu lassen. Genauso absurd ist es ja, wenn ein dementer 90jähriger das Wahlrecht hat oder überhaupt Rentner, die für die Zukunft der Gesellschaft naturgemäß eine geringe Rolle spielen können, das gleiche persönliche Stimmengewicht haben wie jüngere, im aktiven Berufsleben stehende Menschen. Im übrigen: Würde die GAM genauso für den Führerschein für 14jährige plädieren?! Sinnvoller wäre dagegen etwa das Wahlrecht ab 16.

Weitaus wichtiger ist es, Jugendlichen (sogar unter 14) mehr Einflussmöglichkeiten und Rechte in „ihrem Milieu“ zu ermöglichen, z.B. in der Schule. Gerade davon ist aber im Programm leider nicht die Rede.

Im Abschnitt „Gegen Frauenunterdrückung! Für eine proletarische Frauenbewegung!“ finden wir folgende richtige Forderung: „Für die Vergesellschaftung der Haus- und Reproduktionsarbeit!“. Leider fehlt hier jeder Hinweis darauf, was das in Bezug auf die Kinderbetreuung bedeutet. Ohne diese Konkretisierung würde nahezu jeder Mensch darunter v.a. die Verbesserung der staatlich-kommunalen Kitas verstehen, was sicher auch gemeint und zweifellos richtig ist. Doch wirkliche Vergesellschaftung würde v.a. bedeuten, den Einfluss des Staates zu minimieren und durch Selbstverwaltungsstrukturen zu ersetzen. Praktisch würde das u.a. heißen, dass auch Eltern und nicht nur staatliche ErziehungspezialistInnen in den Kitas zeitweise arbeiten. Da wäre auch ein Weg, die bornierte kapitalistische Arbeitsteilung ein Stück weit zu überwinden und die „Erzieher zu erziehen“. Schade, dass die MarxistInnen die Worte ihres Altmeisters oft so wenig ernst nehmen. Schade auch, dass die durchaus positiven Erfahrungen der 68er mit den Kinderläden von den Nach-68ern total vergessen werden.

In dieser Passage – wie insgesamt im Programm – zeigt sich, dass der Kampf gegen den bürgerlichen Staat für die GAM nur dann ein Thema ist, wenn dieser offen repressiv agiert, nicht oder kaum jedoch, wo er „versteckt“ und „verwaltend“ agiert, was das dessen tägliches „Kerngeschäft“ ist. Hier scheint auch die einseitige Staatsfixiertheit der II. Internationale, Lenins und des Stalinismus durch – meist in der Version, dass dieser Staat möglichst demokratisch und sozial agieren solle. So weit, so gut – doch grundsätzlich geht es darum, den Staat generell zu bekämpfen und zurück zu drängen. Dieser Anti-Etatismus wird auch von den RevolutionärInnen der GAM oft vergessen. Ein Grund dafür ist, dass die Bedeutung von Selbstorganisation und Genossenschaftlichkeit – trotz aller Bekenntnisse zu Räten usw. – verkannt wird.

Die Flüchtlingsfrage

Natürlich spielt auch die Migration eine Rolle im Programm. Bei all den korrekten Einschätzungen und Aussagen fällt aber auch hier ein gewisses weltfremdes Ideologisieren auf. So wird u.a. gefordert: „Volles Asylrecht für alle Flüchtlinge! (…) Nein zu allen Einreise- und Aufenthaltsbeschränkungen sowie Abschiebungen! (…) Für offene Grenzen!“

Zunächst wollen wir kurz klären, was die allgemeine Position der Arbeiterbewegung zur Asylfrage ist bzw. sein sollte. Natürlich müssen wir für das uneingeschränkte Recht auf Asyl für politisch, religiös, ethnisch usw. Verfolgte eintreten. Bezüglich der Arbeitsmigration (heute tw. Wirtschaftsflüchtlinge genannt) sieht es prinzipiell genauso aus. So hat sich etwa Marx dagegen gewandt, dass irische oder polnische ArbeiterInnen irgendwelchen staatlichen Schikanen oder rassistischen Ressentiments seitens der britischen Arbeiterschaft oder dem Staat ausgesetzt sind.

Das sind grundsätzliche Fragen. Doch zugleich – wie bei allen Programmfragen, die tagesaktuelle  Dinge betreffen – sind es zugleich auch taktische Fragen, die von der aktuellen Situation beeinflusst werden.

Auf dem Höhepunkt der „Asylkrise“ (der ja nur deshalb „vorbei“ ist, weil die nationalen und die EU-Grenzen stärker gegen Einwanderer „abgedichtet“ wurden) kamen 2015 ca. 1 Million Geflüchtete nach Deutschland – obwohl es auch damals meist sehr schwer, tw. lebensbedrohlich war, nach Europa oder nach Deutschland zu gelangen. Ohne diese Erschwernisse wären sicher noch mehr Menschen, v.a. aus Afrika, zu uns gekommen.

Die Umsetzung der Forderungen der GAM nach „offenen Grenzen“ würde dazu führen, dass jedes Jahr 1-2 Millionen Flüchtlinge hierher kommen würden, den Familiennachzug oder die Migration innerhalb Europas bzw. der EU noch nicht einmal eingerechnet. Wer nicht nur das Asylrecht verteidigt, sondern auch will, dass MigrantInnen hier gleichberechtigt und „integriert“ leben können, muss sich ehrlicherweise auch die Frage stellen, wie es mit den Bedingungen dafür aussieht. Kämen die meisten Flüchtlinge etwa aus Frankreich, wäre deren „Integration“ in Deutschland in jeder Hinsicht viel einfacher. Doch die Mehrzahl der Geflüchteten kommen aus Regionen mit großen sprachlichen, kulturellen und sozialen Unterschieden zu Mitteleuropa. Selbst bei gutem Willen und sehr hohen Aufwendungen ist es so gut wie unmöglich, jedes Jahr eine Million oder noch mehr Flüchtlinge in Deutschland aufzunehmen. Für Europa wäre diese Aufgabe viel leichter zu schultern. Dass die meisten Länder dabei überhaupt nicht mitwirken, kann man aber noch nicht einmal Angela Merkel vorwerfen.

Die Losung „Für offene Grenzen“ ist also derzeit in vollem Umfang in Deutschland überhaupt nicht umsetzbar. Und selbst wenn, brächte das erhebliche Probleme verschiedener Art, die schwer beherrschbar wären. So gut gemeint und prinzipiell richtig diese Losung auch ist – sie darf nicht einfach a priori verwendet werden, ohne die konkreten Bedingungen zu berücksichtigen.

Das heißt noch lange nicht, die Abschottungspolitik der EU gut zu heißen, Obergrenzen zu fordern o.ä. Im Grunde müsste die Arbeiterbewegung diskutieren, festlegen und durchkämpfen, dass, wie und in welchem Maße Migration „organisiert“ werden kann. Sicher ist da mehr und Besseres möglich als jetzt – aber eben nicht „grenzenlos“.

Das Grundproblem hinter den Flüchtlingsströmen ist die Realität des Kapitalismus in den Herkunftsländern: Armut, Krieg und Perspektivlosigkeit. Diese Probleme sind aber grundsätzlich  nur durch die Überwindung des Kapitalismus durch die Revolution lösbar. Wer glaubt, diese durch eine besonders gute Migrationspolitik lösen zu wollen, ist auf dem Holzweg. Diese Illusion ist nichts anderes als eine besondere Form von Reformismus. Auch der meint ja, auf die Revolution verzichten zu können, indem man fleißig reformiert (was er aber auch nicht tut). Auch die beste und humanste Flüchtlingspolitik kann die Fluchtproblematik nicht lösen. Jetzt, unter den aktuellen Bedingungen, für „Offene Grenzen“ einzutreten, bedeutet hier tatsächlich, auf besondere Art das Spiel des Reformismus mitzuspielen. Statt die Illusion zu schüren, eine anderes Asylreglement würde viel helfen, hätte die GAM besser eine Reihe konkreter Forderungen aufstellen sollen, wie man etwas verbessern kann, z.B. eine Asyl-Sondersteuer für Reiche.

Die ökologische Frage

Zum Schluss noch einige Anmerkungen zur Umweltfrage. Schon zu Beginn des Programms meint die GAM, die deutsche Klimapolitik wäre nur eine Art grünes Feigenblatt. Darauf verweist die Formulierung Etwas Klimapolitik zur Öffentlichkeitsarbeit wäre mit neo-liberalen Angriffen auf die sozialen Errungenschaften der arbeitenden Bevölkerung kombiniert worden. Weit gefehlt. Die Klimapolitik ist mehr als ein politischer Marketing-Gag. Seit nunmehr rund 20 Jahren gibt Deutschland dafür bis zu 30 Mrd. Euro jährlich aus, v.a. für die Energiewende – ein riesiges Konjunkturprogramm. Dass die erhofften Klima-Effekte nicht eintreten, liegt ganz einfach daran, dass die Energiewende gar nicht funktionieren kann – und fast ganz unabhängig von der Gesellschaftsordnung, in der sie stattfindet, weil sie gegen grundsätzliche technische, naturwissenschaftliche und ökonomische Gesetzmäßigkeiten verstößt und zudem enorme negative Auswirkungen in jeder Beziehung hat. Und das würde übrigens auch noch im Kommunismus gelten. Wir wollen hier diese Frage jedoch nicht weiter ausführen, weil wir das bereits früher in mehreren, teils umfangreichen Beiträgen getan haben.

Die GAM schreibt: „Wir fordern den schnellstmöglichen Ausstieg aus der Nutzung fossiler Ressourcen und der Atomenergie.“ Das ist aus zwei Gründen komplett falsch. Erstens könnten wir  Kohle und Kernkraft mit unerhörtem Aufwand zwar ersetzen, aber nicht durch Wind- und Solaranlagen. Momentan ist die Dekarbonisierung nichts als Idiotie und in der Realität in großem Umfang unmöglich, weil entweder die Speichertechniken für die „Erbneuerbaren“ fehlen oder in den riesigen notwendigen Dimensionen nicht bezahlbar oder umsetzbar sind. Und warum sollte die Kernenergie ersetzt werden? Sie produziert billig, umweltschonend und zuverlässig Energie und ist auch nicht gefährlicher als andere Techniken, wie die internationalen Schadensstatistiken für alle Energietechniken belegen. Das bestätigen sogar die großen Nuklearunfälle, die 1. alle nicht aus „der Kerntechnik“ an sich resultierten, wie auch die GAM immer suggeriert, sondern daraus, dass die kapitalistische Gesellschaft (Konzerne und Staat) unfähig sind, für adäquate Sicherheit zu sorgen; 2. sind die Schäden dieser Unglücke weit geringer als von den dt. Medien behauptet. Der Unfall von Fukushima z.B. forderte weder ein einziges Todesopfer, noch gab es einen einzigen verstrahlen Menschen. Die Opfer, die es gab, gab es wegen des Tsunamis (und in einigen hundert Todesfällen war die völlig überzogene Evakuierung ursächlich). Auch „auf immer unbewohnbare, verstrahlte Flächen“ (Tschernobyl) gibt es in Wirklichkeit nicht. In Hiroshima und Nagasaki leben schon seit Jahrzehnten Hunderttausende, die sich bester Gesundheit erfreuen. 3. ignoriert die GAM völlig die letzten Entwicklungen auf dem Gebiet der Kernenergie, die – tw. schon in der Praxis angewendet – erkennen lassen, welch ungeheuer großes Potential diese Technologie hat und dass eine billige, unbegrenzte Ressourcen nutzende, sehr umweltfreundliche und extrem sichere Technologie der Menschheit zur Verfügung stehen wird. Für die GAM Grund genug, daraus – auszusteigen.

Es ist zwar gut und schön, wenn die GAM schreibt: „Wir kritisieren kleinbürgerliche oder „grüne“ Reform-Ideologien, die oft von Technologie-, Fortschritts- und Massenfeindlichkeit geprägt sind, die Systemfrage ausblenden und die Rolle der ArbeiterInnenklasse ignorieren“. Doch die Realität sieht gänzlich anders aus. Auch die GAM (wie fast die gesamte Linke) übernimmt nämlich in großen Stil die Thesen von der drohenden Klimakatastrophe, der Entkarbonisierung, den schwindenden Ressourcen usw. Da ist von Kritik nichts zu spüren, höchstens in der Form, dass sie diesen Positionen noch ein „antikapitalistisches Schwänzchen“ anhängt. Auch von so etwas wie einer Recherche der naturwissenschaftlichen und technischen Probleme ist nichts zu sehen. Und all das nennt sich materialistisch und „marxistisch“!

Ja, die GAM ist nicht einmal dazu in der Lage, jenen Teil der Wissenschaft zur Kenntnis zu nehmen, der sogar auf der Seite der Klimakatastrophisten steht: den Weltklimarat IPCC. Selbst der rückt immer weiter von seinen alarmistischen Ursprungspositionen ab. So gibt das IPCC in seinem letzten Bericht AR 5 u.a. offen zu, dass die Klimamodelle versagt haben und dass es keine Häufung von Wetterextremen gibt. Das alles interessiert die GAM nicht. Sie fabuliert auch im Programm weiter von der „Beschleunigung der globalen Erwärmung“. Seit ca. 1850 erfolgte – offiziell – eine Erwärmung von ca. 0,8 Grad Celsius. Das sind pro Jahrzehnt im Durchschnitt 0,05 Grad – wahrhaft beängstigend. Das IPCC behauptete noch in den 1990ern, dass es pro Jahrzehnt 0,3 Grad wärmer werden würde. Doch was kümmert mich mein Geschwätz von gestern, und was kümmerts die GAM? Zudem – falls die Treibhaustheorie überhaupt stimmt – folgt die Temperaturentwicklung der CO2-Erhöhung nicht linear, das weiß die gesamte Klimawissenschaft (nur der bekannte Herr Schellnhuber darf etwas anderes ungestraft behaupten). Das bedeutet, dass immer mehr CO2 in der Atmosphäre trotzdem nur zu immer weniger Erwärmung führen kann, also gegen Null geht. Klimakatastrophe?!

Doch bar jeder Analyse, entgegen allen Fakten und der Klimageschichte behauptet die GAM: „Gleichzeitig rückt der Zeitpunkt näher, ab dem das Überschreiten von „Kipp-Punkten“ im Welt-Klimasystem nicht mehr verhindert werden kann. Zur Einhaltung des 1,5 °C-„Ziels“ bleiben voraussichtlich nur noch wenige Jahre Zeit und es ist absehbar, dass es nicht erreicht werden kann.“ Die Schellnhuberschen Kipppunkte sind genauso Gaga-Wissenschaft wie das 1,5 Grad-Ziel.  Die Kritik an dieser klimatischen Pseudo-Wissenschaft wird weltweit von tausenden Fachwissenschaftlern vertreten, darunter mehrere Physik-Nobelpreisträger. Doch die GAM glaubt   ja an die Mär vom „Konsens“ in der Klimaforschung, auch ARD und ZDF haben das gesagt, da muss es doch stimmen.

Wie wirr die Positionen der GAM zu Klima und Energie oft sind, mag ein letztes Programm-Zitat zeigen: „Weg mit dem Emissionsrechtehandel und der Subventionierung von „regenerativer Energie“! Den „blind“ wirkenden Marktmechanismen setzen wir das bewusste, planmäßige Eingreifen in die Produktion entgegen.“ Der Emissionshandel und die Subventionierung der „Erneuerbaren“ sind staatskapitalistische planerische Maßnahmen, die nicht nur neben, sondern tw. gegen die „normalen“ Marktmechanismen ablaufen. Es handelt sich eben gerade nicht um „blind wirkende Marktmechanismen“, sondern im Kern um staatskapitalistische Planung (was natürlich marktwirtschaftliche Elemente nicht ausschließt, sondern tw. im Widerstreit mit ihnen steht). Ohne diese staats-planerischen Maßnahmen würde kaum kein Windrad und kaum eine Solaranlage gebaut worden sein, weil sie überhaupt nicht konkurrenzfähig sind. Oder anders herum: Wozu die milliardenschweren Subventionen für die „Erneuerbaren“, wenn sie konkurrenzfähig sind?! Wenn die GAM sich also gegen diese Subventionen ausspricht und zugleich die „Erneuerbaren“ sogar noch stärker ausbauen will, will sie schwimmen gehen, ohne nass zu werden.

Die GAM will der Energiewende nun das „bewusste, planmäßige Eingreifen in die Produktion entgegen“ setzen – unter der Dominanz des Proletariats. Richtig. Nur versteht sie nicht, dass die Energiewende, die dazu vorgesehenen Mittel – „die „Erneuerbaren“ -, und die dafür vorgebrachte Begründung – die Klimakatastrophe aufgrund der fossilen Verbrennung – im Interesse bestimmter Teile des Kapitals, der Politik und des Staates lanciert – und von der „linken Szene“ (Grüne, NGOs usw.) nachgeplappert wurden. Um das zu verstehen, müsste man sich mit der Entstehung dieser „grünen“ Ideologien befassen. Auch das tut die GAM aber nicht.

Fazit

Trotz aller Kritik an falschen oder fehlenden Positionen im Programm der GAM wollen wir nicht  verschweigen, dass es auch viele, ja überwiegend richtige Aussagen enthält, die davon zeugen, dass die Gruppe einer revolutionären Perspektive und der dafür einzig geeigneten Methode des Übergangsprogramms verpflichtet ist. Trotzdem können dieses Programm und die GAM insgesamt nicht als revolutionär bezeichnet werden – sie ist eine zentristische Organisation, deren Programm zwischen Revolution und (tw. links-kleinbürgerlichem) Reformismus schwankt. Dafür gibt es i.W. drei Gründe:

  • wesentliche Fragen des Klassenkampfes (Staatsfrage, Genossenschaften, proletarische Selbstverwaltung, Klassenstruktur) werden weitgehend ausgeblendet;
  • eine historisch-kritische Beschäftigung mit dem Erbe von Marx und der Geschichte der Arbeiterbewegung gibt es kaum; die Anwendung der marxistischen Methodik auf den Marxismus  selbst durch die GAM ist sehr mangelhaft;
  • in wichtigen Fragen, v.a. hinsichtlich Klima, Energie, Kernenergie, Umwelt vertritt sie tw. falsche, ja mitunter reaktionäre Positionen.

Nun gibt es keine fehlerfreie Politik, auch nicht bei MarxistInnen. Das Auftreten von Fehlern ist noch lange kein Grund, einem Programm oder einer Organisationen eine revolutionäre oder marxistische Qualität abzusprechen. Doch die Fehler in der Konzeption der GAM sind durchaus ernsten Charakters. Am schwersten aber wiegt, dass die Gruppe ein erhebliches Defizit hat, ihre eigenen Positionen kritisch zu reflektieren, sich einigen zentralen Fragen des Klassenkampfes und des Marxismus zu stellen, um einen effektiven Beitrag dazu zu leisten, den beklagenswerten Zustand der „radikalen Linken“ und des Marxismus zu verbessern. Anstelle einer kühnen, kritischen Haltung pflegt sie das Verwalten „ewiger“ Wahrheiten. Die GAM ist nicht Teil der Lösung, sondern Teil des Problems, daran ändert auch der Umstand nichts, dass sie sich zum „besten“ Teil der Linken zählt.

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