Vorwort der Redaktion
Alexandra Kollontais Text „Was bedeutet die ‚Arbeiter-Opposition‘?“ von 1921 sehen wir als wichtigen Beitrag für das Verständnis der Oktoberrevolution, ihrer Probleme und ihrer letztlichen Degeneration zum Stalinismus und zum Staatskapitalismus an. Die „Arbeiteropposition“ (AO) um ihre wichtigste Protagonistin Alexandra Kollontai war bereits 1919 als innerparteiliche Opposition v.a. gegen die Einführung des „Kriegskommunismus“ entstanden. Auch wenn sie unserer Ansicht nach auch einige falsche Positionen vertrat, besteht ihr großes Verdienst darin, dass sie zuerst und am nachdrücklichsten für die Prinzipien einer echten Arbeiter-Räte-Demokratie eintrat und auf die Gefahr der Etablierung einer Herrschaft der Bürokratie hinwies.
Im Frühjahr 1921 hatte sich die Lage in Sowjetrussland zugespitzt: Hunger, Mangel, das Darniederliegen der Wirtschaft, Arbeiterstreiks, Bauernaufstände, die Ereignisse von Kronstadt – all das war Ausdruck einer dramatischen gesellschaftliche Krise des Landes. Zugleich bedeutete der Sieg im Bürgerkrieg aber, dass es die Chance gab, diese Krise zu überwinden. Dazu waren grundsätzliche Veränderungen in Politik und Wirtschaft notwendig, um die Arbeiterklasse wieder zum Subjekt der Gesellschaftsentwicklung zu machen und ihr die soziale Bewegungsfreiheit zurück zu geben, die sie braucht, um die Entwicklung zum Kommunismus voran zu bringen.
Der X. Parteitag der Bolschewiki im März 1921, parallel zu Kronstadt, beschloss die „Neue ökonomische Politik“ (NÖP), die zu einer deutlichen wirtschaftlichen Belebung führte und das Hungerproblem löste. Die AO lehnte die NÖP ab, was nach unserer Meinung ein Fehler war. Doch der weit größere Fehler der Bolschewiki bestand darin, die notwendigen Reformen im politischen Bereich zur Revitalisierung der Sowjet-Demokratie nicht durchgeführt zu haben. Im Gegenteil: durch das Verbot von Fraktionen, die v.a. die AO traf, wurde das Dilemma noch vertieft.
Wir meinen, dass die AO zu stark die „konterrevolutionäre“ Rolle der bürgerlichen Kräfte im Staatsapparat betont und zu wenig verstanden hat, dass der Staat selbst mit seinen Strukturen das Problem war und nicht sein Personal, weil er eine Herrschaft über die Klasse repräsentiert und nicht die direkte Herrschaft der Klasse selbst, sondern diese behindert. Trotzdem war die AO der wichtigste Ansatz dafür, den Aufstieg der Bürokratie zur herrschenden Kaste und später zur herrschenden Klasse zu bekämpfen.
Kollontais Schrift vermittelt einen guten Einblick in die damalige Situation als auch in die Ursachen der Entstehung der AO und ihre Ziele. Leider hat „der Marxismus“ wenig Notiz von der AO genommen. Auch die Bedeutung Alexandra Kollontais wird fast immer nur auf ihren Kampf für die Frauenbefreiung bezogen. Dass sie eine der wichtigsten FührerInnen der AO war, wird oft nicht einmal erwähnt. Wir veröffentlichen deshalb hier Kollontais Schrift als Beitrag zu einem umfassenderen und realistischeren Verständnis der Russischen Revolution durch die Linke und den „Marxismus“.
Redaktion Aufruhrgebiet
Was bedeutet die „Arbeiter-Opposition“? (1921)
Alexandra Kollontai
Was bedeutet die „Arbeiteropposition“? Ist sie für die Interessen unserer Partei und der Weltrevolution notwendig oder umgekehrt, ist diese Erscheinung schädlich, zersetzt sie die Partei, ist sie „politisch gefährlich“, wie es Genosse Trotzki während der Diskussion über die Gewerkschaftsfrage vor kurzem gesagt hat?
Um diese Fragen zu beantworten, die viele unserer Genossen beschäftigen und beunruhigen, muss zunächst festgestellt werden:
- aus wem die Arbeiteropposition besteht und wie sie entstanden ist,
- worin der Grund für die Differenzen zwischen den führenden Genossen unserer Parteizentren und der Arbeiteropposition liegt.
Es ist sehr charakteristisch – darauf müssen unsere Parteiinstanzen ganz besonders aufmerksam gemacht werden -, dass die Arbeiteropposition aus dem fortgeschrittensten Teil des organisierten Proletariats, aus Kommunisten, besteht. Die Opposition setzt sich fast ausschließlich aus Gewerkschaftsmitgliedern zusammen, wie es die Unterschriften unter die Thesen der Opposition über die Rolle der Industrieverbände bezeugen. Was sind Gewerkschaftsmitglieder? Es sind Arbeiter, es ist jener Teil der Avantgarde des russischen Proletariats, der auf seinen Schultern alle Lasten des revolutionären Kampfes getragen, der sich nicht zerstreut hat über die verschiedensten Sowjetinstitutionen, der nicht mit den Arbeitermassen die Verbindung verloren, sondern fest mit ihnen verbunden geblieben ist. Gewerkschaftler sein, eine starke, lebendige Verbindung mit seiner Gewerkschaft, was bedeutet, mit den Arbeitern seines Betriebszweiges aufrecht erhalten, ist in diesen stürmischen Jahren, als das Zentrum des gesellschaftlichen und politischen Lebens außerhalb der Gewerkschaften lag, nicht leicht und nicht ganz einfach. Die hohen Wogen der Revolution rissen und trugen die besten, stärksten, tätigsten Elemente des Industrieproletariats davon, schleuderten die einen an die Front, die anderen in Sowjetinstitutionen, die dritten hinter Bürotische mit Bergen von Papieren, Berechnungen und Vorschlägen.
Die Gewerkschaften sind entvölkert worden. Nur Arbeiter, die äußerst stark mit proletarischem Klassenbewusstsein erfüllt sind, nur die Auslese der vorwärts schreitenden revolutionären Klasse, die zu stark war, um von der „Gewalt“ und kleinem Ehrgeiz korrumpiert zu werden, die sich an dem Wettlauf um die Sowjetkarriere und dem Sowjetbürokratismus nicht beteiligte, sind innerlich mit den Massen, mit den Arbeitern, mit denselben unteren Schichten verbunden, aus denen sie selbst hervorgegangen sind und mit denen sie die organische Verbindung trotz aller „hohen“ Sowjetposten nicht verloren haben. In dem Augenblick, als die Situation an der Kriegsfront ruhiger geworden, und als der Schwerpunkt des Lebens mehr auf den wirtschaftlichen Wiederaufbau übergegangen war, haben sich diese typischen, unbestechlichen, die begeisterten und standhaftesten Vertreter der proletarischen Klasse beeilt, ihren Militärrock abzulegen, ihre Mappen voller bürokratischen Papiere beiseite zu legen, um den stillen Ruf ihrer Klassenbrüder, der Fabrikarbeiter, der Millionen russischen Proletarier zu beantworten, die selbst in der sowjetischen Arbeitsrepublik ein geschändetes, elendes Zuchthäuslerdasein führen.
Mit ihrem Klasseninstinkt haben diese Genossen, die an der Spitze der Arbeiteropposition stehen, verstanden, dass etwas faul ist im Staate Dänemark. Sie haben verstanden, dass wir zwar während der drei Jahre Revolution allerdings den Sowjetapparat festgefügt haben, dass wir das Prinzip der Arbeiter- und Bauern-Arbeitsrepublik gefestigt haben, dass aber die Arbeiterklasse selbst, als Klasse, als ein einziges, unzertrennbares soziales Ganzes mit gemeinsamen, gleichartigen Klassenforderungen, Klassenaufgaben und Klasseninteressen und also mit einer gemeinsamen ausgeprägten klaren Klassenpolitik in der Sowjetrepublik eine immer geringere Rolle spielt, immer weniger imstande ist, die Maßnahmen seiner eigenen Regierung zu beeinflussen, immer weniger die Politik und die Arbeit leitet, und immer weniger die Gedanken der Zentralorgane des proletarischen Staates beherrscht. Wer hätte zu Beginn der Revolution von „unteren und oberen“ Schichten gesprochen? Die Massen, die Arbeitermassen, und die leitenden Parteiinstanzen waren eins. Die Hoffnungen, die in den unteren Schichten das Leben und den Kampf geboren haben, fanden ihren klarsten Widerhall, ihre klarste und wissenschaftliche Formulierung in den leitenden Parteiinstanzen. Ein Gegensatz zwischen oberen und unteren Schichten war undenkbar. Heute besteht dieser Gegensatz; mit keiner Agitation, mit keinen terroristischen Methoden wird aus dem Bewusstsein der breiten Massen geleugnet werden können, dass eine charakteristische neue „soziale Schicht“ der sowjetichen Parteispitzen entstanden ist.
Die Gewerkschaftsmitglieder, die bestehende Zelle der Arbeiteropposition, haben dies verstanden oder besser gesagt, haben dies mit ihrem gesunden Klasseninstinkt gefühlt. Das erste, was sie getan haben, war, die Verbindung mit den unteren Schichten herzustellen, der Eintritt in ihre Klassenorgane, die Gewerkschaften. Die Gewerkschaften sind die Organe, die während dieser drei Jahre am wenigsten dem zersetzenden Einfluss entgegengesetzter, fremder nicht proletarischer Interessen (des Bauerntums und der an das Sowjetsystem sich anpassenden Bourgeoisie) ausgesetzt waren, Einflüsse, die unsere Sowjetinstitutionen verkrüppelten, die unsere Politik aus der klaren Klassenbahn in den Sumpf der „Anpassung“ zogen. Die Arbeiteropposition besteht also vor allen Dingen aus Proletariern, die noch eng mit dem Amboss, oder dem Bergwerk verbunden sind, ist Fleisch aus dem Fleische der Arbeiterklasse. Die Arbeiteropposition zeichnet sich dadurch aus, dass es bei ihr keine großen hervorragenden Führer gibt, das, was man unter „Führern“ gewohnt ist zu verstehen. Sie ist wie jede gesunde, unbedingt notwendige, aus dem Leben der Klasse begründete Bewegung inmitten der breiten, unteren Arbeiterschichten entstanden; sie verbreitete sich spontan über ganz Sowjetrussland, selbst dorthin, wo die Entstehung der Opposition nicht bekannt war.
„Wir hatten keine Ahnung davon, dass es in Moskau Gegensätze über die Rolle der Gewerkschaften gibt und dass darüber Diskussionen geführt werden“, sagte ein Delegierter aus Sibirien auf dem Kongress der Bergarbeiter. „Aber uns beunruhigten dieselben Fragen, die auch Euch beschäftigen.“ Hinter der Arbeiteropposition stehen proletarische Massen. Die Arbeiteropposition ist der Teil unseres Industrieproletariats, der in sich alle Klassenforderungen vereinigt, der klassenbewusst und klassenstandhaft ist, ist der Teil, der glaubt, dass man die große schaffende Kraft des Proletariats auf dem Gebiete des Aufbaus einer kommunistischen Wirtschaft nicht mit der Etikette der formalen Diktatur der Arbeiterklasse vertauschen kann.
Je höher wir die Stufen der sowjetischen und Partei-“Posten“ hinaufsteigen, desto weniger Anhänger der Opposition finden wir. Je tiefer wir in die Masse hinabsteigen, desto mehr findet die Plattform der Arbeiteropposition Widerhall in ihren Reihen.
Dies ist charakteristisch, dies ist bedeutend, dies müssen die leitenden Instanzen der Partei beachten. Wenn die Massen von den „Spitzen“ fortgehen, wenn ein Abgrund, eine Spalte zwischen den leitenden Parteiinstanzen und den unteren Schichten entsteht, bedeutet es, dass in den oberen Instanzen etwas faul ist, besonders dann, wenn die Massen nicht schweigen, sondern denken, hervortreten, sich verteidigen, ihre Losungen behaupten. Die Spitzen können die Massen von dem geraden geschichtlichen Weg, der zum Triumph des Kommunismus führt, nur dann ablenken, wenn die Masse schweigt, sich unterwirft, wenn sie passiv und voller Vertrauen den Führern folgt. Dies geschah im Jahre 1914 zu Beginn des Weltkrieges, als die Arbeiter ihren Führern geglaubt haben und beschlossen haben: „Sie wissen besser als wir den geschichtlichen Weg. Unsere instinktive Auflehnung gegen den Krieg täuscht uns, wir müssen schweigen, wir müssen die Auflehnung in uns niederdrücken und auf die Alten hören.“ Aber wenn die Masse in Aufregung gerät, wenn ihre Gedanken arbeiten, wenn die Masse kritisiert, wenn sie beharrlich gegen ihre geliebten Führer stimmt, oft sogar die persönliche Sympathie zu ihnen unterdrückend, so wird die Sache ernst. Dann ist es die Aufgabe der Partei, diese Gegensätze nicht mit Stillschweigen zu übergehen, nicht die Opposition mit unbedeutenden und unbegründeten Namen zu bezeichnen, sondern mit allem Ernst die Tiefe der Frage zu durchdenken, wo und worin der Grund für die Gegensätze besteht, was die Arbeiterklasse, der Träger des Kommunismus, sein einziger Schöpfer, will.
So ist die Arbeiteropposition der fortgeschrittenste Teil des Proletariats, der Teil, der die lebendige Verbindung mit den in den Gewerkschaften organisierten Arbeitern nicht gebrochen hat und nicht über alle Sowjetinstitutionen verstreut ist.
Grund der Meinungsverschiedenheiten
Bevor wir der Frage auf den Grund gehen, weshalb die „Arbeiteropposition“ mit dem offiziellen Standpunkt unserer leitenden Zentren auseinandergegangen ist, müssen wir uns zwei Tatsachen fest einprägen: vor allem das, dass die Arbeiteropposition aus der Mitte des industriellen Proletariats Russlands herausgewachsen ist, dass sie groß geworden ist nicht nur durch die schweren Lebens- und Arbeitsverhältnisse der sieben Millionen industrieller Proletarier, sondern durch eine Reihe von Schwankungen und Widersprüchen und auch direkter Abweichungen unserer Sowjetpolitik von den klaren, rücksichtslosen Klassenprinzipien des kommunistischen Programms. Zweitens ist die Arbeiteropposition nicht ein Resultat persönlicher Meinungsverschiedenheiten und Zwistigkeiten. Sie setzte sich nicht in irgendeinem einzigen Zentrum fest, sondern verbreitete sich über die ganze Sowjetrepublik, in jedem Versuch der Arbeiter, die Ursachen der Meinungsverschiedenheiten zu ergründen, zu bestimmen und das auszudrücken, was die Arbeiteropposition will, einen Widerhall an allen Ecken und Enden des Landes findend.
Heute hat man den Eindruck, dass die Wurzel der Verschiedenheiten zwischen der Arbeiteropposition und den vielen Strömungen der Parteispitzen nur in der verschiedenen Auffassung über die Rolle und Aufgaben der Gewerkschaften besteht. Das ist nicht richtig. Die Ursachen liegen tiefer. Die Vertreter der Opposition können sie nur nicht immer klar ausdrücken und genau formulieren, man braucht aber nur eine Anzahl von Fragen bezüglich des Aufbaus der Republik berühren und sofort werden die Meinungsverschiedenheiten über eine Reihe grundlegender Prinzipien wirtschaftlichen und politischen Charakters zum Vorschein kommen.
Zum ersten Mal zeigten sich ernste Meinungsunterschiede zwischen den leitenden Spitzen unserer Partei und den Vertretern des in den Gewerkschaften organisierten Proletariats bei der Besprechung des Prinzips über die „Exekutivmacht von Einzelpersonen“ und die „Exekutivmacht von Kollegien“. Die Opposition existierte noch nicht als eine bestimmt formulierte Gruppe, aber es ist charakteristisch, dass die Vertreter der Gewerkschaften, d.h. jener Organisation, die in ihrer Zusammensetzung rein die Klasse zum Ausdruck bringt, sich für die „Kollegialität“ aussprachen, während die führenden Parteispitzen, die gewohnheitsmäßig alle Erscheinungen vom Gesichtswinkel der sowjet-bürokratischen Politik betrachten, jener besonderen Anpassungsfähigkeit an die sozial verschiedenen und manchmal politisch einander widersprechenden Forderungen der verschiedenen sozialen Bevölkerungsgruppen (Proletariat, Kleingrundbesitzer, Bauern und Bourgeoisie in der Person von Spezialisten und Pseudospezialisten aller möglichen Schattierungen) gegen dieses Prinzip der „Kollegialität“ stimmten.
Warum treten gerade die Gewerkschaften, die ihre Beweisführung nicht wissenschaftlich begründen konnten, so hartnäckig für die Verwaltung durch Kollegien und gegen die Verteidiger der „Spezialisten“ für die durch Einzelpersonen ein? Gerade deshalb, weil bei diesem Streit zwei, ihrem Wesen nach unvereinbare, historische Standpunkte aneinanderstießen (obwohl beide Seiten „prinzipiell“ der Frage keine Bedeutung beimaßen). Die Strömung für die Exekutivmacht von Einzelnen ist Fleisch vom Fleische der individualistischen, d.h. sein eigenes Ich stets in den Vordergrund stellende Weltanschauung der bürgerlichen Klasse. Die Einzelherrschaft ist der vom Kollektiv losgelöste, „freie“, isolierte menschliche Wille, der sich in allen Gebieten, angefangen von der Selbstherrschaft des Staatsoberhauptes bis zur Selbstherrschaft des Betriebsdirektors, ausdrückt; sie ist die höchste Weisheit des bürgerlichen Denkens. Die Bourgeoisie glaubt nicht an die Stärke des Kollektivs. Es gefällt ihr mehr, die Masse zu einer gehorsamen Herde zusammenzuscharen und sie nach dem persönlichen, individuellen Willen dorthin zu treiben, wohin es die Führer für nötig befinden.
Im Gegensatz hierzu weiß die Arbeiterklasse und ihre Ideologen, dass die neuen kommunistischen Aufgaben der Klasse nur durch die kollektive, gemeinsam-schöpferische Tätigkeit, durch die gemeinsamen Anstrengungen der Arbeiter selbst verwirklicht werden können. Je enger die Arbeiterkollektiven miteinander verbunden sind, je mehr die Massen zur Äußerung eines allgemeinen Kollektivwillens und -denkens erzogen werden, desto schneller und vollkommener wird die Klasse ihre Aufgabe verwirklichen, d.h. eine neue, nicht zersplitterte, aber einheitliche, harmonisch zusammengefasste kommunistische Wirtschaft schaffen können. Nur derjenige, der mit der Produktion praktisch verbunden ist, kann in ihr belebende Neuerungen einführen. Die Lossagung vom Prinzip der Kollektivität in der Verwaltung der Produktion war von Seiten unserer Partei ein Zugeständnis, eine Anpassung an den Augenblick, eine Abweichung von jenem kleinen Teil der Klassenrichtlinien, die wir in der ersten Periode der Revolution so leidenschaftlich aufstellten und verteidigten.
Wie konnte dies alles geschehen? Wie kam es, dass unsere widerstandsfähige, in den Kämpfen der Revolution gestählte Partei sich vom geraden Klassenwege ablenken ließ und auf den verschlungenen Wegen der von ihr so verhassten und gebrandmarkten Zugeständnisse herumzuirren begann?
Auf diese Fragen werden wir weiter unten antworten. Jetzt aber werden wir zur Frage, wie sich die Arbeiteropposition gebildet und entwickelt hat, übergehen.
Der 9. Parteitag fand im Frühjahr statt. Im Sommer gab die Opposition kein besonderes Lebenszeichen von sich. Auch während der stürmischen Debatten über die Gewerkschaftsfragen auf dem Zweiten Kongress der Kommunistischen Internationale war nichts von ihr zu hören. Aber in der Tiefe, in den unteren Schichten, ging ihre Arbeit des Sammelns von Erfahrungen und kritischer Gedanken ununterbrochen weiter. Diese Arbeit hat ihre bei weitem noch nicht vollendeten Resultate auf der Parteikonferenz im September 1920 gezeigt. So lange bewegte sich der Gedanke noch auf dem Gebiete der Verneinung und Kritik. Positive und bestimmte Vorschläge waren noch nicht vorhanden. Aber es war schon klar, dass die Partei eine neue Etappe durchmacht, dass in ihr eine Gärung Platz greift, dass die unteren Schichten Freiheit der Kritik fordern und laut erklären, dass der Bürokratismus sie ersticke und ihnen für die lebendige Betätigung und Ausdehnung der Initiative keinen Spielraum lasse. Die führenden Parteispitzen begriffen die beginnende Gärung sogleich und gaben in der Person des Genossen Sinowjew viele Wortversprechungen für die Freiheit der Kritik, die Erleichterung der Selbsttätigkeit der Massen, die Notwendigkeit, die schädlichen bürokratischen Abweichungen zu bekämpfen und für die strenge Verfolgung aller Spitzen, die vom Prinzip der Demokratie ablassen. Es wurde viel und gut gesprochen. Aber vom Wort bis zur Tat ist ein langer Weg! Die September-Konferenz, zusammen mit den viel versprechenden Reden Sinowjews, hat nichts in der Partei und dem Leben der breiten Arbeitermassen verändert. Die Wurzel, die die Schösslinge der Opposition nährt, war nicht vernichtet worden. In den unteren Schichten wuchs und entwickelte sich eine stumme Unzufriedenheit, Kritik und Gedankenarbeit.
Diese verhaltende Gärung gelang bis zu den führenden Spitzen und erzeugte auch dort unerwartet verschärfte Differenzen. Und es ist charakteristisch, dass sich in den Zentralen, in den oberen Kreisen unserer Partei, gerade in der Frage der Rolle der Gewerkschaften die Differenzen besonders scharf äußerten. Und das ist natürlich.
Gegenwärtig ist der Punkt über die Uneinigkeit zwischen der Opposition und den Spitzen der Partei nicht der einzige; immerhin ist er aber bei der gegebenen Lage der Dinge die Zentralfrage unserer ganzen inneren Politik.
Bevor noch die Arbeiteropposition in ihren Thesen die Grundlagen, auf denen nach ihrer Meinung die Diktatur des Proletariats in der Produktionsorganisation beruhen soll, ausgearbeitet hatte, waren unsere führenden Spitzen bereits scharf aneinander geraten in der Frage der Abschätzung der Rolle der Arbeiterorganisationen bei der Wiederaufrichtung der Produktion auf neuer kommunistischer Grundlage. Die Zentrale der Partei zerfiel in Gruppen; Lenin gegen Trotzki mit Bucharin als „Puffer“ in der Mitte. Erst auf dem Achten Kongreß der Sowjets und unmittelbar nachher hat es sich klar herausgestellt, dass sich in der Partei eine feste Gruppe, die sich vor allem um die Thesen über die Rolle der Gewerkschaften zusammenschließt, befindet und dass diese Opposition, trotzdem sie keinen großen Führer und Theoretiker besitzt und von Seiten der populärsten Parteispitzen auf schärfsten Widerstand stößt, wächst, erstarkt und sich in der Hauptsache verbreitert und ausdehnt über die werktätigen Massen ganz Russlands. Wäre sie nur auf Moskau und Petersburg beschränkt gewesen – aber nein, aus dem Donbecken, vom Ural, aus Sibirien und aus einer Reihe anderer industrieller Zentren erhält unsere Parteizentrale Nachrichten, dass auch dort die Arbeiteropposition entstanden und tätig ist. Trotzdem die Opposition in der Tat noch bei weitem nicht überall und immer in denselben Punkten konform geht, in denen die Arbeiter der Hauptstädte Sowjetrusslands übereinstimmen, und ihre Forderungen und Motivierungen manchmal noch viel Unklares, Verworrenes, Kleinliches haben und die grundlegenden Punkte außer acht lassen, bleibt sich eins immer gleich – die Frage: Wer soll die schöpferische Tätigkeit der Diktatur des Proletariats im Gebiete des wirtschaftlichen Aufbaus verwirklichen? Die Organe, die ihrem Bestand nach Klassenorgane und unmittelbar mit dem belebenden Band, mit der Produktion, verbunden sind, d.h. die Gewerkschaften – oder aber die Sowjetapparate, deren sozialer Bestand gemischt und von der unmittelbaren, lebendigen wirtschaftlichen Tätigkeit losgerissen ist? Hier liegt die Wurzel des Zwiespalts. Die Arbeiteropposition tritt für das erstere ein. Unsere Parteispitzen, die in ihren Thesen in weniger wesentlichen Punkten nicht übereinstimmen, stehen rührend einheitlich zum zweiten Standpunkt.
Was beweist dies?
Es zeigt, dass unsere Partei ihre erste ernste Krise seit dem Beginn der Revolution durchmacht und dass man die Opposition nicht mit dem billigen Wörtchen „Syndikalismus“ abtun darf, aber dass es notwendig ist, dass alle Genossen darüber nachdenken, was diese Krise hervorgerufen hat und auf wessen Seite die Klassenwahrheit steht: auf Seiten der führenden Spitzen oder auf Seiten des gesunden Klasseninstinkts der Arbeiter, der Proletariermasse?
Die Parteikrise
Bevor wir die Hauptdifferenzpunkte zwischen den leitenden Parteispitzen und der Arbeiteropposition betrachten, müssen wir vor allem auf die Frage eine Antwort finden, wie es geschehen konnte, dass unsere Partei, die gerade dank ihrer festen und klaren Klassenlinie so kampfesmutig, unbesiegbar und mächtig ist, anfangen konnte, von dieser Richtlinie abzuweichen. Je teurer uns die Kommunistische Partei ist, die auf dem Wege der Befreiung der Arbeiterklasse vom Joch des Kapitals einen so entscheidenden Schritt vorwärts getan hat, desto weniger haben wir das Recht, gegenüber den Fehlern der sie führenden Kreise blind zu sein. Die Stärke unserer Partei bestand und muss auch weiter darin bestehen, dass diese führenden Zentren alle reif gewordenen Aufgaben und Fragen, die die Arbeiter miteinander vereinigen, mit gutem Ohr erfassen und die Massen nochmals zur Eroberung einer neuen historischen Position stoßen. So war es. Aber jetzt ist es nicht mehr so. Die Partei verlangsamt nicht nur ihren Sturmlauf in die Zukunft, sondern sieht sich „vernünftigerweise“ immer öfter um: Sind wir nicht vielleicht zu weit gegangen? Ist es nicht vielleicht an der Zeit, zu rasten? Vielleicht ist es klüger, vorsichtiger zu werden und die kühnen Experimente, die die Geschichte noch nicht gekannt hat, zu vermeiden? Wodurch wurde aber diese „weise Vorsicht“, die sich in letzter Zeit unserer Zentren bemächtigt hat (und die besonders deutlich in dem Misstrauen der leitenden Parteispitzen gegenüber den produktions-wirtschaftlichen Fähigkeiten der Arbeiterverbände zum Ausdruck kommt), hervorgerufen? Wo liegt der Grund? Wenn wir die Ursachen, die die Differenzen in unserer Partei erzeugen, näher untersuchen, so werden wir uns davon überzeugen, dass drei Hauptursachen den Anlass zu der gegenwärtigen inneren Parteikrise bilden.
Die erste, fundamentale Hauptursache ist die schwere, historische Lage, in welcher unsere Partei arbeiten und wirken muss. Die Russische Kommunistische Partei ist gezwungen, den Kommunismus aufzubauen, das Parteiprogramm zu verwirklichen:
- unter den Bedingungen eines völligen Zerfalls und Zerstörung der Volkswirtschaft;
- unter der sich während der drei Jahre der Revolution nicht abschwächenden Offensive der imperialistischen Staaten und des Weißgardistentums und
- unter den Verhältnissen eines ökonomisch zurückgebliebenen Landes mit überwiegend bäuerlicher Bevölkerung, wo alle für die Kommunisierung und Zentralisation der Volkswirtschaft nötigen Vorbedingungen nicht vorhanden sind und der Kapitalismus seinen vollen Kreislauf der Entwicklung (von dem unbegrenzten Konkurrenzkampf in den ersten Anfängen des Kapitalismus bis zu seiner höchsten Form der Regulierung der Produktion durch wirtschaftliche Vereinigungen der Großindustrie, Syndikate, Trusts usw.) noch nicht durchgemacht hat.
Natürlich bremsen alle diese Erscheinungen die praktische Verwirklichung unseres Programms (besonders in seinem Hauptteil, dem Aufbau der Volkswirtschaft auf neuen Grundlagen) und geben unsere wirtschaftliche Sowjetpolitik zugleich bunten Einflüssen und dem Mangel an Einheitlichkeit preis. Die zwei anderen Ursachen sind eine Folge dieser Grundursache. Die wirtschaftliche Zurückgebliebenheit Russlands vor allem und das Überwiegen der Bauernschaft erzeugen diese Mannigfaltigkeit der Einflüsse und lenken die Parteipolitik im praktischen Leben von ihrer im Prinzip und in der Theorie festen, erprobten Linie ab. Die Partei, die an der Spitze eines Sowjetstaates mit sozial gemischter Bevölkerung steht, muss gewollt oder ungewollt den Forderungen des „haushälterischen Bauern“ mit seinen Tendenzen zum Kleineigentum und seinem Ekel vor dem Kommunismus sowie auch der großen Schicht der kleinbürgerlichen Elemente des früheren kapitalistischen Russlands, d.h. den verschiedenen Aufkäufern, Vermittlern, Kleinhändlern, Verkäufern, Handwerkern und kleinen Beamten, die sich den Sowjetorganen schnell angepasst haben, Rechnung tragen. Sie sind es nämlich in der Hauptsache, die die Sowjetinstitutionen als „Agenten“ des Kommissariats für Volksernährung, Intendanten der Armee oder als die gerissenen „Praktiker“ der verschiedenen Zentralen füllen. Es ist kein Zufall, dass im Kommissariat für Volksernährung 17% Arbeiter, 13% Bauern, ungefähr 20% Spezialisten und die übrigen mehr als 50% ehemalige Handwerker und ähnliches sind – „kleine Leute“, zumeist sogar Analphabeten demokratischer Herkunft, die aber mit dem Klassenproletariat, dem Schöpfer von Werten, den Arbeitern der Fabriken und Betriebe, nichts gemeinsam haben.
Diese die Sowjetbehörden überschwemmende Schicht des Kleinbürgertums, des Mittelstandes, mit ihrer Feindseligkeit zum Kommunismus, ihrem Hang zu den alten Gewohnheiten der Vergangenheit, ihrem Hass und Furcht vor der revolutionären Aktion – gerade diese Schicht zersetzt und durchtränkt unsere Sowjetorgane mit einem der Arbeiterklasse völlig fremden Geiste. Es sind zwei feindliche Welten. Aber wir sind in Sowjetrussland gezwungen, uns und der Arbeiterklasse einzureden, dass das Kleinbürgertum, der Mittelstand (von den haushälterischen, arbeitsamen mittleren Bauern gar nicht zu reden) gut unter dem gemeinschaftlichen Aushängeschild: „Alle Macht den Sowjets!“ existieren kann, während wir vergessen, dass gerade im alltäglichen praktischen Leben die Interessen der Arbeiter denen des kleinbürgerlichen Mittelstandes und der Bauernschaft unvermeidlich entgegengesetzt sind, wodurch die Sowjetpolitik hin und her gezerrt und ihre Klassendeutlichkeit verunstaltet wird.
Unsere Partei ist in ihrer Sowjetstaatspolitik genötigt, nicht nur den wirtschaftlichen Bauern im Dorf und den kleinbürgerlichen Elementen (nicht den Arbeitern, sondern gerade den Kleinbürgern) in der Stadt Rechnung zu tragen, sondern auch den Einflüssen der Vertreter der Großbourgeoisie in Gestalt der Spezialisten, Techniker und Ingenieure, den ehemaligen Geschäftsleuten der Finanz- und Industriewelt, die durch ihre ganze Vergangenheit mit dem kapitalistischen System verbunden sind und sich Produktionsformen außerhalb des ihnen gewohnten Rahmens der kapitalistischen Wirtschaft nicht vorstellen können. Je mehr Sowjetrussland der Spezialisten auf dem Gebiete der Technik und Produktionsverwaltung bedarf, desto stärker ist der Einfluss dieser den Arbeitern fremden Elemente auf den Gang und die Entwicklung der Form und des Charakters unserer neuen Wirtschaft. Im Anfang der Revolution beiseite gestoßen, während ihrer schwersten Monate eine teils abwartende, teils offen feindliche Stellung gegenüber der Sowjetmacht einnehmend (historische „Sabotage“ der Intelligenz), bekommt diese soziale Gruppe der Helfershelfer der Großindustrie, der gehorsamen, gut bezahlten Lohndiener des Kapitals, mit jedem Tag mehr Einfluss und immer größere Bedeutung in der Politik.
Bedarf es Namen? Jeder Genosse Arbeiter, der unsere äußere und innere Politik verfolgt, wird sich mehr als einer solchen Gestalt erinnern …
Solange die militärische Front das Zentrum unseres Lebens bildete, war der Einfluss dieser Herren, der der Arbeiterklasse feindlichen Elemente, auf die Richtlinien unserer Sowjetpolitik besonders im Gebiete des Wirtschaftsaufbaus verhältnismäßig gering.
Die „Spezialisten“ („Spezis“), die Überreste der Vergangenheit, die mit dem bürgerlichen Regime, das wir vernichten, untrennbar und mit ihrem ganzen Inneren eng verbunden sind, reihten sich allmählich in unsere Rote Armee ein, den Geist der Vergangenheit (Verehrung des Rangs, seiner Abzeichen und Vorzüge), blinde Unterordnung statt Klassendisziplin, Willkür der obersten Kommandeure usw. in sie hinein tragend, aber die allgemeine politische Linie der Sowjetpolitik unbeeinflusst lassend. Das Proletariat hatte gegen ihre Führung in militärischen Angelegenheiten nichts einzuwenden, weil es mit gesundem Klasseninstinkt fühlte, dass die Arbeiterschaft als Klasse in militärischen Sachen kein neues Wort sagen, das militärische System von Grund auf nicht verändern, noch es auf neuen Klassenprinzipien aufrichten kann. Der Militarismus der Junkerkaste ist ein Produkt der von der Menschheit schon durchgemachten Entwicklungsstufen – in der kommunistischen Gesellschaft wird es für ihn, das Junkertum und den Krieg keinen Raum geben. Der Kampf wird ganz andere Formen annehmen, die wir uns fürs erste noch nicht vorstellen können. Der Militarismus lebt jetzt in der Übergangsepoche der Diktatur sein Leben zu Ende und daher ist es natürlich, dass die Arbeiter als Klasse dem Militarismus in Form und System nichts Neues, Schöpferisches, was zur zukünftigen Entwicklung der Gesellschaft beitrüge, hinzufügen können. Auch in der Roten Armee finden sich Fünkchen von Klassenschöpfungskraft, aber das Wesen des Militarismus ist das alte geblieben und die Führung der ehemaligen Offiziere, Generäle und Armeebefehlshaber brachten die Sowjetpolitik in Militärangelegenheiten nicht dazu, sich so weit von unseren Richtlinien zu entfernen, dass die Arbeiter es als direkten Schaden für ihre Klasse und ihre Hauptaufgaben empfinden konnten.
Anders jedoch ist es auf dem Gebiet der Volkswirtschaft. Die Produktion, ihre Organisation – das ist das Wesentlichste im Kommunismus. Die Arbeiter von der Organisierung der Industrie fernhalten, ihre Gewerkschaften, den Ausdruck der Klasseninteressen des Proletariats, der Möglichkeit berauben, ihren Schöpfergeist in der Produktion und Organisation der neuen Wirtschaftsformen zu entfalten, während man volles Vertrauen in die „Fähigkeit“ der Spezialisten hat, die für die Durchführung eines ganz anderen Produktionssystems vorbereitet und trainiert sind – das heißt, vom Weg des wissenschaftlichen marxistischen Denkens abgleiten. Und das ist gerade das, was von unseren Parteispitzen jetzt getan wird. Die ganze Katastrophe unserer Wirtschaft, die noch auf dem kapitalistischen Produktionswesen (Bezahlung der geleisteten Arbeit mit Geld, Lohntarife, Kategorien der Arbeit usw.) fußt, in Betracht ziehend, suchen unsere Parteiführer in einer Anwandlung von Misstrauen in die schöpferischen Fähigkeiten der Arbeiterkollektive eine Rettung vor dem wirtschaftlichen chaotischen Zusammenbruch in den Überresten der bürgerlich-kapitalistischen Vergangenheit, in den Geschäftsleuten und Technikern, deren Schöpfungskraft besonders in der Industrie und Wirtschaft mit der Routine, den Gewohnheiten und Methoden des kapitalistischen Produktionssystems beschmutzt ist. Sie sind es nämlich, die den lächerlich naiven Glauben verbreitet haben, dass es möglich sei, den Kommunismus auf bürokratische Weise durchzusetzen. Dort, wo es noch nottut, zu suchen und zu schaffen, machen sie schon „Vorschriften“.
Je mehr die militärische Front von der ökonomischen Front an zweite Stelle gedrängt wird, desto schärfer und quälender wird unsere schreiende Not, desto prononcierter der Einfluss jener Gruppen, die nicht nur dem Kommunismus innerlich fremd und organisch feindlich, sondern auch absolut kraftlos sind, ihre lebendigen Schöpfungsfähigkeiten für die Einführung neuer Formen der Organisation der Arbeit, neuer Motive zur Intensivierung der Industrie und neuer Methoden zur Regelung der Produktion und Verteilung zu entwickeln. Alle diese Techniker, Geschäftsleute und Praktiker, die gerade jetzt im Sowjetleben an der Oberfläche auftauchen und beginnen an der produktions-wirtschaftlichen Politik Hand anzulegen, üben durch und innerhalb der Sowjetinstitutionen auf unsere Parteiführer Einfluss aus.
Die Partei befindet sich daher in einer schwierigen, kritischen Lage und muss sich im Verwaltungsprozess des Sowjetstaates drei in ihrer sozialen Struktur und daher auch in ihrem ökonomischen Interesse verschiedenen Bevölkerungsgruppen anpassen und ihnen ein offenes Ohr leihen. Das Proletariat auf der einen Seite, verlangt die größte Klarheit und weitgehendste Rücksichtslosigkeit in der Politik – einen schnellen und forcierten Aufmarsch zum Kommunismus. Auf der anderen Seite steht die Bauernschaft mit ihren Neigungen zum kleinen Privatbesitz und ihren Sympathien für die verschiedenen Arten von „Freiheit“, einschließlich der des Handels und der Nichteinmischung des Staates in ihre Angelegenheiten. Diesen letzteren schließt sich der Mittelstand in der Person der „Mitarbeiter“ der Sowjetbehörden, des Intendanturpersonals der Armee usw. an, die sich bereits dem Sowjetregime angepasst haben und unsere Politik dank ihrer Psychologie zu kleinbürgerlichen Tendenzen hinzerren. Das kleinbürgerliche Element hat wohl weniger Einfluss auf das Zentrum; aber um so mehr auf die Provinz; in den unteren Schichten der Sowjetarbeiter entwickelt es einen großen und schädlichen Einfluss. Die dritte Gruppe der Bevölkerung sind die „Leute der Praxis“, die früher herrschenden Bürger des kapitalistischen Systems. Sie sind natürlich nicht die großen Kapitalmagnaten, nicht die Rjabuschinskis und Bublikows, welche ja von der ersten Revolutionswelle fortgeschwemmt wurden, stellen aber – als die talentvollen Diener des kapitalistischen Produktionssystems – das Gehirn, das Genie des Kapitalismus dar, sind seine wahren Schöpfer, und Befruchter. Diese Gruppe billigt auf dem Wirtschaftsgebiet die zentralistischen Tendenzen der Sowjetpolitik, beansprucht aber den ganzen Nutzen der Vertrustung und Regulierung der Produktion (mit dem sich auch das Kapital hier sowie in allen entwickelteren Ländern beschäftigt) für sich. Sie bemühen sich nur um das eine, dass den Arbeitern die gesamte Regulierung durch Arbeiterorganisationen (Industrieverbände) entwunden wird und sie dieselbe durch ihre eigenen Hände unter dem Deckmantel der sowjetwirtschaftlichen Apparate, der Haupt- und Zentralverwaltungen des Volkswirtschaftsapparates, in denen sie schon ziemlich festen Fuß gefasst haben, leiten. Der Einfluss dieser Herrschaften auf die „nüchterne“ Staatspolitik unserer Spitzen ist groß, sogar größer als wünschenswert; er besteht, einer Befestigung und Verteidigung des Systems des Bürokratismus entgegenkommend, eher in einer „Verbesserung“, als in einer Veränderung des Systems. Dies empfindet man besonders bei den sich entwickelnden Handelsbeziehungen zu den kapitalistischen Mächten, wobei man das russische sowie ausländische Proletariat übergeht. Den Einfluss zeigt sich in einer Reihe von Maßnahmen, der die Selbsttätigkeit, die Beteiligung der Massen, abschnürt und die Führung den Vertretern der früheren kapitalistischen Welt übergibt.
Angesichts solch unterschiedlicher Gruppierung der Bevölkerung sieht sich unsere Partei veranlasst zu lavieren, um die gleichmäßige Wirkung unserer Politik zu erzielen, welche die Einheit der Staatsinteressen nicht zerstört. Die Reinheit der Klassenpolitik unserer Partei im Prozess der Verschmelzung mit dem Sowjetstaatsapparat verwandelt sich immer mehr und mehr in eine Überklassenpolitik, die nichts anderes bedeutet, als die „Anpassung“ der leitenden Organe an die widersprechenden Interessen der sozial verschiedenartig zusammengesetzten Bevölkerung. Eine derartige Anpassung führt unvermeidlich zu Schwankungen, neigt zu Unbeständigkeit und Fehlern. Es genügt, nur an den Zickzackweg unserer Politik gegenüber dem Bauerntum zu erinnern, der uns vom „bedürftigen landlosen Bauern“ zum „landwirtschaftlich emsigen Bauerneigentümer“ brachte. Mag dieser Kurs der Politik von einer politischen Nüchternheit zeugen, die „Staatsklugheit“ unserer führenden Häupter erweisen; so wird ein Historiker, der leidenschaftslos die Ergebnisse unserer Herrschaft prüft, nur feststellen können, dass wir uns von der reinen Linie der proletarischen Klassenpolitik entfernen, dass eine „gefährliche Neigung“ besteht zur folgenreichen Tendenz der „Anpassung“, zum Lavieren.
Oder die Frage des Außenhandels. Hier ist zweifellos eine Zwiespältigkeit in unserer Politik. Das zeigen uns die unaufhörlichen Reibungen zwischen dem Kommissariat der Auslandsangelegenheiten und dem Auslandshandel. Die Reibungen tragen nicht nur den bekannten Charakter – sie liegen tiefer, und wenn diese Kulissenarbeit der führenden Organe den unteren Schichten der Genossen zur Entscheidung vorgelegen hätte, wer weiß, wie der Streit ausgegangen wäre. So besteht eine Trennung, eine Uneinigkeit zwischen dem Kommissariat für Außenhandel und den Handelsvertretern der Republik im Ausland. Den unteren Schichten der Genossen verschwiegene, aber doch in ihrem Wesen sozial tiefere Reibungen stellten die Sowjetpolitik vor die Notwendigkeit, den drei sozial verschiedenartigen Bevölkerungsgruppen (den Arbeitern, den Bauern und der früheren Bourgeoisie) Rechnung zu tragen. Diese Tatsache erzeugt den zweiten Grund zur Krisis in unserer Partei. An dieser Tatsache vorübergehen zu wollen, ist unmöglich. Sie ist sehr charakteristisch in ihrer weiteren Entwicklungsmöglichkeit. Und hier besteht für die Parteispitzen die Pflicht, im Interesse der Einigkeit, der Lebensfähigkeit der Partei, durch die weit verbreitete Unzufriedenheit unter den Genossen der Ursache nachzuspüren, sich darin zu vertiefen, um die notwendige Lehre daraus zu ziehen.
So lange, wie die Arbeiterklasse sich in der ersten Epoche der Revolution als einziger Träger des Kommunismus gefühlt hat, bestand volle Einigkeit in der Partei. In den Oktobertagen, als das vorangehende Proletariat unser klares kommunistisches Programm eiligst verwirklichte und einen nach dem andern Punkte befestigte, war von einem „Unten“ oder „Oben“ keine Rede. Der Bauer, welcher den Boden vom Proletariat erhielt, war sich zum Teil noch nicht bewusst als vollberechtigter Bürger der Republik. Die Intelligenz, die Spezialisten, die Geschäftsleute und das ganze Spießbürgertum, Lügenspezies schlichen nun langsam, aber sicher die ganze Stufenleiter der Sowjetorgane hinauf, und zum Schein, unter dem Deckmantel als „Spezialisten“, stellten sie sich abwartend zur Seite und ließen der Gestaltungskraft, dem Schöpfermut der vorangehenden Arbeitermassen, freie Bahn.
Jetzt ist es umgekehrt; der Arbeiter fühlt, sieht, empfindet bei jedem Schritt, dass die „Spezialisten“ und noch Analphabeten, gar nicht mal geschulte Lügenspezies, „Leute der Praxis“, den grauen Alltagsarbeiter mit seiner Untauglichkeit zur „Anpassung“ überall herausdrängen. Diese „Spezialisten“ bevölkern jetzt die grundlegenden Wirtschaftsorgane.
Die Partei nun, anstatt dass sie diese der Arbeiterklasse sowie dem Kommunismus wesensfremden Elemente abstößt, ist nachsichtig, sucht die Rettung und Befreiung von der wirtschaftlichen Unordnung nicht bei den Arbeiterorganisationen, die in erster Linie für sie in Betracht kämen. Nicht den Arbeitern, nicht den Gewerkschaften, den Klassenorganisationen, sondern den Klassenfremden schenkt die Partei ihr Vertrauen. Die Arbeitermassen empfinden das ziemlich deutlich; anstatt Untrennbarkeit, Einheit der Partei und der Klasse, stellt sich eine Kluft heraus; nicht Gleichheit, sondern Trennung. Aber die Massen sind nicht blind! Mit welchen Worten auch der populärste Arbeiterführer sein Abweichen von der klaren Klassenpolitik, seine Konzessionen an das „Bäuerlein“ sowie an den Weltkapitalismus decken würde, so fühlen die Massen doch darin das Vertrauen zu den Schülern des kapitalistischen Produktionssystems, ahnen, wo dieses Abweichen beginnt. Die Arbeiter können zu der Person des Genossen Lenin noch solch große Ergebenheit und Liebe zeigen, von dem herrlichen, unvergleichlichen Rednertalent des Genossen Trotzki noch so entzückt sein, seine organisatorischen Fähigkeiten noch so sehr bewundern, und noch eine ganze Reihe anderer Führer verehren, aber, wenn die Masse zu der Schöpferkraft ihrer Klasse ein Misstrauen empfindet, dann spricht sie auch natürlich, gibt ihrem Empfinden natürlichen Ausdruck: „Halt! Blindlings gehen wir nicht weiter hinter Euch! Wir wollen uns jetzt mit Euch über die Lage auseinandersetzen. Die von Euch gewählte, zwischen den drei sozialen Gruppen ausgleichend wirkende Politik ist eine sehr kluge Politik. Aber das riecht zu sehr nach der altbekannten Anpassung, nach Opportunismus. Für den heutigen Tag werden wir vielleicht mit der gleichen ‚nüchternen Politik’ auch etwas gewinnen, wenn wir damit nur nicht auf eine falsche Bahn kämen, die dann mit ihren Schwankungen, ihrem Zickzackkurs, unbemerkt von der verheißungsvollen Zukunft uns an den Abgrund der Vergangenheit führen würde.“ Das Misstrauen der unteren Klassengenossen zu den führenden Spitzen wächst, und je „nüchterner“ die oberen Schichten sind, je mehr „erfahrene Staatsmänner“ mit ihrer Politik sich entwickeln, ihrer Politik auf des Messers Schneide, zwischen Kommunismus und Konzessionen an die frühere Bourgeois-Ideologie stellen, desto tiefer wird der Abgrund zwischen der „oberen“ und der „unteren“ Schicht. Desto weniger Verständnis wird ihnen entgegengebracht, desto krankhafter und unvermeidlicher wird die Krisis in der Partei.
Die dritte Ursache, die unsere innere Parteikrise erklärt, ist nämlich die, dass sich in der Tat praktisch während der drei Jahre der Revolution die ökonomische und Lebenslage der breiten Arbeitermasse, der produzierenden Fabrikbevölkerung nicht nur nicht gebessert hat, sondern schwerer geworden ist. Das verneint keiner der führenden Parteileute. Die stumme, aber weit verbreitete Unzufriedenheit der Arbeiter (merkt: der Arbeiter!) hat realen Boden unter sich.
Das Bauerntum hat unmittelbar durch die Revolution gewonnen; den neuen Formen des Sowjetsystems und -lebens haben sich nicht nur der Mittelstand (das Kleinbürgertum) gut angepasst, sondern auch die Vertreter der größeren Bourgeoisie, welche die verantwortlichen und leitenden Posten in den Sowjetorganen (besonders auf dem Gebiete der Verwaltung der Wirtschaft, der Industrie oder der Wiederherstellung der Handelsbeziehungen mit dem kapitalistischen Westen) innehaben. Nur die Arbeiter, die fundamentale Klasse der Sowjetrepublik, die auf ihren Schultern die ganze Last der Verantwortung der Diktaturperiode trägt, führt in ihrer Masse als einzige ein schmachvolles, klägliches Leben. Die werktätige Republik, die von Kommunisten verwaltet wird, von der „Avantgarde der Arbeiter“, welche nach Lenins Ausspruch „die revolutionäre Energie der Klasse in sich aufgenommen haben“, hatte Muße darüber nachzudenken, einzelne „wichtige“ Betriebe und Industriegebiete, die ganz zufällig von Fall zu Fall vor dem Rat der Volkskommissare auftauchten, in besonders angenehme Verhältnisse zu bringen, anstatt der breiten Masse der Arbeiter nur einigermaßen menschenwürdige Bedingungen zu schaffen. Das Volkskommissariat für Arbeit ist das toteste aller unserer Kommissariate. In der Sowjetpolitik war im allrussischen Maßstabe folgende Frage weder gestellt noch besprochen: Was kann und muss bei der gegenwärtigen schweren wirtschaftlichen Zersetzung – alle unangenehmen äußeren Verhältnisse berücksichtigend – dazu getan werden, um das Leben der Arbeiter besser zu gestalten, ihre Arbeitskraft für die Produktion zu ökonomisieren und um die Bedingungen der Arbeiter in den Zechen und Fabriken einigermaßen erträglich zu machen? Die Sowjetpolitik hat sich bis zur allerletzten Zeit durch das Nichtvorhandensein eines bedachten und voraussehenden Plans zur Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen ausgezeichnet. Alles, was auf diesem Gebiete getan wurde, wurde zufällig, in ihren Mußestunden, unter dem von den Massen selbst auf die betreffenden örtlichen Verwaltungen ausgeübten Druck hin getan.
Das Proletariat hat heroisch während dieser drei Jahre des Bürgerkriegs zahllose Opfer auf dem Altar der Revolution gebracht. Es hat geduldig gewartet. Aber da jetzt in den Ereignissen ein Umschwung stattfindet und der Lebensnerv der Republik die wirtschaftliche Front ist, hält der Massenarbeiter das „Erwarten“ und das ,,Ertragen“ für unnütz. Wie? Ist er denn nicht derjenige, der das Leben auf kommunistischer Grundlage aufbaut? So wollen wir denn selbst an den Aufbau herangehen, denn wir wissen besser als die „Herren in den Zentralverwaltungen“, wo uns der Schuh drückt.
Der Massenarbeiter beobachtet. Er sieht, dass bis jetzt die Fragen der Hygiene und des Sanitätswesens, der Verbesserung der Arbeitsbedingungen in den Werkstätten und der Gesundheitszustand der Arbeiter und Arbeiterinnen, mit anderen Worten, die ganze Organisation des Lebens und der Arbeitsbedingungen in unserer Politik an letzter Stelle stehen. Wir haben nicht mehr zur Steuerung der Wohnungsnot getan, als die Arbeiterfamilien in die unbequemen und schlecht für sie angepassten bürgerlichen Wohnungen einzuweisen; und was noch schlimmer ist, wir sind bis jetzt noch nicht an die praktische Ausarbeitung eines Planes zur Reorganisation des Wohnungswesens gegangen. Zu unserer Scham sei es gesagt, dass nicht nur in Gott verlassenen Provinzen, sondern auch im Herzen der Republik, auch in Moskau, bis jetzt noch die stinkenden, übervölkerten unhygienischen Arbeiterkasernen existieren. Wenn man dort hineingeht, so hat man das Gefühl, als ob die Revolution gar nicht gewesen wäre … Wir alle wissen, dass das Wohnungsproblem in ein paar Monaten oder sogar Jahren nicht gelöst werden kann und dass unsere Armut die Lösung sehr erschwert. Aber die Tatsache einer immer wachsenden Ungleichheit zwischen der Lage der privilegierten Gruppen der Bevölkerung Sowjetrusslands und der Massenarbeiter, des „Rückgrats der Diktatur“, des Proletariats, nährt die wachsende Unzufriedenheit. Der Massenarbeiter sieht, wie der Sowjetbeamte, der „Mann der Praxis“, lebt, und wie er, der die Stütze der Klassendiktatur ist, selbst leben muss … Er kann nicht umhin, daraus zu schließen, dass während der ganzen Revolutionszeit dem Leben und der Gesundheit des Arbeiters in der Werkstätte am wenigsten Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Dort, wo bis zur Revolution irgendwelche erträglichen Bedingungen bestanden, da bestehen sie dank der Bedingungen der Betriebskomitees fort. Da, wo die Feuchtigkeit, die verdorbene Luft und giftigen Gase den Organismus des Arbeiters vergifteten und untergruben, da ist alles beim alten geblieben. „Es war keine Zeit dazu vorhanden … was wollen sie, die innere Front …“. Wenn es aber nötig war, ein Gebäude für ein Sowjetinstitut zu reparieren, so fanden sich Materialien und Arbeiterhände, das zu tun. Versuchen sie doch, die Spezialisten, die Blüte der Praxis, die Handelsabkommen mit dem ausländischen Kapital treffen, in die Löcher zu stecken, in denen die Massen der Proletarier leben und arbeiten. Sie würden ein solches Geschrei erheben, dass das ganze Wohnungsamt mobilisiert werden müsste, um diese „unzulässigen Missstände zu beseitigen, die die Produktivität der Arbeit der Spezialisten beeinträchtigen.“
Das Verdienst der Arbeiteropposition besteht darin, dass sie die Frage der Organisation der Lebensbedingungen der Arbeiter zusammen mit all den anscheinend kleinlichen Forderungen der Arbeiter in einen großen wirtschaftlichen Plan mit eingeschlossen hat. Die Hebung der Produktionskräfte ist unmöglich ohne die gleichzeitige Organisation der Lebensbedingungen der Arbeiter auf neuer zweckentsprechender kommunistischer Grundlage. Je weniger bis jetzt auf diesem Gebiet vorgeschlagen und unternommen wurde (von Verwirklichung spreche ich schon gar nicht), desto mehr wuchsen die Entfremdung und das Missverstehen und das beiderseitige Misstrauen zwischen den leitenden Spitzen der Partei und den breiten Arbeitermassen. Es besteht keine Einheit, kein Bewusstsein der Gemeinsamkeit der Forderungen und der Bedürfnisse. „Die Spitzen sind etwas ganz anderes als wir. Vielleicht können die Führer das Land besser regieren, aber für unsere Arbeitersache, für die Lebensbedürfnisse in der Werkstätte und seine unmittelbaren Aufgaben haben sie kein Verständnis, keine Erfahrungen.“ Daher das instinktive Zutrauen zu den Gewerkschaftszentren und die Entfremdung von der Partei.
„Er ist einer von den Unsrigen, aber sobald er auf einen hohen Posten kommt, verlässt er uns. Er fängt dann an, anders zu leben. Was ist ihm unser Leid? Es ist nicht mehr sein Leid!“
Und je mehr unsere Partei die besten, bewusstesten und ergebensten Elemente aus den Betrieben und Verbänden entfernte und sie in die Sowjetorganisationen einreihte, desto mehr riss der unmittelbare Zusammenhang zwischen den breiten Arbeitermassen und den leitenden politischen Zentren. Es war eine Bresche geschlagen und es bildete sich eine Kluft. Und diese Kluft macht sich jetzt schon innerhalb der Partei fühlbar. Die Arbeiter fragen durch die Arbeiteropposition: wer sind wir? Sind wir wirklich das Rückgrat der Klassendiktatur oder aber eine willenlose Herde, die denen zur Stütze dient, die – nachdem sie sich von den Massen losgerissen und unter dem sicheren Schutz des Parteiaushängeschildes eingenistet haben – ohne unsere Leitung und unsere schöpferische Klassentätigkeit Politik treiben und die Wirtschaft aufbauen?
Und die Parteispitzen mögen, so viel sie wollen, sich gegen die Arbeiteropposition wehren, sie ist die wachsende, gesunde Kraft der Klasse, die in sich trägt die belebende Energie der Wiedergeburt der Volkswirtschaft und auch der Kommunistischen Partei selbst, die zu verblassen anfängt und nachgiebig wird.
Drei Ursachen also erzeugen die Krise in unserer Partei: Vor allem die äußeren, objektiven Bedingungen, unter denen die Anfangsgründe des Kommunismus in Russland gelegt und verwirklicht werden (Bürgerkrieg, wirtschaftliche Zurückgebliebenheit); die zweite Ursache ist die gemischte Bevölkerung – sieben Millionen Proletariat, die Bauernschaft, das Kleinbürgertum, dann die frühere Großbourgeoisie, die Geschäftsleute aller Art und Branchen, die die Politik der Sowjetorgane beeinflussen und in die Partei eindringen. Drittens die Passivität der Partei in Bezug auf die unmittelbare Verbesserung der Lage des Proletariats bei der Hilflosigkeit und Unzulänglichkeit der zuständigen Sowjetorganisationen, die die Fragen nicht stellen und nicht entscheiden können.
Was will nun die Opposition? Worin besteht ihr Verdienst?
Ihr Verdienst besteht darin, dass sie die Partei auf diese dringenden Fragen aufmerksam gemacht hat, dass sie der in den Massen dunkel gärenden Stimmung, die die parteilosen Arbeiterschichten von der Partei immer weiter entfernte, eine klare Form gegeben hat, dass sie den Parteispitzen eindeutig und furchtlos ins Gesicht gesagt hat: „Halt, blickt zurück, denkt ein wenig nach. Wohin führt Ihr uns? Sind wir nicht nahe daran, unseren Klassenweg zu verlieren? Wenn das Rückgrat der Diktatur – die Arbeiterklasse – allein bleiben wird, so wird die Lage der Partei sehr schlecht sein. Darin wurzelt der Untergang der Revolution.“ Während der gegenwärtigen Krise ist es die Aufgabe der Partei, ihre Fehler, soviel ihrer sind, furchtlos einzugestehen und dem gesunden Klassenruf der breiten Arbeitermassen zu folgen: Durch die Schaffenskraft der aufsteigenden Klasse selbst in der Person der Gewerkschaftsverbände zur Wiederherstellung und Entwicklung der Produktionskräfte des Landes, zur Reinigung der Partei von den in sie eingeschlichenen fremden Elementen, zur Verbesserung der Parteiarbeit durch Rückkehr zum Demokratismus, zur Meinungsfreiheit und zur Kritik innerhalb der Partei!
Die Rolle und die Aufgaben der Gewerkschaften
Wir haben die wesentlichen Ursachen der Krise innerhalb der Partei angedeutet.
Nun wollen wir die Hauptpunkte der Divergenz zwischen den Spitzen unserer Partei und, der Arbeiteropposition betrachten. Es sind ihrer zwei: die Rolle und die Aufgaben der Gewerkschaften in der Periode der Wiederherstellung der Volkswirtschaft und der Organisation der Produktion auf kommunistischer Grundlage und dann die Frage der Selbsttätigkeit der Massen und dem Bürokratismus in der Partei und in den Sowjets. Wir wollen zuerst die erste Frage behandeln. Die zweite ist eine unmittelbare Folge der ersteren.
Die Periode der „Thesenbauerei“ in unserer Partei zur Gewerkschaftsfrage ist jetzt zu Ende. Wir haben sechs verschiedene Programme vor uns und sechs Parteigruppierungen. Die Partei hat eine solche Mannigfaltigkeit und solche „feinen Schattierungen“ der Arbeiter noch nicht gekannt und das Parteidenken ist noch nie so reich und verschieden an Formulierungen derselben Frage gewesen, wie eben. Offenbar ist es eine wichtige, prinzipielle Frage.
Es ist dem auch wirklich so. Es handelt sich darum, wer die kommunistische Wirtschaft aufbauen und wie sie aufgebaut werden soll. Das ist doch das Wesen und Herz unseres Programms. Diese Frage ist nicht weniger wichtig, vielleicht noch wichtiger als die Frage der politischen Machtergreifung durch das Proletariat. Nur die Gruppe des demokratischen Zentralismus mit Bubnow an der Spitze konnte so kurzsichtig sein, zu sagen, dass ,,die Frage von den Gewerkschaften gegenwärtig weder eine besondere objektive Bedeutung habe, noch theoretisch besonders kompliziert sei“. Es ist natürlich, dass diese Frage die Partei in Erregung versetzt und dass der Kernpunkt der Frage folgender ist: ob das Rad der Geschichte zurück oder vorwärts gedreht werden soll? Natürlich ist auch, dass es keinen Kommunisten gibt, der an der Diskussion über die Rolle der Gewerkschaften nicht teilnimmt. Das Resultat hiervon sind sechs verschiedene Gruppierungen. Wenn man nun alle diese Thesen der verschiedenen, sich durch die feinsten Nuancen unterscheidenden Gruppierungen aufmerksam durchsieht, so erweist sich, dass in der Grundfrage der Organisation und des Aufbaus der kommunistischen Wirtschaft und Produktion auf neuer Grundlage, eigentlich nur zwei verschiedene Standpunkte bestehen. Der eine ist in den Thesen der Arbeiteropposition ausgedrückt, der andere umschließt all die anderen Nuancen, der vielgestaltigen, aber eigentlich im Wesen einheitlichen Plattformen.
Was wollen denn die Thesen der Arbeiteropposition durchführen und wie versteht sie die gegenwärtige Rolle und die Aufgabe der Gewerkschaften, richtiger der Verbände nach Industriezweigen? „Wir denken, dass die Frage der Wiederherstellung und Entwicklung der Produktionskräfte unseres Landes nur gestellt werden kann, wenn das ganze Organisationssystem der wirtschaftlichen Verwaltung verändert werden wird.“ (Aus dem Bericht des Gen. Schlapnikow vom 30.12.) Merkt wohl auf, Genossen! Also unter der Bedingung, dass das ganze System verändert wird! Was heißt das? „Das Wesen des Streits besteht darin,“ heißt es im Bericht weiter, „welchen Weg unsere Kommunistische Partei in der augenblicklichen Übergangsperiode einschlagen soll, wie sie ihre wirtschaftliche Politik durchführen wird: vermittels der in Verbänden organisierten Arbeitermassen oder auf bürokratischem Wege über sie hinweg vermittels der kanonisierten Beamten.“ Ganz richtig: Das Wesen des Streits dreht sich darum, ob wir den Kommunismus mit Hilfe der Sowjetbeamten (aufbauen). Denkt darüber nach, Genossen. Ist es möglich, die kommunistische Wirtschaft und Produktion mit den Händen jener aufzubauen, die aus einer anderen Klasse stammen und die von der Routine der Vergangenheit durchdrungen sind? Wenn wir marxistisch denken, so ist dies unmöglich. Es ist falsch, anzunehmen, dass die Leute „der Praxis“, die Techniker, die Spezialisten des kapitalistischen Produktionsaufbaus es plötzlich fertigbringen werden, ihre gewohnten Ansichten und Methoden über die Arbeit, die ihnen anerzogen und von der sie organisch wegen ihres Dienstes für das Kapital durchdrungen sind, aufzugeben und neue kommunistische Wirtschaftsformen zu schaffen beginnen werden (und wesentlich ist ja gerade die Auffindung der neuen Produktionsformen, die der neuen Organisation und Antriebe zur Arbeit. Man darf die unbestreitbare Tatsache nicht vergessen, dass das Wirtschaftssystem nicht durch die einzelnen genialen Menschen verändert wird, sondern durch die Bedürfnisse der Klasse.
Stellen Sie sich vor, was dabei herauskommen würde, wenn in der Epoche des Übergangs vom feudalen Wirtschaftssystem, das auf der zwangsweisen Arbeit der Leibeigenen aufgebaut war, zum System der kapitalistischen Produktion mit seiner quasi freien Lohnarbeit in den Betrieben, die bürgerliche Klasse, die damals in der Organisation ihrer kapitalistischen Wirtschaft noch wenig geschult war, die erfahrensten, schlauesten Verwalter und Angestellten der Grundbesitzer, die bis dahin nur mit der willenlosen Sklavenarbeit zu tun gehabt hatten, ihre Betriebe zu organisieren auffordern würden? Was würde dabei herauskommen? Könnten diese erfahrenen Leute, diese Spezialisten in ihrem Gebiet, die unter dem System der Macht der Knute erzogen waren, die Produktivität der Arbeit, des „freien“, wenn auch hungrigen Proletariats heben, welches die rohe Behandlung des Betriebsverwalters nicht zu erdulden brauchte, sondern Soldat, Tagelöhner oder Bettler werden konnte und auf diese Weise die Möglichkeit hatte, der verhassten Arbeit zu entgehen? Würden diese „Spezialisten“ die neue Organisation der Arbeit und das ganz auf ihr aufgebaute System der kapitalistischen Produktion nicht zerstören? Die einzelnen Verwalter, der Fronbauern, ehemalige Grundbesitzer und Aufseher brachten es fertig, sich den neuen Produktionsformen anzupassen. Aber nicht sie waren die wirklichen Schöpfer der bürgerlichen kapitalistischen Wirtschaft. Der Klasseninstinkt sagte den Besitzern der ersten Betriebe, dass es besser sei, langsam und ungeschickt, aber selbstständig nach dem richtigen Weg, der die Wechselbedingungen der Arbeit und des Kapitals bestimmen sollte, zu suchen, als die untauglichen, absterbenden Methoden eines veralteten und nicht mehr verwendbaren Systems der Ausbeutung der Arbeiter zu verwenden, das die Produktion nur schwächen konnte. Der schöpferische Klasseninstinkt hatte in der Epoche der primitiven kapitalistischen Akkumulation den Kapitalisten den richtigen Weg gewiesen, nämlich, dass es außer der Knute des Verwalters und Kapitalisten noch ein anderes Mittel gebe, zur Arbeit anzuspornen, nämlich die Konkurrenz der Arbeiter angesichts der drohenden Kapitalisten noch ein anderes Mittel gebe, zur Arbeit anzuspornen: die Konkurrenz der Arbeiter angesichts der drohenden Arbeitslosigkeit und Verarmung. Und die Kapitalisten haben es verstanden, diesen Antrieb der Arbeit auszunützen in dem Interesse der Entwicklung der neuen, bürgerlich-kapitalistischen Produktionsformen. Auf diese Weise hoben sie sofort die Produktivität der „freien“ Lohnarbeit.
Die Bourgeoisie hat vor fünf Jahrhunderten tastend, blind, nur dem Klasseninstinkt gehorchend, gehandelt. Sie vertraute mehr ihrem Menschenverstand als der Erfahrung der geriebenen Spezialisten im Gebiete der Organisation der Frondienste des Feudalismus. Und sie hatte recht, ein historisches Recht.
Wir haben das mächtige Mittel in unserer Hand, das uns den kürzesten Weg zum Sieg der Arbeiterklasse finden hilft, sein Kreuz auf diesem Weg erleichtert und das neue kommunistische Wirtschaftssystem begründet. Dieses Mittel ist die materialistische Geschichtsauffassung.
Aber anstatt dieses Mittel auszunützen, unsere Erfahrung zu vertiefen und es an Hand der Geschichte zu überprüfen, sind wir bereit, von den historischen Wahrheiten abzulassen und uns in die Wildnis der blinden Experimente zu verirren – auf gut Glück … Wie schwer unsere wirtschaftliche Lage auch sein mag, so haben wir doch noch keinen Grund, bis zu solch einem Grad von Hoffnungslosigkeit zu gelangen. Die kapitalistischen Regierungen, deren Schaffenskraft versiegt ist, können wohl in Verzweiflung geraten, aber nicht wir, nicht das werktätige Russland, dem die Oktoberrevolution unbegrenzte Perspektiven eröffnet und das ganz unerhört, schöpferische wirtschaftliche Tätigkeit bewiesen hat; noch nie dagewesene Wirtschaftsformen, die die Produktivität der Arbeit so hoch wie noch nie steigern, können geschaffen werden. Aber man muss lernen, nicht von der Vergangenheit zu nehmen, sondern muss der schöpferischen Zukunft freien Spielraum lassen.
Das nämlich tut die Arbeiterorganisation. Wer kann der Schöpfer der kommunistischen Wirtschaft sein? Diejenige Klasse (und nicht einzelne geniale, der Vergangenheit angehörende Menschen), die mit der neu entstehenden, in furchtbaren Wehen geborenen Produktionsform eines produktiveren und vollkommeneren Wirtschaftssystems organisch verbunden ist? Welches Organ kann die schöpferischen Anlagen im Gebiet der Neuorganisation der Wirtschaft und Produktion erfüllen und verwirklichen: die Produktionsgemeinschaften der Arbeiter oder der gemischte, aus Beamten bestehende wirtschaftliche Sowjetapparat? Die Arbeiteropposition meint das erstere, d.h. die Produktionsgemeinschaft der Arbeiter, und nicht das bürokratische und sozial gemischte Beamtenkollektiv mit einem großen Beigeschmack von „Geschäftsleuten“, „Aufbauern“ vom alten kapitalistischen Schrot und Korn, deren Gehirn mit dem Unrat der kapitalistischen Routine beschmutzt ist.
„Die Arbeiterverbände müssen von der gegenwärtigen passiven Mitwirkung zur aktiven und individuellen Teilnahme in der Verwaltung der ganzen Volkswirtschaft übergehen.“ (Thesen der Arbeiteropposition.)
Vollkommenere Wirtschaftsformen und neue Antriebe zur Erhöhung der Produktivität der Arbeit suchen, finden und schaffen, können nur solche Kollektive, die mit der entstehenden Produktionsform unlösbar verbunden sind. Von ihrer täglichen Erfahrung ausgehend, finden sie eine ganze Reihe im ersten Moment anscheinend praktisch unwichtige, aber theoretisch hoch bedeutende Gedankengänge im Gebiete der Verwendung der Arbeitskraft im neuen Arbeiterstaat, wo Not, Arbeitslosigkeit und Konkurrenz nicht mehr als Ansporn zur Arbeit dienen.
Auf der Schwelle des Kommunismus ist es die größte Aufgabe der Arbeiterklasse, neue Antriebe zur Arbeit zu finden. Einzig und allein die Arbeiterklasse selbst, in den Kollektiven verkörpert, kann die Aufgabe lösen.
Es ist die Aufgabe der Gewerkschaftsverbände, der praktischen Erfahrung, dem Verständnis der Klasse beim Suchen und Schaffen neuer Produktionsformen sowie der organisatorischen Begabung des Proletariats, d.h. der einzigen Klasse, die zum Schöpfer des Kommunismus werden kann, freien Spielraum zu geben.
So geht die Arbeiteropposition an die Frage heran. So versteht sie die Aufgaben der Gewerkschaften. Eine Folge solcher Ansichten bildet einen der wichtigsten Punkte ihrer Thesen: die Verwaltung der Volkswirtschaft muss von dem allrussischen Kongress der Produzierenden, die sich in Verbänden nach Berufen oder Industriezweigen zusammenschließen, organisiert werden. Diese wählen ein Zentralorgan, das die ganze Wirtschaft der Republik verwaltet. (Thesen der Arbeiteropposition.) Dieser Punkt sichert für die schöpferische Klassenkraft, die vom Geist und der Routine des bürgerlich-kapitalistischen, bürokratischen Wirtschaftsapparates nicht erdrückt und entstellt wird, völlige Bewegungsfreiheit. Die Arbeiteropposition glaubt an die schöpferische Kraft ihrer Klasse, der Klasse der Arbeiter. Aus diesem Grundsatz entwickelt sich folgerichtig ihr ganzes Programm.
Aber gerade auf diesem Punkte beginnt das Auseinandergehen der Arbeiteropposition mit unseren leitenden Parteispitzen.
Das Misstrauen gegen die Arbeiterklasse (natürlich nicht im politischen, sondern im wirtschaftlichen, schöpferischen Gebiete) bildet den ganzen Inhalt der Thesen, die von unseren leitenden Spitzen unterschrieben worden sind. Die Parteispitzen glauben nicht daran, dass die schwieligen Hände der technisch schlecht geschulten Arbeiter die Konturen der Wirtschaftsformen schaffen können, aus denen sich mit der Zeit ein einheitliches System der kommunistischen Produktion entwickeln wird. Es scheint den Genossen Lenin, Trotzki, Sinowjew und Bucharin, dass die Produktion etwas so „Ausgeklügeltes“ sei, dass man ohne „Anleitung“ nicht auskommen könne; zuerst müssen die Arbeiter „erzogen und gelehrt“ werden und dann, wenn sie reifer geworden sind, kann man die Lehrer aus dem Obersten Volkswirtschaftsrat entfernen und den Produktionsgemeinschaften erlauben, die Verwaltung der Wirtschaft zu übernehmen.
Es ist charakteristisch, dass alle Thesen unserer Parteispitzen in einen Brennpunkt zusammenlaufen; die Verwaltung der Produktion und der Volkswirtschaft soll den Gewerkschaften noch nicht übergeben werden. Man muss noch „warten“. Es ist wahr, dass die Standpunkte Lenins, Trotzkis, Sinowjews, Bucharins u.a. in der Frage, warum die Verwaltung der Volkswirtschaft noch nicht den Gewerkschaften übergeben werden soll, noch verschieden sind. Aber in dem einen Grundsatz stimmen sie alle überein, nämlich, dass die Wirtschaft fürs erste mittels eines bürokratischen Systems, eines Erbstücks der Vergangenheit, über die Köpfe der Arbeiter hinweg verwaltet werden soll. Alle Genossen, die den hohen Parteispitzen angehören, sind sich darin rührend einig (solidarisch)! Die „Hauptarbeit“ wird in den „Thesen der Zehn“ „in das Gebiet der wirtschaftlichen Organisationsarbeit verlegt werden. Die Gewerkschaften als Klassenorganisation des Proletariats, die auf dem Produktionsprinzip aufgebaut sind, müssen die Hauptarbeit in der Organisation der Produktion auf sich nehmen.“ Die „Hauptarbeit“ – das ist sehr dehnbar und nicht besonders genau. Der Ausdruck kann auf die verschiedenste Weise ausgelegt werden, und man könnte auch denken, das das „Programm der Zehn“ bei der Verwaltung der Volkswirtschaft den Gewerkschaften mehr freien Spielraum lässt, als der „Zektranismus“ des Genossen Trotzki (Militärdisziplin von Trotzki, die er in den Gewerkschaften der Transportarbeiter einführte).
Ist dem auch wirklich so? Weiterhin wird in den „Thesen der Zehn“ erklärt, was man unter der Hauptarbeit der Verbände zu verstehen hat. „Die energischste Mitarbeit in allen Zentren, die die Produktion regulieren: an der Organisation der Arbeiterkontrolle, an der Registration und Verteilung der Arbeitskraft, an der Organisation des Austauschs zwischen Land und Stadt, tätige Anteilnahme an der Demobilisation und der Industrie, Kampf gegen die Sabotage, Durchführung der allgemeinen Arbeitspflicht usw.“ Und das ist alles. Es ist nicht neu und nicht mehr, als die Gewerkschaften bis jetzt geleistet haben. Es rettet unsere Industrie nicht, noch löst es die Grundfrage von der Entwicklung und Wiederherstellung der Produktionskräfte des Landes. Damit gar keine Zweifel übrig bleiben, dass in dem „Programm der Zehn“ die Gewerkschaften in der Volkswirtschaft keine leitende, sondern eine beigeordnete Rolle spielen, wird noch folgendes hinzugefügt: In ihrer entwickelten Form (also nicht jetzt, sondern in ihrer entwickelten Form) müssen die Gewerkschaften im Prozess der gegenwärtigen sozialen Revolution zu Organen der sozialistischen Macht werden, die als solche in Koordination mit anderen Organisationen an der Verwirklichung der neuen Grundsätze bei der Organisation des Wirtschaftslebens mit arbeiten.“ Weiterhin wird die Frage der Unterordnung der Gewerkschaften unter den „Obersten Volkswirtschaftsrat“ und seiner Organe behandelt.
Was für ein Unterschied besteht also zwischen der „Plattform der Zehn“ und dem „Zusammenwachsen“ des Genossen Trotzki? Der Unterschied liegt lediglich in den Methoden. Die „Thesen der Zehn“ unterstreichen besonders die erzieherische Rolle der Gewerkschaften. Mit der Behandlung der Frage der Rolle und Aufgabe der Gewerkschaften sowie im Verständnis der Frage über die wirtschaftliche und erzieherische Organisation verwandeln sich unsere leitenden Spitzen sehr unerwartet von Politikern in „Pädagogen“.
Es entwickelt sich dann ein sehr interessanter Streit nicht über das System der Wirtschaftsverwaltung, sondern über das System der Erziehung der Massen. Wahrhaftig, wenn man die Thesen des Stenogramms der Reden unserer leitenden Spitzen liest, staunt man über die unerwartete Neigung zu erzieherischen Aufgaben. Jeder Schöpfer von Thesen findet sein vollkommenstes System zur Erziehung von Arbeitermassen. Aber alle diese „Erziehungssysteme“ sind auf der mangelnden Bewegungsfreiheit für Erfahrungen, Erziehung und Offenbarung schöpferischer Tätigkeit aufgebaut. In dieser Hinsicht sind unsere Spitzen als Pädagogen hinter unserer Zeit zurückgeblieben.
Auf diese Weise besteht für die Genossen Lenin, Trotzki, Bucharin u.a. die Aufgabe der Gewerkschaften nicht in der Verwaltung der Volkswirtschaft oder in der Übernahme der Produktion, sondern sie verwandeln sie zu einem Mittel zur Erziehung der Massen. In der Diskussion erschien es einigen Genossen, dass Trotzki für eine „Verstaatlichung der Gewerkschaften“ ist, nicht auf einmal, sondern allmählich, dass er aber immerhin als Aufgabe für die Gewerkschaften die Leitung der Volkswirtschaft anerkennt, was auch in unserem Programm steht. Somit nähert sich in diesem Punkt gleichsam Trotzki der Opposition, während die Gruppe der Lenin und Sinowjew die Verstaatlichung ablehnt und den Schwerpunkt der Gewerkschaftstätigkeit und -aufgaben in der „Schule des Kommunismus“ sieht. „Die Gewerkschaften“, so verspottet Trotzki den Standpunkt Sinowjews, „benötigen erst noch die Bearbeitung der elementaren Vorarbeiten.“ (Seite 22 vom Bericht vom 30.12.) Trotzki selbst scheint die Aufgabe der Gewerkschaften anders zu verstehen; seiner Meinung nach liegt ihre Hauptarbeit in der Organisation der Produktion. Darin hat er sehr recht. Trotzki hat auch dann recht, wenn er sagt: „Sofern die Gewerkschaften Schulen des Kommunismus sein sollen, sollen sie nicht Schulen im Sinne allgemeiner kommunistischer Propaganda (denn in diesem Falle würden sie die Rolle von Klubs spielen) und Mobilisation der Mitglieder für Volksernährungs- und militärischen Arbeiten sein, sondern im Sinne von Schulen für die allseitige Erziehung ihrer Mitglieder auf dem Boden der Teilnahme an der Produktion.“ (Bericht des Genossen Trotzki vom 30.12.)
Dies alles sind unwiderlegbare Wahrheiten. Nur eines ist vergessen: Die Gewerkschaften sollen nicht nur „Schulen des Kommunismus“, sondern auch Schöpfer des Kommunismus sein.
Die schöpferische Tätigkeit der Klasse ist außer acht gelassen. Genosse Trotzki ersetzt sie dadurch, dass „die wirklichen Organisatoren der Produktion innerhalb der Gewerkschaft die sie führenden Kommunisten sind“. (Aus dem Bericht des Genossen Trotzki vom 30.12.) Was für Kommunisten? Nach Trotzki (Thesen der ersten Formulierung) sind es diejenigen, die die Partei gemäß einer Reihe von Grundsätzen, welche oft mit den wirtschaftlichen und produktiven Aufgaben nichts zu tun haben, auf diesen oder jenen Gewerkschafts- oder wirtschaftlichen Posten einsetzt.
Der Genosse Trotzki ist offenherzig. Er glaubt nicht, dass die Arbeitermasse reif genug sei, um den Kommunismus zu schaffen und unter schöpferischen Wehen und Irrtümern neue Produktionsformen aufzubauen. Er hat das auch frei und geradeheraus gezeigt. Er hat im „Zektran“ (Zentralkomitee der Transportarbeiter) sein System der „Stock“-Erziehung der Massen und ihre Vorbereitung zur Rolle von „Ökonomen“ durchgeführt, indem er die Methoden der Belehrung aus den Gewerbeschulen übernahm. Wahrlich, nach den vielen Kopfhieben mit dem Leisten wird der Geselle, zum Meister geworden, aus Eingeschüchtertheit sein Werk bis zum Hinsiechen ausführen, aber solange der Stock des Meisters droht, geht es halt schon, er arbeitet, er produziert. Darin besteht nach der Meinung des Genossen Trotzki die Übertragung des Schwerpunktes „von der Politik auf die Aufgaben der Produktion“. Die Produktion muss – wenn auch nur zeitweise – mit allen möglichen Mitteln gehoben werden; das ist die ganze Quintessenz, die ganze Aufgabe, in der nach Trotzki der gewerkschaftliche Lehrkursus bestehen soll.
Damit sind die Genossen Lenin und Sinowjew nicht einverstanden. Sie sind „Erzieher“ mehr „moderner Art“. „Es ist viel davon geredet worden,“ sagt Sinowjew, „dass die Gewerkschaften die Schulen des Kommunismus sind. Was heißt das aber: Schulen des Kommunismus? Wenn man diese Definition ernst nimmt, so bedeutet das, dass man in der Schule des Kommunismus vor allem unterrichten und erziehen, aber nicht kommandieren muss.“ (Das ist eine Spitze für Trotzki.) Und er setzt hinzu: „Die Gewerkschaften sollen im proletarischen und dann noch im reinen kommunistischen Geiste eine große Arbeit vollbringen. Das ist die Grundaufgabe der Gewerkschaften.“ Das fängt man bei uns gründlich zu vergessen an, wenn man denkt, dass man mit der Bewegung der Gewerkschaften, dieser größtangelegten Arbeiterorganisationen, zu unvorsichtig, zu grob und hart umgehen kann. Man muss nicht vergessen, dass diese Organisationen ihre besonderen Aufgaben haben: Nicht unmittelbares Befehlen, nicht Herrschen, nicht Diktatur, sondern vor allem die Aufgaben, die darin bestehen, die Millionenmasse in die organisierte proletarische Bewegung einzubeziehen.
So ist der Pädagoge Trotzki in seinem Erziehungssystem vor lauter Übereifer zu weit gegangen. Aber was schlägt denn Sinowjew selbst vor? „Den Massen im Rahmen der Gewerkschaften die ersten grundsätzlichen Lehren des Kommunismus und die Prinzipien der proletarischen Bewegung zu geben.“ Wie? Beim praktischen Aufbau der neuen Wirtschaftsform auf Grund lebendiger praktischer Erfahrung (wie es die Opposition will)? Nichts dergleichen! Die Gruppe Lenin-Sinowjew ist für ein System der Erziehung durch „Vorschriften“, Moralpredigten und gut gewählte Beispiele. Auf 7 Millionen Arbeiter kommen bei uns 1/2 Million Kommunisten (leider sind viele davon „Fremde“, die aus einer anderen Welt zu uns gekommen sind). Gemäß den Worten des Genossen Lenin hat die Partei die „Avantgarde des Proletariats“ in sich aufgenommen, und die auserwählten Kommunisten forschen laboratorisch in enger Arbeitsgemeinschaft mit den Spezialisten in den Sowjetorganen nach den Formen der kommunistischen Wirtschaft. Diese Kommunisten, die unter der Aufsicht der „gutherzigen Pädagogen“ aus dem „Obersten Volkswirtschaftsrat“ in den verschiedenen Zentralen und Hauptausschüssen arbeiten, sind die guten, musterhaften Schüler Hänschen und Peterchen, die stets eine „Eins“ bekommen und zu denen die Arbeiter in den Gewerkschaften aufblicken und sich belehren lassen müssen. Aber sie dürfen es nicht wagen, ihre Hände nach dem Regierungssteuer auszustrecken – es ist noch zu früh! Sie haben noch nicht ausgelernt!
Nach der Meinung Lenins sind die Gewerkschaften (d.h. die Arbeiter, ihrem Wesen nach Klassenorganisation) gar nicht die Schöpfer der kommunistischen Wirtschaftsform, sondern „die Gewerkschaften schaffen die Verbindung zwischen der Avantgarde und den Arbeitermassen; die Gewerkschaften überzeugen die Massen durch ihre alltägliche Arbeit, die Massen derjenigen Klasse“ usw.
Das ist schon nicht Trotzkis System „mit dem Stock“. Es ist das deutsche System Fröbels und Pestalozzis, das auf „Anschauungsunterricht“ begründet ist. Die Gewerkschaften leisten nichts Wesentliches im Wirtschaftsleben, sondern sie überzeugen die Massen und dienen zur Verbindung der Avantgarde der Klasse mit der Partei, die (merkt das wohl!) selbst auch nicht als ein Kollektiv die Produktion verwaltet und organisiert, sondern die Sowjetwirtschaftsapparate gemischter Zusammensetzung aufrichtet, in die auch Kommunisten einberufen werden. Es ist noch eine Frage, welches System besser ist. Das System Trotzkis ist auf jeden Fall klarer und daher realer. Mit „Vorschriften“ und „Beispielen“ der Musterschüler allein kann man in der Erziehung nicht vorwärts kommen. Man muss sich wohl hüten, dieses zu vergessen – man muss es sich fest einprägen.
Die Gruppe Bucharins wählt den goldenen Mittelweg oder versucht vielmehr, aus beiden Erziehungssystemen etwas Einheitliches zu schaffen; beachtet wohl, dass auch sie nicht die selbständige, schöpferische Rolle der Gewerkschaften im Wirtschaftsleben anerkennt. Nach der Meinung Bucharins und seiner Gruppe spielen die Gewerkschaften eine doppelte Rolle (so heißt es nämlich in den Thesen): einerseits sind sie eine „Schule des Kommunismus“, ein Vermittler zwischen der Partei und der parteilosen Masse (das ist aus Lenins Thesen), ein Apparat, der die breiten, unteren Schichten des Proletariats am aktiven Leben teilnehmen lässt (merkt das wohl, Genossen: ins aktive Leben einsetzt, aber nicht an der Schaffung der neuen Wirtschaftsform beteiligt, noch ein neues Produktionssystem auffinden lässt); andererseits sind sie (die Gewerkschaften) ein Bestandteil und sogar ein progressiv steigender des wirtschaftlichen Apparates der Staatsmacht. Das ist schon von Trotzkis „Zusammenwachsen“.
Es wird also nicht über die Aufgabe der Gewerkschaften gestritten, sondern über die Methoden der Erziehung der Massen durch die Gewerkschaften. Trotzki steht (oder vielmehr stand) auf dem Standpunkt, dass man mittels des „Zektran“schen Systems die Weisheiten des kommunistischen Wirtschaftsbaues den Köpfen der beruflich organisierten Verbände einbläuen müsse und mit Hilfe der „von der Partei eingesetzten Leute“ sowie verschiedener „Wundermethoden“ die Gewerkschaften so umerziehen kann, dass sie mit den wirtschaftlichen Sowjetapparaten in eins verwachsen und zu gehorsamen ausführenden Organen der vom „Obersten Volkswirtschaftsrat“ ausgearbeiteten Pläne werden. Sinowjew und Lenin beeilen sich nicht, die Gewerkschaften und wirtschaftlichen Sowjetorgane „zusammenwachsen“ zu lassen. Die Gewerkschaften, so sagen sie, müssen Gewerkschaften bleiben. Die von uns eingesetzten Leute werden die Produktion verwalten. Das Organisationsbüro ist ein Meister darin (in der Auswahl der Leute). Wenn die Erziehung der fleißigen, gehorsamen Musterschüler in den Gewerkschaften beendet sein wird, werden wir sie in die wirtschaftlichen Sowjetorgane übergehen lassen. Und die Gewerkschaften werden verschwinden, sich auflösen.
Die schöpferische Tätigkeit im wirtschaftlichen Gebiete übertragen wir dem „höchsten“ Volkswirtschaftsrat u.a. bürokratischen Sowjetorganen, aber den Gewerkschaften lassen wir die Rolle einer „Schule“. Erziehung und noch einmal Erziehung … Das ist der Wahlspruch Sinowjews und Lenins. Bucharin will durch den Radikalismus im System innerhalb der Gewerkschaftserziehung „gewinnen“, wofür er auch von Lenin einen Verweis und sogar den kränkenden Spitznamen „Syndikalist“ erhält. Bucharin und seine Gruppe unterstreichen die erzieherische Rolle der Gewerkschaften unter den gegenwärtigen politischen Bedingungen und stehen für die weitgehende Arbeiterdemokratie innerhalb der Gewerkschaften ein. Wahlsystem. Nur Wahlsystem, und nicht „bedingtes“, sondern obligatorische Kandidaturen der Gewerkschaften. Überlegt einmal, welch großer Demokratismus! Schon fast die Arbeiteropposition selbst. Aber mit einem kleinen Vorbehalt: Die Arbeiteropposition anerkennt die Gewerkschaften als die Verwalter und Schöpfer der kommunistischen Wirtschaft. Bucharin aber, zusammen mit Trotzki und Lenin, weisen ihnen die Rolle von „Schulen für den Kommunismus“ zu und nicht mehr. Warum kann man auch nicht mit der Frage des Wahlsystems etwas Radikalismus vorspiegeln, besonders wenn man weiß, dass das Wahlrecht dem System der Produktionsverwaltung weder schaden noch nützen kann? Die Wirtschaftsverwaltung bleibt dennoch außerhalb des Rahmens der Gewerkschaften in den Händen der Sowjetorgane. Bucharin ähnelt den Pädagogen, die nach dem alten System unterrichten, die nach dem Buch soundso viele Zeilen von hier bis dort aufgeben, die aber, um zu zeigen, dass sie auch die „Selbsttätigkeit“ der Schüler anspornen, Wahlen von Ordnungsschülern und Organisation von Schüleraufführungen unterstützen. (Vgl. Thesen Bucharins, Punkt 17.) So können diese beiden Systeme ausgezeichnet nebeneinander bestehen. Was aber dabei herauskommen wird, wozu die Zöglinge dieser Pädagogen später taugen werden, ist schon eine andere Frage. Wenn Lunatscharski auf den pädagogischen Versammlungen solche „eklektische Häresie“ bestreiten würde, wäre die Lage des Volkskommissariats für Volksaufklärung hoffnungslos.
Übrigens darf man die erzieherischen Methoden unserer leitenden Genossen bezüglich der Gewerkschaften nicht so sehr geringschätzen. Sie alle, darunter auch Trotzki, verstehen sehr wohl, dass die „Selbsttätigkeit“ bei der Erziehung nicht die letzte Rolle spielt. Darum wählen sie jene Gebiete, in denen die Gewerkschaften ohne Schaden für das allgemeine bürokratische System ihre Selbsttätigkeit und wirtschaftliche Schöpferkraft betätigen können. Das ungefährlichste Gebiet für die Selbsttätigkeit der Massen und ihre aktive Teilnahme am Leben (nach Bucharin) ist ihre Mitwirkung an der Verbesserung der Lebensbedingungen. Die Arbeiteropposition räumt der Verbesserung der Lebensbedingungen viel Platz ein, aber sie begreift auch sehr gut, dass das Hauptziel der schöpferischen Klassentätigkeit die Schaffung neuer wirtschaftlicher Produktionsformen ist, von denen die Organisation der Lebensbedingungen hingegen nur ein Bruchteil ist. Nach der Meinung Trotzkis und Sinowjews jedoch wird die Produktion von den Sowjetorganen geschaffen und reguliert und den Gewerkschaften nur vorgeschlagen, sich mit der nützlichen, aber engeren Arbeit ihrer „internen Wirtschaft“ zu befassen. Sinowjew z.B. sieht die „wirtschaftliche Rolle“ der Gewerkschaften in der Verteilung von Berufskleidung und erklärt: „Es gibt keine wichtigere Aufgabe als die wirtschaftliche; es ist zehnmal wichtiger, jetzt eine Badeanstalt in Petersburg wieder instand zu setzen, als fünf gute Vorlesungen zu halten.“ Was ist das: eine naive Verwechslung oder ein bewusstes Vertauschen der organisatorisch-schöpferischen Aufgaben der Gewerkschaften im Gebiete der Produktion und Entwicklung der Produktionskräfte mit den engeren Aufgaben der Verbesserung der Lebensbedingungen und kleinlichen Regelungen der Wirtschaftsordnung? Bei Trotzki begegnen wir dem gleichen Gedanken, nur mit etwas anderen Worten ausgedrückt. Er schlägt den Gewerkschaften großmütig vor, im Gebiete der Wirtschaft die weitgehendste Selbsttätigkeit zu entfalten.
Aber worin drückt sich diese Selbsttätigkeit oder diese Mitwirkung an der Verbesserung der Lebensbedingungen der Massen aus? Darin, dass in einer Werkstätte „Fensterglas eingesetzt“ wird oder die Pfützen vor der Fabrik zugeschüttet werden (Aus der Rede Trotzkis auf dem Kongress der Bergarbeiter.) Aber erbarmen Sie sich, Trotzki! Das gehört ja schon in das Gebiet der „Hausverwaltung“, und wenn Sie die schöpferische Tätigkeit der Gewerkschaften nur zu solchen Perlen der Selbsttätigkeit reduzieren werden, so werden die Gewerkschaften nicht Schulen des Kommunismus, sondern Schulen für „Hausverwalter“ werden. Übrigens erweitert Trotzki das Gebiet der „Selbsttätigkeit der Massen“, indem er dieselben wohl zu dem von der „Kommission zur Verbesserung des Lebens der Arbeiter“ erteilten Unterricht heranzieht, ihnen aber nicht ihre selbständige Organisation des Lebens zugesteht (so weit geht nur die „verrückte“ Arbeiteropposition). „Wenn Fragen entschieden werden, die die Arbeiter, ihre Ernährung und Ökonomisierung der Arbeitskräfte betreffen, müssen die Gewerkschaften genau – nicht nur im allgemeinen, wie üblich die Bürger, sondern gründlichst wissen (nicht aktiv teilnehmen, sondern nur wissen! A. Kollontai), was täglich im Obersten Volkswirtschaftsrat geleistet wird.“ (Aus Trotzkis Rede vom 30.12.) Die Lehrer des „Obersten Volkswirtschaftsrats“ fordern nicht nur von den Gewerkschaften die Ausführung ihrer Pläne, sondern erklären auch den Schülern ihre Vorschriften. Das ist – verglichen mit dem „Zektranismus“ – schon ein Fortschritt.
Aber jedem denkenden Arbeiter ist es klar, dass das Einsetzen von Scheiben in die Fenster der Werkstätte zwar sehr nützlich ist, diese Arbeit aber mit der Verwaltung der Produktion nichts gemein hat. Die Produktionskräfte und ihre Entwicklung kommen dabei überhaupt nicht in Betracht. Der Kernpunkt liegt aber gerade in der Frage, wie sie entwickelt werden sollen. Wie soll man in Übereinstimmung des neuen Lebens mit dem Produktionsprozess die Wirtschaft dergestalt aufbauen, dass die größtmögliche Summe der Arbeiterenergie für die Produktion gespart und die Menge der nichtproduzierenden Arbeit vermindert wird? Die Partei kann den Rotarmisten, den politischen Agitator, überhaupt den Vollstrecker von bestimmten Aufgaben, aber nicht den Aufbauer der kommunistischen Wirtschaft erziehen. Für die Aufbau- und Produktionstätigkeit gibt nur die Gewerkschaft freie Bahn. Sie hat überhaupt nicht diese Aufgabe. Ihre Aufgabe ist vielmehr, die notwendigen Bedingungen zu schaffen, d.h. freien Spielraum zu geben für die Erziehung der breiten Arbeitermassen, der Arbeiter, Schöpfer der neuen Arbeitsmethoden, des neuen Systems der Verwendung und der Gruppierung aller Arbeiterkräfte, die durch die gemeinsamen wirtschaftlichen Produktionsaufgaben vereinigt sind. Um den wirtschaftlichen Zerfall zu besiegen und die neue kommunistische Wirtschaft aufzubauen, muss der Arbeiter vor allem in seinem Kopf neue Methoden der Organisation der Arbeit und Wirtschaftsverwaltung schaffen.
Aber diese einfache marxistische Wahrheit wird von unseren Spitzen eben nicht anerkannt. Warum? Ja eben darum, weil unsere Spitzen mehr an das uns fremde Element der bürokratischen und technischen Überbleibsel der Vergangenheit, als an die gesunde, elementare, schöpferische Klassenkraft der Arbeiter glauben. Auf allen anderen Gebieten, wie z.B. auf dem Gebiete der Volksaufklärung, der Entwicklung der Wissenschaften, der Organisation der Armee oder der Volkswohlfahrt könnte man noch eher zweifeln, wem die Leitung gehört: dem Arbeiterkollektiv oder der Bürokratie der Spezialisten, aber nur nicht auf dem Gebiete der Wirtschaft. Hier ist das Problem für einen jeden, der die Weltgeschichte nicht vergessen hat, unbestreitbar und klar.
Jeder Marxist weiß, dass die Wiederherstellung der Produktion und die Entwicklung der Produktionskräfte des Landes von zwei Faktoren (Bedingungen) abhängen: von der Entwicklung der Technik und zweckmäßigen Organisation der Arbeit und von der rationellen Erhöhung der Arbeiterenergie und der Auffindung neuer Impulse zur Arbeit. So geschah es während des ganzen Laufs der Menschheitsentwicklung, bei jedem Übergang von einer niedrigeren zu einer höheren Stufe der Wirtschaftsordnung.
In der Arbeiterrepublik tritt die Entwicklung der Produktionskräfte mit Hilfe der Erfolge in der Technik im Vergleich zu dem zweiten Faktor, der zweckentsprechenden Organisation der Arbeit und des Schöpfungsgeistes eines neuen Wirtschaftssystems, in den Hintergrund. Wenn es sogar gelingen würde, in Sowjetrussland den ganzen Plan der Elektrifizierung vollkommen durchzuführen, ohne dabei das System der Verwaltung und Organisation, der Wirtschaft und Produktion von Grund auf zu erneuern, so würde Russland in – seiner Entwicklung die kapitalistischen Länder nur einholen. Umgekehrt befindet sich das werktätige Russland aber in der Frage der zweckmäßigen Ausnützung der Arbeiterkräfte und der Schaffung eines neuen Produktionssystems in besonders günstigen Bedingungen, die es ihm in Bezug auf die Entwicklung der Produktionskräfte ermöglichen, die bürgerlich-kapitalistischen Länder weit zu überholen. Der Impuls (der Zwang) zur Arbeit, die Arbeitslosigkeit in Russland ist aufgehoben.
Es ist der Arbeiterklasse, die von dem Joch des Kapitals befreit ist, die Möglichkeit gegeben, ihr eigenes, neues, schöpferisches Wort auf dem Gebiete der Auffindung der Antriebe zur Arbeit und der Schaffung neuer, in der Menschheitsgeschichte noch nicht dagewesener Produktionsformen, zu sagen.
Aber wer kann seine Schöpferkraft und rationell-schnelle Auffassung in diesem Gebiete reicher entfalten und den gegebenen Verhältnissen ein besseres Verständnis entgegenbringen? Die bürokratischen Elemente, die Oberleiter der Sowjetbehörden oder die Gewerkschaften, deren Mitglieder, gestützt auf ihre Erfahrung bezüglich der Verteilung der Arbeitskräfte in den Werkstätten, neue, schöpferisch nützliche und praktische Möglichkeiten im Gebiete der Reorganisation der gesamten Volkswirtschaft entdecken. Die Arbeiteropposition verteidigt den Grundsatz, dass die Verwaltung der Volkswirtschaft eine Sache der Gewerkschaften ist.
Auf diese Weise denkt sie mehr marxistisch als – die theoretisch geschulten Spitzen.
Die Arbeiteropposition ist nicht so unwissend, als dass sie die große Rolle der Technik und der technisch geschulten Leute nicht einschätzen könnte. Es fällt ihr gar nicht ein, nach der Schaffung eines eigenen Organs zur Verwaltung der Volkswirtschaft, das von einem Kongress der Werktätigen gewählt wäre, nachher alle Räte und Zentralen für Volkswirtschaft aufzulösen. Nein, sie strebt nach etwas anderem. Sie will die notwendigen, technisch wertvollen Verwaltungszentren ihrer Leitung unterordnen, sie will ihnen theoretische Aufträge geben, sie will sie so ausnützen, wie seinerzeit die Fabrikbesitzer die bezahlten Kräfte der Techniker und Spezialisten zur Verwirklichung ihrer Pläne ausgenützt haben. Die „Spezialisten“ können viel zur Hebung der Technik beitragen, sie können der Klasse das Suchen erleichtern. Sie sind ebenso notwendig, wie die Wissenschaft und ihr Aufblühen für jede aufsteigende und kämpfende Klasse notwendig und wertvoll ist. Aber die bürgerlichen Spezialisten, sogar wenn sie mit einem kommunistischen Etikett versehen sind, sind zu schwach und geistig zu beschränkt, um in einem nicht-kapitalistischen Staat zur Hebung der Produktionskräfte beitragen, neue Arbeitsmethoden und neue Antriebe zur Intensivierung der Arbeit auffinden zu können. Hier muss man der Klasse das Wort lassen; d.h. den dieses am klarsten und besten zum Ausdruck bringenden Industrieverbänden.
Als in der Übergangszeit vom Mittelalter zur Neuzeit die neu entstehende bürgerliche Klasse den wirtschaftlichen Kampf mit der ökonomisch im Niedergang begriffenen Feudalherrschaft und Agrarier (Gutsbesitzer) begann, hatte sie vor dieser letzten Klasse gar keine technischen Vorzüge. Der Aufkäufer, der erste Kapitalist kaufte seine Ware bei demselben Heimindustriellen und Handwerker, der mit Hilfe seiner Werkzeuge und primitiven Spinnräder auch für seinen Herrn, ebenso wie für den fremden Aufkäufer, mit dem er einen „freien“ Arbeitsvertrag schloss, arbeitete. Aber nachdem die Fronwirtschaft ihren Höhepunkt erreicht hatte, hörte sie auf, einen Überschuss zu geben und das Anwachsen der Produktionskräfte wurde verlangsamt. Die Menschheit hatte folgendes Problem zu lösen: Wirtschaftlicher Regress (Niedergang) oder die Auffindung neuer Arbeitsformen und folglich eines neuen Wirtschaftssystems, das die Produktion heben, ihren Rahmen erweitern und die Möglichkeit einer neuen Blütezeit finden würde.
Wer konnte neue Wege auf dem Gebiete der Reorganisation der Arbeit auffinden? Natürlich nur die Vertreter derjenigen Klasse, die durch die Routine der Vergangenheit nicht gebunden waren, die es verstanden, dass der Meißel und das Spinnrad in den Händen des Leibeigenen viel weniger produktiv waren als in den Händen des sozusagen freien, d.h. des Lohnarbeiters, der von der Not angetrieben wird.
Die aufsteigende Klasse fand diese Triebkraft der Produktivität der Arbeit und baute darauf das komplizierte und in seiner Art das großartige System der kapitalistischen Produktion auf. Die Techniker kamen den Kapitalisten viel später zu Hilfe. Die Grundlage war das neue System der Organisation der Arbeit, die neuen Wechselbeziehungen der Arbeit und des Kapitals.
Das bezieht sich auch auf die Gegenwart. Kein Spezialist oder Techniker, der durch die Routine des alten Systems der Produktion gebunden ist, kann bei der Organisation der Arbeit und dem Aufbau der kommunistischen Wirtschaft neue schöpferische Werte erzeugen. Das Wort gehört hier dem Arbeiterkollektiv. Und es ist das große Verdienst der Arbeiteropposition, dass sie diese Frage von größter Wichtigkeit direkt und durchgreifend vor die Partei stellte.
Der Genosse Lenin meint, dass wir mit Hilfe der Partei den kommunistischen, schöpferischen Aufbau im wirtschaftlichen Gebiete durchführen können. Ist dem wirklich so? Vor allem, wie betätigt sich die Partei? Nach dem Ausdruck des Genossen Lenin „nimmt sie die Avantgarde des revolutionären Proletariats in sich auf“. Dann verstreut sie sich über die wirtschaftlichen und Sowjetinstitutionen und wird tw. den Gewerkschaften zurückgegeben (die aber im Gebiete der Leitung der Volkswirtschaft und ihres Aufbaus sich nicht betätigen können). Dort aber, in der allgemeinen Atmosphäre von Routine und Bürokratismus, von denen die Apparate, die bei uns die schöpferische, wirtschaftliche Tätigkeit verwalten, durchdrungen sind, treten diese gut geschulten und ergebenen, vielleicht sehr begabten Kommunisten-Wirtschaftler in den Hintergrund und werden von der verdorbenen Atmosphäre angesteckt. Der Einfluss dieser Genossen wird geschwächt, auf ein Nichts reduziert und ihre Kraft versiegt.
Mit den Gewerkschaften steht es anders. Hier ist der Bestand der proletarischen Klasse größer, ihr Klassencharakter einheitlicher ausgesprochen und die Aufgaben, die vor dem Kollektiv stehen, sind unmittelbar mit den Lebens- und Arbeitsinteressen der Werktätigen, der Mitglieder der Betriebsräte, der Betriebs- und Gewerkschaftsverwaltungen verbunden. Der schöpferische Impuls, das Suchen nach neuen Wirtschaftsformen, nach neuen Triebkräften zur Hebung der Intensität der Arbeit kann nur in der Tiefe dieses natürlichen Klassenkollektivs entstehen. Die Avantgarde des Proletariats kann die Revolution durchführen, aber nur die ganze Klasse kann in alltäglicher praktischer Arbeit als Klassenkollektiv die wirtschaftliche Grundlage der neuen Gesellschaftsform schaffen.
Derjenige, der an die schöpferische Tätigkeit des Klassenkollektivs nicht glaubt – und dieses Kollektiv findet seinen deutlichsten Ausdruck in den Gewerkschaften – , der muss über den Aufbau der kommunistischen Wirtschaft ein Kreuz machen. Weder der Genosse Krestinski noch Preobrashenski oder selbst Lenin oder Trotzki können fehlerlos mit Hilfe des Parteiapparates diejenigen Arbeiter finden, die fähig sind, von einem neuen Standpunkte aus an die Arbeit und an ein neues Produktionssystem heranzugehen. Nur derjenige, der selbst produziert und Werte schafft und zu gleicher Zeit die Produktion organisiert, kann das an Hand der praktischen Lebenserfahrungen finden.
Aber unsere Spitzen ziehen eben das, was für jeden Arbeiter so einfach und so klar ist, nämlich die Praxis und die gegebene Lage der Dinge, nicht in Betracht. Der Kommunismus kann nicht durch Dekrete geschaffen werden. Nur die Arbeiterklasse selbst kann ihn schaffen nach ernstem Suchen und manchem Irren.
In leidenschaftlichen Diskussionen zwischen den Spitzen unserer Partei und der Arbeiteropposition wird diese strittige Frage besprochen: Wem vertraut unsere Partei den Aufbau der kommunistischen Wirtschaft an, dem „Obersten Volkswirtschaftsrat“ mit allen seinen bürokratischen Verzweigungen oder den Gewerkschaften? Der Genosse Trotzki will den „Obersten Volkswirtschaftsrat“ so mit den Gewerkschaften „zusammenwachsen“ lassen, dass die letzteren von ersterem aufgesogen werden. Die Genossen Sinowjew und Lenin wollen die Massen in den Gewerkschaften auf so eine Weise im kommunistischen Geiste „erziehen“, um die Gewerkschaften in den vorgenannten Sowjetorganen schmerzlos aufzulösen. Bucharin und alle anderen Verfasser von Thesen sagen im Grunde genommen immer dasselbe, nur die Formulierung ist eine andere. Das Wesen ist dasselbe. Die Arbeiteropposition allein sagt etwas anderes. Sie verteidigt die Klasseninteressen des Proletariats innerhalb des schöpferischen Prozesses der Verwirklichung dieser Aufgaben.
Das leitende Wirtschaftsorgan in der Republik der Werktätigen muss in der gegenwärtigen Übergangsperiode ein Organ aus den Werte schaffenden Arbeitern, von ihnen gewählt, sein. Alle anderen Sowjetapparate zur Verwaltung der Wirtschaft und der Produktion müssen nur ausführende Organe der Wirtschaftspolitik dieses fundamentalen Wirtschaftsapparates der Arbeiterrepublik sein. Alles andere bedeutet nur Stillstand in der Bewegung, der einen Mangel an Vertrauen in die schöpferische Kraft der Arbeiter ausdrückt, ein Misstrauen, das unserer Partei unwürdig ist, die ja gerade dank des unerschöpflichen revolutionären Geistes des Proletariats die Macht errungen hat.
Es wird durchaus nicht erstaunlich sein, wenn auf dem Parteitag die Autoren der verschiedenen Wirtschaftsprogramme mit Ausnahme der Arbeiteropposition durch Konzessionen und Kompromisse zusammenkommen werden. Ihr Streit dreht sich nicht um wesentliche Unterschiede. Die Arbeiteropposition allein kann und darf nicht nachgeben. Das bedeutet nicht, zur „Spaltung“ aufrufen. Nein, sie hat eine andere Aufgabe. Sie muss sogar in dem Falle, wenn sie auf dem Parteitage eine Niederlage erleidet, in der Partei bleiben, Schritt für Schritt ihren Standpunkt verteidigen und auf diese Weise die Linie der Partei richtigstellen und die Partei retten.
Wir wiederholen noch einmal kurz die Forderungen der Arbeiteropposition:
- Schaffung eines Organs zur Volkswirtschaftsverwaltung aus den produzierenden Arbeitern selbst.
- Zu diesem Zwecke, d.h. zwecks Übergang der Gewerkschaften von passiver Mitarbeit an den Organen der Volkswirtschaft zur aktiven Teilnahme, zur Äußerung der schöpferischen Initiative der Arbeiter in ihnen, trifft die Arbeiteropposition eine Reihe vorläufiger Maßnahmen und bestimmt die Reihenfolge und Ordnung des Übergangs zu dieser Aufgabe.
- Die Verwaltung eines Produktionszweiges geht nur dann in die Hände einer Gewerkschaft über, wenn der Allrussische Gewerkschaftsbund sie als genügend vorbereitet befindet.
- Ohne die Zustimmung der Gewerkschaft kann kein administrativ-wirtschaftlicher Posten besetzt werden. Alle Gewerkschaftskandidaten müssen notwendigerweise eingesetzt werden. Alle von den Gewerkschaften eingestellten Beamten sind vor denselben verantwortlich und können nur von ihnen abberufen werden.
- Um diesen Plan zu verwirklichen, ist es nötig, die unteren Gewerkschaftszellen zu befestigen und die Betriebsräte zur Leitung der Wirtschaft vorzubereiten.
- Durch die Konzentration der gesamten Wirtschaftsverwaltung der Republik in einer Hand (ohne die jetzt bestehende Zweiheit des „Obersten Volkswirtschaftsrates“ und des Allrussischen Gewerkschaftsbundes) wird ein einheitlicher Wille geschaffen, der die Durchführung eines einheitlichen Plans zur Schaffung eines kommunistischen Systems erleichtert.
Ist denn dies Syndikalismus? Ist es nicht umgekehrt dasselbe, was in unserem Parteiprogramm steht? Und weichen nicht vielmehr die Thesen der anderen Genossen von ihm ab?
Vom Bürokratismus und der Selbsttätigkeit der Massen
Bürokratismus oder Selbsttätigkeit der Massen? Das ist der zweite Punkt, in dem die Parteispitzen mit der Arbeiteropposition auseinandergehen. Die Frage des Bürokratismus wurde auf dem 8. Rätekongress wohl aufgerollt, aber nur sehr oberflächlich behandelt. Hier, genau wie in der Frage der Gewerkschaften, schlägt die Diskussion einen falschen Weg ein. Der Streit hat in diesem Punkte eine tiefere Bedeutung, als es scheint. Sein Sinn ist folgender: Welches Verwaltungssystem des Arbeiterstaates sichert der Klasse im Augenblick der Schaffung der wirtschaftlichen Basis des Kommunismus für ihre schöpferische Tätigkeit einen größeren Spielraum: das System der bürokratischen Staatsorgane oder das System der umfassenden praktischen Selbsttätigkeit der Arbeitermasse? Die Frage des Verwaltungssystems ist eine Frage von zwei Prinzipien, die einander ausschließen: Bürokratismus oder Selbsttätigkeit? Und diese Frage will man in den Rahmen des Streits über die Methoden einer „Belebung des Sowjetapparates“ einzwängen. Ebenso wie in der Diskussion über die Rolle der Gewerkschaften wird ein Gegenstand des Streits durch den anderen ersetzt.
Es muss klar und deutlich gesagt werden, dass durch halbe Maßregeln eine Reform der Wechselbeziehungen zwischen den Zentren und den örtlichen Stellen der Verwaltung und durch andere ebenso unmaßgebliche Neuerungen, wie z.B. die Neuverteilung der verantwortlichen Arbeiter oder die Einsetzung von Parteimitgliedern in die Sowjetapparate, wo sie ungewollt den Einflüssen des verbürokratisierten Systems unterworfen sind und mit der Masse der ihnen geistig fremden bürgerlichen Spezialisten verschmelzen, nichts erreicht werden kann. Die Sowjetapparate können auf diese Weise nicht „demokratisiert“ und belebt werden.
Nicht darauf kommt es an. Jedes Kind in Sowjetrussland weiß, dass eine ganz bestimmte Aufgabe vor uns steht, nämlich die Heranziehung der breiten Arbeiter- und Bauernmassen und der übrigen Werktätigen zum Aufbau der Wirtschaft und des Lebens des Staates der Werktätigen. Mit anderen Worten, es muss die Initiative, die Selbsttätigkeit der Massen geweckt werden. Aber was wird getan, um die Selbsttätigkeit zu erleichtern und zu beleben? Gar nichts, vielmehr das Gegenteil! Es ist wahr, auf jeder Versammlung rufen wir die Arbeiter und Arbeiterinnen auf: „Schafft ein neues Leben, baut es auf, helft der Sowjetmacht!“ Aber sobald die Massen oder eine Gruppe von Arbeitern und Arbeiterinnen sich diesen Zuruf zu Herzen nehmen und in der Praxis zu verwirklichen versuchen, mengt sich sofort irgendein bürokratisches Organ, das sich umgangen fühlt, ein, den allzu kühnen Initiatoren Einhalt zu gebieten. Jeder Genosse wird wohl ein Dutzend Beispiele anführen können: wie es z.B. den Arbeitern einfiel, eine Volksküche, eine Krippe oder Holzzufuhr u.a. selbst zu organisieren und wie jedes Mal das lebendige Interesse an der Sache erstickt wurde durch ein endloses Hinziehen mit Papierschreiben, abschlägigen Bescheiden, neuen Gesuchen usw.; und da, wo es auch gelungen wäre, ein Speisehaus aus eigenen Kräften in Gang zu setzen, eine Krippe zu organisieren oder Brennmaterial herbeizuschaffen, da kam eine Absage, weil den Zentralapparaten das Nötige fehlte, um eine Volksküche einzurichten, weil er keine Pferde zur Verfügung hatte, das Holz zu transportieren oder keine Räumlichkeiten für die Krippe da waren … Und welche Bitterkeit müssen in diesem Falle die Arbeiter und Arbeiterinnen empfinden, die wissen, dass – wenn man ihnen nur das Recht und die Möglichkeit gegeben hätte, selbstständig zu arbeiten – sie alles hätten zuwege bringen können. Es ist so kränkend, wenn diejenigen Materialien verweigert werden, die sie selbst schon gefunden und sich gesichert hatten.
Die Initiative wird verringert, der Wunsch zu handeln, erstirbt. „Wenn es so ist, sollen die Beamten selbst für uns sorgen.“ Auf diese Weise entsteht eine sehr schädliche Trennung: wir, d.h. die Werktätigen, und sie, d.h. die Sowjetbeamten, von denen alles abhängt. Hier steckt die Wurzel des Übels.
Was tun nun aber die Spitzen unserer Partei? Versuchen sie die Wurzel des Übels zu finden und offen anzuerkennen, dass das System selbst, das wir vermittels der Räte verwirklicht hatten, nicht nur nicht die Selbständigkeit der Massen unterstützt, sondern sie sogar lahmlegt und erstickt? Nein, unsere Spitzen tun das nicht. Umgekehrt. Statt nach einer Möglichkeit zu suchen, die Initiative der Massen anzuspornen, die mit Hilfe unserer anpassungsfähigen Sowjetorgane unter gewissen Bedingungen sehr gut eingegliedert werden können, werden unsere Spitzen plötzlich zu Verteidigern und Führern des Bürokratismus. Wie viele Genossen wiederholen die Worte Trotzkis: „Wir leiden nicht darunter, dass wir uns die schlechten Seiten des Bürokratismus angeeignet, sondern darum, weil wir seine guten Eigenschaften nicht angenommen haben.“ (Trotzki: „Vom einheitlichen Wirtschaftsplan“) Der Bürokratismus ist direkt eine Verneinung der Selbsttätigkeit der Massen. Daher kann derjenige, der als Grundprinzip des Regierungssystems der Arbeiterrepublik das Prinzip der Heranziehung der Massen zur Verwaltung mit Hilfe einer Unterstützung ihrer Selbsttätigkeit anerkennt, im Bürokratismus weder gute noch schlechte Seiten sehen, sondern muss dies untaugliche System einfach und definitiv verwerfen. Der Bürokratismus ist nicht eine Erscheinung, die unsere Armut hervorgerufen hat, wie Genosse Sinowjew behauptet, und nicht eine Widerspiegelung der blinden „Unterordnung“, die auf das militärische Gewaltsystem zurückzuführen ist, wie andere sagen. Die Ursache liegt tiefer. Diese Erscheinung stammt aus derselben Quelle, die unsere schwankende Gewerkschaftspolitik erzeugt: aus dem auf unsere Sowjetorgane ausgeübten wachsenden Einfluss der sozialen Gruppen der Bevölkerung, die ihrem Geiste nach nicht nur dem Kommunismus, sondern auch den elementaren proletarischen Aufgaben und Strömungen fremd sind. Der Bürokratismus ist eine Geißel, die bis in die Tiefe unserer Partei durchgedrungen ist und die Sowjetorgane vollkommen zerfrisst. Nicht nur die Arbeiteropposition weist darauf hin, auch viele nachdenkende Genossen, die außerhalb dieser Gruppe stehen, erkennen das an.
Nicht nur die Initiative der unparteiischen Massen ist eingeschränkt worden (das wäre noch verständlich und eine logische Folge der gespannten Verhältnisse während des Bürgerkrieges), sondern auch die Initiative der Parteimitglieder ist bis aufs äußerste begrenzt. Jede selbsttätige Initiative, jeder neue Gedanke, der nicht durch die Zensur der leitenden Parteizentrale durchgegangen ist, wird als eine „Ketzerei“ betrachtet, als ein Verstoß gegen die Parteidisziplin, als ein Versuch, in die Rechte der Zentrale, die alles „im voraus sehen“ und alles „vorschreiben“ muss, einzugreifen. Und wenn sie nicht vorgeschrieben hat, so muss man eben warten.
Die Zeit wird kommen und die Zentrale wird Muße finden, etwas vorzuschreiben und dann kann man im streng vorgeschriebenen Rahmen seine „Initiative“ zeigen …
Was würde z.B. geschehen, wenn die Mitglieder der R.K.P., die Singvögel lieben, eine Gesellschaft zum Schutze der Singvögel gründeten? Es scheint doch, als wäre es ein ganz nützliches und angenehmes Unternehmen, das auf jeden Fall den „Plänen des Staats“ nicht schaden würde. Aber es scheint nur so. Sofort würde irgendwelches bürokratische Organ seinen Einspruch erheben und auf seinem Recht bestehen, die ganze Sache zu organisieren. Es würde die Gesellschaft in den Sowjetapparat eingliedern und auf diese Weise jede unmittelbare Initiative töten. Statt dessen aber würde es eine Menge von Rundschreiben, Instruktionen usw. veröffentlichen, mit denen noch ein paar hundert Beamte vollauf zu tun hätten und die die Post und das Transportwesen noch mehr überlasten würden.
Das Wesen des Bürokratismus, seine Schädlichkeit, besteht nicht nur in der bürokratischen Verschleppung, wie uns diejenigen Genossen, die den ganzen Streit in das Gebiet der „Belebung des Sowjetapparates“ verlegen, überzeugen wollen, sondern in der Entscheidung aller Fragen, nicht mit Hilfe eines Meinungsaustausches und einer lebendigen, unmittelbaren Initiative der Interessenten, aber auf dem Wege einer formalen Entscheidung der Frage „von oben“, von einer Person, oder von sehr begrenzten Kollegien, in denen die Interessenten meist gar nicht anwesend sind. Irgendeine dritte Person entscheidet Euer Schicksal – das ist das Wesen des Bürokratismus.
Der Bürokratismus ist angesichts der wachsenden Leiden der Arbeiterklasse, die aus dem Chaos der Übergangszeit entstanden sind, besonders kraft- und hilflos. Das Wunder der Begeisterung in der Hebung der Produktionskräfte und in der Verbesserung der Lebensbedingungen der Arbeiter kann nur die lebendige Initiative der sich dafür einsetzenden Arbeitermasse vollbringen, die nicht auf jeden Schritt durch eine Hierarchie von „Erlaubnissen und Vorschriften“ enttäuscht wird. Die Marxisten, im besonderen die Bolschewiki, waren eben darum stark, weil sie nicht die unmittelbaren, nächstliegenden Erfolge in der Bewegung erstrebten (diese Linie verfolgten die Opportunisten und Arbeitsgemeinschaftler), sie strebten danach, solche Bedingungen für das Proletariat zu schaffen, die es ermöglichen würden, seinen Willen zur Revolution zu stählen und seine schöpferischen Fähigkeiten zu entwickeln. Wir bedürfen der Initiative der Arbeiter, aber wir geben ihr keine freien Entwicklungsmöglichkeiten.
Die Angst vor der Kritik und der Freiheit des Denkens, die mit dem bürokratischen System verflochten ist, wird manchmal zur Karikatur. Aber welche Selbsttätigkeit kann denn ohne Meinungs- und Gedankenfreiheit bestehen?! Die Selbsttätigkeit äußert sich ja nicht nur in einer bestimmten Initiative, in der Arbeit und in der Handlungsweise, sondern weit mehr in der selbständigen Gedankenarbeit. Wir fürchten die Selbsttätigkeit der Massen. Wir haben Angst, der Masse freien Spielraum für ihren Schöpfungsgeist zu geben. Wir fürchten die Kritik. Wir haben kein Zutrauen mehr zu den Massen. Da nämlich liegt der Ursprung zu unserem Bürokratismus. Und daher meint die Arbeiteropposition, dass der Bürokratismus unser Feind, unsere Geißel ist und auch die größte Gefahr für die Lebensfähigkeit unserer Kommunistischen Partei darstellt.
Um den Bürokratismus, der sich in unseren Sowjetinstitutionen eingenistet hat, zu vernichten, muss vor allem der Bürokratismus innerhalb der Partei selbst überwunden werden. Hier besteht nämlich der Kampf mit dem „System“. Sobald die Partei die Selbsttätigkeit der Massen als Grundlage unserer Verwaltung nicht nur theoretisch, nicht nur mit Worten, sondern auch praktisch anerkennen wird, werden sich die Sowjetapparate von selber durch die Logik des Geschehens in lebendige Organe verwandeln, die die revolutionären kommunistischen Aufgaben verwirklichen und nicht nur bloß Apparate für die Statistik oder Archive für Dokumente oder Laboratorien totgeborener Instruktionen, zu denen sie sich mehr und mehr gestalten, darstellen.
Was muss man nun tun, um diesen Bürokratismus in der Partei zu vernichten, um die Arbeiter-„Demokratie“ in der Partei zu verwirklichen? Vor allem muss man verstehen, dass unsere Spitzen unrecht haben, wenn sie sagen: Solange an den Fronten keine besondere Gefahr droht, sind wir jetzt damit einverstanden, die „Zügel der Partei weniger straff zu spannen“, aber sobald wir Gefahr wittern, werden wir zum „militärischen System“ in der Partei zurückkehren. Sie haben auch unrecht, weil sie vergessen, wessen Heldenmut Petrograd gerettet und viele Male Lugansk u.a. Städte verteidigt hat. War es die Rote Armee allein? Nein, die heroische Selbsttätigkeit und Initiative der breiten Arbeitermasse. Jeder Genosse wird sich daran erinnern, dass gerade im Augenblick drohender Gefahr die Partei sich immer an die Selbsttätigkeit der Massen wendet, denn sie sieht darin ihre Rettung. Es ist wahr, im Augenblick der Gefahr ist es notwendig, die Klassen- und Parteidisziplin zu verstärken und größeren Gehorsam, Genauigkeit und Aufopferung zu verlangen. Aber zwischen diesen Äußerungen des Klassengeistes und dem „blinden Gehorsam“, nach dem die Partei in letzter Zeit strebt, besteht ein großer Unterschied.
Die Arbeiteropposition zusammen mit einer Gruppe verantwortlicher Funktionäre von Moskau verlangt im Namen der Gesundung der Partei die Vernichtung des schädlichen Bürokratismus innerhalb der Partei – die Durchführung demokratischer Prinzipien nicht nur in einer Atempause, sondern auch im Falle einer Verschärfung der inneren und äußeren Lage. Das ist die erste und Grundbedingung einer Gesundung der Partei, einer Rückkehr zu den Grundsätzen ihres eigenen Programms, von dem sie unter dem Druck ihr fremder Elemente in der Praxis immer mehr abweicht. Die zweite Bedingung, für die die Arbeiteropposition mit größter Entschiedenheit eintritt, ist die Reinigung der Partei von den nicht proletarischen Elementen. Je mehr sich die Sowjetmacht befestigt, eine desto größere Anzahl fremder, karrieristischer, kleinbürgerlicher und manchmal direkt feindlicher Elemente schließen sich der Partei an. Es muss eine sehr gründliche Reinigung vorgenommen werden. Dabei muss man von dem Standpunkte ausgehen, dass die revolutionärsten Elemente, die nicht aus dem Arbeitermilieu stammen, sich der Partei während der ersten Periode der Oktoberrevolution angeschlossen haben. Die Partei muss zu einer Partei der Arbeiter werden. Nur dann kann sie den inneren und äußeren Angriffen der kleinbürgerlichen Elemente, der Bauernschaft und der gewohnheitsmäßigen Diener des Kapitals, der Spezialisten, widerstehen. Die Arbeiteropposition schlägt vor, alle Nichtarbeiter, die sich der Partei nach der Oktoberrevolution angeschlossen haben, von neuem zu registrieren, und alle Nichtarbeiter, die sich nach 1919 angeschlossen haben, auszuschließen, ihnen aber dabei das Recht zuzugestehen, während einer dreimonatigen Frist um Wiederaufnahme ansuchen zu können. Zugleich muss sie aber von allen Nichtarbeitern, die sich der Partei anschließen und wieder eintreten wollen, verlangen, dass sie während eines bestimmten Zeitraums unter den gleichen Arbeits- und Lebensbedingungen, wie die Arbeiter, physische Arbeit leisten.
Der dritte entscheidende Schritt zur Demokratisierung der Partei ist folgender: die Mehrheit in den Zentralorganen muss den Arbeitern gehören. Mit anderen Worten, die Gouvernements-, Bezirks- und Zentralkomitees der Partei müssen so zusammengesetzt sein, dass die Arbeiter, die unmittelbar mit den Massen verbunden sind, in ihnen die Oberhand haben.
Eng verbunden mit diesen Punkten der Forderungen der Arbeiteropposition steht der Punkt über die Verwendung all unserer Parteizentren, angefangen von der Zentrale bis zu den Bezirkskomitees, von Organen, die in die Kleinigkeiten der alltäglichen Sowjetarbeit, in jeden Stellungswechsel und alle Ernennungen des Personals eingreifen, zu Kontrollorganen über die Politik der Sowjetapparate.
Wir haben schon darauf hingewiesen, dass die Krise unserer Partei durch das sich Kreuzen von Tendenzen drei sozial verschiedenartiger Gruppen erzeugt wird: von der Arbeiterklasse, der Bauernschaft und dem Mittelstand und drittens vom Rest der früheren Bourgeoisie, der Spezialisten, der Techniker und Geschäftsleute.
Die allgemeinen staatlichen Aufgaben erfordern es, dass sich die örtlichen sowie die Zentralsowjetorgane, die Kommissariate und sogar der Rat der Volkskommissare und das Allrussische Zentrale-Exekutivkomitee diesen drei verschiedenen Bevölkerungsgruppen der Arbeiterrepublik anpassen müssen. Deshalb geht die Festigkeit und die Reinheit der Klassenlinie, deren Träger im Interesse der Revolution die Partei bleiben muss, verloren. „Staatliche Erwägungen von mehr allgemeinem Charakter“ fingen an, die Interessen der Arbeiterklasse zu verdrängen.
Um die Zentrale und die Parteikomitees dazu zu bringen, für die Reinheit unserer Klassenpolitik einzustehen und um unsere Sowjetorgane, sobald ihre Politik vom Programm abweicht (wie z.B. in der Frage der Gewerkschaften), zur Ordnung zu rufen, ist es notwendig, die Zahl der leitenden Funktionäre, die gleichzeitig in den Sowjet- und Parteiorganen Ämter bekleiden, auf das größtmögliche Minimum zu beschränken. Man darf nicht vergessen: Sowjetrussland ist, was seine wirtschaftlichen Interessen anbetrifft, keine einförmige, sondern sozial verschiedenartige Masse; die Staatsmacht ist gezwungen, oft widersprechende Interessen in Einklang zu bringen, einen Mittelweg zu wählen, zu balancieren.
Um unsere Parteizentrale zum höchsten ideellen Zentrum der Klassenpolitik zu gestalten, zu einem Organ des Denkens und der Kontrolle der praktischen Politik der Sowjets, der geistigen Verkörperung der Grundlagen unseres Programms, ist es notwendig, diejenigen Fälle auf ein Minimum zu reduzieren, in denen Mitglieder der Parteizentrale auf hohem Posten in sich noch andere Posten in der Sowjetmacht vereinigen.
Die Arbeiteropposition schlägt zwecks Schaffung derartiger Parteizentren, die wirklich ideelle Kontrollorgane für die Sowjetbehörden wären, sie im disziplinierten Klassengeiste leiten und auch zur Verstärkung der inneren Parteiarbeit beitragen würden, vor, überall folgende Maßnahmen durchzuführen: mindestens ein Drittel aller Mitglieder der Parteizentren darf nicht zu gleicher Zeit in der Partei und in den Sowjets arbeiten.
Die vierte grundlegende Forderung der Arbeiteropposition ist die Rückkehr unserer Partei zum Prinzip des Wahlsystems. Die Ernennung bestimmter Personen darf nur als Ausnahme zugelassen werden; bei uns ist sie aber zur „Regel“ geworden. Das System der Ernennung, dies für den Bürokratismus charakteristische Merkmal, ist zu einer allgemein anerkannten, gesetzlichen Erscheinung geworden. Es löst in der Partei eine ungesunde Atmosphäre aus, da es das Verhältnis der Gleichheit und Brüderlichkeit erstickt; es nährt den Karrierismus und gibt der Protektion, den „guten Beziehungen“ u.a. schädlichen Erscheinungen unserer Partei- und Sowjetpraxis Raum und Boden. Das Prinzip der Ernennung stumpft das Verantwortungsgefühl vor den Massen in derjenigen Person ab, die von „oben“ eingesetzt wird; es vertieft die Kluft zwischen oben und unten. Der von oben Ernannte kann faktisch nicht von oben kontrolliert werden, denn die Spitzen sind nicht imstande, seine Tätigkeit zu verfolgen und auf der anderen Seite haben die unteren Schichten nicht die Möglichkeit, den Betreffenden zur Ordnung zu rufen oder abzusetzen. Um die von oben ernannten Personen entsteht gewöhnlich eine Atmosphäre von Kronbeamtentum, Unterwürfigkeit und Einschmeichelei, die die Mitarbeiter ansteckt und die Partei diskreditiert.
Das System der Ernennung ist die volle Verneinung der Kollegialität in der Arbeit und erzeugt geradezu Verantwortungslosigkeit. Es muss überall auf der ganzen Parteilinie durch das Wahlprinzip ersetzt werden. „Bevollmächtigt“ können nur die Genossen sein, die vom Parteitag, dem Kongress der Sowjets oder von der Konferenz in die leitenden Zentren gewählt worden sind (so z.B. die Mitglieder der Zentrale, der Gouvernements- oder Bezirkskomitees). Endlich ist eine notwendige Bedingung zur Gesundung der Partei und Überwindung des Bürokratismus innerhalb derselben, die Wiederkehr derjenigen Verhältnisse, bei denen alle Hauptfragen des Parteilebens und der Sowjetpolitik von den unteren Schichten besprochen und dann erst von den Spitzen summiert werden. So war es in den Zeiten der Illegalität der Partei und so war es sogar im Moment des Brest-Litowsker Friedens, aber jetzt stehen die Dinge anders. Trotz der vielen Versprechungen, die die September-Parteikonferenz (1920) angenommen hatte, ist eine so ernste Frage, wie die der „Konzessionen“, ganz unerwartet über die Massen hereingeschneit gekommen. Und nur wegen der Verschärfung der Fragen über die Aufgaben der Gewerkschaften – innerhalb der Spitzenkreise selbst – wurde dieser Punkt in die Arena der Diskussion hinein getragen. Entscheidende Schritte zur Vernichtung des bürokratischen Systems sind: die weiteste Öffentlichkeit, die Meinungs- und Diskussionsfreiheit, das Recht der Kritik innerhalb der Partei und den Gewerkschaften. Dies alles, Freiheit der Kritik, Sicherstellung von Parteirichtungen, Recht der freien Betätigung und Diskussion in den Versammlungen usw. sind heute schon nicht mehr Forderungen der Arbeiteropposition allein. Unter dem wachsenden Druck der Massen sind eine ganze Reihe von Maßnahmen, die die unteren Schichten bis zur Septemberkonferenz nur erst forderten, jetzt offiziell anerkannte Wahrheiten geworden. Jeder, der die zum bevorstehenden Parteitag ausgearbeitete Plattform des Moskauer Parteikomitees über den „Parteiaufbau“ liest, wird sagen: die Opposition kann auf ihren wachsenden Einfluss stolz sein. Wenn sie nicht gewesen wäre, hätte man eine solche Schwenkung „nach links“ seitens des Moskauer Komitees nicht erwarten können. Und doch darf man diese Schwenkung „nach links“, solange sie nur eine Erklärung zum Parteitag darstellt, nicht überschätzen.
Denn auch mit diesem Programm kann dasselbe passieren, was mit den Beschlüssen der Spitzen in den letzten Jahren nicht nur einmal passiert ist. Unter dem unmittelbaren Druck der unteren Schichten nehmen diese auf den Parteitagen und Konferenzen die radikalsten Resolutionen an, aber der Parteitag geht vorüber, das alltägliche Leben tritt in seine alten Spuren und die Beschlüsse bleiben gute Vorsätze.
War es nicht mit den Beschlüssen des 8. Parteitages über die Reinigung der Partei von den „eingeschlichenen“ Elementen und über die größere Strenge bei der Aufnahme von Nichtarbeitern in die Partei genau so? Und was ist aus der Resolution der Parteikonferenz im Jahre 1920 über den Wechsel des Systems der Ernennung durch Empfehlungen geworden? Trotz mehrmaliger Resolutionen zu dieser Frage sind die Ungleichheiten innerhalb der Partei nicht beseitigt worden. Und was die Verfolgungen derjenigen Genossen anbetrifft, die eine „besondere Meinung“, die mit den Vorschriften von oben nicht übereinstimmt, haben, so haben dieselben in der Praxis auch nicht aufgehört. Solcher Beispiele kann man viele aufzählen. Aber wenn diese Beschlüsse nicht durchgeführt werden, ist es notwendig, die Hauptursachen, die ihrer Verwirklichung im Wege stehen, zu beseitigen, d.h. diejenigen müssen von der Partei entfernt werden, denen die Öffentlichkeit, die strenge Verantwortlichkeit vor den unteren Schichten und die Freiheit der Kritik unvorteilhaft erscheinen. Und unvorteilhaft ist es für die nicht werktätigen Elemente oder diejenigen Arbeiter innerhalb der Partei, deren Psychologie unter dem Einfluss dieser Elemente bürgerlich geworden ist. Es genügt nicht allein, die Partei mit Hilfe einer neuen Regierung, einer Verschärfung der Kontrolle bei der Aufnahme von Mitgliedern, usw. von den nicht proletarischen Elementen zu reinigen. Man muss auch den Arbeitern den breiten Eingang in die Partei erleichtern. Man muss in ihr eine mehr kameradschaftliche Atmosphäre schaffen, damit der Arbeiter sich in ihr zu Hause fühlt. Er muss in dem verantwortlichen Funktionär nicht seinen Vorgesetzten sehen, sondern seinen mehr erfahrenen Genossen, der bereit ist, ihm mit seinen Kenntnissen und Erfahrungen zu dienen und sich für seine Nöte und Strömungen zu interessieren. Wie viele Genossen, besonders wie viele junge Arbeiter stoßen wir von der Partei dadurch ab, dass wir uns ihnen gegenüber ungeduldig zeigen und zu viel von ihnen verlangen, anstatt sie zum tiefen Nachdenken anzuleiten und allmählich im Geiste des Kommunismus zu erziehen. In unserer Partei herrscht außer dem Geiste des Bürokratismus noch ein Kronbeamtentum und ein allen gegenüber zum Ausdruck kommendes offizielles (formelles) Verhalten. Kameradschaftlichkeit besteht nur noch in den unteren Reihen. Es ist die Aufgabe des Parteitags, auch diese ungünstigen Tatsachen in Betracht zu ziehen und zu verstehen, weshalb die Arbeiteropposition eine größere Gleichheit, eine Vernichtung der Privilegien in der Partei und eine größere Verantwortung eines jeden Funktionärs vor den unteren Schichten, die ihn gewählt und delegiert haben, fordert. So führt die Arbeiteropposition in ihrem Kampf für die Befestigung des Demokratismus innerhalb der Partei und für die Abtötung des Bürokratismus folgende drei Grundlinien durch:
- ein von oben bis unten durchgeführtes Wahlprinzip, die Aufhebung des Prinzips der „Ernennung“ und „Bevollmächtigung“ unter der verstärkten Verantwortlichkeit vor den breiten Massen;
- Öffentlichkeit innerhalb der Partei (sowohl bei der Entscheidung allgemeiner Fragen wie auch bei der Feststellung persönlicher Eigenschaften), größere Aufmerksamkeit den Stimmen der Masse gegenüber (breite Diskussion aller Fragen in den unteren Schichten der Arbeiterschaft und nachher erst die Zusammenfassung der Meinung der breiten Schichten durch die Spitzen; das Recht der Anwesenheit eines jeden Parteimitglieds auf den Sitzungen der Parteizentren, mit Ausnahme bei besonders wichtigen Angelegenheiten ); Sicherstellung der Freiheit der Kritik und Meinung (nicht nur das Recht auf eine freie Diskussion, sondern auch das Recht auf eine materielle Unterstützung zwecks Herausgabe von Literatur innerparteilicher Strömungen);
- Verproletarisierung der ganzen Partei und bis auf ein Minimum beschränkte Einstellung von solchen Personen, die gleichzeitig Partei- und Sowjetfunktionen ausüben.
Diese letzte Forderung ist besonders wichtig und wesentlich, denn man darf nicht vergessen, dass unsere Partei nicht nur den Kommunismus schon aufbauen soll, sondern auch verpflichtet ist, die Massen zu einer vielleicht langen Kampfperiode mit dem internationalen Kapital vorzubereiten und zu erziehen, zu einem Kampf, der ganz unerwartete und neue Formen annehmen kann. Es wäre zu naiv, sich einzubilden, dass, wenn wir einmal den Überfall der Weißgardisten und des Imperialismus auf den roten Kriegsfronten zurückgeschlagen haben, wir den Angriff des internationalen Kapitals und seiner Bestrebungen, sich Sowjetrusslands auf andere Weise zu bemächtigen, in unser Leben einzudringen und die Republik der Arbeiter im Interesse des Kapitals auszunützen, nicht zu befürchten brauchten! Hier heißt es gerade auf der Hut sein! Es ist die Aufgabe der Partei, dem Feind in voller Rüstung zu begegnen und die proletarischen Kräfte auf die wirklichen Klassenaufgaben zu konzentrieren (andere Bevölkerungsgruppen werden dem Kapitalismus die Hände entgegenstrecken). Es ist die Pflicht unserer leitenden Parteispitzen, sich für dieses neue Kapitel unserer Revolutionsgeschichte vorzubereiten.
Die beste Lösung dieser Fragen wäre, wenn es uns gelänge, auf der ganzen Linie die Partei nicht nur mit den Sowjetorganen, sondern auch mit den Gewerkschaften eng zu verbinden.
Ihr droht in diesem Fall das Prinzip der gleichzeitigen Ausübung einer Gewerkschafts- und Parteifunktion nicht mit Abweichung ihrer Politik von der reinen Parteilinie, sondern umgekehrt, es verleiht ihr in der jetzt kommenden Epoche Klassenstandhaftigkeit gegenüber den Einflüssen des Weltkapitalismus, der Handelsverträge und „Konzessionen“. Das Zentralkomitee proletarisieren, das heißt, eine solche Parteizentrale schaffen, in der ihre eng mit der Masse verschmolzenen Vertreter aus den unteren Schichten nicht die Rolle eines „Paradegenerals“ auf einer kaufmännischen Hochzeit spielen werden, sondern in Wirklichkeit – ein unlösbares Bündnis mit den breiten, parteilosen Arbeitermassen der Gewerkschaften unterhaltend – die Losungen des Augenblicks, die Nöte und „Strömungen“ ihrer Klasse verstehen und zusammenfassen werden und die Parteipolitik auf ihre Klassenlinie führen können. Das ist die Linie der Arbeiteropposition. Dies ist ihre historische Aufgabe. Und unsere Parteispitzen mögen sie verächtlich mit einer Handbewegung abtun, die Arbeiteropposition ist die einzige lebendige und aktive Kraft, mit der diese rechnen sollen und zu rechnen haben werden.
Die historische Notwendigkeit der Opposition
Jetzt bleibt uns noch zu beantworten, ob die Opposition notwendig ist.
Ist es notwendig, ihre Entstehung im Interesse der Weltbefreiung des Proletariats vom Joch des Kapitalismus zu begrüßen oder ist sie eine unerwünschte Erscheinung, die die Kampfenergie der Partei vermindert und ihre Reihen zersetzt? Jeder Genosse, der gegen die Opposition nicht voreingenommen ist, mit klarem Kopf und offener Analyse an diese Frage herangeht und sie nicht durch den Hinweis der anerkannten Autoritäten begreifen will, wird sich an Hand der hier niedergelegten, kurzen Ausführungen davon überzeugen können, dass die Opposition notwendig und nützlich ist.
Sie ist vor allem deswegen nützlich, weil sie den Schlaf der Gedanken gestört hat. Während dieser Jahre der Revolution waren wir mit Arbeiten praktischer Natur so überlastet, dass wir ganz aufhörten, unsere Schritte vom prinzipiell-theoretischen Standpunkte zu bewerten. Wir vergaßen, dass das Proletariat nicht nur in der Periode des Kampfes um die Eroberung der Macht große Fehler begehen und in den Sumpf des Opportunismus, der Anpassungstaktik, abweichen kann, sondern auch in der Epoche der Diktatur des Proletariats, wenn rund herum die Wellen des Imperialismus brausen und die Sowjetrepublik in der kapitalistischen Umgebung zu handeln gezwungen ist, diese Fehler besonders möglich sind. Hier muss man nicht nur weiser „Staatspolitiker“ sein, sondern auch die Partei – und folglich die ganze Arbeiterklasse – auf der Linie der Klassenunversöhnlichkeit und des Klassenschöpfungsgeistes führen und sie zu langen, sich in neuen Formen der Offensive des bürgerlichen Einflusses seitens des Weltkapitalismus äußernden Kämpfen gegen die Sowjetrepublik ständig vorbereiten. „Bereit und klassenbewusst sein!“ muss heute mehr denn je die Losung unserer Partei werden.
Die Arbeiteropposition hat diese Fragen auf die Tagesordnung gestellt; hierin liegt ihr historisches Verdienst. Die Gedanken beginnen sich zu regen. Man beginnt das, was bislang getan worden ist, zu analysieren und daran Kritik zu üben. Und wo Kritik und Analyse ist, wo die Gedanken arbeiten, sich bewegen und zu verstehen suchen, dort ist Schöpfung, Leben und Vorwärtstreiben in die Zukunft! Es gibt nichts Schrecklicheres und Schädlicheres als Stillstand der Gedanken, als Schablonen der Routine.
Und wir haben angefangen, uns der Routine zu ergeben. Und wenn die Arbeiteropposition sich nicht gezeigt hätte (aber sie hat sich bei weitem noch nicht reif gezeigt), könnten wir sehr leicht vom geraden Klassenwege zum Kommunismus abweichen, ohne es selbst gewahr zu werden. Unsere Feinde würden in ein helles Gelächter ausbrechen und die Menschewiki würden schadenfroh mit den Fingern auf unsere Geschwüre zeigen. Heute ist dies schon unmöglich. Der Parteitag – und das bedeutet die Partei – wird gezwungen sein, mit dem Standpunkt der Arbeiteropposition zu rechnen und wenn er nicht mit ihr Kompromisse schließt, so wird er jedenfalls unter ihrem Druck und Einfluss eine Reihe von Konzessionen machen.
Das zweite Verdienst der Arbeiteropposition besteht darin, dass sie folgende Frage zur freien Aussprache erhoben hat: Wer ist denn nun berufen, die neuen Wirtschaftsformen zu schaffen, die Techniker, Geschäftsleute, die mit ihrer ganzen Psychologie mit der Vergangenheit verknüpft sind, und die hier und da mit ein paar ehrlichen Kommunisten untermischten Sowjetbeamten, oder die Kollektive der Arbeiterklasse – die Gewerkschaften?
Die Arbeiteropposition hat das gesagt, was im „Kommunistischen Manifest“ von Marx und Engels geschrieben und zur Grundlage unseres Programms genommen wurde, nämlich, dass der Aufbau des Kommunismus nur das Werk der Arbeitermasse selbst sein kann und wird. Die Schöpfung des Kommunismus gehört den Arbeitern.
Endlich hat die Arbeiteropposition ihre Stimme gegen den Bürokratismus erhoben und zu sagen gewagt, dass der Bürokratismus der Eigeninitiative und der schöpferischen Tätigkeit der Arbeiterklasse Fesseln anlegt, dass er das Denken tötet, die wirtschaftliche Initiative und die Gewinnung von Erfahrungen bei der Suche nach neuen Produktionsverfahren hemmt, mit einem Wort, die Schaffung neuer Produktions- und Lebensformen verkümmern lässt. Statt des Bürokratismus als System das System der Eigeninitiative der werktätigen Massen. Und in dieser Frage haben die Parteispitzen bereits jetzt Zugeständnisse gemacht, haben sie das „Eingeständnis“ gemacht, dass die Partei zum Schaden des Kommunismus und der Interessen der Arbeiterklasse Abweichungen zugelassen hat (Verurteilung des Zentralismus). Auf dem Parteitag werden der Arbeiteropposition natürlich noch einige andere Zugeständnisse auf diesem Gebiet gemacht werden. Auf diese Weise hat die Arbeiteropposition, obwohl sie erst vor einigen Monaten als innerparteiliche Gruppierung in Erscheinung trat, bereits ihr Werk getan, sie hat schon das Denken aufgerüttelt, es aus der Stagnation herausgeführt und die Führungszentren der Partei gezwungen, der vernünftigen Stimme der Arbeiter, den proletarischen Kollektiven Gehör zu schenken.
Mögen die Parteispitzen heute auf die Arbeiteropposition noch so wütend sein, ihr gehört die geschichtliche Zukunft. Da wir an die Lebenskraft unserer Partei glauben, wissen wir, dass unsere Partei nach einer gewissen Zeit des Starrsinns, der Schwankungen und der zickzackförmigen politischen Wege doch noch jenen Pfad beschreiten wird, den die als Klasse organisierten Proletarier spontan, als Klasse, Schulter an Schulter bahnen. Eine Spaltung wird es nicht geben. Wenn auch einzelne Gruppen von der Partei abfallen werden, so jedenfalls nicht jene, die in den Reihen der Arbeiteropposition stehen. Es werden nur jene abfallen, die die durch den erbitterten Bürgerkrieg erzwungenen vorübergehenden Abweichungen vom allgemeinen Geist des kommunistischen Programms zum Prinzip erheben wollen und an diesen Abweichungen als dem Kern unserer politischen Linie festhalten werden. Doch jener ganze Teil unserer Partei, der gewohnt ist, den Klassenstandpunkt des wachsenden und sich ausbreitenden Flügels des Proletariats widerzuspiegeln, wird all das Starke, Praktisch-Gesunde und Lebenskräftige, das die Arbeiteropposition in unseren Parteiaufbau hineinbringt, in sich aufnehmen und sich zu eigen machen. Nicht umsonst spricht der einfache Arbeiter überzeugt und versöhnend: „ Iljitsch wird denken, überlegen, uns hören, mag auch das Parteiruder an die Opposition gehen. Iljitsch wird doch mit uns sein.“ Je rascher die Parteispitzen die Arbeit der Opposition berücksichtigen und auf dem von den unteren Ebenen gewiesenen Weg voranschreiten werden, desto rascher werden wir die Parteikrise in einer schweren Periode überwinden, und desto eher werden wir die verbotene Grenze jenes Reiches überschreiten, in dem die Menschheit von den Wirtschaftsgesetzen, die außerhalb von ihr liegen, befreit ist und nach dem Willen des an wissenschaftlichen Werten reichen Kollektivs bewusst die Geschichte der Menschheit in der Epoche des Kommunismus gestalten wird.