Wagenknecht, #aufstehen und #unteilbar
Hanns Graaf
Am 13.10. waren in Berlin rund 250.000 Menschen dem Aufruf der Initiative #unteilbar gefolgt, gegen den Rechtsruck in Deutschland, gegen AfD und Pegida, gegen Rassismus und Intoleranz auf die Straße zu gehen. Der Aufruf und das Anliegen von #unteilbar hätte auch von der Aufstehen-Bewegung kommen können und entspricht inhaltlich in weiten Teilen deren Gründungsaufruf.
Insofern war es eigentlich klar, dass sich Aufstehen an der Mobilisierung vom 13.10. hätte beteiligen können – und müssen. Dafür spricht nicht nur das politische Anliegen der #unteilbar-Demo, sondern auch die organisatorische Situation von Aufstehen. Diese Aktion wäre eine wunderbare Gelegenheit gewesen, Aufstehen, das (noch) ein nur weitgehend im Internet angesiedeltes Projekt ist, zu einem Fakt im öffentlichen Leben zu machen und es gerade in jenes Milieu zu tragen, das für progressive Veränderungen in diesem Land wichtig ist.
Angesichts dessen war es nicht nur überraschend, sondern ein Schlag ins Gesicht der Mitglieder von Aufstehen, dass ihre Initiatorin und „Frontfrau“ Sahra Wagenknecht zwei Tage vor der Demo verkündete, dass sie bzw. Aufstehen sich nicht an der #unteilbar-Demo beteiligen werden. Natürlich ist es ihr gutes Recht, ja ihre Pflicht, ihre politische Meinung kund zu tun, doch wie sie das macht und mit welcher politischen Intention, ist natürlich nicht egal.
Zunächst einmal ist es höchst befremdlich, dass Wagenknecht einerseits betont, dass Aufstehen eigene Strukturen und eine eigene Programmatik „von unten“ aufbauen müsse, sich aber zugleich als „Sprecherin“ von Aufstehen geriert und quasi für die Bewegung spricht. Dafür hat Wagenknecht kein Mandat – und ihre Bekanntheit und das Medieninteresse an ihr sind kein Ersatz dafür. Hier offenbart sich eine Art von Paternalismus, der ein allgemeines Merkmal des Reformismus ist. Es muss demokratisch aussehen, aber letztlich bestimmt eine Clique von FunktionärInnen, was gemacht wird. Der Parlamentarismus ist ein Paradebeispiel dafür. Mit dieser Methode kann Aufstehen nicht aufgebaut werden, jedenfalls nicht als Bewegung, die in sich demokratisch und nach außen aktiv ist.
Noch fataler als das Prozedere ist allerdings die politische Begründung, die Wagenknecht für ihre Abstinenz abgab. Sie meinte, dass #unteilbar ja die Forderung nach „Offenen Grenzen“ vertreten würde und sie diese für falsch halte. Das mag so sein – doch selbst wenn Wagenknecht recht hätte, wäre das als Begründung untauglich. Erstens hat #unteilbar die Losung „Offene Grenzen“ so gar nicht aufgestellt, ihre – völlig korrekte – Losung war „Solidarität kennt keine Grenzen“. Zweitens ist #unteilbar ein Bündnis aus vielen Spektren und insofern heterogen. D.h. selbst wenn die eine oder andere „verkehrte“ Losung aufgestellt worden wäre, sagt das noch nicht viel über die Gesamtbewegung aus. Entscheidend ist die allgemeine anti-rassistische Stoßrichtung von #unteilbar, und die konnte und musste unterstützt werden!
Zunächst stimmen wir Wagenknechts Kritik an der Losung „Offene Grenzen“ insofern zu, als diese Frage keinesfalls diese Bedeutung hat, die ihnen manche Linke zusprichen. Da es momentan keine relevante politische Kraft gibt – in Deutschland nicht und nicht in Europa -, die sich für diese Losung engagieren würde, hat sie allenfalls propagandistischen Charakter. Viel wichtiger wäre daher etwa die Forderung, dass alle Kosten für die Einwanderung vom Kapital übernommen und nicht den Lohnabhängigen aufgehalst werden, die nichts dafür können, dass der Kapitalismus dazu führt, dass Menschen fliehen müssen. Doch von dieser o.ä. Forderungen hört man in der linken Szene eher wenig.
Doch der Art der Kritik von Wagenknecht stimmen wir nicht zu. Denn sie (und ihr Mann Lafontaine) vertritt im Grunde den Standpunkt, dass die Migration eingedämmt werden müsse, weil sie dazu führe, dass die soziale Lage für die „Einheimischen“ sich dadurch noch weiter verschlechtern würde. Einen solchen „soften“ Rassismus bzw. Nationalismus lehnen wir ab!
Es war ein gutes Gefühl zu erleben, wie eine Viertelmillion Menschen sich gegen Rassismus engagiert; aber es war niederschmetternd, dass Aufstehen nicht oder fast nicht präsent war. Sicher waren viele Aufstehen-Mitglieder individuell anwesend, doch in organisierter Form, als wahrnehmbarer, aktiver Block gab es Aufstehen nicht – soweit wir das in der großen Menge feststellen konnten. Damit wurde eine große Chance vertan, Aufstehen aufzubauen und bekannt zu machen. Mehr noch: das Statement von Wagenknecht und die „offizielle Abstinenz“ von Aufstehen konnte und musste den Eindruck vermitteln, dass Aufstehen keine anti-rassistische Kraft ist. Wir glauben nicht, dass das zutrifft. Allerdings kann es dazu führen, dass sich Linke eher abgestoßen fühlen, bei Aufstehen mitzumachen und rechtere Leute Aufstehen für sich entdecken könnten. Die kommenden Wochen werden zeigen, wie die Lage aussieht.
Dass es aber überhaupt zu diesem Schlamassel kommen konnte, lag in starkem Maße auch an der radikalen Linken, die sich bisher nicht nur aus Aufstehen raus gehalten hat, anstatt selbst aktiv zu werden, sondern sogar noch dagegen argumentiert hat. Gerade diese Szene wird jetzt umso mehr hervorheben, wie recht sie doch mit ihrer Kritik an Aufstehen hatte. Sicher, da ist viel Kritik angebracht, doch anti-kapitalistische oder revolutionäre Politik besteht nicht nur im Kommentieren, sondern darin, verändernd einzugreifen.
Ein Hoffnungsschimmer im Desaster ist aber z.B., dass auf der Berliner Seite von Aufstehen für die Beteiligung an der #unteilbar-Demo geworben wurde. Das deutet immerhin darauf hin, dass es in Aufstehen auch Kräfte – wir glauben auch überwiegend – gibt, die ins Getümmel wollen und nicht ins Abseits.